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Johann Gottlieb Fichte to Franz Wilhelm Jung

Jena, d. 21. Floreal. 7.
Ich lege Ihnen das Innerste meiner Gesinnungen dar, edler Freund; theils um meine Denkart vor Ihnen selbst zu rechtfertigen, theils um mir an Ihnen auf jedes künftige Eräugnis einen unverwerflichen Zeugen derselben zu verschaffen.
Der Zwek des durch Sie gesuchten Passes war nicht, in die Dienste der Fr. Rep. zu treten. Ich wollte ihn dazu brauchen, um über das Gebiet derselben nach Helvetien zu reisen, wohin ich durch den selben jungen Mann, der auch Ihnen meinen Brief übergeben, geschrieben hatte; oder, falls diese Hofnung mich täuschte, mir irgendwo ein Pläzchen auf dem linken Rheinufer suchen, wo ich in ruhiger Musse und Stille meine Transscendental=Philosophie weiter ausarbeiten könnte. Auch sollte er nur im Falle der äussersten Noth gebraucht werden. Ich wollte, in welchem Lande es auch sey, mich auf einige Jahre gänzlich vor dem Publicum zurükziehen; auch nicht einmal etwas druken lassen, [/] sondern lediglich für mich selbst arbeiten. – Nemlich, ohnerachtet es bei keinem vernünftigen Menschen streitig seyn kann, daß die Principien, auf denen die Fränkische, und die nach ihrem Muster gebildeten Republiken ruhen, die einzigen sind, bei denen die Würde der Menschheit besteht, so hat doch bisher auch dies klar am Tage gelegen, daß durch Inconsequenz von beiden Seiten die Praxis der beiden entgegengesezten Partheien einander gar ähnlich wird; ja die republicanische oft noch ärger erscheint. In dieser Lage der Sachen muste ich es für ein Wagstük halten, mich ohne die äusserste Noth der Republik anzuvertrauen.
Diese äusserste Noth findet nicht statt. Freunde von Einfluß arbeiten für mich, und sie werden warscheinlich nicht ohne Erfolg arbeiten.
Wohl aber hat durch die Greuelthat zu Rastatt sich meine Ansicht der Dinge völlig umgeändert. Der Despotismus wird nun consequent. Er hat sich durch die Russischen Erklärungen, durch diese Greuelthat, u. wodurch nicht? – in die absolute Nothwendigkeit versezt, jede Aeusserung der Vernunft, und des Gefühls [/] zu unterdrüken. Es ist klar, daß von nun an nur die Fr. Rep. das Vaterland des rechtschaffnen Mannes seyn kann; nur dieser er seine Kräfte widmen kann, indem von nun an nicht nur die theuersten Hofnungen der Menschheit, sondern sogar die Existenz derselben an ihren Sieg geknüpft ist. Die Fr. Nation hat jezt eine Erinnerung bekommen, über welche hinaus es keine giebt, von ihrem Schlafe zu erwachen. Die Bessern werden einsehen, wodurch man sich in die Möglichkeit versezt hat, so behandelt zu werden. Wenn dieses Blut nicht die Sache der Republik, und mit ihr die der ganzen Menschheit fest gründet, so ist dann freilich weiter keine Hülfe.
Kurz, theurer verehrter Mann, und einziger Beamter der Republik, mit welchem ich in Verbindung stehe; ich übergebe mich hierdurch feierlich mit allem, was ich kann und vermag, in die Hände der Republik; nicht um bei ihr zu gewinnen, sondern um ihr zu nützen, wenn ich kann.
Und was kann ich? Wissenschaft ist nicht das nächste, dessen sie bedarf. Diese erwartet bessere Zeiten. Jezt bedarf sie schrekende [/] Rache, und eine Superiorität, vor der der Feind nur bebe. Haben die Gewalthaber Frankreichs je im Ernste geglaubt, daß ihre Gegenparthei sich durch Politik, Vernunft, Menschlichkeit werde bewegen lassen, einige Rüksichten gegen sie zu beobachten, so werden sie doch wohl nun ihres Irrthums inne werden. Dies ist ein Krieg der Principien. Nur die furchtbarste Ueberlegenheit kann der Republik Ruhe, und Existenz verschaffen.
Ich habe nur Ein Mittel in der Hand, für diesen Zwek mit zu arbeiten: Schriftstellerei. Vielleicht ist es, zumal nun, und durch das rechtliche Verfahren der Republicaner unterstüzt, wenigstens nicht widersprochen, nicht unmöglich, den verblendeten Deutschen die Augen aufzureißen.
Ich werde, sobald es mir möglich seyn wird – ich denke in 8-12. Tagen – nach Frankfurt, im strengsten Incognito, abreisen, und Ihnen von meiner Ankunft Nachricht geben; wie Sie in Ihrem Schreiben vom 10ten Fl. das ich ehegestern erhalten, wünschen.
Vom Justizminister Lambrechts ist nichts an mich gelangt, und es ist mir lieb. Es ist meinem Herzen unendlich wohlthätig, in diese ganz neue Lage meines Lebens, welche anzutreten mir viele Ueberwindung gekostet, und wozu es der gewaltsamen Erschütterung durch die ungeheuerste Gräuelthat in der Weltgeschichte bedurfte, an der Hand eines von mir so innig verehrten Mannes, wie Sie, und eines Freundes, auf dessen Wohlwollen sowohl als Weisheit ich das unbedingteste Vertrauen setze, eingeführt zu werden.
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 10. Mai 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Franz Wilhelm Jung ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Mainz · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 348‒350.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 151
Language
  • German

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