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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Jena den 22sten Mai 1799.
Mein theurer Freund!
Es ist in meiner Gegenwart von mehrern würdigen Männern die Meinung geäußert worden, ich sey, nachdem man sich nicht begnügt, überhaupt dem Publikum zu sagen, daß ich meine Entlassung gefordert und sie erhalten habe, sondern ihm noch überdies mehrere Aktenstücke vorgelegt, – ich sey, sage ich, nunmehr verbunden, demselben Publikum auch von meiner Seite Rechenschaft über diese Aktenstücke und über die Umstände, die meine Entlassung begleitet, abzulegen. Ich befinde mich so eben in Absicht dessen, was man Publikum nennen mag, in einer Stimmung, daß ich meinem eignen Urtheile über das, wozu man diesem verbunden oder nicht verbunden sey, nicht füglich trauen kann; aber ich weiß, was ich dem Wunsche meiner Freunde, [ihre] Liebe, ihr Zutrauen, ihre Achtung gegen mich nicht geschmälert zu sehen, schuldig bin. Sie, innig geliebter Freund, sollen es seyn, welchem ich diese Rechenschaft gebe; und von Ihnen soll es abhängen, ob sie noch vor mehrern abgelegt wird. [/]
Unsere Verantwortungsschriften, die Sie hierbei abgedruckt erhalten, hätten dem gewöhnlichen Geschäftsgange nach an den Prorektor der Universität eingeschickt werden sollen. Sie wurden unmittelbar an die Herzoge zu Weimar, Gotha, Coburg, [Meiningen] eingesendet, mit folgender Bittschrift, welche die Gründe dieser Uebergehung des Akademischen Senats enthält: […]
Es war unter allen, die ich über diese Sachen urtheilen gehört, keiner, der nicht die sonderbare Verlegenheit unserer Höfe, in dem Gedränge zwischen der zu schonenden Meinung des großen Publikum, und zwischen öffentlichen sowohl als persönlichen Beziehungen zu dem requirirenden Hofe und zu andern Höfen empfunden hätte. Natürlich konnte auch mir diese Ansicht nicht entgehen.
Eben so wenig konnte mir unbekannt seyn, was die Höfe in solchen Fällen wünschen, und wie denn auch gewöhnlich dergleichen bedenkliche und verfängliche Angelegenheiten abgethan zu werden pflegen. – Man unterhandelt nämlich schriftlich oder mündlich mit irgend einem Mitgliede des Geheimraths, mit welchem man in nähern Beziehungen steht, oder zu dem man das größte Vertrauen hat. Man erkundigt sich, was man sagen und was man nicht sagen solle, welche Schritte man thun und welche man nicht thun solle, und erhält dafür die Zusage, daß die Sache so und so beendigt werden solle; welche Beendigung gewöhnlich darauf hinaus läuft, daß der Untergebene [/] der guten Sache, (d. h. um die Regierung aus der Verlegenheit zu ziehen) dieses oder jenes Opfer zu bringen habe.
Ich hatte wohl ehemals dieser Politik mich gefügt. Als im Jahre 1795 durch die Unentschlossenheit der Höfe und durch das Mißtrauen des Senats meine vorgehabte Ausrottung der Akademischen Orden zu meinem Nachtheil ausflel, und ich dadurch genöthigt wurde, Jena auf ein halbes Jahr zu verlassen, ergingen deßwegen die ehrenrührigsten Gerüchte über mich in’s Publikum. Ich verfaßte, um diese Gerüchte zu widerlegen, eine sorgfältige Geschichts=Erzählung jener Unterhandlungen und Begebenheiten, welche der Publicität zu übergeben ich ohne Zweifel das vollkommenste Recht, und durch die auf meine Ehre geschehenen Angriffe die dringendste Aufforderung hatte. Ich theilte jedoch diese Geschichtserzählung in der Handschrift einem Mitgliede des Geheimraths, dieser sie dem Herzoge mit, und ich erhielt den Bescheid: man wünsche, daß ich diese Sache möchte ruhen lassen. Ich wäre ein Mensch ohne Lebensart gewesen, wenn ich diesen Wunsch nicht als einen Befehl respektirt hätte. Ich that es, ich ließ die Sache ruhen, und erhielt dafür die kräftige Unterstützung des Hofes in einer Streitigkeit, welche mir gleich nachher die philosophische Facultät erregte, und in der sie dem Buchstaben des Gesetzes nach vollkommen Recht hatte.
