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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Heinrich Jacobi

Jena, den 22. April 1799.
Meinen wärmsten Dank, verehrungswürdiger, innigst geliebter Freund, für das trefliche Schreiben, das Sie die [/] Güte hatten, für mich zu schreiben. Meine Zeit, die durch die Wendung, welche mein Schiksal genommen, für ganz andre Dinge in Anspruch kommt hat mir noch nicht erlaubt, dasselbe so sorgfältig zu studieren, um zu finden, wie jenes Schreiben gegen mich seyn könne. Der ersten natürlichen Ansicht nach unterschreibe ich dasselbe fast durchgängig unbedingt.
Jedoch Sie erlauben mir ohne Zweifel bei meiner gegenwärtigen Zerstreuung die Bequemlichkeit, die hieher gehörigen Stellen aus meiner soeben an Reinhold abgehenden Antwort, der sich auf Ihr Schreiben bezog, unverändert abzuschreiben.
„Noch ehe ich Jacobi’s Schreiben erhielt, hatte ich für eine kleine Schrift, die ich vielleicht noch erscheinen laße, vielleicht nicht, das beiliegende entworfen (Ich sage entworfen; die Beilage* ist flüchtiges Concept, und ich habe gegenwärtig weder die Zeit, noch die Fassung, ihr eine bessere Form zu geben) – –
Ich unterschreibe Jacobi’s Aeußerungen in ihrer ganzen Ausdehnung. Er kennt das Wesen der Spekulation so innigst, und eben so das Wesen des Lebens. Wie kommt es nun, daß er nicht kalt sich über beide erheben, und sie an einander halten kann? Warum muß er entweder in dem Standpunkte der Speculation gefangen seyn, so daß er sich schämt, seine Einwürfe gegen mein System vor sich selbst auszusprechen, oder in einer andern Stimmung aus dem Standpunkte des Lebens, der Speculation, deren Werth und Bedeutung er kennt, wie keiner, spotten, sie verwünschen, [/] und verabscheuen? Da er selbst in gedruckten Schriften, und in jenem Schreiben auf seine Individualität sich bezieht, ist es vielleicht [in einem Schreiben an seinen Freund, das Ihm selbst auf der Stelle mitgetheilt wird] erlaubt, diesen ausserdem unbegreiflichen Widerstreit aus dieser Individualität zu erklären. Er lehnt den logischen Enthusiasmus von sich ab; mit Recht, wie ich ihn ebenfals von mir ablehnen würde. Aber es scheint ein entgegengesetzter Enthusiasmus, den ich den Enthusiasmus des Lebens nennen möchte, in ihm zu wohnen, der es ihm unheimlich macht, auch nur zum Versuche vom wirklichen Leben zu abstrahiren. Dieser Enthusiasmus hängt vielleicht mit dem psychologischen Phänomen zusammen, dessen Beilage III zu den Briefen ü. d. L. d. Sp. 2. Ausg. gedacht wird. Er hat sich in früher Jugend auf dem Gebiete der Speculation so übel befunden, daß sehr leicht von daher ein Affekt wider dasselbe bei ihm übrig geblieben seyn kann.“ –
Es muß Ihnen, – daß ich hier ein Wort hinzusetze, – mehr gekostet haben, als es irgend einem Sterblichen je wieder kosten wird, Ihre tiefe Einsicht in die Geheimnisse der Spekulation zu erwerben; an welcher ich abermals, aus inniger Ueberzeugung, und nicht etwa blos vor Ihnen, sondern vor jederman, mit welchem ich von Ihnen spreche, keinen Sterblichen Ihnen an die Seite setze. Und zu diesem Studio konnte Sie, meiner Meinung nach, auch nur Ihr herrschender Affekt begeistern, und stärken, die Liebe des reellen, der Haß der Spekulation. Sie drangen in unser Land ein, um unsre Schwächen auszukundschaften; und dieses ist Ihnen denn gelungen – außer, daß die Verständigen unter uns nie haben seyn wollen, was wir nicht seyn können. [/]
„Es bedarf, fahre ich fort an R. – der absolutesten Apathie, um durch den transscendentalen Idealismus eben so wenig heillos zu werden, als sich an ihm zu ärgern.“
Das erstere könnte der bloß logische Enthusiasmus verursachen, wenn es einen solchen geben könnte. Auf keinen Fall fürchte ich über diesen Punkt etwas vom Idealismus, ich bin des festen Glaubens, daß dieser (der tr. Ideal.) nie in eine heillose Seele kommt. Das letztere verursacht der Enthusiasmus des Lebens, dessen ich Sie in Verdacht habe.
