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Johanna Fichte to Johann Jakob Wagner

Jena d: 25. Decemb: 98:
Ich schreibe Ihnen, Lieber Wagner, so wie Sie’s verlangen bald, und muß Ihnen gestehn, daß mich Ihr lezter Brief beunruhigt; denn ich merke zu deutlich aus ihm, daß Sie nicht wohl sind; ich kenne den Zustand, in welchem Sie izt sind, zu sehr aus eigner Erfahrung; als daß ich anderst als Sie bedauren könnte; und bitte Sie drum inständig, daß Sie Sich als körperlich krank ansehn, und dem zu folge an Sich arbeiten; die Menschen werden Ihnen nachher erträglicher vorkommen, diese sind sich so ziemlich gleich, in Rüksicht auf uns, nur unsre Augen taugen in dieser Stimmung nichts, das habe ich bey mir oft erfahren; freylich ist es drükend, daß Menschen einander so gar nichts sind, das erfahre ich hier gar sehr; und daß man sich freut, wenn sie eim nur drey Schritte vom Leibe bleiben; aber was ist zu [/] machen? ändern könnens wir doch nicht; und dieses zweklose quälen, schadet ja nur uns:
Ich weiß wohl, daß Sie das alles beßer wißen, als ich’s Ihnen nicht sagen kann; ich weiß aber auch daß man es sich, in diesem Gemüths-Zustande nicht sagt, und daß es wohl thut, wenn eine theilnehmende Seele, uns daran errinnert.
Daß der Vormund Ihre Geliebte, nicht will vereisen laßen, thut mir weh, um Ihrentwillen; daß Sie sie aber heimlich wegnehmen wollen, das erschrekt mich; weil dadurch die Ehre des armen Mägdchen’s gekränkt wird; und weil der Mann nachher, als Ehmann dieses am wenigsten ertragen kann; darüber könnte ich Ihnen, von manch traurigem Beyspiel erzehlen.
Freylich kennt Sie der Vormund nicht genung, sonst würde er sie Ihnen nicht verweigern; [/] Er sagt sich izt vor, der junge Herr kann ja noch nicht heurathen, allso will er sie, als seine Maitresse bey sich haben, und am Ende noch wohl gar verlaßen; verzeihn Sie, daß ich mich so ganz in seine Sprache einlaße; aber wahr ist es doch, daß er sich die Sache so denkt, und in diesem Falle, kann er sie Ihnen nicht laßen, weil er gegen seine Pflicht, als Vormund handelt.
Drum bitte ich Sie, versagen Sie Sich lieber, diese unschuldige Freude, als daß Sie das arme Mägdchen, welches mich herzlich daurt, zu diesem Schritte verleiten.
Die arme Hummele seh ich nicht so oft, als ich wünschte, weil sie ihre Zeit gar emsig benuzen muß, um Leben zu können; das ist auch eine Unglükliche, die mir in der Seele daurt, und ich suche schon lange vergeben’s eine Stelle für sie, bey Menschen wo sie vernünftig behandelt würde, sie kann sehr gut alle weibliche Arbeiten machen, auch Sticken, und [/] weiblichen Puz verfertigen; wenn Sie ihr, in dortiger Gegend eine Stelle als Kammerjungfer, bey guten Leuten finden könnten, so thäten Sie mir einen großen Gefallen.
Ich habe hier noch Niemand finden können, der Sillouetten macht, sonst wollt ich Ihnen, die verlangten Sillouetten gerne schiken.
Mein Lieber Mann, grüßt Sie herzlich, er arbeitet izt an einer kleinen Schrift, die bald im Druke kommt; wenn er Ihnen bald schreiben kann, so wird dieser Brief drauf warten.
Leben Sie wohl, und glüklich Lieber Freund! und machen Sie mir bald die Freude, daß ich aus Ihrem Briefe sehn kann, daß Sie weniger unglüklich sind.
Fichtin.
d. 4: Merz:
Ich schrieb diesen Brief, vor langer Zeit, und erst izt geht er vort, Leben Sie glüklich, [das] wünsch ich Ihnen zu jeder Stunde meines Lebens, aber nun hab ich nicht Zeit, ein mehreres zu sagen.
Fichtin.
Bitte Einliegenden auf die Poost zu schiken.
Metadata Concerning Header
  • Date: 25. Dezember 1798 bis 4. März 1799
  • Sender: Johanna Fichte ·
  • Recipient: Johann Jakob Wagner ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Nürnberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 169‒170.
Manuscript
  • Provider: Haus der Stadtgeschichte - Stadtarchiv Ulm
Language
  • German

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