Man wünschte und erwartete von mir auch in dieser Sache des angeschuldigten Atheismus einen solchen Versuch der Unterhandlung, dergleichen Erkundigungen und Verabredungen. Die Beweise, die [/] ich dafür habe, sind folgende. Ich erhielt beim Anfange des Handels durch mehrere gemeinschaftliche Freunde Grüsse, Condolenzen, wegen der mir erregten Unruhen, Versicherungen von Wohlwollen, Erinnerungen an das ehemalige freundschaftliche Verhältniß von einem gewissen Mitgliede des Geheimraths, den ich persönlich zu sprechen vermied. – Ferner, als meine Appellation erschienen war, wurde mir von sicherer Hand gemeldet: man wundere sich höhern Orts, daß ich nicht erst angefragt habe, ob ich eine solche Appellation erscheinen lassen solle; warum ich denn an das Publikum appellire; ich habe es ja lediglich mit ihnen, mit helldenkenden, wohlwollenden Regierungen zu thun; an sie habe ich mich zu wenden, u. dgl.
Man bemerke hierbei: meine Appellation war nicht gegen das Chursächsische Requisitionsschreiben, in Rücksicht dessen ich es allerdings nur mit meiner Regierung zu thun hatte, gerichtet; die erstere war ausgearbeitet, und zum Theil abgedruckt, ehe ich von der Existenz eines solchen Requisitionsschreibens auch nur wußte: sie ging nur gegen die in allen Zeitungen vor dem Publikum liegende Beschuldigung des Atheismus im Confiscations=Edikte. Und in welcher Rücksicht sollte ich denn anfragen, ob ich eine Appellation an das Publikum erscheinen lassen dürfe? Doch nicht um juristisch ein Recht zu erhalten, das ich als Gelehrter und als censurfreier Professor [/] unstreitig schon hatte; sondern aus politischen Rücksichten, nach denen ich mich fügen müsse und wolle, wie man ohne weiteres voraussetzte. Die Verwunderung, warum ich nicht angefragt habe, war sonach eine Verwunderung, warum ich nicht unterhandelt habe.
Die Artikel des zu schließenden Vertrags würden folgende gewesen seyn: ich solle in dieser Sache so wenig Aufsehen erregen, als irgend möglich, meine Vertheidigung ganz leicht und ohne Ernst und Stärke führen, auf den Streitpunkt selbst so wenig als möglich mich einlassen, bemänteln, verdecken, einige Unvorsichtigkeit zugestehen, Besserung versprechen u. dgl. Dagegen werde man mich mit einem gelinden Verweise der zugestandenen Unvorsichtigkeit durchlassen, dieses an Chursachsen berichten, für mich intercediren, in meinem Namen Besserung versprechen, und bei irgend einer andern Gelegenheit mir wiederum zu Willen seyn. – Daß dieses die Bedingungen gewesen seyn würden, dafür habe ich folgende Beweise: man hat, nachdem meine Vertheidigung eingegangen, sich wiederholt beklagt, daß ich die Sache viel zu ernsthaft genommen, die Regierungen in die Enge getrieben, und ihnen keinen Ausweg übrig gelassen. Ferner, man erzählt selbst geflissentlich, daß man von Weimarischer Seite, vom Anfange des Streits an sorgfältig an den übrigen Höfen unterhandelt, und es endlich mit Mühe dahin gebracht, daß auf die Sache selbst nicht eingegangen, sondern uns nur ein leichter Verweis einiger Unvorsichtigkeit gegeben werden solle: – daß sonach das Urtheil fertig gewesen, ehe die Verantwortung der Beklagten eingegangen, und die [letztere] nur zum Scheine gefordert worden, [/] welches sich auch aus der Beschaffenheit dieses Urtheils ergiebt, indem dasselbe zu unserer Vertheidigung nicht eben paßt. – – Die Gründe dieser Bedingungen sind leicht einzusehen. Zu einem reinen Urtheile in der Sache: entweder daß die Beschuldigung des Atheismus der Anstößigkeit und Gefährlichkeit der Fichte’schen Lehre grundlos und Chursachsen mit seinem Begehren abzuweisen sey: oder daß diese Beschuldigung gegründet, und Fichte als Irrlehrer seines Amtes zu entsetzen sey – zu einem solchen reinen Urtheile und Rechtsspruche, wie er in dieser Sache gefällt werden sollte, war die Politik wenigstens des Weimarischen, und wahrscheinlich noch eines zweiten Ernestinischen Hofes gewiß nicht zu bringen. Es mußte vermittelt, es mußte ein Seitenweg eingeschlagen werden, der die beiden interessirten Parteien, Chursachsen und das große Publikum, schonte; und diesem Seitenwege sollte ich mich fügen. Recht gegen den mächtigen Ankläger erhalten konnte ich bei ihnen nicht; vielleicht sollte ich auch so wenig als möglich verletzt werden, aber diese Schonung mußte als Gnade erscheinen.
