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Ludwig Heinrich von Jakob to Johann Gottlieb Fichte

Halle den 26. Februar 1799.
Hochgeehrtester Herr Professor,
Es ist mir erst vor kurzer Zeit, als ich Ihre Appellation an das Publikum mit Theilnahme an Ihrer Sache und mit Unwillen gegen das ungerechte Verfahren Ihrer Feinde las, der Jahrgang des phil. Journals vom J. 1797 in die Hände gefallen, woraus ich ersehen habe, daß Sie im 7ten Hefte mich auf eine Art behandeln, die ich, wie mir mein Bewußtseyn sagt, bei keinem Menschen verdient habe. [/] Sie setzen nicht blos meinen Werth als Schriftsteller herab, Sie greifen auch meinen Charakter an. Wenn ich nun auch ruhig ansehen kann, daß ein gegen mich erbitterter Gegner die Talente, welche mir das Publikum zugesteht, verkleinert; so kann ich doch nicht gleichgültig bleiben, wenn man meine gute Gesinnung verdächtig zu machen sucht; und es war doppelt kränkend für mich, einen ungerechten und heftigen Ausfall von Ihnen zu der Zeit zu lesen, wo ich eben mit Interesse an Ihre Sache gedacht und mit Wärme für das Recht der Menschheit erfüllt war, das man in Ihnen verletzt hatte. Mein Brief hat die Absicht, wo möglich, das moralische Mißverständniß, welches zwischen uns herrscht, zu heben, und eine Erbitterung in Ihnen zu tilgen, die sich auf meine vorausgesetzte feindselige Gesinnung gegen Sie zu gründen scheint, welche doch, wie ich Ihnen aufrichtig versichere, in meinem Herzen weder je statt gefunden hat, noch jetzt statt findet.
Was haben Sie für einen Grund, mir bei der Herausgabe der Annalen Eigennutz und andere niedrige Leidenschaften dieser Art Schuld zu geben? Es ist wahr, ich bin mit dem wegwerfenden Tone, der in Ihren Schriften gegen Andere herrscht, nicht zufrieden; aber es giebt viele, die es nicht sind. Ich glaubte, daß es gut wäre, sich gegen diesen Ton, der mir wie logische Egoisterei vorkam, zu erklären. Ich glaube, ich kann dieses einem freien Manne sagen, ohne daß er es für Beleidigung aufnimmt. Ich glaube immer noch, daß Sie mit Ihrem Tone am Ende selbst unzufrieden seyn werden. Vielleicht haben nicht alle Recensenten in den Annalen die beste Art getroffen, Ihnen dies zu sagen. Wollen Sie den Herausgeber einer Zeitschrift für Alles, was diese enthält, auch für den Ton, welchen jeder Mitarbeiter wählt, verantwortlich machen? – Was die Sache betrifft, so haben einige Recensenten Ihr System nicht haltbar gefunden. Warum wollen Sie den Grund davon in deren und meinem bösen Willen, oder in der Beschränktheit der Köpfe finden? Ihnen ist doch gewiß nicht [/] unbekannt, daß es schwer ist, Vorstellungen, welche weit von dem gemeinen Gebrauch entfernt liegen, auch nur sich selbst deutlich und verständlich zu machen. Ist es also nicht wenigstens möglich, daß der Grund des Mißverständnisses in Ihrer Darstellung, vielleicht in Ihrem eigenen bisher gewählten Gedankengange liegt? Warum wollen Sie gerade Alle, welche Ihre Schriften dunkel fanden, oder Ihre Ideen, wie Sie meinen, mißverstehen, für unredlich oder einfältig erklären? – Wer mich kennt, muß wissen, daß Cabale und Unredlichkeit in Beurtheilung Anderer von mir weit entfernt sind. – Beck, der, wie Sie wissen, Ihre Wissenschaftslehre recensirt hat, ist ein gerader und sehr ehrlicher Mann.
