Göttingen am 16. Februar 1799.
Sie haben meinen neulich geäußerten Zweifeln eine größere Aufmerksamkeit geschenkt, als ich vermuthen kon[n]te. Diese Theilnahme berechtigt mich zu dem freien und offenen Geständniße, daß ich mich bei ihrer Lösung noch nicht beruhigen kann.
„Selig wird der Mensch nie; aber er ist auf dem Wege zur Beseligung“. Ganz übereinstimmend mit meiner Ueberzeugung: die dem Menschen, und iedem geschaffenen freien Wesen, unmittelbar durch sein vernünftiges Bewußtseyn, oder seine Pflicht gegebene Bestimmung, ist ein unaufhörli<ches> Auf- und Emporstreben aus dem Endl. zur Unendlichkeit, aus den <Schranken> zur Vollendung, aus der Zeit in die Ewigkeit. Aber gerade auf diesem Wege – wie viel bedarf er nicht! Ein unmerkl. Sinken der Leidenschaft auf der Wagschale der Willkühr verrükt ihm das Ziel seiner Bestimmung; eine einzige fixe Vorstellung verwirrt seinen Verstand; eine einzige [/] Ohnmacht hemmt den Lauf aller seiner Kräfte. Woher diese Abhängigkeit des Menschen von Ursachen außer ihm? wer lenkt und leitet das Spiel der von allen Seiten auf ihn wirkenden Kräfte in der Sinnenwelt, wenn die Hand der Gottheit nicht auch in die materielle Sphäre herabreicht, in der ich Leben, mechan. Thätigkeit, und in dem Laufe der Natur eine fortschreitende Ergänzung deßen erhalte, was meinem inneren <Menschen> an Beseligung fehlt? Noch vermag ich nicht abzusehen, wie eine Vorsehung möglich ist, und worinnen sie bestehen soll, wenn der Wirkungskreiß der Gottheit nur auf die übersinnl. Welt eingeschränkt wird. [/]
„Man kann wohl von den Thaten und Wirkungen Gottes sprechen, aber nicht von seinem Seyn.“ Ich kann diesen Saz nicht anders verstehen, als so: daß die Existenz Gottes mit dem sinnl. Seyn, wozu ein Gegebenseyn, ein Setzen erforderl. ist, nichts gemein hat; eine Behauptung, der ich zwar beitrete, ob sie gleich allen Dogmatismus von Grunde aus zerstört. Aber führen mich nicht die Wirkungen meines eigenen Ich auf ein Seyn, welches nicht gegeben, nicht gesezt, sondern gebend und setzend ist? und kan[n] ich mir die Gottheit als wirkl. denken, ohne ihr ein ähnl. unbegreifl. Seyn einzuräumen?
Ich weiß und hoffe, daß Sie diese Zweifel nicht verwerfen werden, da sie, wären sie auch obiectiv schwach, doch eine subiective Tendenz zur Wahrheit haben. Die Einleitung zu Ihrer Moral hat mich [/] nach einer gründl. Kenntniß und Uebersicht Ihres Systems sehr lüstern gemacht. Sie werden mich sehr verbinden, wenn Sie mich auf eine Quelle hinweisen mögen, aus der ich sie rein und befriedigend schöpfen kan[n].
Ueber Ihre Apologie ist bereits, muthmaßlich zu Hannover bei Hahn, eine kleine Schrift erschienen: Appellation an den gesunden Menschenverstand in einigen Aphorismen über Fichte’s Appellation p. Ich zweifle nicht, daß Sie den Gerichtshof, wenn schon nicht in lezter Instanz, anerkennen werden; aber ich zweifle, ob Ihr Gegner eine genaue Kenntniß seiner Addreße hat.
Hochachtungsvoll
Euer Wolgeborn
gehorsamster Diener
Ammon.
Sie haben meinen neulich geäußerten Zweifeln eine größere Aufmerksamkeit geschenkt, als ich vermuthen kon[n]te. Diese Theilnahme berechtigt mich zu dem freien und offenen Geständniße, daß ich mich bei ihrer Lösung noch nicht beruhigen kann.
„Selig wird der Mensch nie; aber er ist auf dem Wege zur Beseligung“. Ganz übereinstimmend mit meiner Ueberzeugung: die dem Menschen, und iedem geschaffenen freien Wesen, unmittelbar durch sein vernünftiges Bewußtseyn, oder seine Pflicht gegebene Bestimmung, ist ein unaufhörli<ches> Auf- und Emporstreben aus dem Endl. zur Unendlichkeit, aus den <Schranken> zur Vollendung, aus der Zeit in die Ewigkeit. Aber gerade auf diesem Wege – wie viel bedarf er nicht! Ein unmerkl. Sinken der Leidenschaft auf der Wagschale der Willkühr verrükt ihm das Ziel seiner Bestimmung; eine einzige fixe Vorstellung verwirrt seinen Verstand; eine einzige [/] Ohnmacht hemmt den Lauf aller seiner Kräfte. Woher diese Abhängigkeit des Menschen von Ursachen außer ihm? wer lenkt und leitet das Spiel der von allen Seiten auf ihn wirkenden Kräfte in der Sinnenwelt, wenn die Hand der Gottheit nicht auch in die materielle Sphäre herabreicht, in der ich Leben, mechan. Thätigkeit, und in dem Laufe der Natur eine fortschreitende Ergänzung deßen erhalte, was meinem inneren <Menschen> an Beseligung fehlt? Noch vermag ich nicht abzusehen, wie eine Vorsehung möglich ist, und worinnen sie bestehen soll, wenn der Wirkungskreiß der Gottheit nur auf die übersinnl. Welt eingeschränkt wird. [/]
„Man kann wohl von den Thaten und Wirkungen Gottes sprechen, aber nicht von seinem Seyn.“ Ich kann diesen Saz nicht anders verstehen, als so: daß die Existenz Gottes mit dem sinnl. Seyn, wozu ein Gegebenseyn, ein Setzen erforderl. ist, nichts gemein hat; eine Behauptung, der ich zwar beitrete, ob sie gleich allen Dogmatismus von Grunde aus zerstört. Aber führen mich nicht die Wirkungen meines eigenen Ich auf ein Seyn, welches nicht gegeben, nicht gesezt, sondern gebend und setzend ist? und kan[n] ich mir die Gottheit als wirkl. denken, ohne ihr ein ähnl. unbegreifl. Seyn einzuräumen?
Ich weiß und hoffe, daß Sie diese Zweifel nicht verwerfen werden, da sie, wären sie auch obiectiv schwach, doch eine subiective Tendenz zur Wahrheit haben. Die Einleitung zu Ihrer Moral hat mich [/] nach einer gründl. Kenntniß und Uebersicht Ihres Systems sehr lüstern gemacht. Sie werden mich sehr verbinden, wenn Sie mich auf eine Quelle hinweisen mögen, aus der ich sie rein und befriedigend schöpfen kan[n].
Ueber Ihre Apologie ist bereits, muthmaßlich zu Hannover bei Hahn, eine kleine Schrift erschienen: Appellation an den gesunden Menschenverstand in einigen Aphorismen über Fichte’s Appellation p. Ich zweifle nicht, daß Sie den Gerichtshof, wenn schon nicht in lezter Instanz, anerkennen werden; aber ich zweifle, ob Ihr Gegner eine genaue Kenntniß seiner Addreße hat.
Hochachtungsvoll
Euer Wolgeborn
gehorsamster Diener
Ammon.