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Karl Leonhard Reinhold to Johann Gottlieb Fichte

Eutin den 27. März.
Ihr letzter Brief, mein verehrter Freund, hat mich zwar eine Zeit lang in dem Vorsatze: nicht ausser der Ferienzeit an Sie zu schreiben, den ihr vorletzter in mir veranlaßte, wanken gemacht. Aber endlich entschied der Entschluß, das, was ich Ihnen zu sagen wünschte lieber so lange aufzuschieben, bis dasjenige gethan wäre, wozu ich mich nach der Lesung Ihrer Apellation so dringend aufgefordert fühlte. Gestern habe ich die Handschrift einer Abhandlung über die Paradoxien der neuesten Philosophie nach Hamburg zum Druck abgesendet; und heute [/] schreibe ich Ihnen selbst, nachdem ich seit der Ankunft [Ihres] Pakets fast über nichts Anderes als über Ihre Sache, die so sehr auch die Meinige ist, gedacht und geschrieben habe.
Während ich in Kiel über das Paradoxe das Ihre Philosophie für den natürlichen Verstand hat und haben muß, das aber durch die Halbphilosophie unsrer Dogmatiker und Skeptiker bis zum Ungereimten und Aergerlichen gesteigert wird, nachsann, und versuchte: ob und was ich zur Erklärung und Verminderung desselben beyzutragen vermöchte, schrieb Jacobi in Eutin sein unvergleichliches Sendschreiben an Sie in welchem mir jenes Paradoxe auf immer aufgehoben, und dadurch, daß es bis zu seinem letzten Extreme getrieben ist, durch sich selbst Vernichtet scheint. Indem Er, in seinem Briefe, und ich in meiner Abhandlung, es recht eigentlich darauf anzulegen schienen, uns als Philosophen so bestimmt, und so [/] weit als möglich, von einander zu entfernen: sind wir uns beyde auf demjenigen Punkte begegnet, der uns bisher wirklich (aber wenigstens ohne mein Wissen) getrennt hielt, und der uns von nun an auf immer vereinigen wird. Ich bin seit einigen Tagen persönlich in Eutin, und es wird mir durch jede Unterredung mit Jacobi einleuchtender, daß ich meinen Standpunkt zwischen Ihm und Ihnen nehmen müsse, wenn ich Sie, und zugleich mich selbst, völlig verstehen soll. Er hat meine Einbildungskraft, die zum Theil noch immer durch den Buchstaben des kantischen, von mir so lange bewohnten und so mühsam bearbeiteten, Lehrgebäudes gefesselt war, vollends in Freyheit gesetzt. Durch Ihn habe ich den Geist Ihrer Philosophie, so wie durch Sie, den Geist der kantischen inniger kennen gelernt; und ich hoffe nun auf der, mir von Ihnen geöfneten Bahn des spekulativen Wissens desto freyer und fester fort[/]zu schreiten, seitdem ich das, was Er sein Nichtwissen nennt, verstehe, und von ganzem Herzen daran Theil nehme.
Auch Sie haben dieses Nichtwissen, auf welches das ganze wohlverstandene System Ihres reinen Wissens hinweiset, an vielen Stellen, und besonders in der Abhandlung, die Ihnen die bekannte Beschuldigung des Unglaubens zugezogen hat, ausdrüklich unter dem Namen des Glaubens und dem Charakter des Elementes aller Gewisheit, behauptet. Daß aber auch das philosophische Wissen, bey aller Selbstständigkeit, die es für sich, und durch sich selber hat, gleichwohl (und zwar eben zum Behuf derselben), jenes, von ihm schlechthin unabhängigen, Glaubens nicht entbehren könne, ist mir durch Jakobi um sehr vieles einleuchtender geworden. Ich weiß nun auch bestimmter, daß die BEZIEHUNG jenes Glaubens auf dieses Wissen durch kein Philosophiren an sich selbst, sondern nur durch den Gebrauch, [/] den mein Wille von meinem blos natürlichen, durch mein Philosophiren nur gereinigten Wissen machen soll, möglich ist –, und daß das philosophische Wissen nur allein durch jene Beziehung über den Charakter der blossen Spekulation erhoben, und mit derjenigen reellen Realität verbunden werden kann, ohne welche dasselbe, im Auge des an den Glauben, der das Element aller Gewisheit ist, festhaltenden Rechtgläubigen, blosse Erdichtung seyn und bleiben würde.
