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Friedrich Heinrich Jacobi to Johann Gottlieb Fichte

Eutin den 3ten März 1799.
Heute, mein verehrungswürdiger Freund, geht die sechste Woche an, seit ich auf einen heitern Tag in meinem Inneren, um an Sie zu schreiben, ungeduldig und vergeblich warte; und heute, da ich unfähiger dazu bin, als an keinem der vorhergegangenen, setze ich die Feder mit dem festen Vorsatz an, sie nicht eher niederzulegen, bis ich ausgeschrieben habe. Was ich mir vorsetze mit diesem Vorsatz, den ich aus Verzweiflung faße, weiß ich selbst nicht; er ist aber darum nur desto angemeßener meiner Unphilosophie, die ihr Wesen hat im Nicht꓿ Wißen; wie Ihre Philosophie, allein im Wißen; weswegen diese auch, nach meiner innigsten Ueberzeugung, Philosophie im strengeren Verstande, allein genannt zu werden verdient.
Ich sage es bey jeder Gelegenheit, und bin bereit [/] es öffentlich zu bekennen, daß ich Sie für den wahren Meßias der speculativen Vernunft, den echten Sohn der Verheißung einer durchaus reinen, in und durch sich selbst bestehenden Philosophie halte.
Unleugbar ist es Geist der speculativen Philosophie, und hat darum von Anbeginn ihr unabläßiges Bestreben seyn müßen, die dem natürlichen Menschen gleiche Gewißheit dieser zwey Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir, ungleich zu machen. Sie mußte suchen den Einen dieser Sätze dem andern zu unterwerfen; jenen aus diesem oder diesen aus jenem – zulezt vollständig – herzuleiten, damit nur Ein Wesen und nur Eine Wahrheit werde unter ihrem Auge, dem Allsehenden! Gelang es der Speculation diese Einheit hervorzubringen, indem sie das Ungleichmachen so lange fortsezte, bis aus der Zerstörung jener natürlichen eine andere künstliche Gleichheit deßelben im gewißen Wißen einmal offenbar vorhandenen Ich und Nicht꓿Ich entsprang – eine ganz neue Creatur, die ihr durchaus angehörte! – Gelang ihr dieses: so konnte es ihr alsdann auch wohl gelingen, eine vollständige Wißenschaft des Wahren alleinthätig aus sich hervorzubringen. [/]
Auf diese Weise haben die zwey Hauptwege: Materialismus und Idealismus; der Versuch, alles aus einer sich selbst bestimmenden Materie allein, oder allein aus einer sich selbst bestimmenden Intelligenz zu erklären, daßelbe Ziel; ihre Richtung gegen einander ist [keineswegs] divergirend, sondern allmählig annäherend bis zur endlichen Berührung. Der speculative, seine Metaphysik ausarbeitende Materialismus, muß zulezt sich von selbst in Idealismus verklären; denn außer dem Dualismus ist nur Egoismus, als Anfang oder als Ende – für die Denkkraft, die ausdenkt.
Wenig fehlte, so wäre eine solche Verklärung des Materialismus in Idealismus schon durch Spinoza zu Stande gekommen. Seine dem ausgedehnten wie dem denkenden Wesen auf gleiche Weise zum Grunde liegende, beyde unzertrennlich verbindende Substanz, ist nichts anders als die unanschaubare, nur durch Schlüße zu bewährende absolute Identität selbst des Objects und Subjects, auf welche das System der neuen Philosophie, der unabhängigen Philosophie der Intelligenz, gegründet ist. Sonderbar, daß ihm nie der Gedanke entstand, seinen philosophischen Cubus einmal umzustellen; die oberste Seite, die Seite des Denkens, [/] die Er die Objective – zu der untersten, die er die subjective, Formelle nannte, zu machen, und dann zu untersuchen, ob sein Cubus auch noch Daßelbe, ihm die einzige wahre philosophische Gestalt der Sache bliebe. Unfehlbar hätte sich ihm bey diesem Versuch unter den Händen alles verwandelt; das Cubische, was ihm bisher Substanz gewesen: die Eine Materie zweyer ganz verschiedener Wesen – wäre vor seinen Augen verschwunden; und aufgelodert wäre dafür eine reine, allein aus sich selbst brennende, keiner Stätte, wie keines nährenden Stoffs bedürfende Flamme:Transscendentaler Idealismus!
Ich wählte dieses Bild, weil ich durch die Vorstellung eines umgekehrten Spinozismus meinen Eingang in die Wißenschaftslehre zuerst gefunden habe. Und noch immer ist ihre Darstellung in mir, die Darstellung eines Materialismus ohne Materie, oder einer Mathesis pura, worin das rein꓿ und leere Bewußtseyn den mathematischen Raum vorstellt. Wie die reine Mathematik, das Ziehen einer geraden Linie (Bewegung also, mit allem was dieser Begriff voraussezt und mit sich führt) – und die Construction eines Cirkels (Maaßgebung, Fläche, Figur – Qualität, Quan[/]tität u.s.w.) – voraussetzend, mathematische Cörper, dann eine ganze Welt aus Nichts zu erschaffen in Gedanken vermag, brauche ich nicht erst darzulegen. – Also nur derjenige, der unwißend und abgeschmackt genug wäre, Geometrie und Arithmetik zu verachten; jene, weil sie keine Substanzen; diese, weil sie keine Zahlenbedeutung, das Werth seyende nicht hervorbringt; nur ein solcher möchte auch Transscendentalphilosophie verachten.
Ich verlange und erwarte von Fichte, daß er mich aus Winken verstehe; das nicht flüchtig Gedachte aus flüchtigen Worten, Zügen und hingeworfenen Bildern. Dürfte ich das nicht, was für ein Buch müßte ich schreiben? und nie in meinem Leben schriebe ich ein solches Buch!
Und so fahre ich denn fort, und rufe zuerst, eifriger und lauter, Sie noch einmal unter den Juden der speculativen Vernunft für ihren König aus; drohe den Halsstarrigen es an, Sie dafür zu erkennen, den Königsberger Täufer aber nur als Ihren Vorläufer anzunehmen. Das Zeichen, welches Sie gegeben haben, ist die Vereinigung des Materialismus und Idealismus zu Einem [/] untheilbaren Wesen – ein Zeichen, nicht ganz unähnlich jenem des Propheten Jonas.
Wie, vor Achtzehnhundert Jahren die Juden in Palästina den Meßias, nach welchem sie so lange sich gesehnt, bey seiner wirklichen Erscheinung verwarfen, weil er nicht mit sich brachte, woran sie ihn erkennen wollten; weil er lehrte: es gelte weder Beschneidung noch Vorhaut, sondern eine neue Creatur: so haben auch Sie ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Aergernißes denen werden müßen, die ich Juden der speculativen Vernunft heiße. Nur Einer bekannte sich öffentlich und aufrichtig zu Ihnen, ein Israelite in dem kein Falsch ist, Nathanael Reinhold. Wäre ich sein Freund nicht schon gewesen, ich wäre es damals geworden. Auch ist seitdem noch eine ganz andere Freundschaft, als bis dahin war, unter uns entstanden.
Ich bin ein Nathanael nur unter den Heiden. Wie ich nicht zum alten Bunde gehörte, sondern in der Vorhaut blieb, so enthalte ich mich auch des neuen, aus derselben Unfähigkeit oder Verstockung. Wirklich hat ein überschwenglicher Jünger Ihrer Lehre, und mein Seelsorger, den Nagel, wie man zu sagen pflegt, auf den Kopf getroffen, da er mir den Mangel des blos [/] logischen Enthusiasmus vorwarf, welcher der Alleingeist der Alleinphilosophie wäre, so wie er ehmals in Sokrates das eigentlich Sokratische gewesen.*1 Er hat vollkommen recht, [/] indem er sagt, es sey nur ein betrüglicher Schein, wenn ich zu den Alleinphilosophen zu gehören, und auch die Lehre vom categorischen Imperativ anzunehmen, in meinen Schriften hie und da das Ansehn hätte: ich wäre überall im Grunde unrein. Ueberhaupt hat unser respective Jünger und Seelsorger meine Individualität von dieser Seite gut gefaßt, und mit Wahrheit behauptet, daß ich nur ein geborner Philosoph und ein zufälliger Schriftsteller sey, unfähig irgendwo, geschweige überall, die Gestalt allein zur Sache zu machen, wie es seyn sollte; weil dieses Machen selbst alles in allem, und außer ihm Nichts sey.*2 [/] Begriffen aber hat der Ueberschwengliche nicht, hat nicht von weitem nur zu ahnden vermocht, welcher Gestalt die Alleinphilosophie und meine Unphilosophie, durch den höchsten Grad der Antipathie mit einander in Berührung kommen, und im Moment der Berührung sich gewißermaßen durchdringen. Sie, mein Freund, haben dieses gefühlt, wie ich es gefühlt habe; Sie haben mich für den erkannt, der an der Thür Ihres Hörsaals, lange bevor er geöfnet wurde, Sie erwartend stand und Weißagungen redete. Jezt nehme ich in diesem Hörsaal, als ein privilegierter Ketzer, und im voraus von jedem Bannfluch ausgenommen, der mich in Categorien treffen könnte, einen ausgezeichneten Platz ein; ich darf, weil meine eigentliche wahre Meinung dem coge intrare der Wißenschaft offenbar mehr [/] Vorschub als Abbruch thut, von meinem Seßel sogar eigene Vorträge in Nebenstunden halten.
Beyde nur im Geiste lebend, und redliche Forscher auf jede Gefahr, sind wir daneben, denke ich, auch noch über den Begriff der Wißenschaft einverstanden genug; daß sie nehmlich – die Wißenschaft als solche – in dem Selbsthervorbringen ihres Gegenstandes bestehe; nichts anders sey, als dieses in Gedanken Hervorbringen selbst; daß also der Inhalt jeder Wißenschaft, als solcher, nur ein inneres Handeln sey, und die nothwendige Art und Weise dieses in sich freyen Handelns, ihr ganzes Wesen ausmache. Jede Wißenschaft, sage ich, wie Sie, ist ein Object꓿Subject, nach dem Urbilde des Ich, welches Ich allein Wißenschaft an sich, und dadurch Princip und Auflösungsmittel aller Erkenntnißgegenstände, das Vermögen ihrer Destruction und Construction, in bloß wißenschaftlicher Absicht, ist. In Allem und aus Allem sucht der Menschliche Geist nur sich selbst, Begriffe bildend, wieder hervor; strebend und widerstrebend; unaufhörlich vom augenblicklichen bedingten Daseyn, das ihn gleichsam verschlingen will, sich losreißend, um sein Selbst꓿ und in꓿sich꓿seyn zu retten, es alleinthätig und mit Freyheit [/] fortzusetzen. Diese Thätigkeit der Intelligenz ist in ihr eine nothwendige Thätigkeit; sie ist nicht, wo diese Thätigkeit nicht ist. – Es wäre also die größte Thorheit, bey dieser Einsicht, die Begierde nach Wißenschaft in sich oder anderen hemmen zu wollen; die größte Thorheit, zu glauben, man könne das Philosophieren auch wohl übertreiben. Das Philosophieren übertreiben, hieße – die Besinnung übertreiben.
Beyde wollen wir also, mit ähnlichem Ernst und Eifer, daß die Wißenschaft des Wißens – welche in allen Wißenschaften das Eine; die Welt ꓿ Seele in der Erkenntniß ꓿ Welt ist – vollkommen werde: nur mit dem Unterschiede: daß Sie es wollen, damit sich der Grund aller Wahrheit, als in der Wißenschaft des Wißens liegend zeige; ich, damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst, sey nothwendig außer ihr vorhanden. Meine Absicht ist aber der Ihrigen auf keine Art im Wege, so wie Ihre nicht der meinen, weil ich zwischen Wahrheit und dem Wahren unterscheide. Sie – nehmen von dem, was ich mit dem Wahren meyne, keine Notiz, und dürfen, als Wißenschaftslehrer, keine davon nehmen – auch nach meinem Urtheil. [/]
Am 6ten März.
Wenn ich mir Wort halten, und den Vorsaz ausführen soll, Feder, Hand und Augen nicht eher geflißentlich zu etwas anderem zu gebrauchen, bis ich dieses Schreiben zu Ende gebracht habe; so muß ich einen zweyten verwegenen Entschluß faßen, diesen nehmlich: noch rhapsodischer, noch mehr im Heuschrecken꓿Gange meinen Weg fortzusetzen; Ihnen nichts als Stückwerk von Gedankenverbindungen vorzulegen, aus denen Sie meinen Verstand und Unverstand so gut herauslesen mögen, als es thunlich ist.
Mein körperliches Befinden, meine ganze gegenwärtige Lage, laßen mir nur die Wahl, entweder das Schreiben an Sie auf Gott weiß wie lange zu verschieben, oder mir auf die gesagte Weise zu helfen. – Mich preis zu geben; mich Ihnen darzustellen, ganz so wie ich bin, damit Sie von Grund aus wüßten, was Sie an mir hätten, war meine Absicht; aber ungern erscheine ich, da ich in meinem ganzen Vermögen so wenig bin, vor dem Manne von beyspielloser Denkkraft, und mit jeder andern Geistesgabe in so hohem Grade ausgerüstet, – ungern erscheine ich vor diesem Gewaltigen [/] so ohnmächtig, von mir selbst nur ein Schatten. – Doch es sey darum! – Ich beginne mein Unwesen.
Das Geheimniß der Identität und Verschiedenheit zwischen Fichte und mir, unserer philosophischen Sympathie und Antipathie, müßte, deucht mir, jedem offenbar werden, der nur die einzige Epistel an Erhard O., hinter Allwills Briefsammlung, recht zu lesen und sie durchaus zu verstehen sich bemühen wollte.
Ich kann mich dergestalt auf Fichtens Standpunkt versetzen, und mich darauf intellectuell isoliren, daß ich mich fast schäme anderer Meynung zu seyn, und kaum meine Einwürfe wider sein System vor mir selbst aussprechen mag. Ich kann aber auch auf meinem entgegengesezten Standpunkt eine solche Schwerkraft, Festigkeit und Haltung fühlen, daß ich mich an ihm ärgere, und, fast zornig über sein [künstliches Von꓿Sinnen꓿Kommen], wodurch ich, seinem Beyspiele folgend, von meinem natürlichen Wahn꓿ Sinn mich befreyen soll, ihm aus Ungeduld – nicht den Sparren [/] zu viel, sondern das Oder deßelben, den Sparren zu wenig, herzhaft an den Hals werfe. Ich beklage mich nicht, wenn Fichte mir dagegen den Sparren zu viel an den Kopf wirft.
Eine reine, das ist, durchaus immanente Philosophie; eine Philosophie aus Einem Stück; ein wahrhaftes Vernunft ꓿System, ist auf die Fichtische Weise allein möglich. Offenbar muß alles in und durch Vernunft, im Ich als Ich, in der Ichheit allein gegeben und in ihr schon enthalten seyn, wenn reine Vernunft allein, aus sich allein, soll alles herleiten können.
Von Vernunft ist die Wurzel, Vernehmen. – Reine Vernunft ist ein Vernehmen, das nur sich selbst vernimmt. Oder: die Reine Vernunft vernimmt nur sich.
Das Philosophieren der reinen Vernunft muß also ein chemischer Proceß seyn, wodurch alles außer ihr in Nichts verwandelt wird, und sie allein übrig läßt – einen so reinen Geist, daß er, in dieser seiner Reinheit, [/] selbst nicht seyn, sondern nur alles hervorbringen kann; dieses aber wieder in einer solchen Reinheit, daß es ebenfalls selbst nicht seyn, sondern nur als im Hervorbringen des Geistes vorhanden, angeschaut werden kann: das Gesamte eine bloße That꓿That.
Alle Menschen, in sofern sie überhaupt nach Erkenntniß streben, setzen sich, ohne es zu wißen, jene reine Philosophie zum lezten Ziele; denn der Mensch erkennt nur indem er begreift; und er begreift nur indem er – Sache in bloße Gestalt verwandelnd – Gestalt zur Sache, Sache zu Nichts macht.
Deutlicher!
Wir begreifen eine Sache nur in sofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, werden laßen können. In sofern wir sie nicht construiren, in Gedanken nicht selbst hervorbringen können, begreifen wir sie nicht. (Br. über Spinoza S. 402꓿404. vornemlich die Note S. 419꓿420.) *3
Wenn daher ein Wesen ein von uns vollständig begriffener Gegenstand werden soll, so müßen wir es [/] objectivals für sich bestehend – in Gedanken aufheben, vernichten, um es durchaus subjectiv, unser eigenes Geschöpf – ein bloßes Schema – werden zu laßen. Es darf nichts in ihm bleiben und einen wesentlichen Theil seines Begriffs ausmachen, was nicht unsere Handlung, jezt eine bloße Darstellung unserer productiven Einbildungskraft wäre.