So konnte wohl der Hof rechnen, aber nicht ich. Ich war dieser geheimen Gänge überhaupt schon seit langem müde, hatte seit geraumer Zeit auch in andern Angelegenheiten nicht nachgesucht noch angefragt; besonders aber wollte ich es in dieser Sache nicht thun. Ich glaubte, es der Wahrheit schuldig zu seyn, glaubte, es sey von unübersehbar wichtigen Folgen, daß die Höfe zu einem reinen Rechtsurtheile genöthigt würden, – daß ich wenigstens von meiner Seite nichts thäte, um ihnen die Abweichung davon möglich [/] zu machen. Fiele dieses reine Urtheil für mich aus, so habe die Wahrheit einen wichtigen, dem großen Haufen imponirenden Sieg erfochten. Fiele es gegen mich aus, so wüßten von nun an alle freien Denker, wie sie mit den gegenwärtigen Regierungen daran wären, und was sie von denselben zu erwarten hätten. Zu diesem Zwecke ist meine Verantwortungsschrift geschrieben; aus diesen Gründen vermied ich es während des Laufes dieser Sache, irgend einen Geheimrath zu sprechen oder ihm zu schreiben.
Wäre ich doch diesem über ein Vierteljahr hindurch bis wenige Tage vor der endlichen Entscheidung fest gehaltenen Entschlusse nur noch diese wenigen Tage über treu geblieben! Was sie auch gethan hätten, einen Schein des Rechts hätten sie nicht über mich gewinnen sollen. Hätte ich ihnen doch nicht diesen Schein durch ein unglückliches Herausgehen aus meinem Charakter in die Hände gegeben! Möge ich durch meine Reue, durch das freimüthige Geständniß meines Fehlers, durch die unangenehmen Folgen desselben für mich ihn sattsam abbüßen können!
Ach, es ist so schwer, wenn man von lauter klugen, politischen Menschen umgeben ist, streng rechtlich zu bleiben! Daß bei Herannahung einer großen Entscheidung die Phantasie sich verirre, daß sie durch die gewohnte Vorspiegelung des größern gemeinen Bestens, welcher oft wohl auch unsere eigene Bequemlichkeit, und das Widerstreben aus dem gewohnten Gleiße herauszugehen, uns selbst unbewußt, zum Grunde liegen mag, wenigstens unsern Gedanken verleite, ist vielleicht noch zu verzeihen, wenn wir [/] uns nur nicht bis zur Nachgiebigkeit gegen ihre Vorspiegelungen hinreißen lassen.