Daß unsre Philosophie jenen Glauben keineswegs hervorzubringen vermöge, gesteht sie schon dadurch ein, daß sie denselben zu ihrer eigenen Möglichkeit voraussetzt, sich nur zur Erklärung desselben anheischig macht, und sich auf diese Erklärung, als auf die einzig mögliche Bewährung des spekulativen Wissens vor dem natürlichen gesunden Verstande beruft. Sie erklärt diesen Glauben nur denen, die denselben wirklich haben und behalten; [/] und sie erklärt ihn nur dadurch, daß sie seine Möglichkeit durch ihr Wissen ins unendliche begreiflich macht, ohne dieselbe, weil ihr wirkliches Wissen immer nur in einer endlichen Summe bisheriger Fortschritte enthalten, ist, je erschöpfen zu können. Daher muß für den Philosophen, der nicht etwa über seinem Streben nach Wissen, auch als Mensch, jenen Glauben aus dem Auge verlohren hat, dasselbe Ganze der natürlichen Ueberzeugung das für sein Wissenerklärbar ins Unendliche ist, für sein GlaubenUnerklärbar ins Unendliche bleiben.
Die Philosophie hat es mit einen blossem Wissen –, als solchem, zu thun. Sie muß von allem wirklichen Glauben abstrahiren, wenn ihr Wissen angehen soll, und so lange die Funktion des Wissens fortdauert, ist die Funktion des Glaubens unmöglich. Diese ist nur im Menschen, als solchen, real möglich; kann nur in demselben vorhanden seyn, und fortdauern, inwieferne der [/] Mensch nicht immer im Zustande des Philosophirens begriffen ist, und inwieferne er den Glauben neben seiner Philosophie, und fast möchte ich sagen, trotz seiner Philosophie, in sich als Mensch, rein und lebendig aufbewahrt. Das Bestreben, diesen Glauben neben jenem Wissen, und von demselben praktisch unabhängig zu erhalten, ohne der spekulativen Unabhängigkeit jenes Wissens zu nahe zu treten, ist eben das vornehmste Geschäft, der eigentlichen praktischen, nicht blos wissenschaftlichen, Philosophie. Die Spekulation ist, und bleibt nur so lange NÜCHTERN, als sie jenen Glauben nicht verdunkelt und verwirrt; und sie muß ihn verdunkeln und verwirren, so wie sie in sein, von ihr unabhängiges, Gebiethe eingreift. Da sie, als Spekulation, auf keine andere, als lauter, von ihr selbst abhängige, Ueberzeugung ausgeht: so kann s i e Ihm jene Unabhängigkeit von ihr INSOFERNE nie eingestehen. Nur Er selbst [/] kann dieselbe für sich und durch sich selber behaupten; indem er jenes Wissen, das für sich Alles in Allem ist, für das, was es für ihn ist, für blosse Spekulation erklärt. Er reißt sich durch seine eigene Kraft von jenem Wissen los, erhebt den Menschen ÜBER den Philosophen; und während DIESER – das durch sich selbst gewisse Wahre und durch sich selbst wahre Gewisse durch die ins unendliche fortschreitenden Selbstbestimmungen seines künstlichen Bewußtseyns (durch Begreifen ins Unendliche für ein endloses Wissen) zu realisiren strebt – findet JENER dasselbe bereits realisirt – in seinem Glauben, – realisirt für das besondere Selbstbewußtseyn, welches er Gewissen nennt, – zum Behuf eines Handelns, das kein Wissen – aber mehr wehrt ist, als alles Wissen, – und in dem in seiner Art einzigen GEFÜHLE des reellen, aber schlechthin unbegreiflichen, Unendlichen, dem sich die endliche Freyheit [/] durch kein Wissen je nähern kann, dem sie sich aber durch gewissenhaftes Handeln ewig nähern soll.