Der Menschliche Geist also, da sein philosophischer Verstand schlechterdings nicht über sein eigenes Hervorbringen hinausreicht, muß, um in das Reich der Wesen einzudringen, um es mit dem Gedanken zu erobern, Welt ꓿Schöpfer, und – sein eigener Schöpfer werden. Nur in dem Maaße wie ihm das lezte gelingt, wird er in dem ersten Fortgang spüren. Aber auch sein eigener Schöpfer kann er nur unter der angegebenen allgemeinen Bedingung seyn: er muß sich dem Wesen nach vernichten, um allein im Begriffe zu entstehen, sich zu haben: in dem Begriffe eines reinen absoluten Ausgehen und Eingehen, ursprünglich – aus Nichts, zu Nichts, für Nichts, in Nichts; oder dem Begriffe einer Pendel꓿Bewegung, die als solche, weil sie Pendel꓿Bewegung ist, sich nothwendig selbst Schranken sezt im Allgemeinen; aber bestimmte [/] Schranken nur hat, als eine besondere, durch eine unbegreifliche Einschränkung.
Eine Wißenschaft, die sich selbst, als Wißenschaft allein zum Gegenstande, und außer diesem keinen Inhalt hat, ist eine Wißenschaft an sich. Das Ich ist eine Wißenschaft an sich, und die Einzige: Sich Selbst weiß es, und es widerspricht seinem Begriffe, daß es außer sich selbst etwas wiße oder [vernehme], u. s. w. u. s. w...... Das Ich ist also nothwendig Princip aller anderen Wißenschaften, und ein unfehlbares Menstruum, womit sie alle [können] aufgelöset und verflüchtiget werden in Ich, ohne irgend etwas von einem Caput mortuum – Nicht꓿Ich – zu hinterlaßen. – Es kann nicht fehlen: Wenn Ich allen Wißenschaften ihre Grundsätze giebt, daß alle Wißenschaften aus Ich müßen deduciert werden können: Können sie aus Ich allein alle deduciert werden; so müßen in und durch Ich allein auch alle construirt werden können, in sofern sie construirbar, d. i. in sofern sie Wißenschaften sind. [/]
Aller Reflexion liegt Abstraction dergestalt zum Grunde, daß Reflexion nur durch Abstraction möglich wird. Umgekehrt verhält es sich eben so; Beyde sind unzertrennlich und im Grunde Eins, eine Handlung des Auflösens alles Wesens in Wißen; progreßive Vernichtung (auf dem Wege der Wißenschaft) durch immer allgemeinere Begriffe. Was nun auf diese Weise involvirend vernichtet wurde, kann evolvirend auch wieder hergestellt werden: Vernichtend lernte ich erschaffen. Dadurch nehmlich, daß ich auflösend, zergliedernd, zum Nichts꓿Außer꓿Ich gelangte, zeigte sich mir, daß Alles Nichts war, außer meiner, nur auf eine gewiße Weise eingeschränkten, freyen Einbildungskraft. Aus dieser Einbildungskraft [kann] ich dann auch wieder hervorgehen laßen, alleinthätig, alle Wesen, wie sie waren, ehe ich sie, als für sich bestehend, für Nichts erkannte.
In einem muthwilligen Augenblick vorigen Winter zu Hamburg, brachte ich das Resultat des Fichtischen Idealismus in ein Gleichniß. Ich wählte einen Strickstrumpf. [/]
Um sich eine andere als die gewöhnliche empirische Vorstellung von dem Entstehen und Bestehen eines Strickstrumpfs zu machen, braucht man nur den Schluß des Gewebes aufzulösen, und es an dem Faden der Identität dieses Object꓿Subjects ablaufen zu laßen. Man sieht deutlich alsdenn, wie dieses Individuum, durch ein bloßes Hin꓿ und herbewegen des Fadens, das ist, durch ein unaufhörliches Einschränken seiner Bewegung, und Verhindern, daß er seinem Streben ins Unendliche hinaus folgte – ohne empirischen Einschlag, oder sonst eine Beymischung oder Zuthat, zur Wirklichkeit gelangte.
Diesem meinem Strumpfe gebe ich Streifen, Blumen, Sonne, Mond und Sterne, alle mögliche Figuren, und erkenne: wie alles dieses nichts ist, als ein Product der, zwischen dem Ich des Fadens und dem Nicht꓿Ich der Dräthe schwebenden productiven Einbildungskraft der Finger. Alle diese Figuren mit dem Strumpfwesen zusammen, sind, aus dem Standpunkt der Wahrheit betrachtet, der Alleinige nackte Faden. Es ist nichts in ihn gefloßen, weder aus den Dräthen, noch aus den Fingern; Er allein und rein ist jenes Alles, [/] und es ist in Allem jenen nichts außer ihm; Er ist es ganz und gar, nur – Mit seinen Bewegungen der Reflexion an den Dräthen, die er, fortsetzend, behalten hat, und dadurch zu diesem bestimmten Individuum geworden ist.
Ich möchte hören, wie man diesem Strumpfwesen abstreiten wollte, daß es, mit allen seinen unendlichen Mannigfaltigkeiten doch gewiß und wahrhaft nur sein Faden; und dem Faden, daß er Allein diese unendliche Mannigfaltigkeit sey. Dieser, wie ich schon gesagt habe, braucht ja nur, die Reihe seiner Reflexionen darlegend, zu seiner Ursprünglichen Identität zurückzukehren, um es augenscheinlich zu machen, daß jene unendliche Mannigfaltigkeit, und mannigfaltige Unendlichkeit, nichts als ein leeres Weben seines Webens war, und das einzige Reale nur er selbst mit seinem Handeln, aus, in und auf sich selbst. – Auch will er diese Rückkehr, nehmlich Befreyung von denen ihm anklebenden Banden des Nicht꓿Ich; – und es ist Niemand, der es nicht wüßte und erfahren hätte, wie – Alle Strümpfe die Tendenz haben, ihre Schranken aufzuheben um die Unendlichkeit auszufüllen: [/] höchst unbesonnen! da sie wohl wissen [können], daß es unmöglich ist, Alles, und zugleich Eins und Etwas zu seyn.
Sollte dieses Gleichniß so unpaßend seyn, daß es in seinem Erfinder einen groben Mißverstand offenbar verriethe, so wüßte ich alsdann nicht, wie die neue Philosophie wirklich eine neue, und nicht blos ein veränderter Vortrag der alten irgend einen Dualismus so oder anders zum Grunde legenden Philosophie seyn wollte; sie wäre dann [keine] wahrhaft und aufrichtig immanente, keine Philosophie aus Einem Stück. Was in der alten Wahrnehmung geheißen, hieße nothwendiges Einbilden in der neuen, bedeutete im Grunde aber ganz daßelbe. Soll es auf irgend eine Weise nur daßelbe bedeuten, so bleibt Empirie zulezt doch oben, sich zur Wißenschaft verhaltend, wie die lebendigen Glieder zu ihren künstlichen Werkzeugen. Im menschlichen Geiste muß alsdann ein höherer Ort, als der Ort des wißenschaftlichen Wißens angenommen werden, und es wird von jenem auf diesen herab gesehen: „der höchste Stand[/]punkt der Speculation ist“ dann nicht „der Standpunkt der Wahrheit.“
Ich fürchte also jenen Vorwurf nicht. Viel eher kann ich mir denken, daß die neue Philosophie mein Gleichniß sich gefallen laße, und es zu ihrem Vortheil anwende.
„Besinne dich, [könnte] sie zu mir sagen; Gehe in dich! – Was sind alle Strümpfe, und was ist alles Strümpfe tragen im Himmel und auf Erden gegen die Einsicht in ihre Entstehung; gegen die Betrachtung des Mechanismus, durch welchen sie überhaupt hervorgebracht werden; gegen das Nacherfinden im Allgemeinen und immer Allgemeineren ihrer Kunst: ein Nacherfinden, durch welches die Kunst selbst, als eigentliche Kunst, zuerst erschaffen wird. – Spotte so viel du willst über diese reine Lust am reinen Wißen allein des reinen Wißens, die ein blos logischer Enthusiasmus nicht ganz unschicklich genannt worden ist: Wir läugnen nicht, daß wir in ihm selig sind, nichts mehr fragen nach Himmel und Erde; und wenn uns auch Leib und Seele verschmachtet, es nicht achten aus jener hohen Liebe des Erkenntnißes – blos des Erkennens; der Einsicht – blos des [/] Einsehens; des Thuns – blos des Thuns. Spotte darüber kindisch unwißend, erbarmenswürdig, unterdeßen wir dir unwiderleglich darthun und nachweisen: – Allem Entstehen und Seyn, unten vom niedrigsten Thiere an, bis hinauf zum höchsten Heiligen und Beynah꓿Gott, liege nothwendig zum Grunde – ein blos logischer Enthusiasmus, das ist: Ein nur sich selbst vorhabendes und betrachtendes Handeln, blos des Handelns und Betrachtens wegen, ohne anderes Subject oder Object; ohne in, aus, für, oder zu.
Ich antworte hierauf, indem ich blos meinen Strumpf wieder vorzeige, und frage: Was es mit ihm wäre, ohne die Beziehung und Absicht auf ein menschliches Bein, wodurch allein Verstand in sein Wesen kommt? Was es sey, unten vom Thiere an bis zum Heiligen hinauf, mit einem blossen Weben eines Webens? – Ich sage aus, daß meine Vernunft, mein ganzes Inwendiges auffährt, schaudert, sich entsezt vor dieser Vorstellung; daß ich mich abwende von ihr, als von dem Gräßlichsten unter allen Gräßlichkeiten – Vernichtung anflehe, wie eine Gottheit, wider eine solche Danaiden꓿ und Ixions꓿Seligkeit. [/]
Unsere Wißenschaften, blos als solche, sind Spiele, welche der menschliche Geist, zeitvertreibend, sich ersinnt. Diese Spiele ersinnend, organisiert er nur seine Unwißenheit, ohne einer Erkenntniß des Wahren, auch nur um ein Haar breit näher zu kommen. In einem gewißen Sinne entfernt er sich dadurch vielmehr von ihm, indem er bey diesem Geschäft sich über seine Unwißenheit blos zerstreut, ihren Druck nicht mehr fühlt, sogar sie lieb gewinnt, weil sie – unendlich ist; weil das Spiel, das sie mit ihm treibt, immer mannigfaltiger, ergötzender, größer, berauschender wird. Wäre das Spiel mit unserer Unwißenheit nicht unendlich, und nicht so beschaffen, daß aus jeder seiner Wendungen ein neues Spiel entstünde: so würde es uns mit der Wißenschaft, wie mit dem Nürrenberger, so genannten, Grillenspiel ergehen, das uns anekelt, so bald uns alle seine Gänge und mögliche Wendungen bekannt und geläufig sind. Das Spiel ist uns dadurch verdorben, daß wir es ganz verstehen, daß wir es wißen.
Und so begreife ich denn nicht, wie man an wißenschaftlicher Erkenntniß genug haben, auf alle Wahrheit außer der Wißenschaftlichen Verzicht thun, und der [/] Einsicht, daß es keine andre Wahrheit gebe, sich erfreuen kann – wenn man dieser Wahrheit, dem wißenschaftlichen Wißen, wie Fichte auf den Grund gekommen ist, und es eben so klar, zum wenigsten, wie ich, vor Augen hat: daß wir im rein wißenschaftlichen Wesen nur ein Spiel treiben mit leeren Zahlen – mit Zahl꓿Zahlen; neue Sätze ausrechnen, immer nur zum weiter Rechnen, und es für abgeschmackt, lächerlich – erbärmlich halten müßen, nach einer Zahlen ꓿Bedeutung, einem Zahlen ꓿Inhalt nur zu fragen – Noch einmal, ich begreife ihn nicht, den Jubel über die Entdeckung, daß es nur Wahrheiten, aber nichts Wahres gebe; begreife nicht jene allerreinste Wahrheits ꓿Liebe, die des Wahren selbst nicht mehr bedarf – Göttlich Selbstgenugsam dadurch, daß sie, aus dem Betruge des Wahren, in die reine wesentliche Wahrheit des Betrugs übergegangen ist – Sie hat den Gott insgeheim vorsichtig beleuchtet – Er verschwand nicht; denn er war nicht. Psyche weiß nun das Geheimniß, das ihre Neugier so lange unerträglich folterte; sie weiß nun, die Seelige! Alles außer ihr ist Nichts, und sie selbst nur ein Gespenst; ein Gespenst, nicht einmal von [/] Etwas; sondern, ein Gespenst an sich: ein reales Nichts; ein Nichts der Realität.
Alle Wißenschaften sind zuerst als Mittel zu anderen Zwecken entstanden, und Philosophie im eigentlichen Verstande, Metaphysik, ist davon nicht ausgenommen. Alle Philosophen giengen darauf aus, hinter die Gestalt der Sache, das ist, zur Sache selbst; hinter die Wahrheit, das ist, zum Wahren zu kommen: sie wollten das Wahre wißenunwißend, daß, wenn das Wahre menschlich gewußt werden [könnte], es aufhören müßte das Wahre zu seyn, um ein bloßes Geschöpf menschlicher Erfindung, eines Ein꓿ und Ausbildens wesenloser Einbildungen zu werden.
Von dieser Unwißenheit und Anmaaßung haben uns die zwey großen Männer, Kant und Fichte, befreyt; von Grund aus erst der lezte. Sie haben die höhere Mechanik des menschlichen Geistes entdeckt; im Intellectual꓿System die Theorie der Bewegungen in widerstehenden Mitteln vollständig dargelegt, und in einer anderen Sphäre geleistet, was Huygens und Newton vormals in der ihrigen. Durch [/] diese neuesten Entdeckungen ist einer unnützen und verderblichen Verschwendung der menschlichen Kraft auf immer Einhalt geschehen; Ein Weg zu irren ganz abgeschnitten worden. Niemand kann von nun an mehr mit der Vernunft, verzeihlich, schwärmen; Niemand mehr hoffen, wohl endlich doch noch die wahre Cabbala zu finden, und mit Buchstaben und Ziffern, Wesen und lebendige Kräfte hervorzubringen.
Wahrlich eine große Wohlthat für unser Geschlecht; wenn es nicht, in die Wißenschaft seiner Unwißenheit jezt sich vergaffend, seelig seyn will, darin allein, daß es mit beyden Augen emsig nur nach der Spitze seiner Nase schielt.
Ich verstehe unter dem Wahren etwas, was vor und außer dem Wißen ist; was dem Wißen, und dem Vermögen des Wißens, der Vernunft, erst einen Werth giebt.
Vernehmen sezt ein Vernehmbares; Vernunft das Wahre zum voraus: sie ist das Vermögen der Voraussetzung des Wahren. Eine das Wahre nicht voraussetzende Vernunft ist ein Unding. [/]
Mit seiner Vernunft ist dem Menschen nicht das Vermögen einer Wißenschaft des Wahren; sondern nur das Gefühl und Bewustseyn seiner Unwißenheit desselben: Ahndung des Wahren gegeben.
Wo die Weisung auf das Wahre fehlt, da ist keine Vernunft. Diese Weisung; die Nöthigung, das ihr nur in Ahndung vorschwebende Wahre als ihren Gegenstand, als die lezte Absicht aller Begierde nach Erkenntniß zu betrachten, macht das Wesen der Vernunft aus. Sie ist ausschließend auf das unter den Erscheinungen Verborgene, auf ihre Bedeutung gerichtet; auf das Seyn, welches einen Schein nur von sich giebt, und das wohl durchscheinen muß in den Erscheinungen, wenn diese nicht An꓿sich꓿Gespenster, Erscheinungen von Nichts seyn sollen.
Dem wahren Wesen, auf welches die Vernunft ausschließend, als auf ihren lezten Zweck gerichtet ist, sezt sie Wesen der Einbildungskraft contradictorisch entgegen. Sie unterscheidet nicht blos zwischen Einbildungen und Einbildungen: etwa nothwendigen und freyen – sondern absolut. Sie sezt entgegen wahres Wesen dem Wesen der Einbildungskraft, wie sie das Wachen dem Träumen entgegensezt. Mit dieser [/] unmittelbaren, apodictischen Unterscheidung zwischen Wachen und Träumen: zwischen Einbildung und wahrem Wesen, steht oder fällt die Vernunft.
Wenn der Mensch abgeschnitten wird von der, in der sinnlichen Welt, die ihn umgiebt, ausgedrückten, seine Einbildungskraft mit Gewalt ordnenden Vernunft; wenn er von Sinnen kommt im Traume, im Fieber, – Wahn= sinnig wird: so verhindert ihn nicht die ihm überall beywohnende eigene reine Vernunft das ungereimteste zu denken, anzunehmen, für gewiß zu halten. Er [kommt] von Verstande und verliert seine menschliche Vernunft, so wie er von Sinnen kommt; so wie das Wahr꓿ Nehmen ihm unmöglich wird: denn seine eingeschränkte menschliche Vernunft ist lauter Wahr꓿ Nehmung, innere oder äußere, mittelbare oder unmittelbare; aber, als vernünftige (eine schon durch den buchstäblichen Sinn des Worts gegebene Bestimmung:) – Wahrnehmung mit Besinnung und Absicht; ordnende, fortsetzende, thätige, freywillige – Ahndungsvolle.
Eine nicht blos wahr ꓿nehmende, sondern alle Wahrheit aus sich allein hervorbringende Vernunft; eine [/] Vernunft, welche das Wesen selbst der Wahrheit ist, und in sich die Vollkommenheit des Lebens hat – eine solche selbstständige Vernunft, die Fülle des Guten und Wahren, muß allerdings vorhanden seyn, oder es wäre überall weder Gutes noch Wahres vorhanden; die Wurzel der Natur und aller Wesen wäre ein reines Nichts, und dieses große Geheimniß zu entdecken die lezte Absicht der Vernunft.
