Berlin, d. 29. August. 1799.
Ich habe, mein verehrtester Freund, Ihre Briefe erst nach meiner Ankunft in Berlin, wohin ich zu Anfange des vorigen Monats abgegangen, erhalten.
Einiges Uebelbehagen dabei; späterhin eine Arbeit, die meine ganze Zeit wegnahm, haben mich verhindert bis jezt, sie zu beantworten; und auch jezt antworte ich mehr, als daß ich beantworte.
Lieber, wie hat sich doch Ihre Ansicht meiner Sache, durch Jacobi’s Vorstellungen so ganz, und so plözlich umgeändert! Ich finde die leztere sehr unrichtig, und ein wenig gehässig. – Unrichtig; wie konnte mir einfallen, durch meine Darstellung schon vorher gegen mich eingenommenen, ungerechten, vorurtheilsvollen Menschen die Gelegenheit, zu neuen Verdrehungen abzuschneiden? Das ist es, worüber ich mit Ihnen nicht einig bin, und worüber ich nie mit Ihnen einig werden werde, daß wir die Menschen nie bessern und bekehren, durch die triftigsten Gründe ihren bösen Willen nie brechen werden; u. daß es überhaupt keine[n] stetigen Uebergang von der Dummheit zur Weisheit, und von der Schalkheit zur Rechtlichkeit giebt. Schalksnarren kann man bloß unschädlich machen wollen für andere, nie aber sie bekehren wollen.
Inzwischen bedarf es hierüber nicht des weitern Disputs, in dem meine eigne Ansicht der Sache sich – Gott Lob! – auch völlig umgeändert hat. Ich würde für diese meine gegenwärtige Ansicht Ihren, u. Jacobi’s Beifall eben sowenig erhalten, als für meine vorige; daher überhebe ich mich, sie darzulegen. Das Resultat davon ist dies, daß ich es verachte, darüber ein Wort vor dem Publicum zu verlieren; und Sie ersuche, mir – bei Gelegenheit – jene Schriften wieder zurükzusenden. Sie können nach Jena, an meine Frau – welche [/] dort zurükgeblieben ist, gesendet werden.
Nur auf einen einzigen Punkt in Ihrem Briefe habe ich Rüksicht zu nehmen. – „Sie können den Mann, von welchem ich Ihnen seit geraumer Zeit soviel vorerzähle, unmöglich errathen. Ich soll Geduld mit Ihnen haben. Es geht Jensen auch nicht besser“ – Das ist bei dem leztern kein Wunder. Er hat nicht, wie Sie, mehrere Jahre in Jena gelebt, kennt nicht das Personale, und hat nicht insbesondre mit dem Manne, von welchem die Rede ist, vertraut gelebt. – Doch, da Sie ihn nicht errathen haben, so ist mir es lieber. Nun, da ich die ganze Sache für unvergleichbar geringfügig ansehe, wäre es nicht die Zeit, Sie noch näher auf die Spur zu leiten. – Eben so könnte es nur zu Befriedigung einer zweklosen Neugier des Publicum dienen, demselben, sowie Sie es immer gerathen haben, den von uns entworfnen Plan vorzulegen.
Meine Furcht über Unsicherheit war doch nicht so sehr übertrieben. Man hat mich in Berlin sonderbar genug aufgenommen. Der König war eben abwesend. Seit dessen Zurükkunft habe ich die hinreichendste Versicherung, daß man meinen Aufenthalt hier nicht beunruhigen wird; und dadurch erhalte ich zugleich, was ich besonders beabsichtigte, Sicherheit auch in andern deutschen Ländern. Es darf immer nur Einer das Beispiel geben; im Guten, wie im Bösen, die andern folgen nach.
