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Johann Friedrich Herbart to Johann Gottlieb Fichte

Bern 24 März 1799
Hier, mein verehrtester Lehrer, eine Probe; Ihrem Befehl gemäß möglichst klein und kurz.
Der Anfang Ihres Briefes hat mich sehr geschmerzt. So unwerth bin ich Ihnen geworden, daß Sie an Erklärungsgründe meines Handelns nicht einmal mehr denken mögen! Ich würde nach der Ursache fragen, wenn ich nicht zu vergessen scheinen könnte, daß Ihre bisherige Theilnahme an mir bloß freye Güte war.
Meine Ueberzeugungen sind mir klar, und ich halte sie für wichtig. Darum schrieb ich an Sie. Nicht, wie Sie zu vermuthen scheinen, um mich zu einer liter. Fehde an Ihnen zu versuchen. Für Ihre Erlaubniß einer schriftlichen Mittheilung aber meinen verbindlichsten Dank; Prüfung und Antwort von Ihnen wird mir ein kostbares Geschenk seyn, und mir zugleich andeuten, ob ich jene Erlaubniß noch weiter ausdehnen dürfe.
Mit unveränderlicher Hochachtung
Ihr gehorsamer
H.
Syst. der Sittenl. pag. 9.
„Der Begriff des Ich wird gedacht, wenn das Denkende und das Gedachte im Denken als dasselbe genommen wird.“ Dies ist unser gemeinschaftlicher Anfangspunkt.
pag. 14.
„Der Charakter des Ich ist der, daß ein Handelndes und eins, worauf gehandelt wird, Eins sey und eben dasselbe.“
Dies ist ein höherer Allgemeinbegr[iff] als der obige. Aber jener, in seiner ganzen Bestimmtheit, und kein anderer, ist der Begriff des Ich. Das Denken ist also nie aus dem Spiele zu lassen.
Nur insofern findet das Ich Sich – Sein Ich – inwiefern es das Denkende als das Gedachte findet. Dieser Begriff, in seiner Strenge beybehalten, giebt freylich einen endlosen Cirkel, in welchem immer das letzte Object fehlt. Ein solches letztes Object wird also durch den Begriff des Ich zwar gefordert, aber keineswegs gegeben. Es wird immer etwas Anderes als das Ich – ein N.=I. seyn. – Aber es soll zugleich das Ich selbst seyn. – Das Problem muß gelöst werden, ohne eine von den schon veststehenden Bestimmungen zu verlieren.
Da, wo die ideale in sich zurückgehende Thätigkeit selbst gefunden werden sollte, eine reale einschieben, ist eine unstatthafte Verwechslung der Begriffe, also die Deduction des Wollens unrichtig.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 24. März 1799
  • Sender: Johann Friedrich Herbart
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Bern · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 287‒288.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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