So gewiß ich Vernunft besitze, so gewiß besitze ich mit dieser meiner menschlichen Vernunft nicht die Vollkommenheit des Lebens, nicht die Fülle des Guten und des Wahren; und so gewiß ich dieses mit ihr nicht besitze, und es weiß; so gewiß weiß ich, es ist ein höheres Wesen, und ich habe in ihm meinen Ursprung. Darum ist denn auch meine und meiner Vernunft Losung nicht: Ich; sondern, Mehr als Ich! Beßer als ich! – ein ganz Anderer.
Ich bin nicht, und ich mag nicht seyn, wenn Er nicht ist! – Ich selbst, wahrlich! kann mein höchstes Wesen mir nicht seyn ... So lehret mich meine Vernunft instinktmäßig: Gott. Mit unwiderstehlicher Gewalt weiset das Höchste in mir auf ein Allerhöchstes über und außer mir; es zwingt mich das Unbegreifliche – [/] ja das im Begriff Unmögliche zu glauben, in mir und außer mir, aus Liebe, durch Liebe.
Weil die Vernunft im Auge die Gottheit; Gott nothwendig vor Augen hat: deswegen allein halten wir sie höher als das Selbst im gemein sinnlichen Verstande; und in sofern mag es denn auch Sinn haben und für Wahrheit gelten: „daß Vernunft Zweck; Persönlichkeit nur Mittel sey.“
„Gott ist,“ sagt erhaben Timäus, „was überall das Beßere hervorbringt.“ – Der Ursprung und die Gewalt des Guten.
Aber das Gute – Was ist es? – Ich habe keine Antwort, wenn kein Gott ist.
Wie mir diese Welt der Erscheinungen, wenn sie in diesen Erscheinungen alle ihre Wahrheit, und keine tiefer liegende Bedeutung – wenn sie nichts außer ihr zu offenbaren hat, zu einem gräßlichen Gespenste wird, vor welchem ich das Bewußtseyn, worin dieser Gräuel mir entsteht, verfluche, und Vernichtung dawider, wie eine Gottheit anrufe: eben so wird mir auch alles, was ich Gut, schön und heilig nannte, zu einem meinen Geist nur zerrüttenden, das Herz mir aus dem Busen reißenden Undinge, so bald ich annehme, daß es ohne Bezie[/]hung in mir auf ein höheres Wahrhaftes Wesen; nicht Gleichniß allein und Abbildung deßelben in mir ist: wenn ich überall in mir nur ein leeres Bewustseyn und Gedicht haben soll.
Ich gestehe also, daß ich das an sich Gute nicht kenne, sondern auch von ihm nur eine ferne Ahndung habe; erkläre, daß es mich empört, wenn man mir den Willen der Nichts will, diese hohle Nuß der Selbstständigkeit und Freyheit im absolut Unbestimmten, dafür aufdringen will, und mich, wenn ich ihn dafür anzunehmen widerstrebe, des Atheismus, der wahren und eigentlichen Gottlosigkeit beschuldigt.
Ja, ich bin der Atheist und Gottlose, der, dem Willen der Nichts will zuwider – lügen will, wie Desdemona sterbend log; lügen und betrügen will, wie der für Orest sich darstellende Pylades; morden will, wie Timoleon; Gesetz und Eid brechen wie Epaminondas, wie Johann de Wit; Selbstmord beschließen wie [Otho]; Tempelraub begehen wie David – Ja, Aehren ausraufen am Sabbath, auch nur darum, weil mich hungert, und das Gesetz um des Menschen willen gemacht [/] ist, nicht der Mensch um des Gesetzes willen. Ich bin dieser Gottlose, und spotte der Philosophie, die mich deswegen Gottlos nennt; spotte ihrer und ihres höchsten Wesens: denn mit der heiligsten Gewißheit, die ich in mir habe, weiß ich – daß das privilegium aggratiandi wegen solcher Verbrechen wider den reinen Buchstaben des absolut allgemeinen Vernunftgesetzes, das eigentliche Majestätsrecht des Menschen; das Siegel seiner Würde, seiner Göttlichen Natur ist.
Lehret mich nicht was ich weiß, und, beßer als euch lieb seyn möchte, darzuthun verstehe: Nehmlich, daß jener Wille der nichts will, jene unpersönliche Persönlichkeit; jene bloße Ichheit des Ich ohne Selbst – daß, mit Einem Worte, lauter rein und baare Unwesenheiten nothwendig zum Grunde gelegt werden müssen, wenn – ein allgemeingültiges, streng wißenschaftliches System der Moral zu Stande kommen soll. Dem sicheren Gange der Wißenschaft zu Liebe müßet ihr – O, ihr könnt nicht anders! einem Lebendigtodten der Vernünftigkeit das Gewißen (den gewißeren Geist) unterwerfen, es blind꓿ gesetzlich, taub, stumm und fühllos machen; müßet seine lebendige [/] Wurzel, die das Herz des Menschen ist, bis zur lezten Faser von ihm abreißen – Ja bey allen euern Himmeln, und so wahr Kategorien allein euch Apollo und die Musen sind, ihr müsst! Denn nur so werden unbedingt allgemeine Gesetze, Regeln ohne Ausnahme, und starrer Gehorsam möglich – So allein weiß das Gewißen überall auch äußerlich gewiß, und weiset, eine hölzerne Hand, nach allen Heerstraßen unfehlbar recht – von dem Lehrstuhl aus.
Aber will ich denn daß [keine] allgemeine, streng erwiesene Pflichtenlehre aufgestellt werde, welches nur in und über einem reinen Vernunftsystem geschehen kann? Verkenne ich den Werth, läugne ich den Nutzen einer solchen [Disciplin]? Oder bestreite ich die Wahrheit und Erhabenheit des Grundsatzes, von dem die Sittenlehre der reinen Vernunft ausgeht? Keinesweges! Das Moral꓿Princip der Vernunft: Einstimmigkeit des Menschen mit sich selbst; stete Einheit – ist das Höchste im Begriffe; denn es ist diese Einheit die absolute, unveränderliche Bedingung des vernünftigen Daseyns überhaupt; folglich auch alles vernünftigen und freyen Handelns: [/] in ihr und mit ihr allein hat der Mensch Wahrheit und höheres Leben. Aber diese Einheit selbst ist nicht das Wesen, ist nicht das Wahre. Sie selbst, in sich allein ist öde, wüst und leer. So kann ihr Gesetz auch nie das Herz des Menschen werden, und ihn über sich selbst wahrhaft erheben; und wahrhaft über sich selbst erhebt den Menschen denn doch nur sein Herz, welches das eigentliche Vermögen der Ideen – der nicht leeren, ist. Dieses Herz soll Transcendentalphilosophie mir nicht aus der Brust reißen, und einen reinen Trieb allein der Ichheit an die Stelle setzen; ich laße mich nicht befreyen von der Abhängigkeit der Liebe, um allein durch Hochmuth selig zu werden. – Ist das höchste, worauf ich mich besinnen, was ich anschauen kann, mein leer und reines, nakt und bloßes Ich, mit seiner Selbstständigkeit und Freyheit: so ist besonnene Selbstanschauung, so ist Vernünftigkeit mir ein Fluch – Ich verwünsche mein Daseyn. [/]
Hier mußte ich abbrechen, oder ein Buch aus diesem Briefe machen wollen. Die wenigen Worte, die ich über Moralität hingeworfen habe, hätte ich nicht gewagt, wenn ich nicht aus meinen Schriften, wenigstens nothdürftig, über sie zurecht weisen [könnte]. Ich erwarte also von Ihrer Freundschaft, daß Sie, um mich nicht auf eine Weise, die mich [kränken] würde, mißzuverstehen, in meinen Schriften nachschlagen und von neuem lesen wollen, auf meine Bitte, was ich hier anzeigen will. 1) Die Aphorismen über Nichtfreyheit und Freyheit, die ich der Vorrede zu der neuen Ausg. d. Br. über Sp. eingeschaltet habe. 2) Die Anmerkung S. XVI–XIX in der Vorrede zu Allwill; und in demselben Buche, die Seiten 295–300. 3) Im Ersten Theile des Woldemar S. 138–141. Um dies alles zu lesen brauchen Sie kaum eine halbe Stunde; die müßen Sie mir aufopfern *4 [/]
Eben diese Stellen beweisen auch, daß mir das Kantische Sittengesez nie etwas anderes, als der nothwendige Trieb der Uebereinstimmung mit uns selbst, das Gesez der Identität gewesen ist. Ich habe nie begriffen, wie man in dem categorischen Imperativ, der so leicht zu deduciren ist (Br. ü. Sp. Vorr. S. XXXIII und XXXIV.,) etwas Geheimnißvolles und Unbegreifliches finden, und es unternehmen [konnte], nachher, mit diesem Unbegreiflichen, die Lückenbüßer der theoretischen Vernunft zu Bedingungen der Realität der Gesetze der practischen zu machen. In keiner Philosophie habe ich für mich ein größeres Aergerniß als dieses angetroffen. Stellen Sie sich also meinen Jubel bey der Erscheinung Ihrer Schrift über die Bestimmung des Gelehrten vor, worin ich die vollkommenste [Uebereinstimmung mit] meinen Urtheilen über diesen Gegenstand gleich auf den ersten Blättern fand. [/]
Aus eben diesem Grunde aber; wie nicht vorher: so habe ich auch nachher nicht diesen Identitäts꓿Trieb zu meinem höchsten Wesen machen, und ihn allein lieben und anbeten können.
Und so überhaupt und durchaus bin ich noch derselbe, der in den Briefen über Spinoza, von dem Wunder der Wahrnehmung und dem unerforschlichen Geheimniß der Freyheit ausgieng, und es wagte, auf diese Weise mit einem Salto mortale, nicht sowohl seine Philosophie zu begründen, als vielmehr seinen unphilosophischen Eigensinn, der Welt, tollkühn, vor Augen zu legen.
Da ich außerhalb des Naturmechanismus nichts als Wunder, Geheimniße und Zeichen antreffe, und einen schrecklichen Abscheu vor dem Nichts, dem absolut Unbestimmten, dem durch und durch leeren – (diese drey sind Eins; das Platonische Unendliche!) – zumal als Gegenstand der Philosophie oder Absicht der Weisheit habe; im Ergründen des Mechanismus aber, sowohl der Natur des Ichs als des Nicht꓿Ichs, zu lauter An꓿sich꓿Nichts gelange, und davon dergestalt in meinem transcendentalen Wesen (persönlich, so zu sagen) angegangen, ergriffen, [/] und mitgenommen werde, daß ich sogar, um das Unendliche auszuleeren, es muß erfüllen wollen, als ein unendliches Nichts, ein reines꓿ganz꓿und꓿gar꓿An꓿und꓿für꓿sich, wäre es nur nicht unmöglich!! – Da es, sage ich, so mit mir und der Wißenschaft des Wahren; oder richtiger, der wahren Wißenschaft beschaffen ist: so sehe ich nicht ein, warum ich nicht, wäre es auch nur in fugam vacui, meine Philosophie des Nicht꓿Wißens, dem Philosophischen Wißen des Nichts, sollte aus Geschmack vorziehen dürfen. Ich habe ja nichts wider mich als das Nichts; und mit ihm [können] auch Chimären sich wohl noch meßen.
Wahrlich, mein lieber Fichte, es soll mich nicht verdrießen, wenn Sie, oder wer es sey, Chimärismus nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Nihilismus schelte, entgegensetze – Mein Nicht꓿ Wißen habe ich in allen meinen Schriften zur Schau getragen; ich habe mich gerühmt, unwißend zu seyn dergestalt mit Wißen, in so hohem Grade vollkommen und ausführlich, daß ich den bloßen Zweifler verachten dürfte.*5 – Mit Ernst und Inbrunst habe [/] ich von Kindesbeinen an nach Wahrheit gerungen wie Wenige; habe mein Unvermögen erfahren wie Wenige – und mein Herz ist milde davon geworden – O, sehr milde, mein lieber Fichte, – und meine Stimme so leise! Wie ich, als Mensch, ein tiefes Mitleiden habe mit mir selbst, so habe ichs mit Anderen. Ich bin duldsam ohne Mühe; aber daß ich es ohne Mühe wahrhaft bin, kostet mir viel. Leicht wird über mir die Erde seyn – in Kurzem.
Mein Herz wird weich indem ich dieses schreibe. Ich möchte mich aufmachen und zu Ihnen eilen, um Auge in Auge, Brust an Brust Ihnen meine ganze Seele zu offenbaren. Dies war mein Gefühl, mein heißes Verlangen beym Lesen der von Ihrer Hand geschriebenen Zeilen unter dem gedruckten Briefe; sie bewegten mich tief. Noch tiefer bewegte, erschütterte mich die Anrede in Ihrer Schrift. Die Hand, die Sie zutrauungsvoll faßen, antwortet Ihnen mit freundschaftlichem Druck. Und so würde es seyn wenn ich auch Ihre Lehre, gleich der Lehre des Spinoza, Atheistisch nennen müßte; ich würde Sie persönlich darum doch für keinen Atheisten, für keinen Gottlosen halten. Wer sich mit dem Geiste über die Natur, mit dem [/] Herzen über jede erniedrigende Begierde wirklich zu erheben weiß, der siehet Gott von Angesicht, und es ist zu wenig von ihm gesagt, daß er nur an ihn glaube. Wäre nun auch die Philosophie eines Solchen, wären seine Meynungen, nach dem (ich glaube richtigen) Urtheil der natürlichen Vernunft, die einen nicht persönlichen Gott, die einen Gott der nicht ist, ein Unding nennt, Atheistisch; gäbe er auch selbst seinem System diesen Nahmen: so wäre seine Sünde doch nur ein Gedankending, eine Ungeschicklichkeit des Künstlers; des Künstlers in Begriffen und Worten; ein Vergehen des Grüblers, nicht des Menschen. Nicht das Wesen Gottes, sondern nur ein Nahme würde von ihm geläugnet. So dachte ich von Spinoza, als ich folgende, in meiner Rechtfertigung wider Mendelssohn befindliche Stelle schrieb: „Eh proh dolor... Und sey du mir gesegnet, großer, ja heiliger Benedictus! wie du auch über die Natur des höchsten Wesens philosophieren und in Worten dich verirren mochtest: Seine Wahrheit war in deiner Seele, und Seine Liebe war dein Leben.“ *6 [/]
Die große Uebereinstimmung zwischen der Religion des Spinoza (Seine Philosophie stellt sich durchaus als Religion, als Lehre von dem höchsten Wesen und [/] dem Verhältniße des Menschen zu demselben dar) – und der Religion des Fenelon ist schon mehrmals angeführt, aber noch keinmal auf eine alle Philosophien [/] umfaßende Weise ausgeführt worden. Eine solche Ausführung selbst zu unternehmen, ist eine lange Zeit hindurch mein Lieblingsgedanke gewesen. Hier will ich nur bemerken, daß der Vorwurf, entweder des Atheismus, oder des Mysticismus, überhaupt aber der Schwärmerey und des Unsinns, von dem großen Haufen derer, die sich Philosophen und Religions꓿Lehrer nennen, jeder Philosophie, welche Gestalt sie auch annehme, zu allen Zeiten bis an das Ende der Tage wird gemacht werden, die den Menschen einladet, sich mit dem Geiste über die Natur, und über sich selbst, in sofern er Natur ist, zu erheben. Dieser Vorwurf ist nicht abzuwenden, weil sich der Mensch nicht über die Natur außer ihm und in ihm erheben kann, als [/] indem er sich zugleich über seine Vernunft, die zeitliche, bis zum Begriff der Freyheit mit dem Geiste erhebt.
In Absicht dieses die Vernunft übersteigenden Begriffes der Freyheit, wie er zu bestimmen sey, was er in sich faße, voraussetze und nach sich ziehe, möchten wir uns schwerlich ganz vergleichen können.*7
So würde sich einige Verschiedenheit der Meynung unter uns wohl auch bey dem Unterschiede zeigen, den wir beyde zwischen Religion und Götzendienst, übrigens ganz auf dieselbe Weise, machen.
Ich habe mich in einer noch ungedruckten Schrift über diesen Gegenstand auf folgende Weise erklärt.
„Um Gott und sein Wohlgefallen zu suchen, muß man ihn und was ihm wohlgefalle schon voraus im Herzen und im Geiste haben; denn was uns nicht auf irgend eine Weise schon bekannt ist, können wir nicht suchen, nicht erforschen. Wir wißen aber von Gott und seinem Willen, weil wir aus ihm gebohren, nach seinem Bilde geschaffen, seine Art und Geschlecht sind. Gott lebet in uns, und unser Leben ist verborgen in Gott. [/] Wäre er uns nicht auf diese Weise gegenwärtig, unmittelbar gegenwärtig durch sein Bild in unserem innersten Selbst: was sollte ihn uns kund thun? – Bilder, Töne, Zeichen, die nur zu erkennen geben, was schon verstanden ist? – der Geist dem Geiste: was?
