Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Johanna Fichte to Johann Jakob Wagner

Jena, d: 20: Augt: 99:
Ich eile, Ihnen Lieber Wagner einige Nachricht von uns mitzutheilen; da Sie es so sehr wünschen, so thue ichs gleich den ersten Poosttag, nach empfang Ihrer Briefe.
Aber ersten’s ein Wort, über Ihre eigne Lage; ich bedaure Sie sehr, und bitte Sie L: Rath nicht zu folgen, denn er will Sie durch Ihre Verheurathung, nur abhängig von sich machen, dies halten Sie in die Länge nicht aus, und bey den izigen traurigen Zeiten, darf man es nicht wagen, mit Famillie, ohne bestimmte Einnahme zu sein. Ich freue mich nun daß Sie Ihre Geliebte bey sich haben, freue mich daß Sie Ihre Trösterinn ist, und grüße sie herzlich. Die ehrliche Hummlin, ist zu gut, um bey solch Gnädigen Geschöpfen, wie sie besonders auch in N: sind, ihr armes Leben, noch elender zu enden, als sie es hier thun würde; denn ich glaube daß sie nicht viele Jahre mehr zu leben hat, da ihre Kräfte doch abnehmen; und ich freue mich daß sie bald am Ziehle sein wird.
Mein Lieber Mann ist d 1. Julius nach Berlin gereist, um dort in Ruhe zu arbeiten, und sich ein wenig zu erholen, denn die ganze niederträchtige Geschichte, das 16:wöchige Krankenlager, unsers guten Jungen, hatte doch seine Gesundheit angegriffen, so daß ich selber wünschen mußte, so weh es mir auch thut hier allein zurük zu bleiben, daß er vereise; ob ich Michelj auch nach Berlin zu ihm reisen kann, weiß ich noch nicht, oder ob ich hier noch länger ausharren muß. Mein Mann arbeitet an der Bestimmung des Menschen, welche Michelj (so wars sein Vorsaz) heraus kommen soll. [/] Lesen hät er hier, wie es heißt nicht dörfen, überhaubt nimmt die Universität ab, Schelling wird auch gehn. Haben Sie meines Manns Vertheidigungs Schrift an die Höfe gelesen? sie ist schon lange heraus. Wir haben hier, bey diesem Anlase, an trauriger Menschenkenntniß zugenommen; erfahren wie elend sich die so genannten Freunde benahmen, erfahren wie der Neid, welcher diesen Winter die höchste Stuffe erreichte, weil mein Mann 400: Zuhörer hatte, die Masque ablegte, und nun mit aller Macht wirkte; erfahren wie Bosheit, und Falschheit, (unter denen gehört besonders Huffeland der Jurist) weteiferten, um uns recht weh zu thun. Ich mag den Detail aller dieser Ereigniße Ihnen nicht mittheilen, sondern suche sie aus meinem Gedächtniß zu verbannen, um keine Menschenhäßerinn zu werden; freylich hatte meine Gesundheit, bei diesen allem viel gelitten, besonders da unser armer Hartmann so lange gefährlich krank war; nun ist er aber Gottlob völlig gesund.
Es liegt in der Exspedition der L:Zeitung, schon seit 4: Monath eine sehr vortheilhafte Rezension, über meines Manns Appellation an’s Publicum welche nun nicht heraus kommt, dies weiß ich durch Jemand im Vertraun, daß es wa[h]r ist; es ist nicht erlaubt, und man sollte dies öffentlich rügen. Mein Lieber Mann wird für einmahl, schreiben, daß ich ihm aber sehr, wieder [eine] Stelle wünschte ist gewis, denn ich darf es Ihnen wohl sagen, ich glaube es wäre für seine Philo[so]pfie beßer, wenn sie öffentlich vorgetragen würde, damit mehrere Jünglinge sie benuzen könnten. [/]
Bis gegen Mitte Sept: werd ich in allen Fällen, noch hier sein; wie lange wir in Berlin bleiben weiß ich nicht, (es soll dort teuer leben sein) auch nicht wo uns das Schiksahl denn hinführt; nach einer ruhig bleibenden Stätte, sehne ich mich sehr, denn man findt an jedem Orte, nur wieder eine andre Art Thorheit, und ich will lieber die ertragen, welche ich schon kenne, als wieder neue sehn.
Leben Sie wohl Theurer Freund, und haben Sie Gedult mit dem Leben, es läßt sich hier unten nicht viel Gutes erwarten, einmahl ich, hab alle Hoffnung dazu aufgegeben; dadurch ist meine Aussicht in die Zukunft, freylich nicht reizend, aber ich kann nicht helfen, denn ich bin müde, immer getäuscht zu sein.
Ihre Fr Fichtin
Ich weiß Ihre addresse nicht recht, wenn dieser Brief nur in Ihre Hände kommt.
Herrn Doctor Waagner
auf der Exspedition abzugeben.
in
Nürnberg
frey
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 20. August 1799
  • Sender: Johanna Fichte ·
  • Recipient: Johann Jakob Wagner ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Nürnberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 42‒44.
Manuscript
  • Provider: Haus der Stadtgeschichte - Stadtarchiv Ulm
Language
  • German

Basics · Zitieren