Dieses schlechthin Unbegreifliche, aber auch schlechthin Reelle, ist Gott; und das Gefühl, wodurch es sich im Gewissen ankündiget, ist die Wurzel des Gewissens, die Urquelle aller Wahrheit und Vernünftigkeit im Menschen. Dieses Gefühl wird durch die Vernunft vorausgesetzt, und kann durch sie nie hervorgebracht, nie nachgemacht werden. Aus ihm allein geht sie selber erst, als Vernunft, hervor, und nur ihm allein verdankt sie ihre wahre Natur, und die ganze Realität, deren ihr Denken des Endlichen ins Unendliche fähig ist, sie mag bey demselben in der Erfahrung ausser sich – oder im reinen Wissenmit sich und in sich selber beschäftiget seyn. An jenem Gefühle, durch welches sie ursprünglich als Tendenz ins Unendliche zum Unendlichen con[/]stituirt wird, muß sie sich fortwährend orientiren; wenn sie sich nicht in ein leeres, wesenloses, Unendliche – wenn sie sich nicht selber, als wahre Vernunft verlieren soll. Der Philosoph isolirt die Vernunft, um zu versuchen, was dieselbe, als blosse Vernunft, für sich, und durch sich selber, vermöge – um zu wissen, wie und was sich wissen lasse. – Er hebt durch jenes Isoliren ihre Wirklichkeit, als natürliche Vernunft, auf, und constituirt sie in der Eigenschaft der Künstlichen. Als blosse Vernunft, ist sie nun auch für Ihn die blosse Tendenz ins unendliche überhaupt geworden, die das Endliche ins unendliche begreift, aber dabey auch ins Unendliche aufhört, das reelle Unendliche, und durch dasselbe, sich selber zu VERNEHMEN. Dieses muß der künstlichen Vernunft, die nur auf Wissen, und Begreifen, ausgeht, und für die es nichts giebt, was sich nicht Wissen und Begreifen läßt, ewig [/] verborgen bleiben. Für Sie IST kein Unendliches, sondern nur ein Endliches ins Unendliche, kein an sich und durch sich selbst Wahres, sondern nur Wahrheit für die und durch die spekulirende Vernunft, kein Gott – sondern nur sie selber in ihrem endlosen Wissen. Das reelle Unendliche, an sich und durch sich selbst Wahre, Gott – IST nicht für den Philosophen; nur für den Menschen[;] IST nicht im Wissen, und durchs Wissen, sondern nur im Glauben und durch Glauben; und in demselben, zwar durch Vernunft, aber nicht durch blosse Vernunft, und eben so wenig in der Eigenschaft blosser Vernunft – IST nur durch und für die natürliche – nicht blos sich selbst anschauende und denkende – zwischen der Natur und Gott wirksame, – die Natur ins Unendliche begreifendeGott aber und durch ihn sich selbst vernehmende – das an sich selbst Wahre empfangende – WAHR[/]NEHMENDE – nicht WAHRMACHENDE Vernunft vorhanden.
Nur durch meine Freyheit bin ich mir selbst der Unendlichkeit theilhaftig. Aber ich finde meine Freyheit ursprünglich NUR auf dem Standpunkte des Gewissens, auf welchem allein ich sie auch als MEINE, individuelle, Freyheit wiederfinden kann, nachdem ich beym Philosophiren, zum Behuf des reinen Wissen, von meiner Individualität abstrahirt, und sonach MEINE Freyheit, als solche, für immer aufgegeben habe. Auf den Standpunkt des Gewissens habe ich mich nicht selbst gesetzt; und kann ich mich nicht selbst setzen – Aber ich weiß, daß ich alles in mir aufbiethen soll, mich fortwährend auf demselben zu erhalten. Die Philosophie kann wohl die Möglichkeit dieses Standpunktes aus dem Ihrigen ins unendliche beleuchten; aber sie kann dieselbe nie erschöpfen; noch weniger aber mich wirklich auf den Standpunkt des Gewissens versetzen. [/] Dieses vermag auch die gesamte Natur nicht, über welche ich mich auf demselben erhaben fühle, und glaube. GOTT allein, der sich mir auf demselben offenbart, hat mich darauf gesetzt; und mir dadurch mein wahres Wesen, und meinen Rang zwischen der blossen Natur und Ihm selber angewiesen. [/]
Kiel den 6. April.
Nur durch meine Freyheit bin ich mir selbst der Unendlichkeit theilhaftig. So, wie ich dieselbe ursprünglich im Gewissen finde, ist sie mir ein Endliches, aber mit dem Unendlichen auf eine zwar unbegreifliche Weise, aber unzertrennlich, verbunden. Auf dem Standpunkte der Spekulation abstrahire ich von allem Wirklichen, folglich auch von meiner wirklichen Endlichkeit, und vermittelst derselben, auch von der ursprünglichen und insoferne unbegreiflichen und unzertrennlichen Verbindung meiner Freyheit mit dem Unendlichen. Es bleibt mir dann nichts weiter übrig, als die blosse Freyheit die durch jene Abstraktion, wodurch ich sie als b[l]oße Freyheit constituirt habe – unendlichdurch die Reflexion auf sich selbst aber, wodurch ich sie ohne jene Abstraktion aufzugeben, künstlich in mein Be[/]wußtseyn setzezugleich wieder endlich wird. Ich habe nun nicht mehr MEINE Freyheit, als solche, sondern, die Freyheit an sich, in mir und vor mir, die sich durch Kunst