Jena, d. 9. 7br. 97.
Sie selbst können sich schätzen; denn Sie kennen Ihr Inneres; und in dieser Selbstschätzung können Sie Recht haben, oder auch Unrecht: kurz, keiner ausser Ihnen ist darüber Ihr Richter. Bei andern aber haben Sie das Recht, nur diejenige Meinung von sich vorauszusetzen, die Sie durch Ihre Aeusserungen haben erregen können.
Ich z. B. finde bis jezt bei Ihnen sehr viel Aufstreben, hohen Trieb; weiter aber ist mir von Ihnen nichts bekannt. Deutlich bemerke ich, daß es Ihnen noch allenthalben an Klarheit, und Freiheit mangelt. Dies ist kein Uebel. Wenn Sie schon jezt über alles, was in Ihnen ist, im Klaren seyn könnten, so müßten sie arm seyn; und wenn Sie schon jezt Ihres Talents Meister seyn könnten, [/] so müßte es schwach seyn. Aber bis diese Klarheit eintritt, kann kein Fremder Sie schätzen. Nur durch Klarheit offenbart man sich.
Ich bin der Freund jedes jungen aufstrebenden Mannes, und liebe in ihm meine Hofnungen für das Menschengeschlecht. So bin ich auch Ihr Freund; und meine allgemeinere Freundschaft für Sie wird besondere werden, so wie ich Sie mehr kennen lerne; und das werde ich nur so, wie Sie sich selbst klärer werden.
Ihre Lage ist unglüklich; und wenn es Ihnen im Ernste um Ausbildung Ihrer selbst – ich verspreche mir, daß Sie diesen Ausdruk verstehen – zu thun ist, so sollten Sie die[/]selbe um jeden Preiß von sich werfen. Sie schreiben, um Ihren Bedürfnissen abzuhelfen. Dies ist nicht der Weg, um mit sich einig zu bleiben, und etwas vollkommnes, nicht zu leisten, sondern zu werden. Man wird nothwendig zersplittert, und erhält ein nach aussen gerichtetes Interesse. Sie sollten noch gar nicht schreiben. Sie sollten sogar nicht Collegia lesen, wenn Sie es vermeiden könnten. Doch ist das leztere nicht so gefährlich, als das erste. – Vergleichen Sie sich ja nicht mit andern, z. B. mit Bergern, den Ihr Brief nennt. Wer nicht viel hat, kann bald in Ordnung kommen; wer viel hat, hat längere Zeit nöthig.
In wie fern Sie den Gegenstand von der rechten Seite gefaßt haben, kann ich aus Ihrer Einladungsschrift nicht beurtheilen; nicht schliessen, welchen Begriff Sie von Philosophie überhaupt haben. Sie sagen: „es [/] solle durch Ihren Begriff v. d. Ph. erhellen, wo und wie weit Philosophie überhaupt anwendbar sey“. Meiner Meinung nach kann dies aus einem richtigen Begriffe der Philosophie nicht erhellen; denn die Philosophie ist entweder gar nicht anwendbar, oder sie ist es allenthalben. Man soll nicht ein Stük Philosophie geben, wo man eine andere Wissenschaft versprochen hat; aber Philosophie soll das Organ seyn, durch welches der ausgebildete Mensch alles ansieht.
Entschieden schwach ist Ihre Beurtheilung meines Naturrechts. Sie fodern mich auf, Ihnen darüber meine Meinung zu sagen. Dies will ich, in der Hofnung, daß Sie mir ähnliche Beurtheilungen nicht mehr schiken.
Das, jedoch sehr zu entschuldigende, πϱῶτοv ψευδος Ihrer Beurtheilung ist der Saz: daß eine vollkommne Regierungsverfassung nicht [/] „möglich sey, nicht einmal in der Idee; wenn sie bloß auf Rechtsbegriffen beruhen soll“ – Nach mir aber ist eine solche Verfassung nicht einmal eine Idee, sondern ein vollkommen bestimmbarer Begriff. So habe ich ihn in meiner Darstellung durchgängig behandelt. Dies ist der Punkt, wo mein System angegriffen [werden] müßte; und die Weise wie es angegriffen werden müßte, die, daß man entweder meine Prämissen widerlegte, oder mir Schlußfehler in der Ableitung nachwiese. Alle Argumente, daß man in einer solchen Verfassung doch nicht besser daran seyn würde, u. dergl. treffen nicht zum Ziele. Ich könnte dies zugestehen, gestehen, daß es in ihr weit schlimmer hergehen würde, und mein Saz: so soll es der Vft. zufolge schlechthin seyn, bliebe ganz unangefochten stehen. – Es ist mit meinem Wissen, u. Willen in meinem Begriffe einer Constitution gar nichts willkührliches, nichts auf ein Gutdünken der Klugheit gegründetes; sondern ich behaupte, er sey rein aus reiner Vft. [/] deduciert. Dies, dies allein ist’s, was widerlegt werden müßte.
