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Franz Wilhelm Jung to Johann Gottlieb Fichte

Mainz am 7. Vendemiaire 7.
Ihr Brief, verehrungswürdigster Freund! hat mir eine außerordentlich große Freude gemacht, und ich beeile mich, Ihnen meinen innigsten Dank dafür zu sagen; denn er zeigt mir nicht allein den tiefen, allumfassenden Denker, sondern auch den warmthätigen Menschenfreund, der an dem Glücke der Menschheit arbeiten will, auch mit Aufopferung seiner augenblicklichen Ruhe und seiner pecuniarischen Vortheile.
Seit meinem letzten Briefe haben sich die schönen Aussichten zu einer ganz zweckmäßigen National꓿Bildung unseres Departements um vieles getrübt: Unverstand, Trägheit und Egoismus haben ein desto freieres Spiel hierin gehabt, da die Central꓿Verwaltung noch nicht ganz freie Hände, sondern überall den Regierungs꓿Kommissär Rudler über sich, und oft gegen sich hat. Er hat sich nicht im Geringsten auf meinen Plan eingelassen, sondern, unter dem Vorwande der Nothwendigkeit einer baldigen Lehranstalt, die alte Universität (mit einigen Veränderungen, hauptsächlich mit Uebergehung der Theologie und derjenigen Zweige der Jurisprudenz, die in der Republik mit den [/] Privilegien der Stände und der Kirche weggefallen sind) wieder hergestellt. Sonst ist der angenommene Plan äußerst dürftig und einseitig, und Mainz wird hinter Jena und Göttingen, und sogar hinter deutschen Universitäten des zweiten Ranges ohne Zweifel so weit zurückstehen, daß es in dieser Hinsicht nicht von weitem verdient, einen Mann wie Fichte unter der Zahl seiner öffentlichen Lehrer zu sehen.
Aber alle Hoffnung ist noch nicht aufgegeben. Derjenige Administrator, dessen Büreau ich zu führen habe, ein trefflicher Mann, hat sich der Sache mit dem männlichsten und edelsten Eifer angenommen. Er hat meinen acht Bogen starken Plan, begleitet von allen dahin gehörigen Papieren, an Lambrechts, den Justiz꓿Minister in Paris, geschickt, von anderer Seite her ist dieser noch besonders für denselben eingenommen worden, und gestern hab ich deßfalls noch an Ebel – Sie werden sich seiner vielleicht noch erinnern: er hat ehemals mit Ihnen, wie er mir mit großer Freude sagte, einen Abend im W..schen Hause zu Frankfurt zugebracht – ebenfalls nach Paris geschrieben, und auch dieser edle Mann, der mit den bedeutendsten Leuten dort in Verbindung steht, wird in der Sache alles Mögliche thun.
Ich bin äußerst begierig auf den Erfolg aller dieser Schritte. Von welcher Art er auch seyn möge, werde ich Sie davon benachrichtigen. Meinen Plan selbst lege ich Ihnen, so bald mir es möglich ist, vor, und bitte Sie, mir Ihr bedeutendes Urtheil darüber zu sagen. Wenn auch der Minister keine thätige Rücksicht darauf nimmt, so lasse ich ihn drucken, aber nicht ohne Ihre Genehmigung, nicht ohne mir von Ihnen Belehrung und Verbesserung erbeten zu haben. Wenn er nicht jetzo Gutes wirken kann, so wird er es künftig so gut er es kann. In der Natur geht nichts verloren, kein Sandkorn, kein Tropfen Wasser, keine Idee, kein Gefühl. [/]
Ich bin Ihnen, verehrungswürdigster Freund! sehr verbunden, daß Sie bei Gelegenheit meiner Uebersetzung des contract social an mich gedacht haben. Sie liegt noch immer bei mir, und es würde mich allerdings freuen, sie nicht vergebens unternommen zu haben.
Seit zehn Jahren habe ich mich mit der Uebersetzung Ossian’s beschäftigt. Sie ist nach einer ganz neuen Idee. Die Eingänge sind wie im Original lyrisch, jedes Gedicht selbst, wo es erzählend ist, in einem gänzlich freien Rhythmus, die eingestreuten Odenaufflüge und elegischen Klagen nur haben einen bestimmtern Gang. Das universell꓿philosophische Genie umfaßt alles, interessirt sich für alles, also auch für einen der größten Dichter, der jemals gelebt. Würden Sie mir wohl erlauben, Ihnen die Uebersetzung zuzuschicken, nicht um sich näher mit ihr zu beschäftigen, aber um sie einem Ihrer kritischen Freunde in Jena mitzutheilen, damit ich, der ich zu zaghaft bin, vor dem Publikum zu erscheinen, endlich einmal bestimmt werde, sie zu unterdrücken, oder sie ihm wirklich vorzulegen? Hölderlin dringt sehr in mich, das letztere je eher je lieber zu thun, aber meine Aengstlichkeit in diesem Punkte steigt mit jedem Tage.
Sie verzeihen mir, das weiß ich, die Zwanglosigkeit, mit welcher ich zu Ihnen spreche. Eben darum weil Sie so groß sind, ist Ihnen so etwas nicht zu klein.
Noch immer gebe ich die freudige Hoffnung nicht auf, Sie hier zu besitzen, Ihnen zuweilen nahe zu seyn, von Ihnen zu lernen. Sobald ich etwas von Paris erfahre, sollen Sie es unverzüglich wissen. Vom Minister läßt sich alles erwarten.
Ich schließe mit der innigsten Empfindung der Verehrung und Ergebenheit
Jung.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 28. September 1798
  • Sender: Franz Wilhelm Jung
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Mainz · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 148‒149.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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