So dankbar ich also auch Jacobi’s Anerbieten empfunden habe, so kann ich dennoch nicht davon Gebrauch machen. Ich werde mich vor der Hand nirgends fixiren, sondern herumreisen. Mehrere Monate bleibe ich noch hier, um einige Arbeiten zu endigen. [/]
Hat aber Jacobi Einfluß bei der neuen Ch. Pf. B. Regierung, und will er mir dienen, so kann er etwas anderes grosses für mich thun. Verschaffe er mir einen Ruf zu einer philosophischen Professur nach Heidelberg. Wenn ich auch, des Krieges halber, jezt nicht unmittelbar dahin gehen könnte, so wird es doch sicher bald ruhiger, und dann werde ich sicher hingehen, und nach allen meinen Kräften arbeiten; und Vortheile würde es mir schon jezt gewähren, den Ruf auch nur zu haben, und aus meiner precären Lage heraus gerissen zu werden.
Ich wünsche nichts sehnlicher, als Sie zu sehen; nicht gerade, um zu überlegen, was wir mit einander, und Sie für mich thun könnten (denn ich glaube, wenn wir beide thun, was wir können, und sollen, und nur sonst nicht auf unrechtem Wege sind, so findet sich das Miteinanderthun schon von selbst, ohne besondre Verabredung) sondern um durch mündliche Unterredung uns noch besser kennen, und verstehen, und gegenseitig ausgleichen zu lernen. Nach Hamburg aber kann ich aus mehrern Gründen nicht kommen. Wie wäre es, wenn wir uns etwa auf halbem Wege zwischen Berlin, und Hamburg ein Rendez Vous gäben? Was sagen Sie zu diesem Vorschlage? Ich würde gerade dann die beste Zeit dazu haben, da Sie Ihre Michaelis Ferien haben werden.
Leben Sie wohl, Theurer, und behalten Sie mich lieb. Der Ihrige
Fichte.
Verzeihen Sie dieses schlechte Geschreibsel.
Ich wohne, auf der Friedrichsstrasse, zwischen den Linden und der Behrenstrasse, in des Schlosser Violet Hause, 2. Treppen.
Herrn Professor Reinhold
frei. Hambg.
Kiel
Ich habe, mein verehrtester Freund, Ihre Briefe erst nach meiner Ankunft in Berlin, wohin ich zu Anfange des vorigen Monats abgegangen, erhalten.
Einiges Uebelbehagen dabei; späterhin eine Arbeit, die meine ganze Zeit wegnahm, haben mich verhindert bis jezt, sie zu beantworten; und auch jezt antworte ich mehr, als daß ich beantworte.
Lieber, wie hat sich doch Ihre Ansicht meiner Sache, durch Jacobi’s Vorstellungen so ganz, und so plözlich umgeändert! Ich finde die leztere sehr unrichtig, und ein wenig gehässig. – Unrichtig; wie konnte mir einfallen, durch meine Darstellung schon vorher gegen mich eingenommenen, ungerechten, vorurtheilsvollen Menschen die Gelegenheit, zu neuen Verdrehungen abzuschneiden? Das ist es, worüber ich mit Ihnen nicht einig bin, und worüber ich nie mit Ihnen einig werden werde, daß wir die Menschen nie bessern und bekehren, durch die triftigsten Gründe ihren bösen Willen nie brechen werden; u. daß es überhaupt keine[n] stetigen Uebergang von der Dummheit zur Weisheit, und von der Schalkheit zur Rechtlichkeit giebt. Schalksnarren kann man bloß unschädlich machen wollen für andere, nie aber sie bekehren wollen.
Inzwischen bedarf es hierüber nicht des weitern Disputs, in dem meine eigne Ansicht der Sache sich – Gott Lob! – auch völlig umgeändert hat. Ich würde für diese meine gegenwärtige Ansicht Ihren, u. Jacobi’s Beifall eben sowenig erhalten, als für meine vorige; daher überhebe ich mich, sie darzulegen. Das Resultat davon ist dies, daß ich es verachte, darüber ein Wort vor dem Publicum zu verlieren; und Sie ersuche, mir – bei Gelegenheit – jene Schriften wieder zurükzusenden. Sie können nach Jena, an meine Frau – welche [/] dort zurükgeblieben ist, gesendet werden.