Nach seinem Bilde geschaffen; Gott in uns: das ist die Kunde die wir von ihm haben, und die einzig mögliche; damit offenbarte sich Gott dem Menschen lebendig, fortgehend, für alle Zeiten. Eine Offenbarung durch äußerliche Erscheinungen, sie mögen heißen wie sie wollen, kann sich höchstens zur innern ursprünglichen nur verhalten, wie sich Sprache zur Vernunft verhält. Ich [sage, höchstens] nur; und setze dem vorhergegangenen hinzu: So wenig ein falscher Gott außer der menschlichen Seele für sich da seyn kann, so wenig kann der Wahre außer ihr erscheinen. Wie der Mensch sich selbst fühlt und bildet, so stellt er sich, nur [mächtiger, die] Gottheit vor. Darum ist zu allen Zeiten die Religion der Menschen wie ihre Tugend, wie ihr sittlicher Zustand beschaffen gewesen. Ein berühmter Heerführer unter der Regierung des französischen Königs Johann, hatte den Wahlspruch und trug ihn in der Fahne: L’Ami de Dieu, et l’ennemi de tous les [/] hommes. Das hieß in seinem Herzen: Für mich und wider Alle. Nur durch sittliche Veredlung erheben wir uns zu einem würdigen Begriff des höchsten Wesens. Es giebt keinen andern Weg. Nicht jede Gottesfurcht schließt Bösartigkeit und Laster aus. Um einen Werth zu haben, muß sie selbst eine Tugend seyn; alsdann ist sie, die andern Tugenden alle voraussetzend, die edelste und schönste; gleichsam die Blume ihrer vereinigten Triebe, ihrer gesammten Kraft. Den Gott also haben wir, der in uns Mensch wurde, und einen anderen zu erkennen ist nicht möglich, auch nicht durch beßeren Unterricht; denn wie sollten wir diesen nur verstehen? Weisheit, Gerechtigkeit, Wohlwollen, freye Liebe, sind keine Bilder sondern Kräfte, von denen man die Vorstellung nur im Gebrauch Selbsthandelnd erwirbt. Es muß also der Mensch Handlungen aus diesen Kräften schon verrichtet, Tugenden und ihre Begriffe erworben haben, ehe ein Unterricht von dem Wahren Gott zu ihm gelangen kann. Und so muß, ich wiederhole es, Gott im Menschen selbst geboren werden, wenn der Mensch einen lebendigen Gott – nicht blos einen Götzen – haben soll; Er muß menschlich in ihm geboren werden, weil der Mensch [/] sonst keinen Sinn für ihn hätte. Der Vorwurf: Es würde auf diese Weise ein Gott nur erdichtet, wäre mehr als ungerecht. Und wie sollte denn der Nicht Erdichtete beschaffen, woran erkennbar seyn als der allein Wahre?“
Ich behaupte demnach: der Mensch findet Gott, weil er sich selbst nur in Gott finden kann; und er ist sich selbst unergründlich, weil ihm das Wesen Gottes nothwendig unergründlich ist. Nothwendig! weil sonst im Menschen ein übergöttliches Vermögen wohnen, Gott von dem Menschen müßte erfunden werden können. Dann wäre Gott nur ein Gedanke des Endlichen, ein eingebildetes, und mit nichten das Höchste, allein in sich bestehende Wesen, von allen anderen Wesen der freye Urheber, der Anfang und das Ende. So verhält es sich nicht, und darum verliert der Mensch sich selbst, so bald er widerstrebt sich in Gott, als seinen Urheber, auf eine seiner Vernunft unbegreifliche Weise zu finden; so bald er sich in sich allein begründen will. Alles löset sich ihm dann allmählich auf in sein eigenes Nichts. Eine solche Wahl aber hat der Mensch; diese Einzige: das Nichts oder einen Gott. Das Nichts erwählend macht er sich zu [/] Gott; das heißt: er macht zu Gott ein Gespenst; denn es ist unmöglich, wenn kein Gott ist, daß nicht der Mensch und alles was ihn umgiebt blos Gespenst sey.
Ich wiederhole: Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes.
Finde ich Gott nicht – so, daß ich ihn setzen muß: Ein Selbstseyn – außer mir, vor mir, über mir; so bin ich selbst, Kraft meiner Ichheit, ganz und gar was so genannt wird, und mein erstes und höchstes Gebot ist, daß ich nicht haben soll andere Götter ausser Mir, oder jener Ichheit. Ich weiß alsdenn und begreife vollkommen, wie dem Menschen jene thörichte, abgeschmackte, im Grunde Gottlose Abgötterey mit einem Wesen außer ihm entsteht; diesen Wahn ergründend, deducirend und construirend, vernichte ich ihn auf immer.
Indem ich ihn aber, mich über ihn verständigend, vernichte und jenen Götzendienst zu Schanden mache, muß ich auch alles was mit ihm zusammenhängt vertilgen; ich muß vertilgen aus meiner Seele die Reli[/]gion der Liebe, des Beyspiels; muß verspotten jede Anregung und Eingebung eines Höheren; verbannen aus meinem Herzen jede Andacht, jede Anbetung.
Ferne sey von mir ein solches Heil! Entschieden, unverholen, ohne Zagen und Zweifeln gebe ich dem nur äußerlichen Götzendienste vor jener mir zu reinen Religion, die sich mir als Selbstgötterey darstellt, den Vorzug. Will man nun meine [Schwachheit Irreligion]; will man die Wirkung dieser Schwachheit, oder meinen Aberglauben – Atheismus nennen; so zürne man nicht, wenn ich wider denjenigen, der mir ein solches hartes Du oder Ich des Atheismus vorhält, das Du behaupte. Mit Ihnen, mein Freund, bin ich nicht in diesem Falle, da Sie in Ihrer Appellation (S. 61 und 62) ausdrücklich erklären, der Aberglaube schließe nicht unbedingt Moralität, folglich auch nicht wahre Gottesverehrung aus. Und so habe ich ebenfalls von meiner Seite schon vorhin zugegeben, daß jene unsinnliche Abgötterey, die einen Begriff, ein Gedankending, eine Allgemeinheit an die Stelle des lebendigen Gottes setzt (ich möchte sie die Abgötterey mit dem Adjectivo nennen,) Moralität und die mit ihr unzertrennlich verknüpfte wahre innere Religion nicht [/] ausschließe. Der lebendige Gott wird dann geläugnet – nur mit den Lippen.
Ueberhaupt ist in Absicht des Aberglaubens und des Götzendienstes meine Meynung, daß es ganz einerley sey, ob ich mit Bildern aus Holz und Stein, ob ich mit Ceremonien, Wundergeschichten, Gebärden und Nahmen, oder ob ich mit philosophischen durch꓿und꓿durch꓿Begriffen, kahlen Buchstabenwesen, leeren Einbildungs꓿Formen Abgötterey treibe: ob ich auf diese oder jene Weise die Gestalt zur Sache mache, am Mittel abergläubig hängen bleibe, und mich um jeden wahrhaften Zweck betrüge. Oefter sagte ich zu gewißen Andächtigen: Ihr wollt nur nicht mit des Satans Hülfe Zauberey treiben, wohl aber mit der Hülfe Gottes; denn Eure Religion ist aus lauter Zaubermitteln, sichtbaren und unsichtbaren, zusammengesetzt, und im Grunde nur ein beständiges dem Teufel entgegen und mit ihm in die Wette hexen. Ich fand aber auch unter diesen, mich durch ihren ekelhaften Aberglauben, durch ihre Vernunftwidrige Meynungen empörenden, das empfindlichste Aergerniß mir gebenden Menschen mehrere, denen dieser Aberglaube, dieser Trotz der Unvernunft und ein damit verknüpfter Götzenfürchtiger [/] Eifer, doch ebenfalls nur auf den Lippen wohnte. Innerlich im Herzen und im Geiste meynten [sie] mit ihren verkehrten Redensarten und wunderlichen Einbildungen doch das Wahre. Aber unmöglich war es ihnen, aufrichtig unmöglich, und schien ihnen darum ungereimt, zugleich Gottlos, von jenen Worten und Bildern der Unvernunft, dieses Wahre zu trennen. Man hätte ihnen eben so gut zumuthen können überhaupt zu denken ohne Worte und Bilder, und von ihren Vorstellungen, Empfindungen und Gefühlen alles Individuelle und was Gestalt heißt abzusondern. Da nun letzteres auch der beste oder reinste Philosoph nicht vermag, wenn nicht alles wirklich zunichte gedacht, alles nicht zu unmöglichen durch und durch Begriffen eines reinen Leeren, und leeren Reinen erhoben werden, und in dieser Erhebung allein die wahre ewige Seeligkeit bestehen soll: so dächte ich, die Beschuldigung der Abgötterey und des Aberglaubens sollte uns nicht so leicht aus dem Munde gehen. Man dürfte von der anderen Seite uns vorwerfen, wir erhöben uns schamlos mit einer größeren Sünde über die geringere des Nächsten, da unser Dichten, Trachten und Vermögen nur wäre, Oede zu machen den Ort des [Wahren] – jenen, den [/] nach seiner Weise mit Altären jedes Volk der Welt bezeichnet hatte – und Salz auf die Stelle zu streuen. Unendlich weiser wäre es nach meinem Urtheil, wenn wir uns selbst tief überzeugten, dann auch Andre zu überzeugen uns bemühten: „Nicht der Götze mache den Götzen ꓿Diener; nicht der wahre Gott den wahren Anbeter. Denn machte der wahre Gott den wahren Anbeter, so wären wir es [alle, und] alle in demselben Maaße, da des wahren Gottes Gegenwart nur Eine Allgemeine ist.“ *8
Wohl dem Menschen, der beständig diese Gegenwart empfindet, dem jene alte Betheurung: Bey dem lebendigen Gott! in jedem Augenblick die höchste, Urbild der Wahrheit ist. Wer mit verderbender Hand die heilige und hohe Einfalt dieses Glaubens antastet, der ist ein Widersacher der Menschheit; denn keine Wißenschaft noch Kunst, noch irgend eine Gabe wie sie Nahmen haben möchte, vergölte was mit ihm genommen würde. Ein Wohlthäter der Menschheit ist dagegen, wer durchdrungen von der Hoheit, Heiligkeit und Wahr[/]heit jenes Glaubens, es nicht duldet daß man ihn verwüste. Seine Hand wird stark seyn indem er die gesunkenen Altäre des allein Lebendigen und Wahren höher wieder aufrichtet. Da er sie ausstreckte sank schon und verdorrete die Hand des Stürmers. So war es bisher; so wird es ferner seyn: Er veraltet nicht. *9
Sie verlangen nicht, daß ich Sie wegen der Länge meines Briefes um Verzeihung bitte. Ich bin wenigstens der Meynung, mich eher entschuldigen zu müßen, daß ich, aus Ermüdung, hier schon ein Ende mache, nachdem ich Ihnen meine Unwißenheitslehre, unvollständig und rhapsodisch, mehr nur erzählt, als philosophisch dargelegt habe. Doch versprach ich auch [/] nicht mehr, und fühle im Grunde nur meine Eigenliebe gekränkt, die mir sagt, es wäre diese Lehre einer mehr philosophischen Ausführung doch wohl fähig, und auch nicht unwerth. Einmal mit einem Wunder sind alle Philosophieen, ohne Ausnahme, behaftet. Jede hat einen besonderen Ort, ihre heilige Stelle, wo das ihre, als das allein Wahre, jedes andere überflüßig machende Wunder zum Vorschein kommt. Geschmack und Charakter bestimmen großen Theils die Richtung des Angesichts nach dem Einen oder dem Anderen dieser Orte. Trefflich haben Sie selbst dieses bemerkt, S. 25. Ihrer neuen Darstellung, wo Sie sagen: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist: Denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat.“ – Sie wundern sich wohl, daß ich diese Stelle anführen und sie trefflich nennen mag, da was vorher geht und folgt (S.23–26.) mir, wegen meiner Denkungsart, Ihre Verachtung – wenigstens Ihre Nichtachtung, und, nur zurückgehaltenen, Spott, mit stechendem Witze, ankündigt. Ich habe ihrer des[/]wegen nur desto lieber gedacht, um bey dieser Gelegenheit zu bemerken, daß ich unter dem Schreiben dieses Briefes eine wenigstens nicht verächtliche Stärke des Geistes bewiesen habe, da mir die unwidersprechlich mich mit treffenden harten und geschärfteren Befehle: Gar nicht mit zu sprechen über dergleichen Gegenstände! theils in Gedanken vorschwebten, theils beym Nachschlagen unter der Arbeit häufig genug vor Augen kamen, und mich aus der Faßung bringen wollten. Was mich jedesmal wieder aufrichtete habe ich vorhin schon angeführt; nehmlich, daß ich mich ein für allemal als ausgenommen betrachten darf. Wirklich bin ich davon aufrichtig überzeugt, und weiß überdies aus eigener Erfahrung, daß, wo wir auch nicht persönlich ausnehmen, sondern im Gegentheil, indem wir unseren Unwillen im allgemeinen ergießen, gerade diese Person vor Augen haben, und durch ihre Vorstellung in Feuer gesetzt werden, dennoch sie selbst mit unserem Unwillen nicht meynen, weil wir tief und lebhaft fühlen, es sey mit der Sache in Absicht ihrer – eine andere Sache. – Vergelten Sie mir Gleiches mit Gleichem, mein lieber Fichte, und entschuldigen Sie mich, wie ich Sie entschuldigte, wenn Sie etwa finden sollten, daß [/] ich mich an der einen oder andern Stelle dieses Briefes zu lebhaft ausgedrückt hätte. Ich habe mit Fleiß hart gezeichnet, und die grellsten Farben aufgetragen, damit gewiß abstäche, was abstechen sollte, und es so rein wie möglich heraus käme, was unter uns nur Mißverstand, und was wirklich entgegengesetzte Denkungsart ist.
Es gehe Ihnen wohl! das wünsche ich von Herzen, wie ich gewiß von Herzen Ihr Freund und wahrer Verehrer bin.
Den 21sten Merz 1799.
F. H. Jacobi.
Beylage I.
„Das Prinzip aller Erkenntniß ist lebendiges Daseyn; und alles lebendige Daseyn geht aus sich selbst hervor, ist progreßiv und productiv. Das Regen eines Wurmes, seine dumpfe Lust und Unlust, könnten nicht entstehen, ohne eine nach den Gesetzen seines Lebensprinzips verknüpfende, die Vorstellung seines Zustandes erzeugende Einbildungskraft. Je mannichfaltiger nun das empfundene Daseyn ist, welches ein Wesen auf diese Weise erzeugt; desto lebendiger ist ein solches Wesen.
Vollkomnere Wahrnehmung, mannichfaltigere Verknüpfung, erwecken, mit dem Bedürfniße, das Vermögen der Abstraction und Sprache. So entsteht eine Vernunftwelt, worin Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten. Wir eignen uns das Universum zu, indem wir es zerreißen, und eine unseren Fähigkeiten angemeßene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder꓿ Ideen꓿ und Wort꓿ Welt erschaffen. Was wir auf diese Weise erschaffen, verstehen wir, in so weit es unsere Schöpfung ist, vollkommen; was sich auf diese Weise nicht erschaffen läßt, verstehen wir nicht; unser philosophischer Verstand reicht über sein eigenes [/] Hervorbringen nicht hinaus. Alles Verstehen geschiehet aber dadurch, daß wir Unterschiede setzen und wieder [aufheben]; und auch die aufs höchste ausgebildete menschliche Vernunft ist, explicite, keiner andern Operation, als dieser, worauf alle übrige sich zurückführen laßen, fähig. Wahrnehmen, Wiedererkennen und Begreifen, in steigenden Verhältnißen, macht die ganze Fülle unseres intellectuellen Vermögens aus...
Wir begreifen aber einen Gegenstand, wenn wir uns seine Bedingungen der Reihe nach vorstellen, d. i. ihn aus seinen nächsten Ursachen im vollständigen Zusammenhange herleiten können. Was wir auf diese Weise eingesehen oder hergeleitet haben, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar. So begreifen wir z. B. einen Cirkel, wenn wir uns den Mechanismus seiner Entstehung, oder seine Physik, deutlich vorzustellen wißen; die syllogistischen Formeln, wenn wir die Gesetze, welchen der menschliche Verstand in Urtheilen und Schließen unterworfen ist, seine Physik, seinen Mechanismus, wirklich erkannt haben; oder den Satz des zureichenden Grundes, wenn uns das Werden, die Construction eines Begriffes überhaupt, seine Physik, sein Mechanismus einleuchtet.*10 Die Construction eines [/] Begriffes überhaupt ist das a priori aller Constructionen; und die Einsicht in seine Construction giebt uns zugleich auf das gewißeste zu erkennen, daß wir unmöglich begreifen können, was wir zu construiren nicht im Stande sind. Darum haben wir von Qualitäten, als solchen, keine Begriffe; sondern nur Anschauungen. Selbst von unserem eigenen [/] Daseyn haben wir nur ein Gefühl; aber keinen Begriff. Eigentliche Begriffe haben wir nur von Größe, Lage, Bewegung, und den Formen des Denkens. Wenn wir sagen, daß wir eine Qualität erforscht haben, so sagen wir damit nichts anders, als wir haben sie auf Größe, Lage und Bewegung zurückgeführt und darin aufgelöst; also: wir haben die Qualität objectiv vernichtet. Hieraus läßt sich nun, ohne weiteres, leicht abnehmen, was für einen Ausgang die Bemühungen der Vernunft, einen deutlichen Begriff von der Möglichkeit des Daseyns unserer Welt zu erzeugen, in jedem Falle gewinnen müßen.[“]
Beylage II.