Ich selbst erlaube mir in meinen Vorlesungen und Schriften nie ein hartes oder bitteres Urtheil über Andere. Alle, die mich im gemeinen Leben kennen, wissen dies. Ich habe es auch nie in Ansehung Ihrer gethan. Ich habe Ihre Wissenschaftslehre meinen Zuhörern zum Lesen und Studiren empfohlen, weil ich Alles empfehle, was das freie Nachdenken befördern kann. Ich bin nicht in allen Stücken, wo ich geglaubt habe, Sie zu verstehen, einerlei Meinung mit Ihnen gewesen: ich habe geglaubt, daß Sie auf manche Ihrer Sätze ein zu großes Gewicht legen, das sie nicht haben. Verdiene ich deshalb Geringschätzung? Es hat mir geschienen, als ob in Ihrer neuen Darstellung, so wie in Ihrem Zusatze zu der Forberg’schen Deduktion der Kategorien andere und nach meiner Meinung wahrere Gedanken herrschen, als in der ersten Ausgabe der W. L. Gesetzt Ihre W. L. enthielte schon dasselbe und ich hätte Sie nur mißverstanden: bin ich deshalb so hart zu tadeln? – Sie stellen mich und die Mitarbeiter der Annalen immer so vor, als ob wir uns gegen die W. L., vielleicht gar gegen die Wahrheit verschworen hätten. Wo nehmen Sie diese äußerst harte Beschuldigung her? Wahrlich der Grund davon liegt blos in Ihrer Leidenschaft! Ich habe nie in meinen Briefen oder Reden irgend einen Menschen veranlaßt, gegen [/] Sie zu schreiben, noch weniger, heftig und bitter gegen Sie zu seyn. Wenn Jemand das Gegentheil sagen kann, so will ich meine Sache verloren haben. Alle Recensionen gegen Sie sind mir auf meine bloßen simplen Anträge, sie zu übernehmen, zugeschickt worden, und ich habe mehr als einen heftigen und spöttischen Ausfall gegen Sie zurückgewiesen. Ich bin mir eben so gut, wie Sie, des Interesses für Wahrheit bewußt: mich hat Nichts abgehalten, Ihren neuern Darstellungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenn ich sie las, und die letzte Ungerechtigkeit gegen Ihre Aufsätze und Ihre Person habe ich so tief empfunden, als ob sie meinen intimsten Freund getroffen hätte. Statt also uns hämischer und niedriger Absichten zu bezüchtigen, wenn wir die W. L. mißerklären, versuchen Sie lieber ohne bittere Seitenblicke sie immer mehr in’s Licht zu stellen. Es muß doch irgend eine verständliche Sprache für Alle auch in der Philosophie zu finden seyn!
Wie dem auch sey; ich wünsche, daß das Publikum den Skandal nicht mehr erlebe, daß philosophische Schriftsteller einander beschimpfen und mißhandeln, und die Absicht meines Briefes ist nicht, Ihr Urtheil über meine Bücher zu bestechen, sondern Sie zu überzeugen, daß ich keine feindselige Gesinnung gegen Sie hege; Sie zu versichern, daß kein anonymes Blatt, worin Sie und die W. L. angegriffen werden, von mir verfaßt ist, noch je verfaßt werden wird, und also den Haß und die Feindschaft zu vertilgen, welche sich aus den grundlosen Voraussetzungen, als ob dem so wäre, in Ihrem Herzen gegen mich angesetzt haben, oder ansetzen könnten.
Nach der Meinung, die Sie über meine philosophischen Talente öffentlich geäußert haben, kann ich nicht erwarten, daß Ihnen Etwas an meinem Urtheile über philosophische Gegenstände liegt. Aber da Sie dieselben Principien der Moral verehren, wie ich: so kann ich voraussetzen, daß es Ihnen nicht gleichgültig sey, ob Sie einen Menschen mit [/] Unrecht hassen. Die Menschen sehen oft in der Nähe anders aus, als in der Ferne, und ich hielt es für Pflicht, mich Ihnen erst etwas näher zu zeigen, ehe wir uns noch weiter von einander entfernten. Von Ihrer Einsicht kann ich erwarten, daß Sie mit mir darin einig seyn werden, daß die Wahrheit durch harte Schimpfreden und bittere Aeußerungen Nichts gewinnen kann. Gesetzt, wir hätten Beide darin gefehlt: so erkennen wir doch gewiß auch Beide, daß es gut sey, diesen Fehler abzulegen. Ich bin mir meines Strebens nach reiner Wahrheit bewußt; ich mache es Ihnen nicht streitig. „Muß denn dieses edle Ringen nach Wahrheit in bittern Haß ausarten?“ – Lassen Sie uns also friedlich neben einander, Jeder nach seiner Weise, unserm gemeinschaftlichen Ziele nachstreben.
L. H. Jakob.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 26. Februar 1799
  • Sender: Ludwig Heinrich von Jakob ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Halle (Saale) · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 198‒201.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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