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Johann Jakob Wagner to Johann Gottlieb Fichte

Göttingen, d. 28 Nov. 1797.
Diesmal, ädler Freund! schreiben Sie mir sehr lange nicht. Sie haben wohl nicht Zeit. Ich habe desto mehr; meinen Plato habe ich fertig bis auf die Einleitung, die den Kern des Buches ausmachen soll; – und meine Vorlesungen sind nicht zur Wirklichkeit gekommen. Ich bestimmte zweymal am schwarzen Bret die Zeit, da ich anfangen wollte; das erstemal fand sich keiner ein, so wie das zweitemal auch. Einen andern Tag kamen einmal 6–7 die zuhören wollten, aber dies erfuhr ich erst nachher – und würden wir natürlich dann auch nicht diese gelesen haben, wenn ichs auch gewußt hätte, daß sie kamen. Hätte ich nicht meinen ersten Termin ein paar Tage früher gesezt, als die andern Docenten anfiengen, so würde ich auch keinen zweiten bestimmt haben. So ist es in Göttingen.
Ich lebe gegenwärtig ganz in mich hinein, einsam, abgerissen von der ganzen Welt, zu deren Dienst ich mich aber doch vorbereite. Der Junge Mann, von dem ich Ihnen schrieb, hat meine Erwartung getäuscht, und ich hänge [/] nicht mehr mit ihm zusammen. Er hat einen solchen Grad von Lähmung seines Willens und eine so fatale Verschlossenheit, daß ich durchaus nicht im Stande bin ihn auf der Stuffe zu erhalten, die er im Enthusiasmus auf ein paar Augenblike bestiegen hatte. Ich wollte das, was ich auf diese Weise in ihm begonnen hatte durch sichere Ueberzeugung begründen; aber dazu war alle Mühe vergeblich. Ich habe ihn zwar vom Leichtsinn und seinen Folgen fast ganz zurükgebracht; aber ihn weiter zu bringen versagt seine Natur, und er schneidet mir den Weg zu sich ab, durch Verschlossenheit. – So bin ich nun wieder isolirt, nach dem ich mein Herz mit dem Gedanken an die Zukunft dieses Jünglings genährt – hingehalten hatte. Ach! alle Gegenwart ist so dürftig!
Wirklich, Freund! abstrahirt von der schönen äesthetischen Oberfläche der Kindheit, kann ich nicht begreifen wie sich ie[/]mand in dieselbe zurükwünschen kann. Mir graut vor dem Gedanken an die meinige, wie vor der ewigen Nacht und dem Chaos. Wahrlich dem Menschen müssen die Nerven seiner Seele abgeschnitten, die Pulsschläge seines Herzens kaum mehr fühlbar seyn, der sich zurükwünschen kann in diese ungeheure unendliche Leere. Bliken sie nur in das Auge eines Kindes; welcher unendliche Raum thürmt sich da vor Ihnen empor, leer an allem, woran sich Ihr banger Geist halten könnte. – Wir sind nur für die Zukunft geschaffen, und den entflohenen Tag mag ich schon nicht mehr denken. Der heutige interessirt mich als Vorläufer des morgenden, und in diesem seh ich eine Stufe zu einer Leiter von Jahren. Wenn ich das Universum durch wandle; so find ich überall nichts was die Gegenwart interessant und auch den Blik auf die Vergangenheit [/] noch heiter machen könnte, als Freundschaft u. Liebe. Streben, und Ringen nach Vollkommenheit seiner selbst zieht die Seele am meisten in die Zukunft, und macht die Gegenwart arm u. die Vergangenheit todt; Kunst u. Wissenschaft gehört mit dazu, und wirkt dasselbe; – aber die Stunden der Freundschaft und der Liebe fesseln uns an das Leben und führen uns von der Seite des Herzens wieder in eine Welt zurük, aus der der unsterbliche Geist entfliehen wollte. Ich habe, gottlob! ein sehr schlechtes Gedächtnis, was mein Leben in der Zukunft fördert, weil sich die Vergangenheit leicht verwischt in meiner Seele; aber Stunden der Freundschaft und der Liebe bewahrt mein Herz heilig nach Jahren noch. Ihr Andenken steigt iezt in meiner öden Seele auf, wie eine Oase die der magische Staab in einer schaurigen Wüste hervorbringt. [/]
d. 9 Xbr.