über ihr ursprüngliches Wesen, über ihre Natur, emporgeschwungen, und aus der ursprünglichen Verbindung ihrer Endlichkeit mit dem Unendlichen losgerissen hat. Die Unendlichkeit und die Endlichkeit, die nun für den Philosophen entstehen, und womit er es von nun an zu thun hat, sind ein ursprünglich Getrenntes. Die Unendlichkeit ist ursprünglich nur durch seine freye Abstraktion von dem Wirklichen, die Endlichkeit nur durch seine Reflexion auf die blosse Freyheit; beyde sind nur für die Spekulation – sind nur durch sie und für sie getrennt, und sollen nun durch sie und für sie wieder vereiniget werden. Diese Vereinigung geschieht durch ein Begreifen beyder in Einem und demselben [/] Bewußtseyn, wodurch die Freyheit sich selber endlich ins Unendliche, und die Vereinigung des Endlichen in ihr mit dem Unendlichen – als ein BEGREIFLICHES ins Unendliche, durch sich selber, aufgestellt wird. Was der Philosoph durch freye Abstraktion fortwährend aufhebt, stellt er durch freye Reflexion fortwährend wieder her. Was er durch einen Einzigen, aber fortdaurenden, Akt der Abstraktion aufhebt, ist eben die ursprüngliche und insoferne unbegreifliche Verbindung des Endlichen mit dem Unendlichen – in welcher das wahre Seyn an sich selber, das ursprünglich Realwahre, enthalten ist. Was er durch ins Unendliche wiederholte Akte der Reflexion wiederherstellt, ist keineswegs jenes ursprüngliche, und als solches, unbegreifliche Realwahre an sich selber, und kann es nie werden; aber es ist ein für sich selbst und durch sich selbst in einem endlosen Wissen – [/] WahresNachbildung des an sich unbegreiflichen Wahren durch ein Begreifliches ins Unendliche. Durch das fortwährende und unzertrenliche Aufheben und Wiederherstellen des Realwahren, im Bewußtseyn des Philosophen entsteht, und besteht diejenige absolute Vereinigung des Idealen und Realen in der ächtphilosophischen Spekulation, die das Wesen des reinen Wissens ausmacht, und die in diesem Wissen das für sich und durch sich selbst schlechthin Wahre ist. Aber dieses Wahre ist gleichwohl nur spekulative Wahrheit – ist nichts als philosophisches, künstliches Wissen. In demselben ist das ursprünglich Wahre, DAS VON WISSEN UNABHÄNGIG ist, nur insoferne enthalten, inwieferne dasselbe durch jenes Wissen ins unendliche nachgemacht wird, und sich nachmachen läßt; inwieferne es sich durch ein Begreifliches ins Unendliche vorstellenvertretenrepräsentiren läßt. Das schlechthin [/] unbegreifliche, reelle Unendliche, womit ich durch das sittlichreligiöse Gefühl meine Freyheit als ein Endliches unzertrennlich vereiniget finde, und an das ich durch das Gewissen glaube, kann nimmermehr in jenem Wissen vorkommen, durch welches nur ein Endliches ins Unendliche aufgestellt wird.
Der Philosoph kennt daher, als Philosoph, nichts als die Natur und die blosse Natur, deren Wesen eben in der Endlichkeit ins Unendliche besteht. Er würde nothwendig Atheist seyn müssen, wenn er nichts weiter als Philosoph seyn könnte. Natur, und nichts als Natur ist es, was er durch sein Wissen, und für sein Wissen, durch seine nach der Handlungsweise der blossen Vernunft beschäftigte Einbildungskraft producirt. Von der Natur, aber nur von ihr, weiß er, daß sie â posteriori nichts anderes seyn könne als was sie für sein Wissen und durch sein Wissen â priori [/] seyn muß. Als Philosophen, ist ihm sein Wissen DASSELBE was ihm als Menschen die Natur an sich selbst ist; Seyn durch ein Werden ins Unendliche. Er würde die Natur erschöpfen, wenn er sein Wissen erschöpfen könnte. Sein Wissen ist ein ewiges Schweben über der Natur; ein Bewußtseyn, welches sich dem Endlichseyn ins Unendliche, der Natur, gleich macht. Es kömmt ewig unabhängig von der Erfahrung, ewig der Erfahrung zuvor – aber auch nur der Erfahrung; und diese, aber auch nur diese, muß dasselbe ewig bestätigen. Es ist – jenachdem man das spekulative Wissen entweder aus dem Gesichtspunkte seines Ursprungs durch die Abstraktion von dem Wirklichen – (welches sonach zur Möglichkeit dieser Abstraktion und jenes Wissens vorhergehen muß) – oder aber aus dem Gesichtspunkt der schlechthin freyen Reflexion, mit welcher jenes Wissen angeht, betrachten will – entweder das [/] getreue NACHBILD, oder das nie zu verfehlende URBILD der blossen Natur. Darauf ist es durch sein ganzes Wesen eingeschränkt. Wäre keine andere reine Ueberzeugung möglich, als die spekulative, philosophische, so würde es nichts als Natur geben können; und gäbe es nichts als Natur: so würde keine andere reine Ueberzeugung als die spekulative, philosophische, möglich seyn, die an sich selbst nichts als die reine, aber nie zu vollendende, Auflösung der EMPIRISCHEN in ihre Elemente ist.
