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Karl Leonhard Reinhold to Johann Gottlieb Fichte

Kiel den 16. April 1799.
Theurer, innigst verehrter Freund!
Jacobi, der nicht gewußt, oder nicht bedacht zu haben scheint, daß mein letzter Brief bereits an Sie abgegangen, schreibt mir in einem gestern erhaltenen Brief:
„Ich schreibe heute blos, um Ihnen den einliegenden Discours des General Tourreau zu schicken. Ich erhielt ihn [/] vorgestern Abend von meinem ältesten Sohne, der Maire zu Aachen ist. Folgendes schrieb er mir dabei: Ich machte dem General besonders über die roth angestrichene Stelle Einwendungen – Er sagte mir: Mais mon Camerade, je ne dis pas, que ce sont mes principes. J’ai seulement voulu vous demontrer, que Vous autres Allemands allez encore plus loin, que nous, puisqu’un de vos propres philosophes a dit ce que j’ai cité dans mon discours; et c’est bien vrai au moins; car c’est un de vos premiers philosophes, Professeur d’une des premières Universités de l’Allemagne, le Professeur Fichte à Jena, qui l’a dit. Sie werden sich wundern, daß die republikanischen Generale den Fichte studiren und seine Schriften appliciren.“
„Die vom General angeführte Stelle ist nicht von Fichte, sondern von Forberg, und steht 45 und 46 des bewußten Heftes. – Vielleicht wäre es gut, wenn Sie Fichte’n den Vorgang ungesäumt meldeten. Wenn Sie es für gut finden, so mögen Sie ihm den Discours selbst senden, sonst erwarte ich ihn wieder zurück. Es versteht sich, daß Ihm auch geschrieben werden müßte, wie sich Tourreau gegen meinen Sohn ausgedrückt hat. Daß diese Begebenheit nicht unwichtig ist, begreifen Sie.“ So weit Jacobi über diese Sache.
Mir scheint diese Begebenheit bedenklicher als die alberne Confiskation, um so bedenklicher, je mehr ich überzeugt bin, daß in unsern Tagen Beelzebub Unglauben mächtiger ist als Satan Aberglauben. Sie haben es gegen beide zu thun, und wollen nicht, daß, was Sie gegen den Einen unternehmen, der Andere zu seinem Vortheil benutze. Sie haben gegen den Forberg’schen Aufsatz noch Nichts gesagt, als daß Forberg nicht weit genug gehe. Diese Aeußerung wird, wie Sie leicht denken können, nicht ausgelegt, wie sie von Ihnen gemeint ist, und man schreibt Ihnen die Denkart und die Gesinnung, die in jenem Aufsatze enthalten ist, als die Ihrige zu. Forberg hat seinen Begriff von Religion sicherlich nicht aus dem Princip der [/] Wissenschaftslehre wissenschaftlich deducirt. In seinem Aufsatze spuckt die Kantische Idee, als ob ein Gott wäre – man müßte handeln, als ob die moralische lebendige Weltordnung etwas Reelles wäre? Ist irgend ein in unsrer gemeinen Denkart vorhandener Begriff nicht völlig gesund, so muß auch [dem], der die Wissenschaftslehre inne hat, und sich auf reines Wissen versteht – aber im Fortschreiten desselben noch nicht bis zur Aufstellung jenes Begriffes gelangt ist, der jenen ungesunden Begriffen widersprechende gesunde – ungesund scheinen.
Ich bin jetzt mit meinem Brief an den guten, Sie sehr hochschätzenden und in seiner Liebe für Religion und Sie gekränkten Lavater beschäftiget, und ich hoffe, daß es mir nicht ganz mißlingen wird, zu seiner und anderer ehrlicher Nicht=Philosophen Beruhigung und Rechtfertigung Ihrer Philosophie beizutragen. Ich muß Sie bitten, damit der Druck nicht aufgehalten werde, mich, es sey nun durch eine Zeile an mich selbst oder in Ihren Briefen an Jacobi – wissen zu lassen, ob Sie mir erlauben, zugleich auch meinen Brief an Sie, so weit er wissenschaftlichen Inhalts ist, als Brief an Sie drucken zu lassen. Die weiteren Diskussionen erlauben Sie mir dann in Ihrem Journale fortzusetzen. Durch die Verbindung meines Briefes an Sie mit dem an Lavater wünsche ich zugleich gegen die Mißdeutung, welche Philosophen und Nicht=Philosophen sich mit unserer Philosophie zu Schulden kommen lassen, Etwas zu versuchen.
Leben Sie wohl und meiner herzlichsten Ergebenheit und Verehrung auf immer versichert.
Reinhold.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 16. April 1799
  • Sender: Karl Leonhard Reinhold
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Kiel · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 323‒324.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

Weitere Infos ·