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Johann Gottlieb Fichte, Johanna Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Jena den 3. Mai 1799.
Ich habe, mein verehrtester Freund, Ihre Schrift: „Ueber die Paradoxien‘‘ u. s. w. vorgestern erhalten, und habe, bei meiner innigen Freude über dieselbe, mich zugleich gar sehr geschämt über die Warnungen, Erinnerungen, Belehrungen, die ich Ihnen in meinem letzten Briefe und der Beilage ertheilt, nachdem ich sehe, daß Sie derselben gar nicht bedürfen. Ich brauche, nach jener Beilage, nun nicht zu sagen, daß beinahe Alles, was Sie schreiben, mir aus der Seele geschrieben ist. Ich eile, Ihnen dies zu melden und Ihnen meinen vorigen Brief herzlich abzubitten, noch ehe ich in Ihrer Antwort die verdiente Zurechtweisung dafür erhalte.
Ich wurde in Ihrem Schreiben besonders durch das S. 3 Befindliche, „von einem Gebrauche, den unser Wille von unserm Philosophiren zu machen habe,“ und durch das diesen Worten Vorhergehende und Nachfolgende irre an Ihnen. Es giebt, meiner Meinung nach, unmittelbar keinen solchen Gebrauch. Auch hatte ich den Ausdruck „Standpunkt“ [/] unrichtig genommen. Sie reden, wie ich jetzt einsehe, weder von einem wissenschaftlichen Standpunkte, noch von einem fürʼs Leben, sondern gerade von derselben Betrachtung, deren ich in meiner Antwort erwähne, und die ich in der Beilage angestellt habe, in welcher Philosophie und Leben geschieden und verglichen wird.
Auch ist mir jetzt klärer, was Sie durch einen gesunden Begriff verstehen, ein Ausdruck, mit welchem ich Sie – ich will es nur gestehen – der Popularphilosophie ein wenig in Verdacht hatte. Ich würde ihn nennen einen solchen, wie er zufolge des ursprünglichen Vernunftsystems seyn soll. Gefunden werden dergleichen Begriffe durch die Spekulation; aber sie werden durch sie nicht lebendig und thätig. Das thut nur gründliche Verbesserung des Willens, die nicht die Frucht der Philosophie ist, sondern aus dem Leben selbst hervorgehen muß.
Ueber die Sache selbst sind wir sonach ganz einig. Nur suchen wir nach unserer besondern Individualität – Sie mehr den Zusammenhang der Spekulation und des Lebens, ich mehr ihre Entgegengesetztheit hervorzuheben, indem Sie mehr darauf hinausgehen, die, welche draußen sind, zu gewinnen, ich mehr darauf, sie abzuschrecken, damit sie sich nicht in Geschäfte mischen, die sie nichts angehen. Sie werden nicht alle gewinnen, und nun wird es mein Geschäft, gegen die nicht Gewonnenen unsere Wissenschaft zu schützen.
Was Sie abermals über meinen Ton, – denn doch auch in einem etwas starken Tone – sagen, fasse ich jetzt besser als je, nachdem durch die Veränderung in meiner äußern Lage, und durch den wahrhaften Ekel an der sogenannten gelehrten Welt, der in diesem Streite bei mir entstanden ist, eine beträchtliche Aenderung in meiner Denkart vorgegangen. Was Sie mir eigentlich anmuthen, ist dies: theils, dieses gelehrte Publikum so kindisch, unverständig und langsam begreifend voraus[zu]setzen, als ich mir [/] es nur irgend zu denken vermag, theils, in einem mir angeworfenen Prozesse, nicht Partei, sondern kalter, sogar günstiger Richter zu seyn, der der Sache des Gegners noch nachhilft, und Vortheile geltend macht, [deren] bereit er selbst sich begeben. Ich habe nach aufrichtiger Selbstprüfung gefunden, daß ich bis jetzt zu dieser Rolle zu bescheiden war. Durch sein Betragen in dem gegenwärtigen Streite aber spricht mich das Publikum von aller Bescheidenheit los; und nun werde ich mich sicher bessern. Ist es erhört, daß diese Menschen, die nicht die entfernteste Ahnung haben, was Spekulation sey, von meiner Deduction des Glaubens an Gott Notiz nehmen, und mir zur Genesung ihren Katechismus eingeben wollen? O tribus Anticyris insanabilia capita!
Wenn man z. B. S. 19-26 Ihrer Schrift liest, so wird freilich das Nichtverstehen und die Verhaßtheit der neuesten Philosophie begreiflich, und über die nothwendige Folge kann man nun freilich nicht weiter zürnen. Aber möchte man nicht innerlich ergrimmen und aus der Haut fahren über diesen Grund? Ist auch dies begreiflich und zu entschuldigen, daß diese Menschen sich nicht schämen und grämen, zu seyn, und seyn und bleiben zu wollen, was sie sind? Lieber, die Freiheit, die ich lehre, muthe ich zugleich an, und setze sie bei jedem voraus, und es giebt bei mir keine Verblendung ohne Schuld. Ich fühle, trotz meines obigen Versprechens, mich zu bessern, wird es mir doch Mühe kosten, kalt und ruhig mein Geschlecht zu betrachten, als ob es nicht frei, sondern eine RaisonnirMaschine wäre, die man nur richtig stellen müßte. Ich sehe kein Mittel, mich mit ihm zu vertragen, als dies, es einige Zeit zu verlassen.