Allein es giebt eine REINE Ueberzeugung, die nicht die spekulative, philosophische ist; und Gott IST, und ist von der Natur wesentlich verschieden. Die ursprüngliche Verbindung des Endlichen mit dem Unendlichen, von welcher der Philosoph abstrahirt hat, um sie durch seine Reflexionen wiederherzustellen, enthält MEHR als das BLOSSE WIRKLICHE, [/] welches Er bey seinem Abstrahiren unmittelbar im Auge gehabt hat. Er hat, wenn er sich recht besinnt, eigentlich nur von der sinnlichen Wahrnehmung abstrahirt; und was er durch seine Reflexionen wieder gewinnt, ist nur das rein Wahre, das jener Wahrnehmung als solcher zum Grunde liegt. Das an sich Wahre, oder die ursprüngliche Verbindung des Endlichen und Unendlichen, kündiget sich IM NATÜRLICHEN Bewußtseyn THEILS in der blossen Erfahrung, durch die sinnliche Wahrnehmung und das sich darauf beziehende Denken, als das Endliche ins Unendliche – als blosse Natur – THEILS aber auch im Gewissen durch übersinnliche Wahrnehmung, und das sich darauf beziehende Glauben, als das Unendliche IM Endlichen – als Gott, an. Als Natur ist das Wahre IM natürlichen Bewußtseyn nur für die Erfahrung – d. h. für ein Wissen möglich, das in einem ins Unendliche [/] fortzusetzenden sinnlichen Wahrnehmen, und sich darauf beziehenden Denken besteht – das sogenannte empirische Wissen. Als Gott ist das Wahre im natürlichen Bewußtseyn nur für das Gewissen, und in demselben ist es nur für einen Glauben möglich, der in einem übersinnlichen, ursprünglichen, und in seinem Ursprunge unbegreiflichen Gefühle gegründet ist; in einem Gefühle, das uns weder die Natur, noch unsre Freyheit, geben konnte, und das wir durch den Glauben, der aus ihm hervorgeht, als ein Gottgegebenes, als Offenbarung Gottes in uns, annehmen müssen. Im natürlichen Bewußtseyn ist dieses Gefühl insofern immer unzertrennlich MIT SINNLICHER Wahrnehmung verbunden, inwieferne uns dasselbe fortwährend ÜBER dieselbe hinaushebt. Der Philosoph verliert also zwar auch jenes Gefühl aus dem Auge, wenn und in wieferne er, nicht um zu handeln – sondern um zu [/] spekuliren, von dieser Wahrnehmung abstrahirt. (Gott verschwindet für ihn zugleich mit der Natur.) Gleichwohl aber benutzt auch er jenes Gefühl – es sey nun mit, oder ohne, Wissen; wenn er sich auf den, von seiner Philosophie unabhängigen, Glauben an die Freyheit beruft, der ursprünglich nur mit jenem Gefühle und durch dasselbe vorhanden ist.
Denn nur in jenem Gefühle finde ich mich selbst ursprünglich frey; und ich finde mich in demselben so, nicht etwa, weil die Natur mich nöthiget, mich zum Behuf der Möglichkeit des Selbstbewußtseyns – oder etwa, weil ich selbst zum Behuf des Spekulativen Wissens beschlossen habe – mich so zu denken; sondern WEIL ich mich, in Kraft jenes Gefühles, nicht anders dann als frey finden kann, und mich in demselben WIRKLICH – d. h. in der Wahrheit frey finde. Und NUR DARUM muß ich mir selber die blosse Natur entgegensetzen, und mich selber im Gegensatz mit derselben als [/] frey denken. – Nur darum, wird mir die NATUR – in mir und ausser mir – Tendenz des Endlichen ZUM ENDLICHEN INS Unendliche, und werde ICH MIR selbst, im Gegensatz mit der Natur – Tendenz des Endlichen ZUM UNENDLICHEN. Nur darum endlich KANN ich mich, wenn ich will, und wenn ich es zum Behuf der Spekulation muß, durch eine freye Abstraktion – die aber ohne jenes vorhergegangene Gefühl unmöglich seyn würde – schlechthin – d. h. aus blosser Freyheit als frey anschauen und denken. Ohne jenes ursprüngliche Gefühl, das ich weder der Natur verdanken, noch durch Spekulation erzeugen, oder auch nur nachmachen kann, würde das empirische Wissen, und die Natur, und das reine Wissen und die Freyheit – eben so wenig als Gott und ich selbst für mich seyn.