Doch, Sie liefern eine Art Beweise für Ihren Saz. „Der Wille, sich selbst einzuschränken, kann bei den Menschen, nach Rechtsbegriffen, nur dadurch bewirkt werden, daß man ihre Selbstliebe in Bewegung sezt“ – Richtig. „Die Vorstellungen von Wohl u. Weh’ aber sind sehr verschieden, u. öfters irrige“ So? Soweit, daß ein physischer Zwang nicht möglich wäre? Giebt es eine Selbstliebe, die sich nicht für Gut, und Leib, u. Leben interessierte? – Wer dieses Interesse nicht hat, dem ist die Selbstliebe ganz u. gar abzusprechen; er ist – fals er nicht um der höhern moralischen Triebfeder Willen sich selbst verläugnet, in welchem Falle es der niedern des Eigennutzes zur Hervorbringung der Legalität nicht bedarf – des Lebens in der menschl. Gesellschaft ganz unfähig. Er wird ausgestossen. Auf ihn sonach rechnet die Gesezgebung nicht. Ich hoffe, daß dergl. Menschen nur die Ausnahme machen. [/]
Ich gehe zu Ihren einzelnen Erinnerungen. „Weil ich Publicität der öffentl. Verhandlungen festsetze, darum wird das Ephorat unnütz.“ Wenn nun also das Volk weiß, daß die Regierung ungerecht verfährt; was folgt aus diesem blossen Wissen? Was wird, was kann das Volk thun. Rebelliren? Das wird es nicht, u. das darf es nicht. Dieses Wissen ist die Bedingung, das Ziel zu erreichen; aber es führt nicht zum Ziele. Es fehlt ein Mittelglied, u. dieses Mittelglied ist eben das Ephorat
„Es werden, wegen der Bestechbarkeit des Haufens nicht Ephoren, wie sie sollen, gewählt werden“ Dies hängt von der formellen Einrichtung der Wahl ab. Ich habe darüber nichts festgesezt, weil die Sache von empirischen Datis abhängt. Dann haben Sie sich nicht erinnert, daß jeder Ephor bei’m Abgehen vom Amte seinem Nachfolger Rechenschaft ablegen muß; daß sonach, um die Wirkung des Ephorats zu vereiteln, in einem langen Zeitraume lauter nichtswürdige [/] Ephoren gewählt werden müßten.
Diese Einwürfe, und noch mehr die folgenden sehen aus, als ob Sie mein Buch nicht selbst gelesen, sondern sich etwa von Feder einen Auszug davon hätten machen lassen. Wie konnten Sie sagen: „es sey kaum zu erwarten, daß alle sich für ein Gebrechen in der Staatsverwaltung sich so sehr interessieren würden, daß dadurch eine Reform bewirkt würde“ Darauf habe ich allerdings gerechnet, u. es an mehrern Orten auch gesagt: und dafür ist das Interdikt. Ich meine, dies wird alle treiben, sich für sich selbst zu interessieren.
Was mir Gesez u. Gesezgebung heisse, darüber habe ich mich deutlich erklärt. Daß „unter legislativer Gewalt das Recht verstanden werde, in einzelnen Fällen zu bestimmen, durch welche Ver[/]fügungen das gemeine Wesen gerettet werden soll“ ist mir, ausser in Ihrem Briefe, nirgends vorgekommen; Vielmehr rechnet man dies zu der Gewalt, die den Direktoren verbleiben müsse: so thut ausdrüklich Kant, auf den Sie sich beziehen, und nennt so etwas zum Unterschiede von den Gesetzen, Verordnungen. Wie durch die Vereinigung der legislativen Macht, in meinem Sinne, und der executiven ein asiatischer Despotismus entstehen könne, neben dem Epborate, ist mir unbegreiflich. Nun verwerfen Sie freilich das Ephorat, und wollen theilen; aber eine solche Theilung ist, wie ich erwiesen zu haben glaube, unmöglich. Mag die Nation sich ermüden, Gesetze zu geben. Wer soll denn den Regenten zwingen, sie auszuführen. Oder führt er sie aus ohne Abänderung, u. Einspruch, so ist er garnicht Regent, sondern das Volk ist Regent, und er ist eine willenlose Maschine.
