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Karl Leonhard Reinhold to Johann Gottlieb Fichte

den 12 Junius 799.
Hier mein theurer Fichte das Resultat meiner Beratschlagung mit mir selbst und Jensen über die Publikation Ihrer Dimissionsgeschichte. „1. Sie soll allerdings publicirt werden.“ Durch alles was bisher in den hamb. Zeitungen und den rintl. A. über Ihre Dimission bekannt gemacht ist, hat das Publikum, haben selbst Ihre Freunde glauben müssen, daß Sie sich dieselbe nicht durch Ihre Theorie sondern durch Trotz gegen die Regierung zugezogen haben. Ihr Brief an Voght muß allerdings jedem, der Ihre Verhältnisse zu diesem Mann nicht kennt, auffallen – und <vollends empören>, wenn er als Erklärung gegen die Regierung angesehen wird. Es muß durchaus bekannt werden, daß Sie unschuldig daran sind, daß die Regierung sich selber gesagt seyn lassen wollte, was Sie nur Voghten gesagt haben – und daß allerdings Sie gegen Ihren Willen, und um keines andern Grundes als der von den Regierungen selbst sogenannten Unbedachtsamkeit Amt und Brod verlohren haben.
2. „Die Publikation kann mit allem Fuge durch Sie selbst geschehen.“ Das Publikum ist Richter – Der Einsender der Aktenstücke in die rintelnschen Annalen und der Nachrichten in den hamb. Z. ist Ihnen als Kläger zuvorgekommen – und hat Sie genöthiget als Vertheidiger vorzubringen, was Sie ohnehin als Kläger hätten ans Publikum gelangen lassen müssen. Eines Advokaten bedürfen Sie nicht. Der Ton Ihres Sendschreibens beweiset durch seine Leidenschaftlosigkeit, daß [Sie] durch die Persönlichkeit dieser [/] Sache nicht partheyischer geworden sind – als Sie als vernünftige Parthey seyn müssen – und jeder Advokat wohl noch mehr seyn würde. Sein Recht muß jeder der es kann selbst vertreten.
3. Glaubst Du aber das Sendschreiben nicht selbst publicieren zu müssen, von dem wir aber freylich den Grund nicht einsehen, so soll es unter dem Titel: Fichtes Schreiben über seine Dimission an einen seiner Freunde herausgegeben von diesem Freunde mit einem kurzen Vorbericht über die Nothwendigkeit dieser Publikation gedruckt werden. – Ob ich mich nennen soll oder nicht, darüber habe ich Jensen urtheilen lassen. Er hat mich überzeugt, daß ich mich nicht nennen dürfe, theils wegen der Verhältnisse meines Schwiegervaters zum weimarschen Hof – auch würde ein Bruch zwischen Wieland und mir eine unvermeidliche Folge seyn, und ich würde den alten Vater aufs empfindlichste betrüben – theils wegen der uns nur zu bekannten Gesinnung, die in unsrem eigenen Ministerium [herrscht] – von dem wir und unser Schicksal und unsre Wirkungskreise nur zu sehr abhängen. Wir haben Ihrer Toleranz alles mögliche bereits zugemuthet, da wir Deine Lehre in Schutz nahmen und zu der Unsrigen machten – durch einen Schritt weiter würden wirs mit Ihnen ganz verderben. Die gute Sache gewinnt hier durch unsre Namen nichts oder so wenig, daß wir uns wohl nicht mit gutem Gewissen auf sie berufen können – wenn wirs [/] auf unsre Gefahr wagen wollten. Dasselbe muß ich selbst nun auch für Jensen dafür halten.
Gestern gieng Dein Sendschreiben nach Eutin ab. Wir holen Jacobis Urtheil ein ohne Ihm unsere Meynung auch nur durch einen Wink errathen zu lassen. Seine Antwort theile ich Dir mit so wie sie einläuft.
Die Verspätung des Druckes bis zu Deiner Antwort scheint uns nichts auf sich zu haben, da Du ohnehin nicht wohl noch in Jena gern seyn wollen wirst, wenn die Publikation geschehen ist.
Wir können nicht Deiner Meynung seyn, daß Du im Preussischen – und wo immer in Deutschland nicht sicher wärest, und wir glauben, daß Du die Wichtigkeit, die unsre Schulstreitigkeiten für die Regierung de facto haben, und das wirkliche Interesse das sie daran nehmen zu hoch anschlägst. Das neue und dauernde Waffenglück der Osterreicher macht sie eher unbesorgter, als ängstlicher über das, was von den Gelehrten in der Metaphysik und Theologie abgehandelt wird. Kannst Du aber wirklich nicht Deinen Unglauben an Deine Sicherheit überwinden – so meynen wir, Du nähmst auf eine Zeitlang einen andern Namen an – unter welchem Umstande Dir es in kurzem möglich seyn wird Dich selbst eines andern zu überzeugen. Ein Fürst der Dich namentlich in seinen Schutz nähme – würde ja, wenn alle oder auch nur viele gegen Dich die Acht erklärt hätten – es aufs wenigste mit der Gesinnung derselben <aufnehmen> müssen – und das wird unter jener Voraussetzung [/] keiner wollen – am wenigsten der ängstlich bängliche auf den Du hoffen zu können glaubtest. Indessen warte ich nur die Ankunft der Exemplare meines Sendschreibens an Lavater ec. ab, die sich leider ohne meine Schuld verspätet, um Eines an den H. v. A. und ein andres an unsern Finanzminister Schimmelmann (: den aufgeklärtesten in unsern Ministerien:) mit einem Briefe zu begleiten, worin ich Ihnen, Dein Dichnichtsicherglauben in Deutschland, und Deinen Widerwillen nach Frankreich mit Gewalt hingestossen zu werden – ans Herz legen, und <was etwa> guten Willens in Ihnen wohnt auffordern will. Die Antworten theile ich Dir sogleich mit.
In Deiner Verteidigungsschrift hat mir Vieles im höchsten Grade gefallen – von dem ich auch die beste Wirkung im Publikum erwarte. Aber die transcendentale Darstellung Deines Lehrbegriffs halte ich für wieder nur für die Wenigen die schon den Hauptbegriff Deiner Philosophie verstanden und wahr befunden haben, allein verständlich. – und die Stelle über Gruner hart, gehässig, und für die Sache entbehrlich.
Das Gutachten von der juristischen Fakultät sagt Jensen könne nur auf ein officielles Verlangen von Deiner Seite an dieselbe erfolgen. Die Ausfertigung würde dann sicher Ihm aufgetragen werden. – Aber die Punkte worüber das Gutachten ausgestellt würde müßten ebenfalls von Dir selbst festgesetzt werden.
Grüsse Deine edle Frau von mir und den Meinigen aus Herzensgrunde, und antworte mit umkehrende[r] Post an Deinen – ewig
treuen Reinhold.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 12. Juni 1799
  • Sender: Karl Leonhard Reinhold
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Kiel · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 378‒380.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 154
Language
  • German

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