„Hat der Mensch Vernunft, oder hat Vernunft den Menschen?“ Diese seltsam klingende Frage, die ich vor zehn Jahren in der siebenten Beylage zu den Briefen über die Lehre des Spinoza aufwarf, ist nachher von Anderen verschiedentlich gewendet, oder vielmehr, diese Wendung ist von ihnen auf verschiedene Weise gebraucht worden. Auch Kant hat sich derselben in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre, S. 47, bedient, wo er sagt: „Die Tugend in ihrer ganzen Vollkommenheit wird also vorgestellt, nicht wie der Mensch die Tugend, sondern als ob die Tugend den Menschen besitze.“
Der in jener Frage angezeigte Unterschied, zwischen einer substantiven Vernunft oder dem Geiste selbst des Menschen; und einer adjectiven, die für sich [kein] Wesen, sondern nur Eigenschaft und Beschaffenheit eines Wesens ist,*11 [/] muß nach meinem Urtheil, der Lehre von der Freyheit zum Grunde gelegt werden, oder diese Lehre stellt nur ein eitel sophistisches Gewebe aus täuschenden Worten und Einbildungen dar, welches eine schärfere Untersuchung nicht aushält.
Wirklich findet sich diese Unterscheidung auch in der Kantischen Philosophie; aber sie [kommt] nur augenblicklich darin vor; erscheinet nur, um sogleich wieder zu verschwinden; und dieses aus der sehr guten Ursache: weil der Geist keine wißenschaftliche Behandlung verträgt, weil er nicht Buchstabe werden kann. Er, der Geist, muß also draußen bleiben [/] vor den Thoren seiner Wißenschaft; wo sie ist, darf Er Selbst nicht seyn. Darum buchstabieret, wer den Geist zu buchstabieren wähnt, zuverläßig immer etwas anderes, wißentlich oder unwißentlich. Mit anderen Worten: Wir vertilgen nothwendig den Geist, indem wir ihn in Buchstaben zu verwandeln streben, und der sich für den Geist ausgebende Buchstabe lügt. Er lügt, denn es ist nie der Buchstabe des Geistes was sich diesen Nahmen beylegt; es ist, von dieser Seite angesehen, lauter Betrug damit, denn der Wahrhafte Geist hat keinen Buchstaben. Wohl aber hat auch der Buchstabe einen Geist, und dieser Geist heißet Wißenschaft.
Diese Betrachtung weiter auszuführen darf ich mir an diesem Orte nicht erlauben. Ich eile zur Bestimmung meines Begriffs von der Freyheit.
Ich verstehe unter dem Worte Freyheit dasjenige Vermögen des Menschen, Kraft deßen er selbst ist und alleinthätig in sich und außer sich handelt, wirkt und hervorbringt. In sofern er sich als ein freyes Wesen ansieht, fühlt und betrachtet, schreibt er seine persönlichen Eigenschaften, seine Wißenschaft und Kunst, seinen intellectuellen und moralischen Character sich selbst allein zu; er sieht in sofern sich selbst als den Urheber, als den Schöpfer davon an; und nur in so weit er sich, den Geist, die Intelligenz, und nicht die Natur – aus der er nach einem Theile seines Wesens auf eine nothwendige Weise entsprungen ist, zu der er mit diesem Theile gehört und in ihren allgemeinen Mechanismus verflochten, in sie eingewebt ist – als den Urheber und Schöpfer davon ansieht, nennet er sich frey. Er nennet sich also frey nur in sofern er [/] mit einem Theile seines Wesens nicht zur Natur gehört, nicht aus ihr entsprungen ist und von ihr empfangen hat; nur in sofern er, sich von ihr unterscheidend, sich über sie erhebt, sie gebraucht und meistert, sich von ihr losreißt und mit seinem freyen Vermögen ihren Mechanismus bezwingt, und sich denselben dienstbar macht. Der Geist allein, nicht die Natur, erfindet und bringt mit Absicht hervor; Er allein dichtet und trachtet. Das Hervorbringen der Natur allein, ist ein blindes, vernunftloses, nothwendiges, blos mechanisches*12 Hervorbringen, ohne Vorsehung, Entwurf, freye Wahl und Absicht. Darum finden sich auch in unserem Bewustseyn Vernunft und Freyheit unzertrennlich mit einander verknüpft, nur nicht dergestalt, daß von der Vernunft (dem Adjectivo) das freye Vermögen; sondern so, daß von dem freyen Vermögen (dem Substantivo) die Vernunft abgeleitet werden muß.
Die Vereinigung von Naturnothwendigkeit und Freyheit in Einem und Demselben Wesen ist ein schlechterdings unbegreifliches Factum, ein der Schöpfung gleiches Wunder und Geheimniß. Wer die Schöpfung begriffe, würde dieses Factum begreifen; wer dieses Factum, die Schöpfung und Gott selbst.
So wie nun von der Einen Seite die Vernunft, die im Begreiflichen allein ihr Wesen hat, die Realität dieses Geheimnißes, die Wahrheit dieses Wunders zu [/] läugnen strebt, und, als die Repräsentantin einer Nothwendigkeit, die mit Gewalt alles schon bestimmt hat, und nichts geschehen läßt, was nicht schon geschehen ist, und im Grunde nie geschah – emsig bemüht ist jenes Wunder und Geheimniß, als eine Täuschung zeitlicher Unwißenheit aus dem Wege zu räumen, rückwärts Schritt vor Schritt Zeit und Begebenheit vertilgend: so behauptet die Realität und Wahrheit deßelben Geheimnißes und Wunders von der andern Seite der inwendige gewiße Geist, und nöthiget uns seinem Zeugniße zu glauben mit einer Gewalt des Ansehns, dem kein Vernunftschluß gewachsen ist. Er bezeuget was er behauptet mit der That, da keine, auch nicht die geringste Handlung ohne den Einfluß des freyen Vermögens, ohne Zuthun des Geistes geschehen kann.
Was der Geist hinzuthut, ist das Nicht꓿ Mechanische, das Nicht nach einem allgemeinen Naturgesetz, sondern aus einer eigenthümlichen Kraft entspringende in den Handlungen, Werken und Characteren der Menschen. Wenn man diesen Einfluß, dieses Eingreiffen des Geistes in die Natur läugnet, so läugnet man überall den Geist, und setzet, statt seiner, nur Naturwesen mit Bewustseyn, Dieses Bewustseyn bringt dann nichts als Vorstellungen, und Vorstellungen von Vorstellungen; Begriffe, und Begriffe von Begriffen hervor, die allmählig entstehen, so wie die Substanz in Handlung gesetzt wird und handelt. Der Blinde gehet voran, weiset den Weg, und der Sehende folgt. Dann hat das Wüste Ordnung und Gestalt erfunden; das Sinnlose Sinne und Besinnung, Wahrnehmung und Ver[/]stand; das Unvernünftige Vernunft; Lebloses das Lebendige; überall – das Werk den Meister.
Wer nun dieses annehmen kann, und, auf die Schlüße seiner zeitlichen Vernunft gestützt, sich nicht scheuet zu behaupten: Homer, Sophokles, Pindar; die Barden Oßian und KlopstockAristoteles, Leibnitz, Plato, Kant und Fichte – Alle Dichter und Philosophen wie sie Nahmen haben mögen; alle Gesetzgeber, Künstler und Helden – hätten ihre Werke und Thaten im Grunde nur blindlings und gezwungen, der Reihe nach in dem nothwendigen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, das ist, dem Naturmechanismus zu Folge hervorgebracht; und die Intelligenz, als nur begleitendes Bewustseyn, hätte dabey überall blos und allein das Zusehen gehabt – Wer, sage ich, dieses annehmen und zu seiner Wahrheit machen kann, mit dem ist weiter nicht zu streiten.
Zu dem Geständniß kann man ihn auf der logischen Folter zwingen, daß er, die Freyheit läugnend, das eben vorgetragene uneingeschränkt behaupte, und mit dem Worte Freyheit, wenn und wo er es gebrauche, allemal nur (welchen Gnostischen Abscheu er auch übrigens vor allem Körperlichen oder Sinnlichen beweisen, vorgeben, und, wo möglich, empfinden möge) das Materialistische Princip des Mechanismus, eine ursprünglich blos unbestimmte Thätigkeit an sich, Actuosität oder Agilität, im Sinne habe.
Hat er dies Geständniß abgelegt, so müßen wir ihn losgeben; die Philosophische Gerechtigkeit kann ihm nichts mehr [/] anhaben: denn was er läugnet, läßt sich streng philosophisch nicht beweisen; was er beweiset, streng philosophisch nicht widerlegen.
Wir dagegen sagen aus: Es ist unmöglich, daß alles Natur und keine Freyheit sey, weil es unmöglich ist, daß, was allein den Menschen adelt und erhebt – das Wahre, das Gute und Schöne, nur Täuschung, Betrug und Lüge sey. Das ist es, wenn Freyheit nicht ist. Unmöglich ist wahre Achtung, unmöglich wahre Bewundrung, wahre Dankbarkeit und Liebe, wenn es unmöglich ist, daß in Einem Wesen Freyheit und Natur zusammen wohnen, und jene walte wo diese webt. Eine Maschiene, ein Automat (geistiges oder körperliches ist einerley) vermag Kein Mensch zu achten, zu lieben, ihm zu danken, oder auch nur es zu bewunderen. Eine Maschine, ein Automat bewundernd, bewundern wir immer nur die in ihnen verborgene Kunst, den Geist, der mit Einsicht und Absicht sie hervorbrachte. Auf diesen allein beziehen sich jene Empfindungen; sie beziehen sich ausschließlich, allein und ganz auf ein Nicht mechanisch wirkendes Vermögen; auf ein Vermögen, das auf keine [begreiflich] mögliche, sondern auf eine [begreiflich] (oder natürlich) unmögliche Weise wirkt, bestimmt und hervorbringt.
Foderst du mich spottend auf, in irgend einem einzelnen Werke, einer Handlung, einem menschlichen Character den Antheil der Natur von dem Antheil der Freyheit abzusondern, und wie das eine von dem andern unterschieden werden müße anzugeben; so fodere ich dagegen, ohne Spott, dich von meiner Seite auf, in irgend einem Falle, wo du Bewundrung, [/] Achtung, Dankbarkeit oder Liebe empfindest, diese Unterscheidung nicht zu machen; dir neben der Wirksamkeit der Natur ein freyes Vermögen nicht vorzustellen, und nicht auf dieses allein jene in dir erregten Empfindungen zu beziehen. Ich weiß, es ist dir unmöglich; du verlierst diese Empfindungen, so wie du das freye Vermögen weg denkst, seine Voraussetzung wirklich dir entbehrlich machst.
Das gebe ich dir ohne Widerrede zu: daß das Gebiet der Freyheit das Gebiet der Unwißenheit sey. Ich setze nur noch hinzu: Einer dem Menschen unüberwindlichen; und unterscheide sie dadurch von jener, deren Reich und Herrschaft immer mehr einzuschränken die Vernunft den Beruf hat; auf deßen gänzliche Eroberung sie, um es Fuß vor Fuß der Wißenschaft zu unterwerfen, nothwendig ausgeht – aber weinen würde wie Alexander, wenn sie bey ihrem Ziele anzukommen jemals Gefahr sähe.
Gründete sich der Glaube an Freyheit auf jene Unwißenheit, welche die Vernunft, Wißenschaft erzeugend, zu vertilgen bestimmt ist; so wäre die Vernunft dem Menschen nur so lange als sie in der Kindheit bliebe, und mit Wahn und Täuschung sich vertrüge, gut; heranwachsend, zur Vollkommenheit gedeyend, entwickelte sich aus ihr lauter Tod. Dieser Tod hieße Wißenschaft und Wahrheit; Wißenschaft und Wahrheit hieße der Sieg über alles was des Menschen Herz beseligend erhebt, sein Angesicht verklärt, sein Auge in die Höhe richtet: der Sieg über alles Große, Erhabene und Schöne. [/]
Soll es sich nicht so verhalten; soll nicht – Wahn das Göttliche im Menschen; Wahrheit und geläuterte Vernunft das Ungöttliche seyn: so muß die mit dem Glauben an Freyheit verknüpfte Unwißenheit, eine Unwißenheit ganz anderer Art: sie muß jener der Wißenschaft unzugängliche Ort des Wahren seyn. – „Ziehe die Schuhe aus, denn hier ist heiliges Land!“
Beylage III.
Ich finde für gut die im Text angeführte Stelle hier in dem Zusammenhange, den sie in der Handschrift hat, aus der ich sie genommen, mitzutheilen.
„Wie der Mensch ist so liebt er, und wie er liebt so ist er. Die Elemente der Liebe sind – reines Wohlgefallen, Achtung, Bewundrung: sie ist das eigenthümliche Vermögen, womit das Gute und Schöne vom Menschen wahrgenommen wird, wodurch es sich ihm mittheilt, zu ihm eingeht, und ihn selbst gut und schön macht. Da also überall wo eigentliche Liebe entsteht nothwendig Gutes und Schönes angeschaut wird, und Wahrheit in die Seele kommt; da in dieser Anschauung – in ihr allein – die Liebe wohnt: so kann sie durch das, was der Gegenstand, der sie vielleicht nur zufällig erweckte, unabhängig von ihrer Vorstellung für sich selbst seyn mag, so wenig an ihrer Tugend etwas gewinnen als verlieren. Die wahre schöne Liebe ist ganz in dem Menschen, von welchem sie Besitz genommen; der Irrthum in Absicht des Gegenstandes ist ganz außer ihm, und läßt seine Seele unbefleckt. Nicht der Götze macht den Götzen꓿Diener; nicht der wahre Gott den wahren Anbeter: denn des wahren Gottes Gegenwart ist nur Eine Allgemeine. [/]
Der so oft hohe Gedanken und tiefe Gefühle unter Scherz und Laune versteckende gute und bescheidene Botenmann zu Wandsbeck, läßt einmal seinen Asmus erzählen, wie er auf der Akademie, wo er nicht studiert aber doch gewesen, von einem Magister gehört hätte: die Philosophie allein könne lehren ob und was Gott sey, und ohne Philosophie könne man keinen Gedanken von Gott haben. „Dies nun“ fährt der Bote fort, „sagte der Magister aber nur so. Mir kann kein Mensch mit Grund der Wahrheit nachsagen, daß ich ein Philosoph sey; aber ich gehe niemals durch den Wald, daß mir nicht einfiele, wer doch die Bäume wohl wachsen mache, und dann ahndet mich so von ferne und leise etwas von einem Unsichtbaren, und ich wollte wetten daß ich dann an Gott denke, so ehrerbietig und freudig schauert mich dabey.“
Ein andermal berichtet er von einem Europäer, „der war in Amerika und wollte den berühmten Waßerfall eines gewißen Stroms sehen. Zu dem Ende handelte er mit einem Wilden, daß er ihn hinführte. Als die beyden ihren Weg vollendet hatten, und an den Waßerfall hinkamen – machte der Europäer große Augen und untersuchte; und der Wilde legte sich, so lang er war, auf sein Angesicht nieder, und blieb so eine Zeitlang liegen. Ihn fragte sein Reisegefährte: Wozu und für wen er dies thue? Und der Wilde gab zur Antwort: Für den großen Geist.“
Meine Meynung hiebey ist: der Bote im Walde habe wirklich an Gott gedacht; und der Wilde, der vor dem Waßerfall auf sein Angesicht niederfiel, den wahren Gott vor Augen [/] und im Herzen gehabt. So gar vor einem plumpen Heiligenbilde, behaupte ich, könne ein Andächtiger, wenn nur das Herz in seiner Brust sich recht erhebe, von den erhabensten Empfindungen und Gedanken, von wesentlicher Wahrheit ganz durchdrungen werden, und, selbst geheiligt, davon gehen. Es ist allerdings ein eckelhafter Anblick, das Knien vor einem solchen Bilde, wenn man nicht weiß was in dem Knienden vorgeht, oder davon abstrahiert, und nur auf das Bild achtet. Ich stelle aber einen Philosophen daneben mit seinem bloßen reinen Begriff von Gott. Dieser wettet nicht auf seinen Begriff, denn er weiß, dieser Begriff ist überschwenglich, und auf einen solchen Begriff, daß ihm ein Gegenstand entspreche, läßt sich philosophischer Weise nicht wetten. Also fällt er auch nicht vor diesem zweydeutigen Gegenstande, den er nur seyn läßt aus Ursachen, ohne ihm das Daseyn wirklich und in vollem Ernste einzuräumen – er fällt nicht vor diesem seinen eigenen ungewissen Gedanken nieder auf sein Angesicht – Es wäre zu lächerlich! So beugt er auch nicht gefühlvoll vor ihm die Knie: die Empfindung und die Stellung [verlezten] seine Würde! Er bleibt bey kaltem Blute, wohlwißend womit er es zu thun hat. Hoch aufgerichtet stellt er seinem Gotte sich gegenüber, um vor seinem Angesichte, mit vollkommener Gegenwart des Geistes – Nur sich selbst zu achten.