Es erschien mir als sehr möglich, daß man mir durch den Akademischen Senat einen harten, meine Ehre angreifenden Verweis zukommen lasse; ich konnte sicher berechnen, daß derselbe nicht innerhalb der Kenntniß der Regierungen und des Senats bleiben, sondern von den boshaftesten Anmerkungen begleitet auf mehrern Seiten an das größere Publikum gebracht werden würde. Es war mir klar, und ist es noch, daß nach einer solchen Behandlung die Ehre mir gebieten würde, meine Stelle niederzulegen. Die Phantasie spiegelte mir vor, es sey Pflicht der Klugheit, es erfordere die Sorge für das Beste der Wissenschaft, dieser Nothwendigkeit vorzubeugen, das Aeußerste zu vermeiden, und in dieser Absicht einen Mann, der in die zu fassende Entschließung den bedeutendsten Einfluß haben mußte, auf die Nothwendigkeit in dem befürchteten Falle meine Stelle niederzulegen, aufmerksam zu machen. Kurz, es war mein vorübergehender Einfall, einem gewissen Mitgliede des Geheimen Consilii zu schreiben, daß ich nach einem öffentlichen, meiner Ehre nachtheiligen oder nachtheilig werden könnenden Verweise mich für genöthigt halten würde, meine Dimission zu begehren; privatim aber, und so, daß es zwischen der Regierung und mir bleibe, mir alles wolle sagen lassen, was ihnen mir zu sagen gefallen könnte.
Ob ich, mir selbst überlassen, diesem Einfalle würde nachgegeben haben, und nicht vielmehr mein erster Entschluß, durch nichts mich von der Bahn der offenen gerichtlichen Verhandlung abbringen, und die [/] Regierung ganz auf ihre eigene Gefahr handeln zu lassen, wieder eingetreten seyn würde, – darüber wage ich nicht, etwas Entscheidendes zu behaupten; nach meiner ganzen Kenntniß von mir selbst aber glaube ich das Letztere.
Aber ich blieb mir nicht selbst überlassen. Ich theilte meinen Einfall der einzigen Autorität, die es in dieser Gegend je für mich gegeben hat, der Autorität des mir bekannten Biedersinns, der größern Welterfahrenheit und Kälte mit. Man billigte diesen Einfall, man nahm eignen Antheil an ihm, so daß dieses Schreiben eine gemeinschaftliche Angelegenheit wurde; man fand Gefahr beim Verzuge; in einigen Stunden wurde der Entschluß gefaßt, der Brief entworfen, von der andern Seite durchgesehen und gebilligt, geschrieben und abgeschickt. Hier ist dieser Brief, in denjenigen Zusammenhang gestellt, in welchen er gehört.
„Ich habe, verehrungswürdiger Herr Geheimrath, in der bekannten Angelegenheit keinem Manne am Platze extra acta mich mittheilen wollen. Jetzt sind unsre Verantwortungsschriften eingelaufen, und es ist daran, mein Schicksal, und vielleicht das Schicksal einer berühmten Universität zu entscheiden. Nach reiflicher Ueberlegung halte ich es denn doch für Pflicht, ein Wort dazwischen zu reden, ehe Beides entschieden wird.
Ich wende mich an Ew. Hochwohlgeboren, als an denjenigen, der mich hieher gerufen, und der eine lange Zeit die Güte gehabt, meine Angelegenheiten für einen Theil der Seinigen zu halten. Ich überlasse es gänzlich Ihrer eignen Weisheit, in wiefern [/] Sie von dem, was ich Ihnen sagen werde, weitern Gebrauch machen, oder lediglich Ihre eignen Rathschläge und Maaßregeln dadurch bestimmen lassen wollen.
Kein Wort über den Streitpunkt selbst. Was ich in der Appellation, was ich in meiner Verantwortungsschrift darüber gesagt, ist nicht viel mehr als Nichts. Ich vermag es nicht auszusprechen, wie ungeheuer das Mißverständniß ist. Man hat nicht die leiseste Ahnung von der eigentlichen Tendenz meines Systems; noch haben Ankläger, und die aufgestellten Richter den Beruf, diese Ahnung zu haben; und davon hängt doch die Beurtheilung der einzelnen Theile desselben ab. Wären nur erst noch einige Jahre mehr in das Meer der Zeit verflossen! Dann wird man es einsehen, daß, wie ich in einer so eben unter meinen Händen befindlichen Schrift sage, der Vorwurf, den man mir macht, dem völlig gleich ist, den man einem Mahler machen würde, daß seine gemahlten Pferde nicht etwa nur – nicht gingen wie wirkliche Pferde, sondern nicht flögen wie ein Pegasus – und den [Blinde], die sein Werk nur durch das Tappen kennten, ihm machten. Ich möchte die Beschämung nicht theilen, die nach wenigen Jahren alle empfinden werden, die in dieser Sache nicht so ganz recht gehandelt, wenn sie ihres Antheils daran sich erinnern werden.