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Ich werde Ihnen nächstens in einem langen Sendschreiben die Geschichte meiner Dienstentlassung überschicken, nebst den bedeutendsten Aktenstücken. Meine Absicht ist, [/] daß Sie dieses Schreiben zum Druck befördern, wenn Sie eine solche öffentliche Relation für nöthig und gut halten, worüber ich Sie ganz und unbedingt zum Richter mache. Eben so können Sie Ihren Namen als Herausgeber nennen oder nicht; gleichfalls, wie Sie für das Beste halten.
Denken Sie die – wie soll ich es nennen? – die man ganz neuerlich an mir begeht!
Ich suchte ein abgelegenes Winkelchen, wo ich im strengsten Incognito mich einige Jahre verbergen könnte, bis die Gährung im Publikum und mein Ekel an demselben vorübergegangen wäre, und hatte Hoffnung, durch die Güte eines benachbarten kleinen Fürsten, den ich kenne, dieses Winkelchen zu finden. Man ist höchsten Orts scharfsichtig genug, dies zu ahnen, – und deutet dem Fürsten an, daß man dies ungern vermerken würde u.s.w. u.s.w. Was sagen Sie dazu? Hätten Sie dergleichen Schritte in unserm aufgeklärten Zeitalter und Lande wohl vermuthet? – Ich verachte auch dies: aber es ist schlimm, daß man doch irgendwo im Raume seyn muß! Sie sind mein einziger Freund. Bleiben Sie es.
Fichte.
[Johanna:] Jena d 3: Maj 99:.
Auch ich schreibe Ihnen, edler Mann! ohne wißen meines Lieben Manns, um Sie mit unsrer izigen Lage bekannt zu machen; ich weiß Sie sind meines Manns, treuer aufrichtiger Freund, so wie er, mit aller Wärme der Ihrige ist.
Unsre Lage ist so, daß wir nach der izigen allgemeinen Stimmung, nicht wißen, wo wir irgend in Ruhe leben können, und es scheint als wolle man uns gewaltsam, nach Frankreich treiben, um dann sagen zu können, da stand sein Sinn immer hin, er war nie kein redlicher Deutscher; und ich kann Ihnen mit aller Wahrheit versichern, daß nur die äußerste Noth uns dahin bringen wird. Der hiesige Hof hat, Gott weiß durch welchen Canahl erfahren, daß wir im Rudelstädtischen, einsam, und zurükgezogen leben wollten, und hat es hintertrieben, wir wißen nicht wenn man uns gebiethet, von hier abzureisen. Es scheint auch der Plan zu sein, die gute Sache unterdrüken zu wollen, denn wir wißen ganz bestimmt, daß schon seit 10: Wochen, eine sehr vortheilhafte Recension, über meines Mannes Appellation an das Publicum, in der Litteratur liegt, welche nun nicht heraus kömmt, wißen daß die Redactoren bey den Höfen angefragt, ob sie was sollten einrüken laßen, um den gethanen Schritt der Höfe zu rechtvertigen, daß man ihnen zur Antwort gegeben, für izt wolle man noch warten: Sie sehn allso, Theurer Edler Mann, daß [/] man nicht nur uns, sondern die Sache der Wahrheit unterdrüken will; ich weiß daß Ihnen das sehr nahe geht, muß aber fürchten, daß sie ihren Zwek erreichen, wenn nicht Männer von Kraft, und edlem Gefühl für die Wahrheit, sich der guten Sache, und meines redlichen Mannes annehmen, daß er nicht aus seiner Wirksamkeit gestoßen, sondern sie ihm, an einem andern Orte, angewiesen werde.
Wolfs Lage, war vor den ersten Moment entsezlicher, aber er fand doch gleich einen benachbahrten Fürsten, der sich seiner annahm, aber wo haben wir bis izt einen gefunden, der uns in Schuz nähmen wollte? Mir blutet das Herz, wenn ich denke, wie sehr mein guter Mann miskannt wird, und wie besonders izt, alle seine Handlungen, in ein falsches Licht gesezt werden; nicht von Ihnen edler Reinhold, nicht von dem rechtschaffenen Jacobi, in deßen Seelen nie kein Neid kamm.
Auch die edle Handlung meines Manns, daß er sich vor einem Jahr alle Mühe gab, Schelling herzubringen, wird nun dazu gebraucht, die Studenten welche 2: Bittschriften an die Höfe eingereicht, zu versichern, daß man nun Fichte nicht mehr bedörfe.
Ich fühle mich etwas erl[e]ichtert, Ihnen Edler Mann, etwas von unsrer Lage mitgetheilt zu haben; ich weiß daß Sie helfen, wie Sie immer können, weiß daß Sie mich an Menschen [/] nicht verrathen werden, in [deren] Gewalt wir doch stehen, in welchem hohen Grad, wir uns nach Sicherheit, Ruhe, und den Umgang rechtschaffner Menschen sehnen, kann ich Ihnen nicht beschreiben; mein Lieber Mann befindet sich ziemlich wohl, einen sehr fatalen Husten ausgenommen, ich schwebe so herum wie eine durch Kummer niedergedrükte, [deren] Herz voll trauriger Ahndungen für die Zukunft ist, dazu ist unser einziges Kind, seit mehreren Wochen sehr krank.
Mögen Sie, mit den Theuren Ihrigen, glüklich, und gesund sein, das wünscht Ihnen mein ganzes Herz; mögen Sie’s mir bald sagen, daß Sie’s seyen, und möchten wir so glüklich sein, in Ihrer Nähe leben zu können.
Ich bin mit dem innigsten gefühl, voll Hochachtung, Liebe, und Zutraun, Ihre Sie herzlichliebe[nde] Freundinn.
Fichte.
Empfehlen Sie mich, unbekannter weise, Ihrer Theuren Frau Gemahlin.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 3. Mai 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte · , Johanna Fichte
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 341‒346.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 150
Language
  • German

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