Und dieser Anblick: wie wollen wir es nennen was er uns empfinden läßt? – Ist hier nicht beydes widerstehender, der Götze und der Mensch? Und beydes ist hier ganz inwendig. [/]
„Vetter!“ – schreibt der Bote seinem Andres – und ich unterschreibe – „Wenn dir ein Mensch vorkommt, der sich so viel dünkt, und so groß und breit da steht: wende dich um und habe Mitleiden mit ihm. Wir sind nicht groß, und unser Glück ist, daß wir an etwas größeres und beßeres glauben können...die nicht so denken, und sich mehr glauben als sie sind, die lügen in ihren eigenen Beutel, und davon wird er nicht voll.“
Und noch einmal sagt er: „Mich dünkt, wer etwas rechtes weiß, der muß...Säh’ ich nur einmal einen, ich wollt ihn wohl kennen. Mahlen wollt’ ich ihn auch wohl: mit dem hellen, heiteren, ruhigen Auge; mit dem stillen, großen Bewustseyn...breit muß sich ein solcher nicht machen können; am allerwenigsten aber andre verachten und fegen. O! Eigendünkel und Stolz ist eine feindselige Leidenschaft; Gras und Blumen können in der Nachbarschaft nicht gedeyen.“
Anhang.
1.
Ueber
die Freyheit des Menschen.
Erste Abtheilung.
Der Mensch hat keine Freyheit.

I. Die Möglichkeit des Daseyns aller uns bekannten einzelnen Dinge, stüzt und bezieht sich auf das Mitdaseyn anderer einzelner Dinge, und wir sind nicht im Stande, uns von einem für sich allein bestehenden endlichen Wesen eine Vorstellung zu machen.
II. Die Resultate der mannichfaltigen Beziehungen der Existenz auf Coexistenz drücken sich in lebendigen Naturen durch Empfindungen aus.
III. Das innere mechanische Verhalten einer lebendigen Natur nach Maaßgabe ihrer Empfindungen heißen wir Begierde und Abscheu; – oder: das empfundene Verhältniß der innerlichen Bedingungen des Daseyns und Bestehens einer lebendigen Natur zu den äußerlichen Bedingungen eben dieses Daseyns, oder auch nur das empfundene Verhältniß der innerlichen Bedingungen untereinander ist mechanisch verknüpft mit einer Bewegung, die wir Begierde oder Abscheu nennen. [/]
IV. Was allen verschiedenen Begierden einer lebendigen Natur zum Grunde liegt, nennen wir ihren ursprünglichen Trieb, und er macht das Wesen selbst dieses Dinges aus. Sein Geschäft ist, das Vermögen da zu seyn der besondern Natur, deren Trieb er ist, zu erhalten und zu vergrößern.
V. Diesen ursprünglichen natürlichen Trieb könnte man die Begierde a priori, die absolute Begierde des einzelnen Wesens nennen. Die Menge der einzelnen Begierden sind von dieser unveränderlichen allgemeinen nur so viele gelegentliche Anwendungen und Modificationen.
VI. Schlechterdings a priori, oder unbedingt allgemein könnte man eine Begierde nennen, wenn sie jedem einzelnen Wesen ohne Unterschied der Gattung, der Art und des Geschlechts zukäme, in sofern alle auf gleiche Weise bemüht sind, sich überhaupt im Daseyn zu erhalten.
VII. Ein durchaus unbestimmtes Vermögen ist ein Unding. Jede Bestimmung aber setzt etwas schon bestimmtes zum voraus, und ist die Folge und Erfüllung eines Gesetzes. Die Begierde a priori, sowohl der ersten als der zweyten Gattung, setzt also auch Gesetze a priori zum voraus.
VIII. Der ursprüngliche Trieb des vernünftigen Wesens besteht, wie der Trieb eines jeden andern Wesens in dem unabläßigen Bestreben, das Vermögen da zu seyn der besonderen Natur, die er ausdrückt, zu erhalten und zu vergrößern.
IX. Das Daseyn vernünftiger Naturen wird, zum Unterschiede von allen andern Naturen, ein persönliches Daseyn genannt. Dieses besteht in dem Bewußtseyn, wel[/]ches das besondere Wesen von seiner Identität hat, und ist die Folge eines höheren Grades des Bewußtseyns überhaupt.
X. Der natürliche Trieb des vernünftigen Wesens, oder die vernünftige Begierde, geht also nothwendig auf die Erhöhung des Grades der Personalität; das ist, des lebendigen Daseyns selbst.
XI. Die vernünftige Begierde überhaupt, oder den Trieb des vernünftigen Wesens, als eines solchen, nennen wir den Willen.
XII. Das Daseyn eines jeden endlichen Wesens ist ein succeßives Daseyn; seine Personalität beruht auf Gedächtniß und Reflexion; seine eingeschränkte aber deutliche Erkenntniß auf Begriffen, folglich auf Abstraction, und Wort꓿ Schrift꓿ oder andern Zeichen.
XIII. Das Gesetz des Willens ist, nach Begriffen der Uebereinstimmung und des Zusammenhanges, das ist nach Grundsätzen, zu handeln: er ist das Vermögen practischer Prinzipien.
XIV. So oft das vernünftige Wesen nicht in Uebereinstimmung mit seinen Grundsätzen handelt, so handelt es nicht nach seinem Willen, nicht gemäß einer vernünftigen, sondern einer unvernünftigen Begierde.
XV. Durch die Befriedigung einer jeden unvernünftigen Begierde, wird die Identität des vernünftigen Daseyns unterbrochen; folglich die Personalität, welche allein im vernünftigen Daseyn gegründet ist, verletzt: mithin die Quantität des lebendigen Daseyns um so viel vermindert. [/]
XVI. Derjenige Grad des lebendigen Daseyns, welcher die Person hervorbringt, ist nur eine Art und Weise des lebendigen Daseyns überhaupt, und nicht ein eigenes besonderes Daseyn oder Wesen. Deswegen rechnet sich die Person nicht allein diejenigen Handlungen, welche nach Grundsätzen in ihr erfolgen, sondern auch diejenigen zu, welche die Wirkungen unvernünftiger Begierden und blinder Neigungen sind.
XVII. Wenn der Mensch, durch eine unvernünftige Begierde verblendet, seine Grundsätze übertreten hat, so pflegt er nachher, wenn er die Übeln Folgen seiner Handlung empfindet, zu sagen: Mir geschieht recht. Da er sich der Identität seines Wesens bewußt ist, so muß er sich selbst als den Urheber des unangenehmen Zustandes anschauen, in dem er sich befindet, und in seinem Innern die peinlichste Zwietracht erfahren.
XVIII. Auf diese Erfahrung gründet sich das ganze System der practischen Vernunft, in sofern es nur über Einem Grundtriebe erbaut ist.
XIX. Hätte der Mensch nur Eine Begierde, so würde er gar keinen Begriff von Recht und Unrecht haben. Er hat aber mehrere Begierden, die er nicht alle in gleichem Maaße befriedigen kann; sondern die Möglichkeit der Befriedigung der Einen, hebt die Möglichkeit der Befriedigung der Andern in tausend Fällen auf. Sind nun alle diese verschiedenen Begierden nur Modificationen einer einzigen ursprünglichen Begierde, so giebt diese das Prinzip an die Hand, nach welchem die verschiedenen Begierden sich gegen einander abwiegen laßen, und wodurch das Verhältniß bestimmbar wird, nach [/] welchem sie, ohne daß die Person mit sich selbst in Widerspruch und Feindschaft gerathe, befriedigt werden können.
XX. Ein solches innerliches Recht bildet sich unvollkommen in jedem Menschen auf eine mechanische Weise, vermöge der Identität seines Bewußtseyns. Das äußerliche Recht, welches Menschen, wenn sie in eine bürgerliche Vereinigung treten, untereinander frey verabreden, und ungezwungen festsetzen, ist immer nur die Abbildung des unter den einzelnen Gliedern zu Stande gekommenen innerlichen Rechts. Ich verweise auf die Geschichte aller Völker, von welchen wir etwas ausführliche Nachrichten haben.
XXI. Die größere Vollkommenheit, zu welcher, nach Umständen, das innerliche Recht gelangt, erfolgt nur als eine Fortsetzung und Ausarbeitung eben des Mechanismus, welcher das minder vollkommene hervorbrachte. Alle Grundsätze ruhen auf Begierde und Erfahrung, und setzen, in sofern sie wirklich befolgt werden, eine anderswoher schon bestimmte Thätigkeit zum voraus; sie können nie der Anfang oder die erste Ursache einer Handlung seyn. Die Fähigkeit und Fertigkeit wirksame Grundsätze auszubilden oder practisch anzunehmen, ist wie die Fähigkeit Vorstellungen zu empfangen; wie das Vermögen diese Vorstellungen in Begriffe zu verwandeln; wie die Lebhaftigkeit und Energie des Gedankens; wie der Grad des vernünftigen Daseyns.
XXII. Das Prinzip (oder das a priori) der Grundsätze überhaupt, ist die ursprüngliche Begierde des vernünftigen Wesens, sein eigenes besonderes Daseyn, das ist, seine [/] Person zu erhalten, und was ihre Identität verletzen will, sich zu unterwerfen.
XXIII. Aus eben diesem Triebe fließt eine natürliche Liebe und Verbindlichkeit zur Gerechtigkeit gegen andre. Das vernünftige Wesen kann sich als vernünftiges Wesen (in der Abstraction) von einem andern vernünftigen Wesen nicht unterscheiden. Ich und Mensch ist Eins; Er und Mensch ist Eins: also sind er und ich Eins. Die Liebe der Person schränkt also die Liebe des Individui ein, und nöthigt seiner nicht zu achten. Damit aber letzteres in der Theorie nicht bis zur möglichen Vertilgung des Individui ausgedehnt, und ein bloßes Nichts in Person übrig gelaßen werde, sind genauere Bestimmungen erforderlich, welche im vorhergegangenen schon angedeutet sind, und deren weitere Erörterung hier zu unserem Zwecke nicht gehört. Uns genügt auf diesem Wege zur deutlichen Einsicht gelangt zu seyn, wie jene moralischen Gesetze, welche apodictische Gesetze der practischen Vernunft genannt werden, zu Stande kommen, und nun entscheiden zu können, daß der einfache, mit Vernunft verknüpfte Grundtrieb, bis zu seiner höchsten Entwickelung hinauf, lauter Mechanismus und keine Freyheit zeige, obgleich ein Schein von Freyheit durch das oft entgegengesetzte Intereße des Individui und der Person, und das abwechselnde Glück einer Herrschaft, worauf die Person allein mit deutlichem Bewußtseyn verknüpfte Ansprüche hat, zuwege gebracht wird. [/]
Zweyte Abtheilung.
Der Mensch hat Freyheit.

XXIV. Daß sich das Daseyn aller endlichen Dinge auf Mitdaseyn stütze, und wir nicht im Stande sind, uns von einem schlechterdings für sich bestehenden Wesen eine Vorstellung zu machen, ist unläugbar; aber eben so unläugbar, daß wir noch weniger im Stande sind, uns eine Vorstellung von einem durchaus abhängigen Wesen zu machen. Ein solches Wesen müßte ganz paßiv seyn, und könnte doch nicht paßiv seyn; denn was nicht schon etwas ist, kann nicht zu etwas blos bestimmt werden; was an sich keine Eigenschaft hat, in dem können durch Verhältnisse keine erzeugt werden, ja es ist nicht einmal ein Verhältniß in Absicht seiner möglich.
XXV. Wenn nun ein durchaus vermitteltes Daseyn oder Wesen nicht gedenkbar, sondern ein Unding ist, so muß eine blos vermittelte, das ist ganz mechanische Handlung ebenfalls ein Unding seyn: folglich ist Mechanismus an sich nur etwas zufälliges, und es muß eine reine Selbstthätigkeit ihm nothwendig überall zum Grunde liegen.
XXVI. Indem wir erkennen, daß jedes endliche Wesen sich in seinem Daseyn, folglich auch in seinem Thun und Leiden auf andre endliche Wesen nothwendig stützt und bezieht, erkennen wir zugleich die Unterwerfung aller und jeder einzelner Wesen unter mechanische Gesetze: denn in sofern ihr Seyn und Wirken vermittelt ist, in sofern muß es schlech[/]terdings auf Gesetzen des Mechanismus beruhen: jedes Handlung ist zum Theil die Handlung eines anderen.
XXVII. Die Erkenntniß deßen, was das Daseyn der Dinge vermittelt, heißt eine deutliche Erkenntniß; und was keine Vermittelung zuläßt, kann von uns nicht deutlich erkannt werden.
XXVIII. Absolute Selbstthätigkeit schließt Vermittelung aus, und es ist unmöglich, daß wir das Innere derselben auf irgend eine Art deutlich erkennen.
XXIX. Es kann also die Möglichkeit absoluter Selbstthätigkeit nicht erkannt werden; wohl aber ihre Wirklichkeit, welche sich unmittelbar im Bewußtseyn darstellt, und durch die That beweist.
XXX. Sie wird Freyheit genannt, in sofern sie sich dem Mechanismus, welcher das sinnliche Daseyn des einzelnen Wesens ausmacht, entgegen setzen und ihn überwiegen kann.
XXXI. Wir kennen unter den lebendigen Wesen nur den Menschen, als mit demjenigen Grade des Bewußtseyns seiner Selbstthätigkeit begabt, welcher den Beruf und Antrieb zu freyen Handlungen mit sich führt.
XXXII. Es bestehet also die Freyheit nicht in einem ungereimten Vermögen, sich ohne Gründe zu entscheiden; eben so wenig in der Wahl des Beßern unter dem Nützlichen, oder der vernünftigen Begierde: denn eine solche Wahl, wenn sie auch nach den abgezogensten Begriffen geschieht, erfolgt doch immer nur mechanisch; – sondern es besteht diese Freyheit, dem Wesen nach, in der Unabhängigkeit des Willens von der Begierde. [/]
XXXIII. Wille ist reine Selbstthätigkeit, erhoben zu dem Grade des Bewußtseyns, welchen wir Vernunft nennen.
XXXIV. Die Unabhängigkeit und innerliche Allmacht des Willens, oder die mögliche Herrschaft des intellectuellen Wesens über das sinnliche Wesen wird de facto von allen Menschen zugegeben.
XXXV. Von den Weisen des Alterthums, am mehrsten von den Stoikern ist es bekannt, daß sie zwischen Dingen der Begierde, und Dingen der Ehre keine Vergleichung zuließen. Die Gegenstände der Begierde, sagten sie, könnten nach der Empfindung des Angenehmen, und den Begriffen des Zuträglichen untereinander verglichen, und eine Begierde der anderen aufgeopfert werden; das Prinzip der Begierde aber liege außer allem Verhältniße mit dem Prinzip der Ehre, welches nur Einen Gegenstand habe: die Vollkommenheit der menschlichen Natur an sich, Selbstthätigkeit, Freyheit. Daher waren alle Vergehungen bey ihnen gleich, und immer nur die Frage, aus welchem von den beyden unvergleichbaren Prinzipien, die unmöglich je miteinander in eine wirkliche Collision kommen konnten, die Handlung geschehen war. Denjenigen wollten sie mit Recht allein einen freyen Mann genannt wißen, der nur das Leben seiner Seele lebte, sich nach den Gesetzen seiner eigenen Natur bestimmte, also nur sich gehorchte und immer selbst handelte. Lauter Knechte sahen sie im Gegentheil in denen, welche, durch Dinge der Begierde bestimmt, den Gesetzen dieser Dinge nachlebten, und sich ihnen unterwarfen, damit sie von denselben auf eine ihren Begierden gemäße Weise [/] unaufhörlich verändert und in Handlung gesetzt werden möchten.
XXXVI. Wie weit nun auch unser aufgeklärtes Zeitalter über – die Schwärmereyen – oder den Mysticismus eines Epictets und Antonins erhaben seyn mag, so sind wir doch in der Deutlichkeit und Gründlichkeit noch nicht so weit gekommen, daß wir von allem Gefühl der Ehre los wären. So lange aber noch ein Funken dieses Gefühls im Menschen wohnt, so lange ist ein unwidersprechliches Zeugniß der Freyheit, ein unbezwinglicher Glaube an die innerliche Allmacht des Willens in ihm. Mit dem Munde kann er diesen Glauben verläugnen, aber er bleibt im Gewißen, und bricht einmal unversehens hervor, wie im Mahomet des Dichters, wo dieser in sich gekehrt und betroffen die schauderhaften Worte ausspricht:
Il est donc des remords!
XXXVII. Allein nicht einmal mit dem Munde kann er ganz verläugnet werden, dieser Glaube. Denn wer will den Namen haben, daß er nicht allen Versuchungen zu einer schändlichen Handlung jederzeit widerstehen werde; wer nur, daß er hier zu überlegen, Vortheile oder Nachtheile in Betrachtung zu ziehen, an Grad oder Größe (oder auch an einen categorischen Imperativ, an ein Gesetz) zu denken nöthig habe? – Und auf dieselbe Weise urtheilen wir auch in Absicht anderer Menschen. Sehen wir jemand das Angenehme dem Nützlichen vorziehen; zu seinen Zwecken verkehrte Mittel wählen; sich selbst in seinen Wünschen und Bestrebungen widersprechen: wir finden nur, daß er unver[/]nünftig, thöricht handelt. Ist er nachläßig in der Erfüllung seiner Pflichten, befleckt er sich sogar mit Lastern; ist er ungerecht und übt Gewaltthätigkeiten aus: wir können ihn haßen, verabscheuen; – aber ihn ganz wegwerfen können wir noch nicht. Verläugnet er aber auf irgend eine entschiedene Weise das Gefühl der Ehre; zeigt er, daß er innere Schande tragen, oder Selbstverachtung nicht mehr fühlen kann; dann werfen wir ihn ohne Gnade weg, er ist Koth unter unseren Füßen.