Die Frage, warum man einen Professor der Philosophie, der weit entfernt ist, Atheismus zu lehren, [/] zur Verantwortung zieht, und den General=Superintendenten dieses Herzogthums, dessen öffentlich gedruckte Philosopheme in der That dem Atheismus so ähnlich sehen wie ein Ey dem andern, nicht zur Verantwortung zieht, diese Frage, die ich aus Discretion nicht gethan habe, wird nächstens ein Anderer thun, wenn ich es nicht verbitte: und ich werde es sicher nicht verbitten, wenn man noch einen Schritt vorwärts gegen mich thut.
Jetzt nehme ich mir nur die Freiheit eine Stelle in meiner Verantwortungsschrift zu commentiren: „Man wird mir,“ sage ich in derselben, „wohl auch keinen gerichtlichen Verweis geben; man wird gegen meine Ehre, die mir lieber ist, als mein Leben, nichts thätlich unternehmen.“
Das habe ich gesagt, weil ich zu dem Entschlusse leiten möchte, es nicht zu thun, nicht aber, als ob ich wüßte, oder so sicher darauf rechnen könnte, daß man es nicht thun würde. Persönliche Beziehungen auf mich, die sich ergeben haben sollen, neuerlich entstandene Beziehungen auf die ganze Universität, und was mehr ist, die Beziehungen auf Chursachsen, dürfte[n] wohl, um dem letztern eine Art von Genugthuung zu geben, auf den Entschluß leiten, mir durch den Akademischen Senat eine derbe Weisung zukommen zu lassen, und zu rechnen, daß ich, wenn auch nicht in gleichem Grade dafür interessirt, den Verfasser vom Grabmal des Leonidas [/] kein Dementi bekommen zu lassen, dennoch diesen Verweis ruhig hinnehmen werde.
Ich muß erklären, V. H. G. R. daß darauf nicht zu rechnen ist; das darf ich nicht, das kann ich nicht. – Ich darf nicht. Mein Benehmen in dieser ganzen Sache von Anfang an bis hieher ist meiner innigsten Ueberzeugung nach nicht nur tadellos, sondern preiswürdig, und es ist verächtlich, das Preiswürdige – sey es an andern, oder an uns selbst – öffentlich schelten zu lassen, in wie weit es an uns liegt, den Tadel desselben abzuwehren. – Ich kann nicht. Ich bin gerade durch meine Feinde schon lange, und jetzt mehr als je in eine Lage getrieben, die die strengste Unbescholtenheit zur Bedingung meiner Existenz macht. Freund und Feind erwartet diese von mir, und muthet sie mir an. Ich kann, ohne alles zu verlieren, etwas Unanständiges eben so wenig öffentlich erdulden, als thun. Jener Verweis würde in kurzer Zeit in allen Zeitungen abgedruckt erscheinen, und mit lautem Hohngelächter und Schadenfreude von meinen Feinden aufgenommen werden.
Jeder rechtliche Mensch würde fühlen, daß es mir die Ehre verböte, Regierungen, die mich eines solchen Verweises für werth geachtet hätten, länger unterworfen zu seyn; und die allgemeine Verachtung würde mich treffen, wenn ich es bliebe. Es würde mir nichts übrig seyn, als den Verweis durch Abgebung meiner Dimission zu beantworten, und sodann den Verweis, die Abgebung der Dimission, und diesen Brief, den ich mir gegenwärtig die Ehre gebe, Ew. ec. zu schreiben, der allgemeinsten Publicität zu übergeben. [/]
Es ist Schuldigkeit, noch folgendes hinzuzusetzen. Mehrere gleichgesinnte Freunde, welche man für bedeutend für die Akademie anerkannt hat, und welche in der Verletzung meiner Lehr=Freiheit die ihrige als mit verletzt ansehen würden, sind auch über die Ansicht, die ich Ew. ec. ec. so eben vorgelegt, mit mir einig; sie haben mir ihr Wort gegeben, mich, falls ich auf die angegebene Weise gezwungen würde, diese Akademie zu verlassen, zu begleiten, und meine fernern Unternehmungen zu theilen; sie haben mich berechtigt, Ihnen dieses bekannt zu machen. Es ist von einem neuen Institute die Rede; unser Plan ist fertig, und wir können dort denselben Wirkungskreis wieder zu finden hoffen, welcher allein uns hier anzuziehen vermochte; und die Achtung, welche man auf diesen Fall uns hier versagt haben würde.
