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Lucia Margareta Herbart to Johann Gottlieb Fichte

Oldenburg den 12ten Oct 1797.
Ich bin nicht mehr unglücklich, mein gütiger Freund, seitdem ich Ihren wohlthätigen Brief in meinen Händen habe. Ich empfing denselben diesen Abend spät, und weit entfernt, mich über Sie zu entrüsten, würde ich nun glücklich seyn, wenn ich diese Hülfe nicht einzig und allein Ihrem Mitleiden, und der Fürbitte Ihrer guten Frau, zu danken hätte, die sich aller Bedrängten so gern erbarmet.
Der Schlaf fliehet mich. Morgen hat mein Mann Geschäfte in der Nähe von Bremen; und ich soll in aller Frühe dahin mitgehen, um auf der dortigen Messe die uns nothwendigen Meubles einzukaufen, und unsers Langens Mutter u Schwester freundliche Bitten zu erfüllen. Dies zur Entschuldigung, daß ich in der Nacht, es wage, Ihnen meinen Dank und noch einiges von dem, was Sie mir erlauben, Ihnen zu sagen – aufs Papier zu werfen.
Sehr deutlich, blicken Sie durch das Aeussere hindurch, welches ich – um der ganzen Welt mein Inneres zu verbergen – seit vielen Jahren um mich geworfen habe. Der wahre Grund meines Unmuths, meines Eckels vor der Welt, die mich so oft betrog, liegt in mir selbst.
Kalt, herzlos, müßte ich das finden, was Sie mir sagen? um auf dem Wege der Besserung zu seyn?? Ihr[e] kalte, ängstliche Höflichkeit in Jena, schreckte oft alle meine bessern Gefühle zurück – überzeugte mich, daß Sie mich verachteten, wie andere gewöhnliche Weiber. Hätte ich soviel warmes herzliches Mitgefühl, als ich in diesem einzigen Briefe erblicke, auch nur geahndet Wahrlich, ich wäre nie, von Ihnen, nie nach Oldenb zurück gegangen [/] Schwach hat man mich nicht gefunden, wohl aber eigensinnig, absurd. Ich selbst arbeite redlich daran, meinen Stolz zu unterjochen, den[n] diesen erkenne ich für meinen Teufel. Sie hielten mich wol auch nicht für schwach, wenn Sie wüßten, was für Opfer ich schon gebracht habe. Seit vielen Jahren vermocht ich’s, meine Feßeln abzuwerfen. Ich hatte mich geopfert, um Mutter zu werden. Meine Hand, d i meiner Hände Arbeit, und mein Vermögen war ich dafür schuldig; wenn ich dies noch jezt dem Eigenthümer nicht zu entreissen vermag, so ists Irrthum nicht Schwäche. Aber, glauben Sie im Ernste, daß es – nachdem mein Zweck erreicht war – mir noch möglich gewesen sey, mich zum Vieh herabwürdigen zu lassen??
Auch zu tragen vermocht ich mein Schicksal, ohne die mindeste Klage, so lange mein Sohn meiner bedurfte. Um seinen Charackter nicht zu verderben, konnte ich, bey den heftigsten Körperlichen Schmerzen mit unbegreiflichem Leichtsinne, über die spizigsten Dornen hinweghüpfen. Um seinetwillen duldete ich alles, kämpfte oft und lange, und siegte über heftige Leidenschaften. Als er und ein unglücklicher Bruder meiner nicht mehr bedurften, da glaubte ich, mit einem Theile von dessen Gelde, mich von meinen Frohndiensten los kaufen und ganz frey seyn zu dürfen. Aus der Ursache, verkaufte ich mein Haus mit allen Meublen; bestellte hier alles, auch die geringsten Kleinigkeiten und ging aus meiner Vaterstadt, auf nie wiedersehen.
Ich möchte nur wissen, ob Sie über mich spotten, wenn Sie die Sprachorgane unserer Klätscherinnen als respektable aufstellen? Haben Sie je, Menschenfurcht an mir bemerkt? [/]
Auch nicht einmal das Gerede der Bessern, hat mich in wichtigen Dingen bestimmen können. Nur den Wenigen die mich ihrer Belehrungen werth hielten, und von denen ich belehrt seyn mochte schloß ich mein Herz auf. Zu allen Zeiten konnten sie ganz in dasselbe hinein blicken, alle seine Falten durchsuchen. Oft habe ich in Kleinigkeiten aus Irrthum gefehlt, oft mich übereilt – aber verloren habe ich mich nie, so weit ich mich auch hinaus wagte. Und wenn man reines Herzens ist, sollte man da vor sich selbst fliehen? Wenn man sich so ganz allein von früher Jugend her – alles seyn mußte – auch nicht aus Büchern nur, Rath schöpfen konnte – sollte man da nicht gern sich selbst die süsseste Trösterin seyn wollen?
Aber dann, wenn ich so schwach bin mich nach Lohn, nach Erquickung an manchem heißen Tage, umzusehen – wenn ich dann, in mir, und um mich her, eine Leere fühle, wie im Grabe – eine Leere, die ich nur erst nach meiner Reise unausstehlich fand, die immer da bleiben wird, auch dann wenn ich meine Schatten von Sclaverey vertrieben hätte – dann, freue ich mich, daß ich Braten zu machen, Kinder zu unterrichten, Thorheiten zu treiben habe, damit ich nicht durch müssige Wünsche und Klagen, oft durch heftige Ausbrüche meiner Leidenschaften meinen Körper zerstöre, und mehrere Tage hindurch die Spuren davon auf meinem Gesichte trage.
Was es eigentlich ist, was ich suche das weiß ich lange. Vesten Boden zu haben, von welchem ich ruhig, mich selbst und die Dinge um mich her übersehen könnte. Mein Schwanken hin und her, und [daß] ich selbst nicht recht weiß, ob und wie ich dazu gelangen kann? Das sind die Ursachen meines Grimmes [/] Ich suchte redlich durch den Fluß zu kommen, aber vergebens. Ich hoffte mit den Jahren kälteres Blut und ruhigere Überlegung zu bekommen, und leider! wird das Übel immer ärger.
Jezt war ich eben daran, nicht länger zu säumen, sondern mich in den Strom zu stürzen und darin umzukommen.
Urtheilen Sie nun, ob ich es empfinde, was es werth ist, wenn Sie mir Ihre Hand reichen mich hindurch führen wollen [.] Haben Sie noch einmal ein müssiges Virtelstündchen, wollen Sie dan[n] selbst mir sagen, ob Sie mich noch verachten, und wo mirs eigentlich sizt so machen Sie sehr glücklich
Ihre Herbart.
Meiner lieben Freündin meinen eiligen aber recht herzlichen Dank für alles, auch für die Nachrichten von Berger. Könnte ich doch diesen hier sehen? ich darf wenigstens darauf hoffen. Was macht die unglükliche Spada, wir wünschen sehr zu wissen, ob sie noch da ist?
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 12. Oktober 1797
  • Sender: Lucia Margareta Herbart ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Oldenburg (Oldenburg) · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 87‒89.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 140
Language
  • German

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