Wenn Sie bis Weyhnachten oder zum Neuen Jahre nicht schreiben, so ziehen Sie sich ein langes Neujahrsgeschenk von Briefen von mir zu. Denn ich kanns nicht laßen, dies und jenes Ihrem Geiste u Herzen mitzutheilen.
Es liegt mir daran, ein Urtheil über die Menschen zu haben, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So reizte meine Begierde auch ehmals Forberg durch das was ich von ihm reden hörte. Ich las deswegen seine Fragmente, und hatte an seinen Wiznadeln, Sentenzen, u an dem Panegyrikus, den er Ihnen hält, Materialien genug zu einem Urtheil über ihn. Vorzüglich charakteristisch war mir immer das Panegyrisiren. Auf dieser Schwäche ertappte ich auch neulich unsern Berger. Ich las seine Gukkastenphilosophie, und das Prognostikon, das er seiner Absicht nach [/] dem grossen Fichte, im Grunde aber u. gegen seine Absicht dem kleinen Berger stellt. Es lag mir nämlich daran zu erfahren, ob mein physiognomischer Genius richtig über ihn geweissagt hätte, auch dem Detail nach. Darum bat ich mir seine Aphorismen u seine Gukkastenph. aus. Die erstern fand ich unter der Kritik; möcht ich fast sagen. Wen seine Natur so wenig in den Stand gesezt hat, das suum cuique zu beobachten, der sollte weder in der Jugend noch im Alter schreiben. Wenn Kant und Fichte ihr Eigenthum an diesem Schriftchen vindiciren und gegen die Misverständnisse protestiren wollten; was würde aus dem Schriftchen werden? – Ich konnte mich nicht überwinden, es zu lesen, kaum las ich ein Drittel davon. Aber für Nikolain war B. der [/] Mann! Er brauchte sich nicht herabzulassen. – Ich brachte ihm die Bücher selbst, um ihn zu besuchen Gelegenheit zu haben. Die Rede war sogleich von Ihnen.
Ich. Sie haben Fichte einen gewaltigen Panegyrikus gehalten.
B. Ich mußte Nikolai das Gegengewicht halten. Auch, glaube ich nicht zu viel gesagt zu haben. In seinem Fach ist F. gewiß der vortreflichste Kopf, den wir iezt haben. –
Mir war der Zusaz: in seinem Fach anstössig, denn nach meiner Philosophie kann dies von einem Philosophen keinen Sinn haben. Ich wollte aber nicht geradezu auf das Fach losgehn. Ich machte Umwege.
Ich. Haben Sie den 2ten Theil von Fs Naturrecht gelesen?
B. Noch nicht. [/]
Ich. Aus Fs. übrigen Schriften lernt man den Denker schäzen, und den Menschen achten; aus dieser aber lernt man ihn lieben. Er zeigt darinn eine liebenswürdige Menschheit.
B. Ja, F. ist auch als Mensch sehr achtungswürdig.
Ich. Ueberhaupt glaube ich läßt es sich a priori beweisen, daß ein Philosoph im strengen Sinne des Wortes auch ein vorzüglicher Mensch seyn muß. Nur ein grosser Mensch kann Philosoph seyn.
B. Ey den Beweis möchte ich wohl hören.
Ich. Er gründet sich darauf daß das Vermögen der Ideen, wodurch man Philosoph wird, eben das Vermögen ist, wodurch man moralischer Mensch wird. [/]
B. Ich glaube, man kann in den erhabensten Ideen leben, und doch wieder sehr sinnlich handeln.
Ich. Daß ein grosser Mensch noch kein vollkommner Mensch ist, gebe ich gerne zu, aber die moralische Tendenz ist überwiegend, und darum bleibt der Charakter auch bey einzelnen Einschränkungen groß.