Ich empfehle diese Sache Ihrer Weisheit und Gerechtigkeitsliebe, mich selbst aber und meine übrigen Angelegenheiten Ihrem gütigen Wohlwollen und bin mit der gewohnten Verehrung
Jena den 22. März 1799.
Ew. ec. ec. [“]
Ich habe vorläufig noch zwei Anmerkungen zu diesem Schreiben zu machen. Die erste: ob ich das vollkommenste gegründetste Recht haben mochte, die Stelle: „Mehrere gleichgesinnte Freunde ec. – – berechtigt, Ihnen dies bekannt zu machen,“ – zu schreiben, überlasse ich der Beurtheilung derer, die meinen Charakter durch persönlichen Umgang kennen. Wenn vor dem größern Publikum mein Recht nur durch Anführung der Umstände dargethan werden kann, so will ich vor demselben lieber Unrecht behalten. – [/] Ich habe über diesen Punkt keinen Andern wohl aber mir selbst das unverbrüchlichste Stillschweigen aufgelegt und werde es beobachten. Die zweite: In die folgende Stelle: „Es ist von einem neuen Institute die Rede, ec.“ lese man nicht mehr hinein, als die Worte sagen. Unter dieser Voraussetzung enthält sie die strengste Wahrheit; weitere Kunde wird kein verständiger und billiger Mann von mir verlangen. Zur Ausführung des entworfenen Plans war freilich auf ein Worthalten und eine Entschlossenheit gerechnet, welche nicht eintraten.
Damit der durch mich nun nicht mit ausdrücklichen Worten, aber durch starke Bezeichnung des entgegengesetzten öffentlichen und gerichtlichen Verweises angegebene Ausweg des Privat=Verweises nicht übersehen würde, veranstaltete ich, daß er dem Manne, an den der Brief gerichtet war, noch denselben Tag, als er ihn erhalten, in einer mündlichen Unterredung angegeben, und alle zu besorgenden Folgen eines öffentlichen Auftritts ihm noch einmal mit Ausführlichkeit und Stärke vorgelegt worden. Alles dies geschahe den 22sten März und die folgenden Tage.
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Den 2ten April wurde mir folgendes Rescript und PostScript außerhalb der Akten bekannt:
[„] Von Gottes Gnaden Carl August,
Herzog zu Sachsen ec. ec.
Unsern gnädigsten Gruß zuvor! Würdige, Hoch= und Wohlgelahrte, liebe Andächtige und Getreue! Die nach Inhalt Euers Berichts vom 23sten dieses [/] Monats von den Herausgebern des Philos. Journals, den Professoren Fichte und Niethammer, bei Euch angezeigte Einsendung der – wegen beigemessener Atheisterei ihnen abgeforderten Verantwortung, ist an Uns wirklich erfolgt, und Wir haben aus dieser Verantwortungsschrift zu ersehen gehabt, wie obgedachte Professoren die gerügten Stellen des philosophischen Journals mit einer Erklärung der von ihnen angenommenen philosophischen Terminologie von jenem Vorwurf befreien wollen.
Ob nun wohl philosophische Speculationen kein Gegenstand einer rechtlichen Entscheidung seyn können: So müssen Wir demohngeachtet die von den Herausgebern des philos. Journals unternommene Verbreitung der, nach dem gemeinen Wortverstande (?) so seltsamen und anstößigen Sätze als sehr unvorsichtig erkennen, indem Wir doch berechtigt sind, von Akademischen Lehrern zu erwarten, daß sie die Reputation der Akademie eher durch [/] Zurückhaltung dergleichen zweideutiger Aeußerungen und Aufsätze über einen so wichtigen Gegenstand prospiciren sollten.