Aber ich finde in jenem Gefühle meine Freyheit nur insoferne, als ich neben ihr, zugleich auch Gott finde; – [/] ich finde sie nur durch Gott, und nur durch sie – Gott in jenem Gefühle; und der durch dasselbe begründete Glauben an die Freyheit, ist so weit, als er durch dasselbe begründet ist, von dem Glauben an Gott schlechthin unzertrennlich. Ich kann zwar ÜBER jenes Gefühl mit allem meinem Denken nie hinausgehen; ich kann und darf es nie AUFLÖSEN, ohne das Realwahre, das nur durch dieses Gefühl und in demselben für mich ist, mit demselben zugleich aufzuheben – Aber IN DEMSELBEN finde ich meine Freyheit nur durch Ein Anderes, von ihr unzertrennliches – durch ein Nothwendiges – das mich als frey über alle Natur hinaushebt; das ich nothwendig von aller Natur unterscheide, und insoferne mir selbst GLEICHARTIG finde – auch Freyheit nenne – gleichwohl aber von meiner Frey¬heit, die als endlich ins Unendliche auch der Natur GLEICHARTIG ist, unterscheide, und als das Unendliche ins Un[/]endliche, als das übernatürliche Re[e]lle finde, und Gott nenne.
Dieses schlechthin Unendliche ist mir auch das schlechthin Unbegreifliche; aber eben in dieser Unbegreiflichkeit und durch dieselbe, das schlechthin Reelle. Es IST schlechthin für mich, inwieferne ich es als das Unbegreifliche vernehme –; es IST NICHT für mich; und ich muß es aufheben, indem ich es begreifen, zu einem Begreiflichen zu machen, strebe. Ich kenne es; – aber ich kenne es nur durch das in seiner Art Einzige unbegreifliche und unaussprechliche Gefühl – durch welches ich dasselbe in mir, und unmittelbar durch dasselbe mein besseres Selbst wahrnehme; und in welchem es durch seine unbegreifliche und unzertrennliche Vereinigung mit mir, die Urquelle aller Wahrheit ist.
An sich selbst, folglich von jenem Gefühle weggesehen, ist es nichts und weniger als nichts, für mich; [/] ist es das SCHLECHTHIN-UNBESTIMBARE, und insoferne nicht einmal DENKBARE. Ich vernichte meine Vernunft, wenn ich sie AUSSER MICH hinaussetze; oder mir eine von der Meinigen Verschiedene unendliche VERNUNFT EINBILDE und dieselbe Heiligkeit oder Gott nenne. Das Wesen der Vernunft ist die Tendenz eines Endlichen ins Unendlichezum Unendlichen. Sie hat mit aller Natur gemein endlich ins Unendliche zu seyn; – und wird nur durch das Unendliche (durch Gott) welcher sie unmittelbar als Tendenz zu Ihm selbst constituirt, zu einen übernatürlichen Rang erhoben. Ein an sich selbst vernünftiger Gott ist ein Unding. Aber meine Vernunft ist insoferne das Göttliche in mir, inwieferne sie nicht blosse Vernunft ist, und ich nur durch sie allein Gott, und sie selbst, als wahre Vernunft nur durch Gott vernehme. Ich kann und muß das an sich selbst NICHT DENKBARE Unendliche ins [/] Unendliche in Beziehung auf jenes ursprüngliche Gefühl denken; und ich denke es wirklich, in wie ferne ich durch jenes Gefühl genöthiget, den schlechthin unbegreiflichen Realgrund meiner ursprünglichen Freyheit selber, der eben darum auch der Realgrund alles dessen, was nur für meine Freyheit und durch meine Vernunft als möglich denkbar ist – der ganzen Natur, und alles meines Philosophischen Wissens – kurz! alles Endlichen und insoferne begreiflichen Reellen – schlechthin, für ALL mein Denken und Handeln, VORAUSSETZE – d. h. GOTT GLAUBE[.]
