Single collated printed full text with registry labelling
TEI-Logo

Johann Wilhelm Ludwig Gleim to Johann Gottlieb Fichte

Verzeihen Sie, liebster Herr Professor, daß ich Ihr so gütiges Schreiben nicht eher beantwortet, und für den Beweis Ihrer Güte gegen mich sogleich nicht gedankt habe!
Die Zeit her waren der häuslichen Gedanken so viele; daß ich zu den nicht häuslichen die Zeit nicht hatte.
Nun hab’ ich sie, nun eil’ ich Ihnen zu danken, und zu beklagen, liebster Herr Professor, daß an dem Verdrusse, den Andersdenkende Ihnen machten, und machen werden, Sie selbst Schuld sind! [/]
Der selbst gemachte pflegt der lästigste zu seyn,
Weil’s so natürlich folgt, daß wir die Schuld bereu’n! *
Uebrigens, lieber Herr Professor, bin ich, Ihre Philosophie zu studieren, zu alt, und weil ich bei meiner alten mich so wohl bisher befunden habe, so scheu’ ich mich, die neue zu studieren, und würde, wenn ich auch noch jünger wäre, mich scheuen!
Und weil ich Ihren Eifer für Weisheit und Wahrheit, denn diesen habe ich in dem wenigen von mir Gelesenen bemerkt, sehr hochschätze, lieber Herr Professor, so wünsche ich, daß in Ihrem achtzigsten Jahre, bei Ihrer neuen Philosophie, Ihnen so wohl seyn mag, als mir’s in meinem achtzigsten bei meiner alten noch ist!
Einen Theil der mich glücklich machenden, finden Sie, lieber Herr Professor, in dem beigehenden kleinen Buche, das ich nur Freunden und Freundschaftfähigen zu geben pflege.
Suchen Sie, lieber Herr Professor, das Ihnen noch übrige Leben sich angenehm zu machen, dadurch, daß Sie Gedanken, von welchen Sie gute Folgen für sich und Ihre Mitmenschen deutlich so[/]gleich nicht sehen, bei sich in Ihrem Hüttchen behalten!
Das ist mein wohlmeinender Freundesrath, und ich bin verschiedener Meinung, aber mit großer Hochachtung für Ihr Streben nach Vollkommenheit, Ihr ergebenster Diener
der alte Gleim.
* „Et ferre ea molestissime homines debent, quae ipsorum culpa contracta sunt:“ sagt Cicero im ersten Briefe seinem Bruder Quintus.
Metadata Concerning Header
  • Date: vor dem 10. April 1799
  • Sender: Johann Wilhelm Ludwig Gleim ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Halberstadt · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 211‒212.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

Basics · Zitieren