Wir begehren daher andurch gnädigst, Ihr wollet den Professoren Fichte und Niethammer, nach eingegangenen conformen Rescripten der fürstl. Höfe, ihre Unbedachtsamkeit verweisen, und ihnen bessere Aufmerksamkeit auf die in das Publikum zu bringende Aufsätze anempfehlen.
Wir versehen uns auch künftig von allen akademischen Lehrern, daß sie sich solcher Lehrsätze, welche der allgemeinen Gottesverehrung widerstreiten, in ihren Vorträgen enthalten werden.
An dem geschiehet Unsere Meinung und Wir sind Euch mit Gnaden gewogen.
Gegeben Weimar den 29. März 1799.
Carl August,
H. z. S.
An die Akademie Jena,
die den Herausgebern des Philos. Journals, den Professoren Fichte und Niethammer daselbst beigemessene Atheisterei betreffend.
Postscriptum.
Auch
Würdige ec. geben Wir Euch aus der abschriftlichen Beilage*1 zu ersehen, wie der Professor Fichte, Euers Orts, in einer Zuschrift, welche er an ein Mitglied Unsers Geheimen Consilii erlassen, declarirt [/] hat, einen in der Sache, wegen der ihm beigemessenen Atheisterei ihm zugehenden Verweis durch Abgebung seiner Dimission zu beantworten.*2
Da ihm nun in Unserm Hauptrescript dieser Verweis hat zuerkannt werden müssen; So haben Wir die Entschließung gefaßt, die anerklärte Abgebung seiner Dimission, Unsers Theils, so fort anzunehmen.
Wir begehren daher andurch gnädigst, Ihr wollet demselben, wenn über seine Dimissions=Abgebung Conformia eingegangen sind, die Entlassung ertheilen, auch ihm von dieser Unserer Entschließung vorläufige Eröffnung thun; wie Wir denn auch denjenigen, die ihm seinem Anfuhren nach, zu folgen gedenken, die Entlassung vorzuenthalten, nicht gemeinet sind.
Datum ut in Rescr. Weimar den 29. März 1799.
C. A. H. z. S. [“]
* *
*

Ich sollte glauben, jedem Unbefangenen müssen in Absicht des Gebrauchs, den man von meinem oben stehenden Briefe gemacht, und des Verfahrens, das man darauf gegründet, folgende Bedenklichkeiten aufstoßen: 1) wie dieser Brief als aktenmäßig betrachtet, und darauf ein öffentlich gültiger Beschluß habe gegründet werden können; 2) wie, wenn er auch für aktenmäßig zugestanden würde, die in demselben enthaltene Vorherverkündigung meiner Dimissions[/]abgabe auf einen bestimmten Fall für die wirklich geschehene Niederlegung meines Amtes habe genommen, und der noch in der Mitte liegende freie Willensakt mir habe entzogen werden können; 3) wie endlich, wenn auch dies hätte geschehen dürfen, man habe urtheilen können, daß die in meinem Briefe gesetzte Bedingung durch das Herzogliche Rescript wirklich eingetreten.
Meine Freunde, die mich der Akademie zu erhalten wünschten, vermittelten, daß die Publikation des Weimarischen Rescripts an den Senat einige Tage verschoben wurde, damit etwa während der Zeit der Hof, ohne sich zu compromittiren, seinen Entschluß in der Stille zurücknehmen könnte, und beredeten mich, um eine solche Zurücknahme wo möglich zu veranlassen, den folgenden Brief an denselben Geheimrath zu schreiben. Ich gab diesem Rathe meiner Freunde um so eher nach, da durch den Inhalt des ersten Briefs die Sache eine gemeinschaftliche Angelegenheit geworden war, und ich die Entschließung der übrigen noch nicht kannte. Es wird in diesem Briefe der oben bemerkte dritte Punkt zur Sprache gebracht, und eine authentische Erklärung in Rücksicht desselben gegeben.
[„]Hochwohlgebohrner ec.
Ich habe extra acta erfahren, daß die Bedingungen, unter denen allein mein Schreiben vom 22sten März an Ew. ec. officiell werden konnte, eingetreten seyn müssen, daß dieses Schreiben für eine wirklich geschehene Abgebung meiner Dimission auf einen bestimmten Fall genommen worden, und daß [/] geurtheilt worden, dieser Fall sey wirklich eingetreten.