Gott, als der Realgrund alles positiven denkbaren, und eben darum endlichen Reellen, folglich insoferne auch unsrer Freyheit und Vernunft selber – der positiv nur gefühlt, und in Beziehung auf dieses Gefühl negativ gedacht, durch denken nicht gesetzt, sondern nur vorausgesetzt, – d. h. geglaubt wird – [/] Gott wird SCHLECHTHIN UNDENKBAR, – sich selbst widersprechend, unmöglich – wenn man die ursprüngliche Freyheit, die uns nur durch das Gewissen allein geoffenbart wird, mit derjenigen absoluten Freyheit verwechselt, die nur in der Spekulation, durch die Spekulation, und für die Spekulation wirklich ist; und diese an die Stelle von jener setzt, in dem man sich Gott denkt. Durch diesen Mißverstand kann die neueste Philosophie Schwachgläubige und Irrgläubige zu Atheisten machen. Aber wer diese Philosophie recht versteht, der muß aus ihr selber einsehen und wissen, daß die Wirklichkeit der ursprünglichen Freyheit von der absoluten des Philosophen VORAUSGESETZT, und aus der letztern und durch dieselbe nur vermittelst eines ins unendliche fortschreitenden Wissens – und für dasselbe erklärbar sey; daß es, wenn die absolute und spekulative Freyheit an die Stelle der Ur[/]sprünglichen und Wirklichen gesetzt wird; keinen Glauben an Freyheit gebe, den die Spekulation zu ihrer Legitimation vor dem natürlichen gesunden Verstand voraussetzen, und von dem dieselbe ausgehen, und zu ihrem Wissen übergehen könnte, – daß es alsdann überhaupt und schlechterdings keine Wahrheit gebe, ausser durch Spekulation und für die Spekulation – daß alsdann das Wirkliche von dem der Philosoph ins Unendliche abstrahiren muß, um es durch seine künstlichen Reflexionen für sein Wissen ins Unendliche hervorzubringen – kein WAHRES Wirkliche ist, und seine Philosophie sonach nichts anders seyn könne, als ERKLÄRUNG DES NATÜRLI¬CHEN SCHEINS durch den KÜNSTLICHEN.
Für die philosophirende Vernunft, oder was dasselbe heißt, für den spekulativen Gebrauch der Vernunft, ist nichts wirklich, was nicht durch ihn wirklich ist, und durch ihn ist nichts wirklich, als was er begreift. [/] Für den Philosophen ist daher auch Gott, der für die natürliche Vernunft, und den Menschen, als solchen, der unbegreifliche und unendliche Realgrund alles Begreiflichen und Endlichen Reel[l]en ist, – objektiv nichts als die moralische Weltordnung, und subjektiv nichts als der Glaube an dieselbe, der, wie Sie in Ihrer Abhandlung über den Grund ec. vortreflich gezeigt haben, mit dem Bewußtseyn des Sittengesetzes unzertrennlich verbunden ist. Die Spekulation begreift jenes Gesetz keineswegs, ohne nicht dasselbe zugleich auch als Gesetz des Universums vorauszusetzen. Aber gleichwie das ganze Universum für sie nichts mehr und nichts weniger ist, als die ins Unendliche endliche Freyheit in ihren unendlichen Produktionen, oder die im reinen Wissen mit sich selbst und durch sich selbst beschäftigte Vernunft: so IST auch jenes Gesetz des Universums für sie an sich selbst nichts weiter als Eine [/] jener Produktionen, und zwar die sich selber in der Eigenschaft der Praktischen konstituirende, und bey allen ihren übrigen Funktionen, und zum Behuf derselben, sich voraussetzende Vernunft.
Die Spekulation erklärt den Glauben an Gott NUR sp weit derselbe erklärbar ist; sie deducirt keineswegs IHN selbst in seiner Wirklichkeit – sondern nur die zu [ihm] gehörigen Begriffe – seine Möglichkeit – so weit dieselbe in der Vernunft gegründet ist, alles, aber nur das, was an ihm begreiflich, und, insoferne auch nur, ERKLÄRBAR ist. Der Glaube, den sie deducirt, ist INWIEFERNE sie ihn deducirt, blosses Product des Wissens.
Nämlich die ins unendliche endliche Vernunft geräth in Widerspruch mit sich selbst, indem sie sich durch die künstliche Abstraktion von dem Wirklichen – von der Natur und von Gott losreißt, – inwieferne sie zu Behuf des [/] spekulativen – des reinen – Wissens nichts als sich selber zu vernehmen beschließt, und dadurch nothwendiger Weise für und durch sich selber zugleich begreiflich und unbegreiflich ins Unendliche werden muß. Diesen Widerspruch hebt sie dadurch auf, daß sie sich in verschiedener Rücksicht ZUGLEICH als endlich und unendlich denkt; und diese ihre Endlichkeit und Unendlichkeit insoferne ZUGLEICH in sich vereiniget, inwieferne sie dieselbe für ihr theoretisches thun als Begreiflich ins Unendliche setzt, für ihr praktisches thun aber als schlechthin unbegreiflich ins Unendliche voraussetzt. Aber jenes praktische thun, und das davon unzertrennliche Voraussetzen (Glauben) wird ihr NUR zum Behuf des endlosen Wissens worauf sie allein ausgeht, nothwendig. Sie selbst ist es, die sich selbst als UNBEGREIFLICH ins Unendliche voraussetzt, um sich für ihr Wissen als begreiflich INS U nend[/]liche setzen zu können. Sie glaubt nur um wissen zu können, und weiß, daß sie nur darum glauben muß; ihr Glauben, wie ihr Wissen, ist blosse Spekulation – nichts als Kunstwerk.
