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Johann Gottlieb Fichte an Franz Wilhelm Jung

Jena den 13ten Brümaire
Ihr lezter Brief, verehrungswürdiger Freund, eröffnet mir Aussichten, die meinem Geiste eben so belebend, als meinem Herzen angenehm sind. Es bleibt nicht bei diesem Erziehungsplane; es wird ein anderer entworfen. Sie sind es, der denselben entwirft, und so gehen der Menschheit bessere Aussichten auf. Ich werde es für einen sehr schätzbaren Beweis Ihres gütigen Vertrauens halten, wenn Sie mir diesen Plan zu seiner Zeit zuschiken wollen.
Wie Sie sich über die Hauptgedanken der Eintheilung in Primär꓿, Central꓿ und Specialschulen ausdrücken, verstehe ich Sie vollkommen, und die Sache hat meinen unbeschränktesten Beifall. Was ich desiderirte, ist in der Spezialschule.
Mehr als drei Stunden des Tages möchte ich nicht gern lesen: wenigstens habe ich es noch nicht versucht. Es kommt in Absicht der zu benennenden Disciplinen darauf an, ob ein halbjähriger, oder ein einjähriger Kursus eingerichtet wird, und ob auch im leztern Falle nicht zwei zu einander passende Disciplinen verbunden werden können zu einer jährigen Vorlesung. Im leztern Falle könnte ich sechs, im erstern nur drei Kollegia übernehmen. Es kommt ferner darauf an, ob ich, wie ich wünschte, für Special꓿ und Centralschule, oder nur für Eine von beiden, wie ich nicht wünsche, angestellt werden sollte. Ich könnte mich anheischig machen für die Specialschule 1) zu einem Kollegio über die Fundamente der Transscendentalphilosophie, was ich gegenwärtig unter dem Namen Wissenschaftslehre lese, welche ich weiter hinausführen und so in einen jährigen Kursus verwandeln könnte; für die Centralschule 2) zu einer populären Darstellung dieser Philosophie, wie sie für jeden Menschen begreiflich und für den mündig gewordenen, den die Fesseln des Kirchenglaubens nicht mehr halten, und der sich fremder Autorität nicht mehr hingibt, unentbehrlich ist. Die Idee einer solchen populären Darstellung ist ganz neu. Ich [/] habe sie vorlängst entworfen und ausgemalt bei mir, auch schon längst sie in einer Schrift ausführen wollen, zu deren Ausarbeitung ich bis jezt noch nicht Zeit gefunden. Ich müßte also, falls Jemanden dieser Vorsatz entweder unausführbar oder überflüssig erscheinen sollte, bitten, daß man mich erst ausführlich darüber höre. Ich könnte 3) für die Centralschule Rechtslehre und Sittenlehre vortragen. Ich sage für die Centralschule, denn diese Wissenschaften nähern sich schon ohnedies der Popularität vermöge ihres Inhalts, und die tiefern Prinzipien derselben können für den Philosophen und Gelehrten von Profession in Nr. I. vorgetragen werden.
Hierzu könnte ich mich sogleich anheischig machen. Aber es gehört in mein aufzustellendes System der Philosophie, daß ich auch noch die Aesthetik bearbeite. Die streng wissenschaftlichen Prinzipien dieser Bearbeitung könnten mit Nr. I. verknüpft werden, die populären Resultate einen Anhang zu Nr. II. geben. Bis dahin könnte mit Nr. II. philosophische Religionslehre verbunden werden, welche ich gleichfalls von nun an vorzutragen mich fähig finde.
Auf Veranlassung dieses leztern Punktes: sollten, wie zu erwarten und zu wünschen ist, in dem Sitze dieses Bildungsinstituts rein vernünftige, moralisch꓿religiöse Versammlungen eingeführt werden, so halte ich mich für fähig, in denselben, etwa abwechselnd mit andern, öffentliche Reden zu halten. Ich rede mit Ihnen, verehrungswürdiger Freund; es ist daher unnöthig, diese nur hingeworfenen Winke weiter zu erklären. –
Ich empfehle mich Ihrem Wohlwollen, und auf das großmüthige und höchst freundschaftliche Anerbieten, mich, ehe ich mein entschiedenes Jawort gebe, mit dem Innern der zu erwartenden Lage ganz bekannt zu machen.
Ganz der Ihrige
Fichte.
Orte
Briefkopfdaten
  • Datum: Samstag, 3. November 1798
  • Absender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Empfänger: Franz Wilhelm Jung ·
  • Absendeort: Jena · ·
  • Empfangsort: Mainz · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 155‒156.
Handschrift
  • Datengeber: Handschrift verschollen
Sprache
  • Deutsch

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