B. Aber wir haben noch keinen bestimmten Begrif von Philosophie, der aller Prüfung genüge thäte; der Begrif eines Philosophen ist noch weit schwankender.
Ich. Ich stimme keiner von diesen Behauptungen bey.
B. So sagen Sie mir doch, was Sie vor einen Begrif von Philosophie haben.
Ich. Den Maimonschen. Zudem: lassen Sie auch den Begrif wandelbar seyn; denn er wird sich mit ieder neu [/] entstehenden Philosophie ändern; so bleibt doch die Idee der Philosophie unwandelbar und darum auch die Idee des Philosophen.
B. schwazte noch vieles in die Queere. Ich suchte ihm meine Behauptung auch dadurch einleuchtend zu machen, daß ich ihn an die Beharrlichkeit der Wirkung eines ausschliessend begünstigten u. gebildeten Triebes erinnerte, wo so dann die Nichtthätigkeit dieses Triebes eine seltene Ausnahme ist, indem der überwiegende Trieb in der Regel thätig ist. Dies wollte ihm auch nicht einleuchten. Endlich sagte er: Sie sezen bey dem Philosophen eine grosse Natur voraus, wie Sie Sich ausdrüken. Nach Ihnen wird der Philosoph gebohren?
Ich. Allerdings; wie der Dichter.
B. Muß er aber nicht entwikelt werden u. gebildet?
Ich. Allerdings, wie der Dichter. Dies sezt aber voraus, daß etwas zu bilden und zu [/] entwikeln vorhanden sey. Wenn dies viel ist, so nenn ich es eine grosse Natur.
B. Der Begrif den Sie Sich von einem Philosophen machen, ist freylich glänzend, und es ist schon eine gewaltige Aufgabe, die Vollkommenheit die Sie von ihm fordern, zu erreichen. Ich will froh seyn, wenn ich mich ihm als gemeiner Mensch in etwas nähern kann –
Mir schnitt diese Aeusserung durch die Seele. So eine Resignation stößt mir ein Schwerdt in das Herz, und ich bin in solchen Momenten in der That einer mater dolorosa zu vergleichen; denn ich höre im Geist das Hilferufen der emporringenden Menschheit, und stehe da vor einem der ihr ein kaltes Helf Gott hinwirft, wenn ich ihn eben auffordern wollte seine Kraft mit mir zu verbinden, [/] und der Menschheit unter die Arme zu greifen. Ich muß aber übrigens doch gestehen, daß ich meine Sache nicht am besten vertheidigte. Ich bin zu sehr Neuling unter den Menschen, als daß mich so kalte Angriffe auf Wahrheiten, die dem Herzen so nahe liegen, nicht in einige Verwirrung sezen sollten. Ich bin überzeugt, daß nur das Herz groß macht: ich verstehe aber unter Herz nicht den Instinkt des Mitleidens sondern den Willen
der, ein Gott, auf Trümmern dieser Zeit
In dem Sturm der Leidenschaften Stille,
Und Verklärung unserm Selbst gebeut.
Ich war froh, daß der Repetent Flügge dazwischen kam, und dieser Dispüte ein Ende machte. Ich hatte während des Wortwechsels Bn. scharf ins Auge gefaßt, und fand daß sein Gesicht und der Ton, mit dem er spricht, nicht lügen. Eins ist so kalt wie das andre. Er will sich nun auf [/] die Theologie legen, u die Philos. bey Seite sezen.
