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Johann Gottlieb Fichte to Johann Caspar Lavater

Jena, d. 7. März. 1799.
Ich will Ihnen nur, lieber ehrwürdiger Lavater, mit umlaufender Post die Erhaltung Ihres Schreibens, und die Achtung, mit welcher ich es empfangen, und gelesen, bezeugen.
Beantworten kann ich es vor der Hand nicht; es soll aber etwa in 3. Wochen geschehen. Jezt habe ich erst meine Collegien zu schliessen, und eine andere Schrift in derselben Angelegenheit gedrukt zu beantworten; die deswegen den Vorzug haben muß, weil sie zugleich an das Publicum mit geschrieben wurde. Auch hoffe ich schon bei Beantwortung dieser den größten Theil Ihrer Einwürfe mit zu erledigen.
Jezt nur soviel. Sie haben mich größtentheils misverstanden; u. das mag allerdings meine Schuld, – guten Theils auch die Schuld der Umstände seyn. Indem ich erst den Grundzug meiner [/] Religionstheorie mache, fällt man über mich, und läßt mich nicht vollenden. Kann ich dafür, daß nun nur dieser Eine Grundzug da steht, ohne Zusammenhang?
Indem Sie von meinem Gotte reden; indem Sie glauben; man könne bei mir nicht sagen: so der Herr will, u. wir leben, zeigen Sie, daß Ihnen die Tendenz meines Systems nicht klar ist. Meine Philosophie, – u. meine Denkart, und die Denkart, die ich zufolge meiner Philosophie verbreiten möchte sind – so paradox dies tönen mag, sehr zweierlei. Darin unterscheidet sich eben meine Philosophie, u. schon größtentheils die Kantische von den vorhergehenden Philosophien, daß sie nicht selbst die Denkart seyn, sondern nur berathschlagen will, welche Denkart man sich anbilden solle. So ist es auch in Absicht ihrer Religionstheorie. Der Streit mit mir ist bis jezt ein rein philosophischer. [/] Bis zur Erörterung des Einflusses dieses nur philosophischen Begriffs auf die wirkliche praktische Denkart hat man mich noch nicht kommen lassen. Ich werde künftigen Sommer an diese Arbeit gehen, u. dadurch hoffentlich jeden wirklich religiösen, wie Sie, lieber Lavater, zufrieden stellen.
Erinneren Sie sich vorläufig dessen, was Jacobi in seinen Briefen über die Lehre des Spinoza, die Sie soviel ich weiß, gebilligt haben, über die speculative Vft. (der Mendelssohne, Eberharde, u. drgl.) sagt. Diese speculative Schöpfer seyn wollende Vft. ist es ja lediglich, die ich durch meine Speculation bestreite.
Was den Eudämonismus anbetrift, so liegt auch hier, wie ich glaube, lediglich der Mangel einer scharfen Distinction zwischen uns, die der populäre Verstand zu machen nicht verbunden ist. Sagen Sie immer: Gott gebe Ihnen Nahrung, u. dergl. Ich sage dies mit Ihnen. Nur sollen Sie nicht sagen – und das könnten Sie, Sie, Lavater, das sagen? – [/] er gebe sie Ihnen, damit Ihnen dieselbe wohlschmeke, um des Wohlschmaks Willen, sondern, um Sie dadurch zu erhalten, zu stärken, zu beleben für sein Werk auf der Erde, so lange es ihm gefällt, Sie auf der Erde zu brauchen.
Der Angriff, den Sie so hart finden, gilt dem Abstracto: consequenter Eudämonismus: keinesweges einem wirklichen Eudämonisten. Einer wirklichen Person würde ich weder mündlich noch schriftlich sagen, was ich jenem Abstracto sage: weil dies sicher ungerecht wäre; indem denn doch jeder, eudämonistische Sätze mit andern richtigen verbindet, und sein Handeln vielleicht besser ist, als sein System. Der größte Theil der Menschen ist inconsequent, und diese Inconsequenz ist ihr Glük.
Gruß, und Verehrung.
Fichte.
Möchte ich die besten Nachrichten über Ihr Befinden erhalten.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 7. März 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Caspar Lavater
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 208‒209.
Manuscript
  • Provider: Zentralbibliothek Zürich
Language
  • German

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