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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Berlin, den 20sten Juli, 1799.
Meinen Brief durch Tiek, von welchem ich in Deinem letztern vom 12ten Juli noch keine Spur finde, wirst Du nun wohl erhalten haben, und klarer in meine Sache sehen, als ich Dir in Briefen, von denen ich voraussetzte, daß sie erbrochen würden, schreiben konnte. Es ist seitdem nichts, weder zu meinem Vortheil, noch zu meinem Schaden, vorgefallen. Ich habe an H. geschrieben, und mir Nachricht von Dohm ausgebeten. Ich will diesen Monat noch Antwort erwarten. – Erhalte ich dann keine, [/] so nehme ich, falls ich nämlich mich entschließe, hier zu bleiben, selbst meine Maßregeln, gehe selbst, wie Du mir rathest, und mir es das Beste ist, vor die rechte Schmiede, wie man im Sprichwort sagt.
Kann ich die bestimmtesten Versicherungen haben, daß man mich ruhig mit einer gewissen Würde hier wird existiren lassen, und besonders – Vorlesungen halten, dann hätte ich wohl Lust, es einige Jahre hier anzusehen; besonders da der Gewinn von den letztern mich mit der hiesigen Theurung in Gleichgewicht setzen und mich in die Lage bringen würde, zu leben, wie ich es gewohnt bin, d. h. meine mäßigen und billigen Begierden mir nicht versagen zu müssen. Ob dies nun geht oder nicht, muß im künftigen Monate sich rein ergeben. Bis dahin bleib Du, wie Du jetzt bist.
Reinhold habe ich noch nicht geantwortet, werde es aber nächstens. Jacobi’s Vorschlag ist, so wie er ist, in keiner Art annehmbar. Das fehlte nun noch, um abermals die Reise=Kosten nach dem Pfalzbayerschen mit Familie zu tragen; auch kann es wegen des Krieges in keiner Stadt dieses Gebietes wohlfeiler seyn, als – hier. Aber es ist mir etwas Anderes eingefallen, was Jacobi kann, wenn er Einfluß bei der gegenwärtigen Pf. B. Regierung hat. Du weißt doch, daß diese Regierung eine protestantische Universität hat? – Wenn er will, so thue er dies: und mir muß es frei gestellt bleiben, ob ich die Stelle früh oder spät (denn die [/] Stadt liegt gegenwärtig im Kriegsschauplatze) wirklich antreten will. – Ich denke auch Du wirst diesen Gedanken gut finden.
Du wirst zu wissen wünschen, wie ich lebe – Das früh Aufstehen kann ich aus mancherlei Ursachen, deren wichtigste doch in mir selbst, und in meinem Katarrh liegen, nicht von mir erhalten. Sechs Uhr ist meistens das, frühste – dann geht es an das Schreibpult, woran es nicht ganz faul, jedoch auch bisher nicht so von Statten geht, als ich’s von mir begehre. Ich arbeite an der Bestimmung des Menschen. Halb 1 Uhr lasse ich mich frisiren (ja, ja, frisiren, Zopfmachen, pudern, u. dergl.) und anziehen, und gehe um 1 Uhr zu M. Veit, wo ich Schlegel und einen reformirten Prediger, Schlegel’s Freund, treffe. Um 3 Uhr komme ich zurück, und lese einen französischen Roman, oder schreibe, wie gegenwärtig an Dich. Ist ein nur halb erträglich Stück (das ist bei weitem nicht immer der Fall), so gehe ich 5 Uhr in die Comödie; wo nicht, um 6 Uhr in die Nähe der Stadt, im Thiergarten, oder vor meiner Hausthüre unter den blühenden Linden, mit Schlegel spazieren. Bisweilen mache ich auch mit Schlegel und seiner Freundin kleine Landpartieen. So thaten wir, z. B. vorgestern, im lebhaftesten Andenken an Dich und den Kleinen. Nur hatten wir keinen Wein, um eure Gesundheit zu trinken, sonden nur – saueres Bier, und eine Schnitte schwarzes bitteres Brod, worauf ein dünn geschnittenes Stück halbvermoderter Schincken mit schmutziger Butter angeklebt war, zum Besten. Die Poli[/]tesse läßt mich hier Manches, wenn es nur erträglich ist, schön finden. Doch habe ich mir eine bessere Methode der Landpartieen ausgedacht.
Abends soupire ich ein Milchbrödchen, und ein Viertel Medoc, der in meinem Hause das einzige Genießbare ist, und um 10-11 Uhr zu Bett, um zu schlafen, ohne zu träumen. Nur einmal – es war nach Deinem ersten Schreckens=Briefe – hatte ich meinen [Hartmann], voll Freude, daß er wieder gesund sey, in meinen Armen, und plötzlich dehnte er sich, ward blaß, und es folgten alle die Erscheinungen, die mir unauslöschlich eingeprägt sind.
Ich binde Dir, Du Theure! Deine Gesundheit und des Kleinen Gesundheit auf die Seele. Lebe wohl, und sey versichert, daß ich mich innigst nach Dir sehne, ohnerachtet ich freilich deswegen zu keinem Schritte rathen werde, der uns im Ganzen nachtheilig ist.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 20. Juli 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 15‒17.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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