XXXVIII. Woher diese unbedingten Urtheile; woher solche ungemeßene Anmaßungen und Forderungen, die sich nicht einmal auf Grundsätze und ihre Befolgung einschränken, sondern das Gefühl in Anspruch nehmen, und sein Daseyn apodiktisch fordern?
XXXIX. Sollte sich das Recht dieser Anmaßungen und Forderungen wohl auf eine Formel, etwa auf die Einsicht in die richtige Verknüpfung, auf die gewiße Wahrheit des Resultats folgender Sätze gründen: Wenn A ist wie B, und C ist wie A, so ist B wie C? – Spinoza erwies auf diese Art, der Mensch, in sofern er ein vernünftiges Wesen sey, opfre eher sein Leben auf, wenn er auch keine Unsterblichkeit der Seele glaube, als daß er durch eine Lüge sich vom Tode rettete;*13 und in abstracto hat Spinoza recht. Es ist eben so unmöglich, daß der Mensch der reinen Vernunft lüge oder betrüge, als daß die drey Winkel eines Dreyecks nicht zwey rechten gleich seyn. Aber wird das wirkliche mit Ver[/]nunft begabte Wesen sich von dem abstracto seiner Vernunft wohl so in die Enge treiben, von einem Gedankendinge durch ein Wortspiel so ganz sich gefangen nehmen laßen? – Nimmermehr! – Wenn auf Ehre Verlaß ist, und der Mensch Wort halten kann, so muß noch ein andrer Geist, als der bloße Geist des Syllogismus in ihm wohnen.
XL. Ich halte diesen andern Geist für den Othem Gottes in dem Gebilde von Erde.
XLI. Es beweist dieser Geist zuerst sein Daseyn im Verstande, der wirklich ohne ihn jener wunderbare Mechanismus seyn würde, welcher nicht allein die Leitung eines Sehenden durch einen Blinden möglich, sondern auch die Nothwendigkeit einer solchen Einrichtung durch Vernunftschlüße erweislich machte. Wer bändigt hier den Syllogismus, indem er seine Vordersätze schlägt? Allein dieser Geist, durch seine Gegenwart in Thaten der Freyheit, und einem unvertilgbaren Bewußtseyn.
XLII. Wie dieses Bewußtseyn die Ueberzeugung selbst ist: Intelligenz für sich allein sey wirksam; sey die höchste, ja die einzige uns wahrhaft bekannte Kraft: so lehrt es auch unmittelbar den Glauben an eine Erste allerhöchste Intelligenz; an einen verständigen Urheber und Gesetzgeber der Natur, an einen Gott, der ein Geist ist.
XLIII. Aber dieser Glaube erhält erst seine volle Kraft und wird Religion, wenn im Herzen des Menschen das Vermögen reiner Liebe sich entwickelt. [/]
XLIV. Reine Liebe? – Giebt es eine solche? – – Wie beweist sie sich, und wo findet man ihren Gegenstand?
XLV. Wenn ich antworte, das Prinzip der Liebe sey daßelbe, von deßen Daseyn als Prinzip der Ehre wir uns schon versicherten: so wird man nur ein größeres Recht zu haben glauben, in Absicht des Gegenstandes, den ich darstellen soll, dringend zu werden.
XLVI. Ich antworte also: der Gegenstand der reinen Liebe ist derjenige, den ein Sokrates vor Augen hatte. Er ist das Θειοv im Menschen; und die Ehrfurcht vor diesem Göttlichen, ist was aller Tugend, allem Ehrgefühl zum Grunde liegt.
XLVII. Construiren kann ich weder diesen Trieb noch seinen Gegenstand. Ich müßte, um es zu können, wißen, wie Substanzen erschaffen werden, und ein nothwendiges Wesen möglich ist. Aber meine Ueberzeugung von ihrem Daseyn wird folgendes vielleicht noch etwas mehr erläutern.
XLVIII. Wenn das Weltall kein Gott, sondern eine Schöpfung; wenn es die Wirkung einer freyen Intelligenz ist: so muß die ursprüngliche Richtung eines jeden Wesens, Ausdruck eines Göttlichen Willens seyn. Dieser Ausdruck in der Creatur ist ihr ursprüngliches Gesetz, in welchem die Kraft es zu erfüllen nothwendig mit gegeben seyn muß. Dieses Gesetz, welches die Bedingung des Daseyns des Wesens selbst, sein ursprünglicher Trieb, sein eigener Wille ist, kann mit den Naturgesetzen, welche nur Resultate von Verhältnißen sind, und durchaus auf Vermittelung beruhen, nicht verglichen werden. Nun [/] gehört aber jedes einzelne Wesen zur Natur; ist also auch den Naturgesetzen unterworfen, und hat eine doppelte Richtung.
XLIX. Die Richtung auf das Endliche ist der sinnliche Trieb oder das Prinzip der Begierde; die Richtung auf das Ewige ist der intellectuelle Trieb, das Prinzip reiner Liebe.
L. Wollte man mich über diese doppelte Richtung selbst zur Rede stellen; nach der Möglichkeit eines solchen Verhältnißes und der Theorie seiner Einrichtung fragen: so würde ich mit Recht eine solche Frage abweisen, weil sie die Möglichkeit und Theorie der Schöpfung, Bedingungen des Unbedingten zum Gegenstande hat. Es ist genug, wenn das Daseyn dieser doppelten Richtung und ihr Verhältniß durch die That bewiesen und von der Vernunft erkannt ist. Wie sich alle Menschen Freyheit zuschreiben, und allein in den Besitz derselben ihre Ehre setzen; so schreiben sich auch alle ein Vermögen reiner Liebe, und ein Gefühl der überwiegenden Energie deßelben zu, worauf die Möglichkeit der Freyheit beruht. Alle wollen Liebhaber der Tugend selbst, nicht der mit ihr verknüpften Vortheile seyn; alle wollen von einem Schönen wißen, welches nicht blos das Angenehme; von einer Freude, die nicht bloßer Kitzel sey.
LI. Handlungen, welche aus diesem Vermögen wirklich hervorgehen, nennen wir göttliche Handlungen; und ihre Quelle, die Gesinnungen selbst, göttliche Gesinnungen. Auch begleitet sie eine Freude, die mit keiner andern Freude ver[/]glichen werden kann: es ist die Freude, die Gott selbst an seinem Daseyn hat.
LII. Freude ist jeder Genuß des Daseyns; so wie alles, was das Daseyn anficht, Schmerz und Traurigkeit zuwege bringt. Ihre Quelle ist die Quelle des Lebens und aller Thätigkeit. Bezieht aber ihr Affect sich nur auf ein vergängliches Daseyn, so ist er selbst vergänglich: Seele des Thiers. Ist sein Gegenstand das Unvergängliche und Ewige; so ist er die Kraft der Gottheit selbst, und seine Beute Unsterblichkeit.
2.
Aus
Allwills Briefsammlung
Vorrede. Seite XVI. die Anmerkung.
Ich nenne Instinkt diejenige Energie, welche ursprünglich, ohne Hinsicht auf noch nicht erfahrene Lust und Unlust, die Art und Weise der Selbstthätigkeit bestimmt, womit jede Gattung lebendiger Naturen, als die Handlung ihres eigenthümlichen Daseyns selbst anfangend und alleinthätig fortsetzend gedacht werden muß.
Der Instinkt sinnlich vernünftiger (d. i. Sprache erzeugender) Naturen hat, in sofern diese Naturen blos in ihrer vernünftigen Eigenschaft betrachtet werden, [/] die Erhaltung und Erhöhung des persönlichen Daseyns (des Selbstbewußtseyns; der Einheit des reflectierten Bewußtseyns mittelst continuirlicher durchgängiger Verknüpfung: – Zusammenhang –) zum Gegenstande; und ist folglich auf alles, was dieses befördert, unaussetzlich gerichtet.
In der höchsten Abstraction, wenn man die vernünftige Eigenschaft rein absondert; sie nicht mehr als Eigenschaft, sondern ganz für sich allein betrachtet: geht der Instinkt einer solchen bloßen Vernunft allein auf Personalität, mit Ausschließung der Person und des Daseyns, weil Person und Daseyn Individualität verlangen, welche hier nothwendig wegfällt.
Die reine Wirksamkeit dieses lezten Instinkts, könnte reiner Wille heißen. Spinoza gab ihr den Namen: Affect der Vernunft. Man könnte sie auch das Herz der bloßen Vernunft nennen. Ich glaube, daß wenn man dieser Indication philosophisch nachgeht, mehrere schwer zu erklärende Erscheinungen, auch die eines unstreitig vorhandenen categorischen Imperativs der Sittlichkeit, seines Vermögens und Unvermögens, sich vollkommen begreiflich werden finden laßen. Man muß aber zugleich auf die Function der Sprache bey unseren Urtheilen und Schlüßen wohl Acht haben, damit man durch Instanzen, welche auf nur etwas schwer zu enträthselnden Wortspielen beruhen, nicht irre oder muthlos gemacht werde. [/]
3.
Aus derselben Schrift

S. 295.
So wenig der unendliche Raum die besondere Natur irgend eines Körpers bestimmen kann; so wenig kann reine Vernunft des Menschen mit ihrem überall eben guten Willen, da sie in allen Menschen Eine und dieselbe ist, die Grundlage eines besondern, verschiedenen Lebens ausmachen, und der wirklichen Person ihren eigenthümlichen individuellen Werth ertheilen. Was die eigene Sinnesart, den eigenen festen Geschmack hervorbringt, jene wunderbare innerliche Bildungskraft, jene unerforschliche Energie, die, alleinthätig, ihren Gegenstand sich bestimmt, ihn ergreift, festhält – eine Person annimmt – und das Geheimniß der Sklaverey und Freyheit eines jeden insbesondere ausmacht: das entscheidet. Es entscheidet und stehet da im Vermögen – nicht des Syllogismus (welches man mit dem Vermögen der Einen Hälfte einer Scheere oder Zange vergleichen könnte) – sondern der Gesinnungen; im Vermögen eines unveränderlichen, über alle Leidenschaften siegenden Affects. Wenn ich auf das Wort eines Namentlichen Mannes fuße, so bringe ich dabey seine reine [/] Vernunft nicht mehr, als die Bewegung seiner Lippen und den Schall aus seinem Munde in Anschlag. Ich traue dem Worte um des Mannes, und dem Manne um sein selbst willen. Was in ihm mich gewiß macht, ist seine Sinnesart, sein Geschmack, sein Gemüth und Charakter. Ich gründe meinen Bund mit ihm auf den Bund, den er mit sich selbst hat, wodurch er ist der er seyn wird. Ich glaube dem in seinem Herzen tief verborgenen unsichtbaren Worte, das er geben will und kann. Ich verlaße mich auf eine geheime Kraft in ihm, welche stärker ist als der Tod.
Uebrigens, da dem Menschen jede Meynung lieber als sein Leben werden [kann], so liegt die Gewalt überhaupt der Begriffe, die überwiegende Energie der vernünftigen Natur (nicht des Gedankendinges Vernunft) damit so klar zu Tage, daß nur ein Thor sie läugnen kann. Und wie sollte ihre Gewalt nicht die höchste, der Begriff nicht im allgemeinen mächtiger als die Empfindung seyn, da unser zeitliches, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengesetztes Bewußtseyn, im Begriffe allein sein Daseyn haben kann? Alles was in der Zeit lebt, muß sein zeitliches Leben erst erzeugen, innerlich alleinthätig, durch Verknüpfung. Also ist die Form des Lebens, und der Trieb zum Leben, und das Leben selbst, im Wirklichen nur Eins. Der Gegenstand des unbedingten Triebes, welchen wir den Grundtrieb nennen, ist unmittelbar die Form des Wesens, deßen Trieb oder wirksames Vermögen er ist. Diese Form im Daseyn zu erhalten, sich in ihr auszudrücken, ist sein unbedingter Zweck und das [/] Prinzip aller Selbstbestimmung in der Kreatur; so daß [kein] Wesen vermag sich einen Zweck vorzusetzen, als Kraft seines Triebes und ihm gemäß. Ueberhaupt beziehen sich die Triebe auf Bedürfniß. Alles Lebendige in der Natur bewegt sich mit Absicht, das ist, nach Verhältnißen der Bedürfniße. Der erste Grund und die Art der Entstehung dieser Verhältniße ist unerforschlich, und wir [können] daher eben so wenig den Trieb aus dem Bedürfniße, als das Bedürfniß aus dem Triebe erklären; [können] eben so wenig sagen, dieser bestimme jenes, als jenes diesen. Der erste Anfang von beyden ist außer ihnen, und ist ein gemeinschaftlicher Anfang. Nur das Geschäft des Triebes: einen gewißen Zusammenhang zu erhalten, fortzusetzen, zu erweitern, erkennen wir, und zwar, als nothwendig; weil ein unverknüpftes, und nicht sich selbst (innerlich und äußerlich) verknüpfendes endliches Wesen, ein Unding ist. TOTUM PARTE PRIUS ESSE, NECESSE EST.
Aber kann auch das Nichts eine Form haben oder annehmen, und dadurch Etwas seyn oder werden? Läßt sich eine Form, die lauter Form wäre, denken; eine Wirksamkeit, deren alleinige Absicht reine, das ist leere Absicht wäre, ohne von und ohne zu?
Kein Trieb, wie sehr man ihn in sich allein betrachte, will nur seine eigene freye Wirksamkeit. Sein Wesen ist Verhältniß: er will Befriedigung.
Der Trieb der vernünftigen Natur zum an sich Wahren und Guten ist auf ein Daseyn an sich, auf ein vollkommenes Leben, ein Leben in sich selbst gerichtet; er fodert [/] Unabhängigkeit; Selbstgenügsamkeit; Freyheit! – Aber in wie dunkler, dunkler Ahndung nur!
Denn wo ist Daseyn und Leben in sich, wo ist Freyheit? Wahrlich nur jenseits der Natur! Denn innerhalb der Natur ist alles offenbar unendlich mehr im andern, als in sich, und Freyheit nur im Tode!
Dennoch wißen wir, daß etwas ist, und war, und seyn wird – ein Urheber jener natürlich unerzeugten Thätigkeit in uns; des Kerns unseres Daseyns, wunderbar umgeben mit Vergänglichkeit – in sie versenkt, ein Saame der aufgehen wird. Ewiges Leben ist das Wesen der Seele, und darum ihr unbedingter Trieb. Und woher käme ihr der Tod? Nicht von dem Vater des Lebens und alles Guten, der in dem innersten unseres Herzens und Willens sein eigenes Herz und seinen eigenen Willen abdrückte, und nichts anderes darin abdrücken konnte. [/]
4.
Aus Woldemar Th. I. S. 138
Jezt erzählte Woldemar noch seinen Freunden, wie er einmal bis zur Schwermuth tiefsinnig über die Frage geworden: Was der menschliche Geist, bey dem Streben nach Tugend, eigentlich anstrebe? Was er, indem er wahrhaft und allein auf diesen Gegenstand gerichtet sey, wahrhaft und allein im Auge habe?
Zu verschiedenen Zeiten wurden so verschiedene, oft entgegengesezte Dinge, für die wahren und einzigen Gegenstände dieses Triebes angenommen; und wie die Meynungen der Menschen hierüber von einander abwichen, eben so wichen auch ihre Meynungen über Glückseligkeit von einander ab.
Lauter Schatten! – Fließende, verwirrende Gestalten! ...Bilder? – Wb das Urbild?
War das Urbild unerforschlich, wie [konnte] je die Einsicht des Guten zuverläßig werden? Wie konnte der Wille des Guten nur sich selbst erkennen, sich selbst verstehen, bey sich bleiben, und ein unveränderlicher Wille werden?
Oder war vielleicht dieser Wille nur die unmittelbare Folge des an allgemeine Begriffe und Bilder ge[/]knüpften persönlichen Bewußtseyns; nur der allen Naturen wesentliche Trieb der Selbsterhaltung in rein vernünftiger Gestalt? – Dann hatte er keinen Gegenstand, als seine eigene Thätigkeit; und aller Tugenden Urbild und Quelle war die bloße rein꓿ und leere Form des Daseyns im Gedanken: Persönlichkeit ohne Person und Personen꓿ Unterschied.
Also lag der ganze Zauber nur in einer Täuschung durch Begriff und Wort; und so wie diese Täuschung aufgehoben wurde, kam das trostlose Geheimniß eines bloßen Zusammenspinnens von Daseyn und Daseyn, einzig und allein um da zu seyn, zum Vorschein.
Mir graute, sagte Woldemar, vor der Finsterniß und Leere, die in mir und um mich entstand. Aengstlich streckte ich beyde Arme aus, ob ich nicht Etwas noch ergreifen könnte, das mir ein Gefühl von Wirklichkeit und Wesen wiedergäbe. Und mir geschah, wie in Büffons schöner Dichtung dem Ersten Menschen, da er, vom Schlummer überwältigt, gefürchtet hatte, nur ein zufälliges vorübergehendes Bewußtseyn, kein eigenes Leben zu besitzen – dann, beym Erwachen, doppelt sich wiederfand – staunend ausrief: Ich! – Entzückter ausrief: Mehr als ich! – Beßer als ich! ...Dahin ströme alle mein Leben!