Nur auf einen einzigen Punkt in Ihrem Briefe habe ich Rüksicht zu nehmen. – „Sie können den Mann, von welchem ich Ihnen seit geraumer Zeit soviel vorerzähle, unmöglich errathen. Ich soll Geduld mit Ihnen haben. Es geht Jensen auch nicht besser“ – Das ist bei dem leztern kein Wunder. Er hat nicht, wie Sie, mehrere Jahre in Jena gelebt, kennt nicht das Personale, und hat nicht insbesondre mit dem Manne, von welchem die Rede ist, vertraut gelebt. – Doch, da Sie ihn nicht errathen haben, so ist mir es lieber. Nun, da ich die ganze Sache für unvergleichbar geringfügig ansehe, wäre es nicht die Zeit, Sie noch näher auf die Spur zu leiten. – Eben so könnte es nur zu Befriedigung einer zweklosen Neugier des Publicum dienen, demselben, sowie Sie es immer gerathen haben, den von uns entworfnen Plan vorzulegen.
Meine Furcht über Unsicherheit war doch nicht so sehr übertrieben. Man hat mich in Berlin sonderbar genug aufgenommen. Der König war eben abwesend. Seit dessen Zurükkunft habe ich die hinreichendste Versicherung, daß man meinen Aufenthalt hier nicht beunruhigen wird; und dadurch erhalte ich zugleich, was ich besonders beabsichtigte, Sicherheit auch in andern deutschen Ländern. Es darf immer nur Einer das Beispiel geben; im Guten, wie im Bösen, die andern folgen nach.
So dankbar ich also auch Jacobi’s Anerbieten empfunden habe, so kann ich dennoch nicht davon Gebrauch machen. Ich werde mich vor der Hand nirgends fixiren, sondern herumreisen. Mehrere Monate bleibe ich noch hier, um einige Arbeiten zu endigen. [/]
Hat aber Jacobi Einfluß bei der neuen Ch. Pf. B. Regierung, und will er mir dienen, so kann er etwas anderes grosses für mich thun. Verschaffe er mir einen Ruf zu einer philosophischen Professur nach Heidelberg. Wenn ich auch, des Krieges halber, jezt nicht unmittelbar dahin gehen könnte, so wird es doch sicher bald ruhiger, und dann werde ich sicher hingehen, und nach allen meinen Kräften arbeiten; und Vortheile würde es mir schon jezt gewähren, den Ruf auch nur zu haben, und aus meiner precären Lage heraus gerissen zu werden.
Ich wünsche nichts sehnlicher, als Sie zu sehen; nicht gerade, um zu überlegen, was wir mit einander, und Sie für mich thun könnten (denn ich glaube, wenn wir beide thun, was wir können, und sollen, und nur sonst nicht auf unrechtem Wege sind, so findet sich das Miteinanderthun schon von selbst, ohne besondre Verabredung) sondern um durch mündliche Unterredung uns noch besser kennen, und verstehen, und gegenseitig ausgleichen zu lernen. Nach Hamburg aber kann ich aus mehrern Gründen nicht kommen. Wie wäre es, wenn wir uns etwa auf halbem Wege zwischen Berlin, und Hamburg ein Rendez Vous gäben? Was sagen Sie zu diesem Vorschlage? Ich würde gerade dann die beste Zeit dazu haben, da Sie Ihre Michaelis Ferien haben werden.
Leben Sie wohl, Theurer, und behalten Sie mich lieb. Der Ihrige
Fichte.
Verzeihen Sie dieses schlechte Geschreibsel.
Ich wohne, auf der Friedrichsstrasse, zwischen den Linden und der Behrenstrasse, in des Schlosser Violet Hause, 2. Treppen.
Herrn Professor Reinhold
frei. Hambg.
Kiel