Flügge machte mir mit seinem Gesichte vollends das Herz enge. Ich bemerkte darinn das süsse Lächeln eines selbstgefälligen Phlegma, die still schimmernde Oberfläche eines stehenden Wassers. Ich redete ihn etwas rasch an; aber das Männchen war nicht aus seiner Ruhe zu bringen. Ich leitete das Gespräch auf mancherley, aber kaum öfnete er den Mund. Es gelang mir durchaus nicht, ihn in seinem homerischen ῥεια ζωειv zu stören. Ich gieng denn. – Das Männchen hat einige Excerpten über die Geschichte des Dogma von der Unsterblichkeit der Seele herausgegeben, u. sonst verschiedenes. Es ist zu wünschen, daß es wirklich einen Fluß der Vergessenheit gebe. Denn wenn Flügge in jenem Leben noch weiß, was er in diesem Leben gewesen ist, so stört er mit Wehklagen die Ruhe der seligen Götter. [/]
Ich muß Ihnen noch etwas dergl. erzählen; Vor etwa einem Vierteljahre gieng ich an einem reizenden Abende in meinem Garten auf u. nieder. Ich hatte kurz vorher Maimon aus der Hand gelegt und war in tiefen Gedanken. – Da kam in den Garten herein ein kleines schwarzgekleidetes, etwas schief gewachsenes, dürres Männchen. Ich achtete nicht weiter auf das Män[n]chen, und gieng auf der Seite fort. Das Männchen kam mir aber näher und machte mir ein Compliment, das ich erwiederte, aber wieder fortgieng. Ich hatte bey dem Complimente das Männchen ins Auge gefaßt, und aus seiner Physiognomie vorläufig das Resultat gezogen, daß es unter die Menschen gehöre, deren Seele von ihrer Geburt an verreist ist, und nur das Lebensprincip als Stellvertreter zurükgelassen hat, oder schläft, und erst etwa am iüngsten Tage aufwacht, wenn sie mit einem verklärten [/] Körper zu prangen hoffen kann. Ich wollte wieder fortschlendern, aber das Männchen redete mich an, u ich mußte denn aus Höflichkeit Stand halten. Es war sogleich die Frage: was ich studirte, und als ich Philosophie angab, so wurde das Männchen zu meiner grossen Verwunderung um zehn Grade vergnügter und lächelnder, und in den schlaffen Augenliedern rang eine Kraft, die unter der Last der Vorhänge, die sie emporrollen sollte, diesmal nur halb erlag! Das unendliche Nichts eines geistlosen Menschenauges blikte mit dem matten Wiederscheine eines ihm fremden Schimmers zu mir herauf, und rührte mein Herz. Aus meinem Auge blühte ein wohlwollender Blik hervor, der den vor mir stehenden Bruder bat, mir ia nicht durch falschen Schimmer das Mitleid zu rauben, das mir die Zeichen seiner Armuth eingeflöst hatten. [/] Unser Gespräch kam sogleich auf philosophische Litteratur, und der Mann gab mir einige Urtheile, die mich an der Weissagungsgabe meines physiognomischen Apoll zweifeln machten. Endlich kam das Gespräch auf die Horen, u. Schillers Briefe darinn. Ich lobte sie wegen der seltnen Gabe Begriffe zu vervielseitigen und in ihren feinsten Nüancen für die Darstellung festzuhalten, die nach meinem Urtheil diese Briefe verriethen. Der schwarze Mann aber war andrer Meinung. Ich bin doch auch, fieng er an, in der Kantischen Philosophie so ziemlich umgethan; (hier kam mir auf einmal der Glaube an meinen Föbus wieder) aber ich konnte diese Briefe nie für etwas anders als für Spinneweben halten. Es ist wahrhaftig nicht viel daran – Eben das ist ihre Tugend daß nicht viel an ihnen ist, daß sie leicht sind, wie Geist er[/]wiederte ich. – Ey aber es muß doch ein Sinn darinn seyn, den man verstehen kann. – – den habe ich auch darin gefunden, Herr Superintendent. – Ich weiß mehrere, versezte er, die sich auch auf Philosophie verstehen, und sich über diese Briefe ärgerten. Schiller hätte sie immer weglassen können.
Ich brach ab, u. brachte das Gespräch auf etwas anders. Am Ende bat er mich zu sich für den nächsten Sonntag. Es war der Superintend. Schlegel, der Bruder der beyden Schlegel in Jena, die Sie mit mir schäzen werden. Wenn man diese mit ein paar guten Perioden vergleichen will, so kann man den hiesigen Bruder als Ausrufungszeichen dazu sezen.