Die natürliche Vernunft hingegen weiß nur, weil und inwieferne sie glaubt, und glaubt nicht, weil sie weiß, und damit sie wisse – sondern schlechthin weil sie glaubt. Ihr Glauben ist schlechthin selbstständig, und sie selbst ist es nur durch ihn – und das spekulative Wissen kann IHR nur durch die Voraussetzung jenes selbstständigen Glaubens, seine Selbstständigkeit, bewähren. Ihr ist das An sich selbst Wahre in unmittelbarer Wahrnehmung gegeben, Sie vernimmt es, ohne es zu begreifen, Sie glaubt es, ohne es auf eine andere Weise als durch den Gegensatz mit allen Endlichen ins Unendliche denken zu können. Gleichwohl ist es für sie, in jenem Gefühle, durch [/] welches Sie mit Ihm in unmittelbarer Wechselwirkung steht, völlig durch sich selbst klar – ist ihr das Einzige schlechthin und ursprünglich durch sich selbst klare, und einleuchtende, das Urlicht – von welchem das Licht, sowohl des reinen als des empirischen Wissens blosser Abglanz ist, und durch welches allein die Vernunft sich selbst und alles andere in dem Wahren selbst vernimmt. Daher die Wahrheit und Gewisheit des nicht ohne Ursache Vorzugsweise so genannten GEWISSENS, in welchem der Mensch das Wahre, das durch sich selbst gewiß, und [das] Gewisse, das durch sich selbst wahr ist, zwar durch Vernunft aber nicht als Vernunft sondern als die Stimme des ihn fortwährend zur FREYHEIT im Vernünftigen Handeln, zu einem höhern Daseyn – einem bessern Leben – zur Gottähnlichkeit – rufenden Gottes vernimmt, und um so klarer vernimmt, je mehr er durch sein thun und [/] lassen dieser Berufung entgegen kömmt. Dieses Vernehmen und Entgegenkommen ist freylich sein Handeln – aber sein Handeln ist zugleich ein fortwährendes Empfangen von Gott – durch den die ganze Natur, alles Endliche ins Unendliche, Daseyn hat, durch den aber der Mensch, über die Natur, über alles Endliche ins Unendliche insoferne hinaus erhoben wird, als Gott sich ihm offenbart, ihm dadurch [Vernunft] und durch dieselbe und mit derselben das Gefühl seiner unmittelbaren Abhängigkeit von dem Unendlichen giebt, durch welches er von der Natur ins Unendliche unabhängig werden soll.
Als Philosoph weiß der Mensch von Gott nichts: als daß der Mensch an Gott glauben müsse, wenn kein Widerspruch zwischen seinem spekulativen und natürlichen Vernunftgebrauch en[t] stehen soll; – ferner: daß dieser Glaube im Menschen [/] nur vermittelst der Vernunft möglich sey, und insoferne durchaus nichts der Vernunft widersprechendes enthalten könne und dürfe, – endlich: daß dieser Glaube so weit er sich aus der blossen Vernunft herleiten lasse, nur als Glauben an die moralische Weltordnung gedacht werden müsse. So viel weiß der Mensch als Philosoph von Gott, und die Zergliederung dieses Wissens ist die philosophische Religionswissenschaft. Daß aber jener Glaube, inwieferne er im Gewissen, und durch Gewissenhaftigkeit als wirklicher lebendiger, Glaube vorhanden ist, nicht durch blosse Vernunft allein, weder durch das natürliche noch durch das spekulative Selbstdenken – sondern durch Gott selbst vermittelst der im Handeln aus Pflicht, Gott wahrnehmenden Vernunft wirklich, und nur insoferne möglich sey, als er wirklich ist, davon weiß der Philosoph, als solcher, nichts, das glaubt er als Mensch, weil und [/] in wieferne das moralischreligiose ursprüngliche Gefühl, wodurch seine natürliche ÜBER die spekulative Vernunft erhoben wird, ihn nöthiget sich jenen Glauben so zu denken. Er glaubt daher auch als Mensch, mit Jacobi: daß ohne jenes Gefühl sein reines Wissen nicht nur BLOSSE Spekulation, was es ohnehin nur seyn kann, sondern auch LEERE Spekulation, was es keineswegs seyn soll, seyn würde.
Metadata Concerning Header
  • Date: 27. März bis 6. April 1799
  • Sender: Karl Leonhard Reinhold
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Eutin · · , Kiel · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 307‒320.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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