Eine Heldenschaar im Feyerkleide der Unsterblichkeit – Agis und Kleomenes – und in ewiger Schönheit die erhabenen Begleiter und Begleiterinnen ihres Lebens und ihres edleren Todes – Sie erschienen mir: Und wie ver[/]wandelt erwachte ich aus meinem schweren Traum. Mir war, als erführe ich dies alles jezt zum erstenmal; als hätte nicht Erinnerung meine Hand zu diesem Theile des Plutarch geleitet. Ich hatte nie dabey empfunden, was ich jezt im auffallendsten Contrast empfand: daher wurde mir alles so neu. Ich fühlte, daß die Betäubung, aus der ich erwacht war, wenn sie mich auch wieder überfallen sollte, niemals wieder als ein Todesschlummer mich erschrecken würde: „Ich hatte zu innig jezt empfunden, daß ich war, um noch einmal zu fürchten, daß ich aufhören könnte zu seyn.“ [/]
5.
Auszug
aus einem Briefe an einen Freund
über
Kants Sittengesetz.

Ich begreife nicht, wie Kant auf die Weise mißverstanden werden kann, wie ich ihn in der mir von Ihnen zugesandten Note mißverstanden sehe. Denn welches Werk man auch, um seine praktische Philosophie zu [beurteilen, zum Grunde lege,] so findet man, daß er mit dem Beweise anfängt: Es sey unmöglich ein Sittengesetz vom Objekt, als zu erwartender Wirkung der Handlung, herzuleiten; sondern es müße das Sittengesetz nothwendig aus dem Subjekt, als Ursache und [Prinzip aller] Zwecke überhaupt, folglich auch aller besondern Handlungen, hergeleitet werden. – Wie wäre es also möglich, daß er eine Formel aufgestellt hätte, welche auf die Wirkung der Handlungen, als Bestimmungsgrunde derselben, Bezug nähme?
Die in der Note erwähnte Formel heißt bey Kant: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Oder: „Handle so als ob die Maxime deiner Handlungen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“ Diese Formel [/] ist nichts weiter, und wird von Kant für nichts weiter ausgegeben, als für eine Formel d. i. für ein Mittel der Beurtheilung der subjektiven Maximen, ob sie dem Gesetze, deßen erstes Merkmahl Allgemeinheit ist, nicht widersprechen. Eine Maxime, die in die Form der Allgemeinheit gebracht, sich selbst widerspricht, kann nicht zum Moralsystem gehören. –
Die Quelle oder das Princip selbst der Sittlichkeit ist Vernünftigkeit. Die Vernünftigkeit aber besteht in demjenigen Vermögen eines Wesens, wodurch es sich von allen andern Dingen, ja von sich selbst, so fern es durch Gegenstände afficirt wird, unterscheidet, oder in dem Vermögen, sich selbst zu afficieren. So wie nun das Vernünftige Wesen, die Seele, das Ich, unmöglich als Prädicat von etwas Anderem gedacht werden kann, sondern nothwendig durch seine Natur Selbstseyend, Objekt und Subjekt zugleich ist; so kann es unmöglich auch in seinen Wirkungen anders als ursprünglich, durch sich selbst bestimmt, und sich selbst unmittelbar bestimmend gedacht werden, das heißt: Es ist seiner Natur nach Zweck, Zweck an sich.
Wenn ich nun mehrere vernünftige Wesen beysammen denke, so schränken sich diese, da jedes Zweck an sich ist, nothwendig gegenseitig in sofern ein, daß keines von dem andern blos als Mittel gebraucht werden darf. Das vernünftige Wesen giebt dieses Gesetz nothwendig sich selbst; oder: der vernünftige Wille bestimmt sich nothwendig durch sich selbst, und ohne irgend eine andere Absicht, zur Gerechtigkeit. [/]
Für den mit Sinnlichkeit afficierten Willen des Menschen verwandelt sich dieses Wollen der Intelligenz nun in folgendes Sollen, Gebot, oder Imperativ:
„Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals blos als Mittel brauchest.“
Auf diese Weise offenbart sich eine aufgegebene systematische Verbindung aller vernünftigen Wesen durch ein gemeinschaftliches Gesetz, oder die Idee eines Reiches der Zwecke. Es ist also diese Idee nicht das Prinzip des Gesetzes, sondern umgekehrt, es entwickelt sich aus der Vorstellung des Gesetzes, als auf gleiche Weise alle vernünftige Wesen verbindend, jene Idee. Der erste und lezte Grund aller Moralität ist Selbstachtung. Die Selbstachtung schränkt die Selbstliebe ein, gebietet ihr, unterwirft die Person, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit. Diese Selbstachtung ist eine [fühlbare] Richtung unseres Gemüths durch das Bewußtseyn unserer Persönlichkeit, Selbstständigkeit und Freyheit, und dieses Bewußtseyn und Gefühl entsteht jedesmal, wenn der Wille sich in derjenigen Eigenschaft äußert, wodurch er sich selbst ein Gesetz ist, und damit zugleich auch allen andern vernünftigen Wesen ein Gesetz giebt.

*1 Dieses Urtheil ist von Herrn Nicolai in seiner neuesten Schrift, worin er, nothgedrungen, Einmahl – Endlich, von Sich selbst reden und beynah sich loben muß, bestätigt, und dem Verfaßer der Briefe über die Lehre des Spinoza vorgeworfen worden (s. Meine [Herrn Nikolais] gelehrte Bildung S. 42.) „daß er keinen Sinn dafür zu haben scheine, Untersuchungen blos um des Untersuchens willen anzustellen:“ Ein dem so rein und durch und durch gymnastischen, „in der Mitte zwischen pro und contra stark gewordenen Geiste Nikolais,“ höchst anstößiges Gebrechen! Uneigennützig in Absicht der Wahrheit, verschmäht er ihre Beute, wenigstens die speculative, und ehret, rein philosophisch, nur die athletische Constitution, die man im Ringen ewig blos um die Wahrheit herum gewinnt. Aufrichtig unterschreibe ich das über mich gefällte Urtheil dieser zwey gleich vortreflichen, in Absicht der Wahrheit gleich uneigennützigen, gleich billigen und bescheidenen – Enthusiasten des blos logischen Enthusiasmus, als gerecht. Mit meiner eigennützigen Gemüthsart in Absicht des Wahren geht es wohl noch weiter als sie dachten. Manches neue darüber entdeckt der Brief an Fichte. Ich will es aber, um mein Gewißen zu reinigen, künftig noch mehr an den Tag [/] bringen, mich noch ganz blos geben, im Angesicht der Welt, mit meinem Mangel an philosophischer Virtuosität, vor jenen echten Virtuosen und weisen Meistern.
*2 s. das Journal Deutschland, Einziger Jahrgang, und im 2ten und 8ten Stück deßelben, (wenn ich recht behalten habe) die Verurtheilungen der zufälligen Ergießungen und des Woldemar. Da ich mich durch die öffentliche Bekanntmachung meines Briefes an Fichte gezwungen sehe, auf diese mich so sehr demüthigenden Strafreden, Selbst zu verweisen, so darf ich wenigstens nicht unterlaßen, den nachschlagenden Leser auf Gewißen und Ehre zu versichern, daß der Persönliche Stoff dieser kritischen Kunstwerke (das geheim Historische darin) aus der productiven Einbildungskraft des [/] Verfassers allein genommen ist. Auch bey den Citaten war sie durchgängig im Spiele. Diese Unwahrheiten, wenn man es so nennen will, sind zufällig aus der poetisch philosophischen Methode: Erst den Schriftsteller aus dem Menschen; alsdann wieder den Menschen aus dem Schriftsteller herzuleiten, entsprungen; also [keine] vorsetzliche Verläumdungen und Lügen. Diese abgerechnet ist alles andere vortreflich, und verkündigte schon damals in seinem Urheber, was heute erschienen ist: das Meisterwerk Lucinde.
*3 s. Beylage I.
*4 Da dieser Brief, wegen seiner besonderen Beziehung, wahrscheinlich manchen mit meinen Schriften unbekannten Leser finden wird, und Andere, denen wenigstens diese Schriften nicht bey der Hand sind, so habe ich, weil mir daran gelegen ist, daß man die angeführten Stellen vor sich habe, sie in einem nur wenige Blätter einnehmenden Anhange beygefügt. Man wird dort, als Zugabe, [/] auch noch einen Auszug aus einem Briefe über das Kantische Sittengesetz finden, den ich Fichten ebenfalls beylegte, und durch deßen Bekanntmachung ich zu verhüten hoffe, daß dieser oder jener sich einbilde, ich widerspräche dem großen Königsberger auf eine Weise, wie ich ihm gar nicht widerspreche; ich mißverstände ihn, oder dergl.
*5 S. Allwills Br. S. 306 u. 307.
*6 „Was ist Euer Gott, Ihr, die ihr öffentlich bekennt, es nicht genug zu wiederholen wißt: Religion sey nur [/] Mittel; Thoren und Schwärmer allein könnten sie als Zweck betrachten? Was kann Er Euch seyn, euer Gott, mehr als ein bloßes Werkzeug, um euere Seele im Dienste des Leibes, der überall die große Sache ist, zu unterstützen. Wahrlich, am Ende sind es nur die äußeren Bedürfniße, eine kluge Oekonomie der Lüste und Begierden, was die Summa Eurer Philosophie; Eurer so hoch gepriesenen Weisheit ausmacht. Dieser klugen Oekonomie wird dann Religion, wie billig, nur behülflich angefügt. Und sie mag froh seyn, daß wir sie noch in so weit brauchbar finden. Bringen wir es einst dahin, ohne den Nahmen Gottes unsere gesellschaftliche Verhältniße zu sichern und unsere Theorien auszufertigen – dann nur weg mit diesem leidigen Behelf unserer Unwißenheit und Ungeschicklichkeit; weg mit dem lästigen Hausrath, der nur Raum einnimmt und an sich zu gar nichts taugt....
Sind im Gegentheil Religion und Tugend letzte Zwecke für den Menschen und sein höchstes Gut; sind sie als ursprüngliche, allgemeine und ewige Triebfedern im Reiche der Geister zu edel und erhaben um nur dem Räderwerk in einer Maschiene zu vergänglichen Zwecken seinen richtigen Umlauf zu verschaffen; so muß es vollends widersinnig scheinen, wenn man mit den leblosen, plumpen Gewichten solcher Maschienen, diese Triebfedern selbst in Bewegung setzen, ja wohl gar sie erregen, sie hervorbringen will. Wo man auf diese Art verkehrt geschäftig ist, muß der Staat die Religion, und die Religion den Staat verderben. Einen [/] Gott sich darum nur zu wünschen, daß er unsere Schätze hüte, unser Haus in Ordnung halte, ein bequemes Leben uns verschaffe, ist die ungöttliche Art des Götzendieners.
Wahre Göttliche Religion hat nie der Erde fröhnen wollen; auch wollte sie die Erde nie [beherrschen: dafür] ist ein anderer Geist, und an ihn auch ein anderer Glaube. Von den Uebeln welche dieser angerichtet, zeugen alle Blätter der Geschichte. – „Siehe da, Euer Gott und Eures Gottes Dienst!“ – ruft der Spötter der Religion. Und der thörichte Priester eifert und bemüht sich, die Schande abzuwaschen; Gott will er retten, und er rettet nur den Satan, jenen Schwärzesten, der nach dem Himmel weiset auf seiner Bahn.
Wer kann läugnen, wenn er Geschichte, Erfahrung und Vernunft zusammen nimmt, daß Religion, als äußerliches Mittel gebraucht, unbegleitet von Aberglauben und Schwärmerey, ohne Wirkung ist; in dieser Begleitung aber, lauter Böses stiftet. So lange unsere Priester also eine andere als die reine, [heilige, innerliche] wahre Lehre predigen, und nicht Gott allein das übrige befehlen; so lange sie uns nach dem Himmel sehen heißen, nur darum weil er uns die Erde düngt – den Geist erniedrigen zum Koth; so lange sie die Finsterniß nur schmücken wollen mit dem Lichte; und anstatt den Satan zu vertilgen, ihn zum gütlichen Vertrage überreden, ihn befreunden wollen mit der Gottheit: so lange haße ich sie mehr, als ich den Gottesläugner haße. [/] Dieser zeigt mir wenigstens sein höchstes Gut da wo es liegt; er will mich nicht betrügen und betrügt mich nicht, er giebt mir seine Wahrheit rein, und ist vielleicht ein zehnmal frömmerer Mann als der ihm flucht.
Das hier von der Gottesfurcht gesagte, gilt auch von der Tugend. Wer nicht an sie selber glauben, ihre überirrdische Natur nicht faßen, nicht sie ehren kann in ihrer wesentlichen Unabhängigkeit: der soll läugnen, daß es eine giebt; denn er muß es läugnen nach der Wahrheit.“ (Wider Mendelssohns Beschuldigungen S. 84–89.)
*7 S. Beylage II.
*8 Aus der vorhin angeführten noch ungedruckten Schrift[.] S. Beylage III.
*9....Opinionum enim commenta delet dies: naturae judicia confirmat. Cic. d. N. D. II. 2.
Quid est enim verius, quam neminem esse oportere tarn stulte arrogantem, ut in se rationem et mentem putet inesse, in coelo mundoque non putet? aut ut ea, quae vix summa ingenii ratione comprehendat, nulla ratione moveri putet? quem vero astrorum ordines, quem dierum noctiumque vicissitudines, quem mensium temperatio, quemque ea, quae gignuntur nobis ad fruendum, non gratum esse cogant; hunc hominem omnino numerare quî decet?
Cicero de Legg. II. 7.
*10 Ich merke zum Ueberfluß an, daß hier, in der folgenden Beylage und dem Briefe an Fichte, wo die Worte, Mechanismus und mechanisch ohne andere Bestimmung vorkommen, darunter jede nothwendige Verkettung verstanden werden müße. In dieser weitläufigen Bedeutung faßet also der Begriff des Mechanischen alles unter sich, [/] was nach dem Gesetze der Causalität in der Zeit nothwendig erfolgt; folglich auch die chemischen, organischen, und psychologischen Wirkungsarten: alles mit einem Worte, was nach dem Laufe der Natur allein zum Vorschein kommt, und allein ihren Kräften zugeschrieben wird.
„Man kann, sagt Kant (Kr. d. pr. Vernunft S. 173) alle Nothwendigkeit der Begebenheiten in der Zeit nach dem Naturgesetze der Causalität, den Mechanismus der Natur nennen, ob man gleich darunter nicht versteht, daß Dinge, die ihm unterworfen sind, wirkliche materielle Maschienen seyn müßten. Hier wird nur auf die Nothwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten in einer Zeitreihe, so wie sie sich nach dem Naturgesetze entwickelt, gesehen, man mag nun das Subject, in welchem dieser Ablauf geschieht, Automaton materiale, da das Maschienenwesen durch Materie; oder, mit Leibnitzen, Automaton spirituale, da es durch Vorstellungen betrieben wird, nennen; und wenn die Freyheit unseres Willens keine andere als die letztere (etwa die psychologische und comparative, nicht transcendentale d. i. absolute zugleich) wäre, so würde sie im Grunde nichts beßer, als die Freyheit eines Bratenwenders seyn, der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet.“
Ich denke nicht daß jemand das, was oben der Mechanismus der Entstehung eines Cirkels genannt wird, gar für die mechanische Beschreibung der Figur des Cirkels mit dem Instrumente dieses Nahmens halten werde!
*11 „Versteht man unter Vernunft die Seele des Menschen, Nur in sofern sie deutliche Begriffe hat, mit diesen urtheilet, schließet, und wieder andere Begriffe und Ideen bildet; so ist die Vernunft eine Beschaffenheit des Menschen, die er nach und nach erlangt; ein Werkzeug, das er gewißermaßen sich ersinnt, deßen er sich bedient, und das ihm zugehört auf eine ähnliche Weise, wie die Sprache die er redet [/] ihm ein Werkzeug ist, ein ersonnenes, wie er sich ihrer bedienet und sie ihm zugehört.
Versteht man hingegen unter Vernunft das Princip, den Urquell der Erkenntniß überhaupt (das unmittelbar sich selbst setzende, an und für sich selbst Seyende:) so ist sie der Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist; durch sie bestehet der Mensch; er ist eine Form die sie angenommen hat.
Eine solche Theilung oder Trennung kann nur in Gedanken statt finden. Betrachtet man den wirklichen Menschen, so findet man sein vernünftiges Bewustseyn auf der unzertrennlichen Vereinigung des Eigenen und Fremden; der Receptivität und Spontaneität, oder eines Innern und Aeußeren, des Selbstes und eines Anderen; des Nothwendigen und Zufälligen; des Unbedingten und Bedingten; des Zeitlichen und Außerzeitlichen; des Natürlichen und Uebernatürlichen gegründet: Eine Vereinigung, die sich in der Reflexion zugleich als nothwendig und als unmöglich darstellt, und das Wunder und Geheimniß des Vernünftigen Daseyns selbst, oder des Selbstseyns endlicher Wesen – des Unerschaffenen und der Schöpfung; Gottes und der Creatur ist. [“] (Briefe über die Lehre des Spinoza. S. 422–432.)
*12 Siehe die Anmerkung zur Beylage I.
*13 Eth. P. IV. Pr. LXXII.
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Metadata Concerning Header
  • Date: 3. bis 21. März 1799
  • Sender: Friedrich Heinrich Jacobi ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Eutin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 224‒281.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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