Ich bin mit Achtung
Ihr
ergebenster
Fichte
Sie selbst können sich schätzen; denn Sie kennen Ihr Inneres; und in dieser Selbstschätzung können Sie Recht haben, oder auch Unrecht: kurz, keiner ausser Ihnen ist darüber Ihr Richter. Bei andern aber haben Sie das Recht, nur diejenige Meinung von sich vorauszusetzen, die Sie durch Ihre Aeusserungen haben erregen können.
Ich z. B. finde bis jezt bei Ihnen sehr viel Aufstreben, hohen Trieb; weiter aber ist mir von Ihnen nichts bekannt. Deutlich bemerke ich, daß es Ihnen noch allenthalben an Klarheit, und Freiheit mangelt. Dies ist kein Uebel. Wenn Sie schon jezt über alles, was in Ihnen ist, im Klaren seyn könnten, so müßten sie arm seyn; und wenn Sie schon jezt Ihres Talents Meister seyn könnten, [/] so müßte es schwach seyn. Aber bis diese Klarheit eintritt, kann kein Fremder Sie schätzen. Nur durch Klarheit offenbart man sich.
Ich bin der Freund jedes jungen aufstrebenden Mannes, und liebe in ihm meine Hofnungen für das Menschengeschlecht. So bin ich auch Ihr Freund; und meine allgemeinere Freundschaft für Sie wird besondere werden, so wie ich Sie mehr kennen lerne; und das werde ich nur so, wie Sie sich selbst klärer werden.
Ihre Lage ist unglüklich; und wenn es Ihnen im Ernste um Ausbildung Ihrer selbst – ich verspreche mir, daß Sie diesen Ausdruk verstehen – zu thun ist, so sollten Sie die[/]selbe um jeden Preiß von sich werfen. Sie schreiben, um Ihren Bedürfnissen abzuhelfen. Dies ist nicht der Weg, um mit sich einig zu bleiben, und etwas vollkommnes, nicht zu leisten, sondern zu werden. Man wird nothwendig zersplittert, und erhält ein nach aussen gerichtetes Interesse. Sie sollten noch gar nicht schreiben. Sie sollten sogar nicht Collegia lesen, wenn Sie es vermeiden könnten. Doch ist das leztere nicht so gefährlich, als das erste. – Vergleichen Sie sich ja nicht mit andern, z. B. mit Bergern, den Ihr Brief nennt. Wer nicht viel hat, kann bald in Ordnung kommen; wer viel hat, hat längere Zeit nöthig.
In wie fern Sie den Gegenstand von der rechten Seite gefaßt haben, kann ich aus Ihrer Einladungsschrift nicht beurtheilen; nicht schliessen, welchen Begriff Sie von Philosophie überhaupt haben. Sie sagen: „es [/] solle durch Ihren Begriff v. d. Ph. erhellen, wo und wie weit Philosophie überhaupt anwendbar sey“. Meiner Meinung nach kann dies aus einem richtigen Begriffe der Philosophie nicht erhellen; denn die Philosophie ist entweder gar nicht anwendbar, oder sie ist es allenthalben. Man soll nicht ein Stük Philosophie geben, wo man eine andere Wissenschaft versprochen hat; aber Philosophie soll das Organ seyn, durch welches der ausgebildete Mensch alles ansieht.
Entschieden schwach ist Ihre Beurtheilung meines Naturrechts. Sie fodern mich auf, Ihnen darüber meine Meinung zu sagen. Dies will ich, in der Hofnung, daß Sie mir ähnliche Beurtheilungen nicht mehr schiken.
Das, jedoch sehr zu entschuldigende, πϱῶτοv ψευδος Ihrer Beurtheilung ist der Saz: daß eine vollkommne Regierungsverfassung nicht [/] „möglich sey, nicht einmal in der Idee; wenn sie bloß auf Rechtsbegriffen beruhen soll“ – Nach mir aber ist eine solche Verfassung nicht einmal eine Idee, sondern ein vollkommen bestimmbarer Begriff. So habe ich ihn in meiner Darstellung durchgängig behandelt. Dies ist der Punkt, wo mein System angegriffen [werden] müßte; und die Weise wie es angegriffen werden müßte, die, daß man entweder meine Prämissen widerlegte, oder mir Schlußfehler in der Ableitung nachwiese. Alle Argumente, daß man in einer solchen Verfassung doch nicht besser daran seyn würde, u. dergl. treffen nicht zum Ziele. Ich könnte dies zugestehen, gestehen, daß es in ihr weit schlimmer hergehen würde, und mein Saz: so soll es der Vft. zufolge schlechthin seyn, bliebe ganz unangefochten stehen. – Es ist mit meinem Wissen, u. Willen in meinem Begriffe einer Constitution gar nichts willkührliches, nichts auf ein Gutdünken der Klugheit gegründetes; sondern ich behaupte, er sey rein aus reiner Vft. [/] deduciert. Dies, dies allein ist’s, was widerlegt werden müßte.
