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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

N. 7. d. 17. August.
Liebe, theure,
Ich habe Deine Briefe bis N. 8. richtig erhalten. Das Nöthigste zuerst.
Ich hatte für jenen Plan mit Schlegels, der mehr Plan des hiesigen Schlegels, u. seiner Freundin, als der meinige war, mich gewinnen lassen, und versprach mir allerdings von der Ausführung desselben mancherlei Vortheile: aber nicht so, daß ich mein Herz daran gehängt hätte, und über dessen Verunglükung untröstlich sey. Den Nachtheilen desselben, die Du befürchtest, würde ich denn wohl vorzubeugen gewußt haben. An Zerstreuungen der Jenaischen, an der höchstlangweiligen, u. faulen Existenz des hiesigen Schl. hätte ich nur Antheil genommen, inwiefern ich gewollt hätte, wie ich es in Absicht des leztern auch hier thue. – Doch dies ist nun vorbei.
Du theure Seele; Du freust Dich schon zu mir zu kommen, und – ich bin nicht ganz derselben Meinung. „Ich solle mich nur erst wieder an Deinen und Deines Kindes Umgang gewöhnen" sagst Du, und thust mir daran sehr Unrecht. Ich sehne mich nach Euch, wohl nicht minder, als Du Dich nach mir sehnen kannst; und ich bedarf es nicht erst wieder an Dich mich zu gewöhnen; ich bin es, und von Dir entwöhnt werden kann ich bei der höchsteinsamen und nur an meinem Schreibtische glüklichen Existenz, die ich hier führe, keinesweges. Das also ist’s nicht, warum ich Bedenken trage, Dich her kommen zu lassen.
Aber über die Lage, und die ökonomischen Folgen urtheile selbst.
1.). Eine eigne Haushaltung anfangen willst Du selbst nicht. – Oder wollten wirs, so ist zuförderst die Frage, ob wir uns selbst möbliren, oder die Meubles miethen wollten. Das erste geht nicht; denn wie ich höre, werden hier alte Möbels durch die Trödler, die selbst die ihrigen sehr theuer verkaufen, und vermiethen, um ein Spottgeld den Leuten abgedrükt. Ferner; Tisch, Küchengeräthe, u. dergl. müßten wir doch selbst anschaffen, denn diese erhält man nicht zur Miethe. – Also miethen! Ich habe ein Verzeichniß beigelegt, was alles, dessen man in der Haushaltung bedarf, und die Miethe der Möblen, kostet. Dazu würde ein wenig geräumiges Quartier ohne Möbles, [/] wie wir es brauchen, nebst Küche, u. besonders ein Pläzchen im Keller, dergleichen schwer aufzutreiben ist, über 100 r. kosten. Ueberschlage dies alles. .
Oder en chambre garnie leben, wie ich jetzo thue, und aus dem Speisehause essen? –. Ich gebe für drei Fenster vorn heraus, u. eins hinten heraus; und gewiß nicht zu kostbare Meublen 3. Louisd’or monatlich. Wir müsten ein wenigstens noch einmahl so grosses Logis haben, also 6. Louisd’or monatlich, macht jährlich 360. r. in Golde für Logis. –. Ich esse Mittags bei Schlegels Freundin; wir erhalten für 3. Personen für 1 r. Eßen, – u. da sind die Portionen so knapp, daß keiner satt wird. Es geht für Brod, Butter, Käse, u. dergl. noch ein ansehnliches darauf. Lasse ich nur zuweilen Abends ein paar Schnitten Braten holen, so kostet dies gleichfals 4. g. In diesem Verhältnisse ist alles. Rechne also, was wir brauchen würden.
Du wirst sagen: es giebt doch Leute, die mit wenig Einkommen mit Weib u. Kind leben müssen: und es ist wahr, daß Kriegsräthe mit Familien hier von 800 r. Besoldung leben. – Aber theils wird hier der Fremde, weil er Fremder ist, unverschämt bestohlen; und diesem Diebstahle kann er durch keine Klugheit entgehen. Theils leben diese Leute auf eine Art, wie wir es nicht können. Ich kenne einen Kriegsrath, der einen Bedienten in prächtiger Livree hält. Dieser kocht verwichnen Sonnabend für seine Familie ½ lb. Rindfleisch, und für 6. d. Kartoffeln, u. Mohrrüben zum MittagsEssen. Es findet sich, daß das Fleisch nicht weich gekocht ist; es wird sonach nur das Gemüse ge[/jspeist, und das halbe Pfund Fleisch den andern Tag wieder gekocht zum SonntagsEssen. Seine Frau wäscht das Hemd, das sie den Sonntag tragen will, Sonnabends selbst in ihrer Stube: und geht indeß ohne Hemd. – So sollen gar viele Berliner leben. So freilich können wir es nicht.
Ich mag also die Sache ansehen, von welcher Seite ich will, so ist bei Deinem Hieherkommen offenbarer Verlust. Dagegen ist mein jetziger Vorschlag der. – Ich arbeite noch mein jetziges Buch fertig, lasse es hier druken; arbeite während der Zeit noch was ich kann – und komme gegen das Ende des Jahrs zu Dir nach Jena – zum Besuch, versteht sich – bleibe da bis Ostern; und unterdessen geschieht etwas. Was meinst Du zu diesem Vorschlage?
Paulus also will das Haus für 1200 r. – u. diese will er nicht bezahlen, sondern – höchstens wohl 4. p. c. verzinsen, also 48 r. jährlich. Das ist ja, als ob wir ihm das Haus für 48. r. ausmietheten. Und wer wird uns denn endlich die 1200 r. geben? Womit steht er uns denn für die einstige Bezahlung? Wieder mit unserm Hause? Nicht wahr? Wenn P. jezt nicht 1200 r. hat, so wird er sie nicht haben. Gieb doch diesem werthen Freunde unter der Hand zu verstehen, daß er sehr klug ist, und daß es nur zu bedauren ist, daß wir andern nicht sehr dumm sind. – Das Haus wird sich denn zu seiner Zeit wohl verkaufen.
Antworte mir bald, wie du denkst: u. nimm Dich des guten Hartmanns wohl an. Das kalte Waschen setze zu keinem Tag aus; u. suche ihn artig, und wohlgezogen zu erhalten. Lebe wohl, theure, ganz der Deinige.
F.
Sage Schelling, daß ich ihm mit dem nächsten Posttage antworten würde. Heute ist die Zeit zu kurz.
Ich wohne in des Schloßer Violet Hause, in der Friedrichsstraße, zwischen den Linden, und der Behren Straße, 2. Treppen.
Pour Madame Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 17. August 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 39‒41.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 165
Language
  • German

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