Ich besuchte ihn seitdem einige mal. Da ich aber keinen Grund sah, mich ihm anders zu zeigen, als ich bin, und ihn meine [/] wahre Gestalt nicht angenehm affinirte, so gieng die Bekannschaft wieder zu Ende. Noch ein Fragment eines Gesprächs, das ich mit ihm hielt, mag zu seiner Charakteristik hier stehen.
Er. Es ist doch sonderbar, daß Sie wieder von der akademischen u. schriftstellerischen Laufbahn abtreten wollen. Ihr Werk ist noch nicht heraus, u. ihr akademisches Glük noch unentschieden.
Ich. Wenn ich die akademische Laufbahn verfolge; so bin ich genöthigt zu schriftstellern; theils, um mir Ruf zu erwerben, theils auch damit ich nicht Mangel leide. Und ich halte davor, daß diese frühe Schriftstellerey meine innere Entwicklung u. Bildung hindert. Ich habe mir auch aus Plato das Resultat gezogen, daß er für sein System zu früh geschrieben hat. [/]
Er. Ey warum wollen Sie denn allein so sehr auf eigne Bildung dringen? Es sind ia iunge Männer genug, die immer schreiben, u. doch ihr Glük machen, und doch nicht ohne Bildung bleiben. Sie machen gewiß auch noch Glük mit den Talenten, die Sie haben; wenn Sie auch immer schreiben.
Ich. Ich glaube, daß ieder werden soll, was er kann; daß es daher heilige Pflicht ist, die Hindernisse der Selbstbildung aus dem Wege zu räumen, damit man mit seinem vollen Talente der Menschheit nüze. Lassen Sie Ihre Denkungsart allgemein werden; so wird es übel um die Menschheit stehen.
Er. Was sagt aber Heine dazu? Ich. Ich habe Heine meinen Entschluß nicht entdekt. Ich fragte ihn einmal um Rath ob ich hier die akademische Laufbahn betreten sollte. Finden Sie bey der [/] Jurisprudenz oder Philologie nicht schneller Brod? fragte er mich. Ich weiß nicht, war meine Antwort. Göttingen ist ein guter Steigbügel, um auf andre Universitäten zu kommen, fuhr er fort; hier können Sie noch am ehesten Glük machen. Ich habe auch am meisten Hang für die Philosophie u. die akademische Laufb[a]hn, erwiederte ich. – Ja vom Hange ist iezt nicht die Rede; Sie müssen sehen, wo Sie am besten Ihren Unterhalt finden; versezte Heyne. – Seitdem er mir dies gesagt hat, frag ich Heine nie mehr um Rath.
Er. Er meint es aber doch gut mit Ihnen, u kann Ihnen Rath geben, u. vielleicht auch helfen.
Ich. Einen Rath der aus einer solchen Ansicht der Dinge fließt, mag ich nicht, Er. Sie haben doch wahrlich eine seltsame Denkungsart, Herr Doktor!
den 15 Xbr.
Mein Freund, den ich in meinem vorigen Briefe verlohren gab, hat sich wieder aufgeraft, freylich nach einem tiefen <Falle>; der ihn aber erschütterte, so daß der Moment da war, wo ein Freund seine wankende Menschheit ergreifen konnte u. mußte. Ich benuzte den Moment, und glaube ihn zum entscheidenden machen zu können. Um vor dem Verderben, dem er sich selbst noch nicht zu widerse<zen> getraut, der schlimmen Gesellschaft, zu entfliehen, will er sich ganz allein nun an mich halten, und damit ia kein Rükfall zu besorgen sey, auf Ostern mit mir nach Jena gehen.
Haben Sie Bouterweks Recension von Rhehds verm. Schriften in dem Gött. Anz. gelesen? – wie erbärmlich hat er sich da über Ihre Wissenschaftslehre erklärt! Ich möchte ihm wohl das Dilemma vorlegen; entweder glaubst du das, was du hier geschrieben hast, u hast es als deine Ueberzeugung geschrieben, u. dann hast du noch keinen Begrif von Denken und Er[/]kennen, u bist also durchaus für alle Philosophie unfähig; – oder du hast es aus niedrem Ehrgeize geschrieben, um dem Manne wehe zu thun, neben dem du dich klein fühlst. – Ich habe Gründe zu glauben daß beydes statt finde. Er mag wirklich so denken, wie er hier geschrieben hat; denn es giebt kaum einen so schiefen Kopf in Deutschland, wie er ist; daß er es aber gesagt hat, u. so gesagt hat, mag wohl in der Kleinheit seines Herzens den Grund haben.