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Ich bin zu Ihnen in dem Verhältnisse des Alters, daß Sie ohne Zweifel Söhne haben, die älter sind als ich; Sie haben gearbeitet wie ich es nie habe; Sie besitzen eine Erkenntniß und ein Talent, die ich aus meiner Ferne ehrerbietig anstaune: es kommt mir um dessen willen vielleicht nicht zu, von Ihnen und zu Ihnen zu reden, wie ich es soeben gethan habe. Aber, daß eben dieser Mann, dieser Jacobi, mich so hoch ehrt[,] mir unter den spekulativen Köpfen diesen hohen Rang anweist, muß mir zu Gute kommen. Und wenn ich mich an Ihnen irre, so will ich meinen Irrthum gern zurüke nehmen.
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Es sind noch einige Punkte, die wirklich streitig zwischen uns zu seyn scheinen. Diese will ich nach erlangter Ruhe, studiren und ich behalte mir vor, Ihnen darüber ausführlich zu schreiben.
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Nach erlangter Ruhe sage ich; denn gegenwärtig habe ich eine Haushaltung aufzuheben, und mir ein Asyl zu suchen, wo ich sicher vor litterarischen Tracasserien, und politischen Verfolgungen, gedekt vor den Bannflüchen der Priester, und den [/] Steinigungen der Gläubigen, ausruhen und zu einer neuen Wirksamkeit in der Stille mich stärken könne. Ich habe meine Lehrstelle nicht mehr; diejenigen welche mein Schicksal entschieden, sagen, daß ich sie selbst aufgegeben: ich aber sage, daß man sie mir durch eine unwürdige List genommen. Mich von diesem einflußreichen Platze wegzubringen, daran hatten die Freunde der Finsterniß und der Willkühr schon längst alle ihre Kräfte gesetzt; sie hatten, was ich freilich vorher nicht wußte, unsrem Herzoge schon längst den Entschluß beigebracht, bei der ersten guten Gelegenheit sich meiner zu entledigen. Meine Lehre zum Vorwande zu nehmen, schämte man sich; und man protestirt auch noch jezt feierlich dagegen, daß diese einen Einfluß auf die genommene Entschließung gehabt. Dagegen misbrauchte man lieber mein Vertrauen, machte einen Privatbrief zu einem Actenstück, und ließ diesen Brief sagen, was man wünsch[t]e, daß er gesagt hätte.
[Das] verdrießlichste bei der ganzen Sache, lieber Jacobi, ist dies, daß nicht einmal ich selbst mit mir zufrieden seyn kann. Gegen jenes Geschlecht zwar habe ich ohne Zweifel Recht; aber nicht gegen mich. Ich hatte bis ganz zuletzt jeder Versuchung, von dem Wege der strengen Förmlichkeit auf das Gebiet der geheimen Unterhandlung und Verabredung mich verleiten zu lassen, widerstanden; nur noch 8 Tage Ruhe, und sie konnten nur zu ihrer eignen Gefahr, und zu ihrer eignen offenbaren Schande etwas gegen mich unternehmen. Der einzige Mensch allhier, der einige Autorität über mich gewonnen hatte, weil ich ihn für einen streng ehrlichen Mann hielt, welches er denn wohl auch großentheils ist und bleibt, [/] verleitete mich noch ganz zuletzt mich mit jenem Geschlechte auf ihrem eignen Felde, auf dem sie mir freilich überlegen sind, einzulassen; dies schlug gegen mich aus, wie ich hätte erwarten sollen: und nun ärgerte mich nicht der Ausgang, sondern mein Schritt.
Uebrigens ersuche ich Sie, und alle, die mir nicht Unrecht thun wollen, keiner Nachricht zu glauben, bis ich selbst reden werde. Theils ist ein entscheidender Umstand, den nur ich, und noch einige wissen, die ihn aber sicher nicht angeben werden; theils hat die Hofparthey in dieser Gegend aller Urtheile nach ihrem Sinne gestimmt. Diese Umstände mögen mich über die Beschaffenheit dieses meines Briefs entschuldigen.
Leben Sie wohl, lieber, edler, theurer Mann, und erhalten Sie mir, jetzt, da der gröste Theil derer, die sich bisher meine Freunde nannten, abfällt, Ihr Wohlwollen.
Fichte.
Es folgt der mir von Reinhold überschikte Discours des Gen. Tourreau zurück.
* welche ich vor dem Briefe zu lesen bitte, indem der letzte durch sie erst vollständig wird.
[Text des „Fragment“]
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 22. April 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Heinrich Jacobi ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Eutin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 334‒337.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

Weitere Infos ·