Doch, Sie liefern eine Art Beweise für Ihren Saz. „Der Wille, sich selbst einzuschränken, kann bei den Menschen, nach Rechtsbegriffen, nur dadurch bewirkt werden, daß man ihre Selbstliebe in Bewegung sezt“ – Richtig. „Die Vorstellungen von Wohl u. Weh’ aber sind sehr verschieden, u. öfters irrige“ So? Soweit, daß ein physischer Zwang nicht möglich wäre? Giebt es eine Selbstliebe, die sich nicht für Gut, und Leib, u. Leben interessierte? – Wer dieses Interesse nicht hat, dem ist die Selbstliebe ganz u. gar abzusprechen; er ist – fals er nicht um der höhern moralischen Triebfeder Willen sich selbst verläugnet, in welchem Falle es der niedern des Eigennutzes zur Hervorbringung der Legalität nicht bedarf – des Lebens in der menschl. Gesellschaft ganz unfähig. Er wird ausgestossen. Auf ihn sonach rechnet die Gesezgebung nicht. Ich hoffe, daß dergl. Menschen nur die Ausnahme machen. [/]
Ich gehe zu Ihren einzelnen Erinnerungen. „Weil ich Publicität der öffentl. Verhandlungen festsetze, darum wird das Ephorat unnütz.“ Wenn nun also das Volk weiß, daß die Regierung ungerecht verfährt; was folgt aus diesem blossen Wissen? Was wird, was kann das Volk thun. Rebelliren? Das wird es nicht, u. das darf es nicht. Dieses Wissen ist die Bedingung, das Ziel zu erreichen; aber es führt nicht zum Ziele. Es fehlt ein Mittelglied, u. dieses Mittelglied ist eben das Ephorat
„Es werden, wegen der Bestechbarkeit des Haufens nicht Ephoren, wie sie sollen, gewählt werden“ Dies hängt von der formellen Einrichtung der Wahl ab. Ich habe darüber nichts festgesezt, weil die Sache von empirischen Datis abhängt. Dann haben Sie sich nicht erinnert, daß jeder Ephor bei’m Abgehen vom Amte seinem Nachfolger Rechenschaft ablegen muß; daß sonach, um die Wirkung des Ephorats zu vereiteln, in einem langen Zeitraume lauter nichtswürdige [/] Ephoren gewählt werden müßten.
Diese Einwürfe, und noch mehr die folgenden sehen aus, als ob Sie mein Buch nicht selbst gelesen, sondern sich etwa von Feder einen Auszug davon hätten machen lassen. Wie konnten Sie sagen: „es sey kaum zu erwarten, daß alle sich für ein Gebrechen in der Staatsverwaltung sich so sehr interessieren würden, daß dadurch eine Reform bewirkt würde“ Darauf habe ich allerdings gerechnet, u. es an mehrern Orten auch gesagt: und dafür ist das Interdikt. Ich meine, dies wird alle treiben, sich für sich selbst zu interessieren.
Was mir Gesez u. Gesezgebung heisse, darüber habe ich mich deutlich erklärt. Daß „unter legislativer Gewalt das Recht verstanden werde, in einzelnen Fällen zu bestimmen, durch welche Ver[/]fügungen das gemeine Wesen gerettet werden soll“ ist mir, ausser in Ihrem Briefe, nirgends vorgekommen; Vielmehr rechnet man dies zu der Gewalt, die den Direktoren verbleiben müsse: so thut ausdrüklich Kant, auf den Sie sich beziehen, und nennt so etwas zum Unterschiede von den Gesetzen, Verordnungen. Wie durch die Vereinigung der legislativen Macht, in meinem Sinne, und der executiven ein asiatischer Despotismus entstehen könne, neben dem Epborate, ist mir unbegreiflich. Nun verwerfen Sie freilich das Ephorat, und wollen theilen; aber eine solche Theilung ist, wie ich erwiesen zu haben glaube, unmöglich. Mag die Nation sich ermüden, Gesetze zu geben. Wer soll denn den Regenten zwingen, sie auszuführen. Oder führt er sie aus ohne Abänderung, u. Einspruch, so ist er garnicht Regent, sondern das Volk ist Regent, und er ist eine willenlose Maschine.
Ich bin mit Achtung
Ihr
ergebenster
Fichte