Nur über die letztere Voraussetzung habe ich gegenwärtig die Ehre, eine bestimmtere Erklärung hinzuzufügen; theils, um von meiner Seite keine Dunkelheit oder Zweideutigkeit übrig zu lassen, die auf die zu nehmenden Maasregeln einfließen könnte, theils um meinen Freunden, mit welchen einverstanden ich jenen Brief schrieb, und welche glauben, daß es einer solchen weitern Erklärung desselben bedürfe, Genüge zu thun.
Ich beschrieb die Umstände, unter denen ich genöthigt seyn würde, meine Dimission abzugeben in einem Schreiben vom 23sten März in der Stelle: „Ich bin gerade durch meine Feinde – – würde mich treffen, wenn ich bliebe,“ sehr ausführlich, und setzte hinzu: meine Freunde würden in der Verletzung meiner Lehrfreiheit die ihrige als zugleich mit verletzt betrachten. Ich redete sonach von einer Verfügung, die als eine Verletzung der Lehrfreiheit hätte angesehen werden können, und von einem Verweise, der den Gebrauch derselben, in öffentlicher Untersuchung aller Gegenstände der Speculation ihrer Materie nach getroffen, und die gegen mich vorgebrachte Beschuldigung des Atheismus bestätigt und meine Religionslehre selbst angegriffen hätte. Nur in diesem Falle der gescholtenen Freiheit der Untersuchung, und der Hemmung derselben, konnte ich den Entschluß, meine Stelle niederzulegen, als unausbleiblich nothwendig ankündigen; nur auf diesen Fall habe ich ihn als unausbleiblich nothwendig angekündigt haben wollen, dem Zusammenhange und [/] dieser meiner authentischen Erklärung nach. Einen Point d’honneur der Eitelkeit, der um höherer Zwecke willen eine kleine Demüthigung nicht ertragen könnte, habe ich nicht, noch habe ich ihn affectiren wollen.
In diesen von mir verstandnen Fall setzt mich nun das ergangene Herzogliche Rescript nicht. Die Lehre selbst bleibt in demselben völlig an ihren Ort gestellt, es wird ausdrücklich anerkannt, daß philosophische Speculationen kein Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung seyn können, und blos das an uns getadelt, daß wir eine philosophische Terminologie gewählt, in der unsre Philosopheme dem gemeinen Sprachgebrauche nach als zweideutig und anstößig erscheinen müssen. Jetzt völlig an seinen Ort gestellt, in wiefern dieser Tadel überhaupt uns treffe, und ob nicht die Veranlassung desselben vermieden werden könne, ist es wenigstens nicht der, den ich in meinem Schreiben vom 22sten März meinte, und ich will weder vor mir selbst, noch vor dem Publikum das Ansehen haben, daß ich aus dieser Ursache meine Stelle freiwillig niedergelegt.
Ich bitte Ew. ec. dieses als eine authentische Erklärung meines Briefes vom 22sten März und als einen Theil desselben anzusehen; ihm dieselbe Officialität zu geben, welche jener erhalten, und insbesondere auch [ihn] dem Durchlauchtigsten Herzoge vorzulegen, indem mir in jedem zu erwartenden Falle viel daran liegt, Höchstdemselben in meinem wahren Lichte zu erscheinen.
Ich verharre ec. [“] [/]
Dieser Brief wurde jenem Geheimrathe wirklich eingehändigt, und er versprach, ihn dem Herzoge mitzutheilen. Es erfolgte nach einigen Tagen an den Prorektor der Bescheid: mein Brief sey vom Herzoge nicht angesehen worden, als etwas in seiner Entschließung ändernd. Das oben befindliche Weimarische Rescript und Postscript circulirte jetzo, und wurde, dem im Postscript enthaltenen Befehle gemäß, mir officiell mitgetheilt. u.s.w.
Fichte.
*1 Diese Beilage ist mein oben stehender Brief vom 22sten März.
*2 Warum schrieb der Concipient nicht: beantworten zu wollen, welches die Wortfolge zu fordern scheint?
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 22. Mai 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 363‒375.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

Weitere Infos ·