Es war gerade in einer Periode, wo ich abgerissen von Menschen nach einem menschlichen geistvollen Auge schmachtete, als ich hingieng um den Mann in seinen Vorlesungen kennen zu lernen. Ich hatte mir zwar schon aus seinem Donamar einen Umriß seiner dürren Seele eingeprägt, allein dieser war fast verwischt; und meine glühende Sehnsucht nach Menschen machte eine Hofnung in mir rege, die meinem Herzen wohlthat. Ich beredete mich, in ihm einen Menschen zu finden. – Ich kann Sie versichern, daß ich fast weinte, als der petit maitre vor mich hintrat mit gläsernen, Seelenlosen Augen, sbizem Mund u. Kinn, u. als er anfieng – mit sich selbst zu reden; den[n] seine Vorlesung war nichts, als ein Monolog; kalt, todt, ohne Stoff, und mit dürftiger äus[/]serer Form. Als ich ihn dann vollends Kants planste Säze misdeuten u. beklügeln hörte, als ich sah, daß durch aus nichts grosses in des Mannes Seele war, und in seinem Worte sich ergoß – da betrüb[te] ich mich tief, um die Menschheit, daß sie so wenige Freunde zählt, und gieng nach Hause wehmüthig froh, daß ich noch ein gesundes Herz in meinem Busen fühlte, wehmüthig froh, wie einer der aus dem Schifbruch oder allgemeiner Kriegsnoth sein Leben noch rettet. O wären Sie um mich gewesen in solchen Stunden; mit Ihnen hätte ich mein Gefühl theilen mögen. Ich dachte oft an Sie, ob ich Sie gleich nicht genau kannte; aber Sie wissen, was ich mir unter einem Philosophen vorstelle.
Berger sagte mir neulich, er fühle sich nicht stark genug sich für eine Wissenschaft aufzuopfern, darum habe er sich zur Theologie gewandt; diese gebe doch Aussichten. – Ich kämpfte einmal einen sauren Kampf in mir selbst eben deswegen. Er würde mir leicht geworden seyn, wär ich ohne Geliebte gewesen. Dieser Umstand aber verzögerte den Sieg der bessern Natur in mir. Eben wollt ich im Sturme meines Herzens zu Spittler eilen (den ich als den menschlichsten Menschen in G. kannte), damit er den Ausschlag gäbe, ob ich der Jurispru[/]denz getreu bleiben, oder der Philosophie alles aufopfern sollte. Ich war schon auf der Strasse, als es mir einfiel, daß ich zu keiner von beiden Wissenschaften Beruf hätte, wenn ich fremder Entscheidung bedürfte, um schlüssig zu werden. Sogleich war auch der Entschluß gefaßt: vitam impendere vero; eine erhabne Stimmung ergrif mich, und trieb mich in die grosse Natur hinaus, die die Wahl meines Herzens billigte.
Verzeihen Sie, daß ich Sie diesmal so lange von mir selbst unterhalte. Vor Urtheilen über wissenschaftliche Gegenstände habe ich seit einiger Zeit eine gewisse Schüchternheit, und ausserdem ist der Kreis meiner Thätigkeit <nur> so eng als möglich, wie Sie wissen. Beobachtung meiner und andrer u. Studium <meiner> Bücher – sind meine Welt; nur aus dieser kann ich Ihnen mittheilen. Zu dem kennen Sie ia noch nicht ganz
Ihren
herzlichen Freund
Wagner.
Metadata Concerning Header
  • Date: 28. November bis 15. Dezember 1797
  • Sender: Johann Jakob Wagner ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 92‒101.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 141#B 358
Language
  • German

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