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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Berlin, d. 30. August. 99.
Ich habe, Du Theure, soeben Deine N. 10 erhalten, u. fange an Dir zu antworten.
1). Ich habe, damit zwischen uns nicht so eine confuse Correspondenz entsteht, Dir allemal nur nach Erhaltung Deiner Briefe, also aller 14. Tage schreiben wollen. Thut Dir dies aber weh, Du theure Seele, so will ich von nun an Dir wieder aller 8. Tage richtig schreiben. – Du bist freilich in einer andern Lage denn ich; in diesem kleingesinnten erbärmlichen Neste darin. Mir ist es ganz anders zu Muthe, seit ich jene trübe, gedrükte Luft nicht mehr athme.
2). An Reinhold habe ich erst gestern geschrieben; und diesem den Gedanken wegen Heidelberg an Jacobi auf getragen. Ich werde erwarten, wie es aufgenommen wird. Zudringend kann ich nicht seyn. An eine Versorgung im Preussischen, besonders von Berlin aus, ist wohl kaum zu denken. Du weißt, welch hagere u. engbrüstige, kleinherzige Seelen die Jenenser, Weimaraner, u. dergl. sind. Aber diese Gerechtigkeit muß ich ihnen wiederfahren lassen, daß sie Heilige sind gegen die Berliner, z. B. daß ich wirklich ein Atheist bin, darüber ist bei diesen dummen Leuten keine Frage: inzwischen, denken sie, müsse man gegen jedermann, und so auch gegen die Atheisten tolerant seyn.
Ich habe noch keine Besuche gemacht. Ich gehe mit Widerstreben daran; und man weiß dann auch nicht recht, an Wen man sich anschliessen soll. Ich werde es endlich aber, vor meiner Abreise, denn doch thun.
3.). Daß man sagen werde – ausser die ganz Dummen – ich habe in Berlin nicht bleiben dürfen, fürchte ich nicht. Ueberhaupt wird alles dies so nach und nach verrauchen. Auch werde ich, sobald ich nach Jena zurükkomme, einen ganz andern, zwekmässigern Ton anstimmen, den Du schon jezt vorbereiten mußt: – „die Weimarische Regierung habe in ihrer Art ganz recht gehabt, sowie ich in der meinigen; es [habe] zwischen uns beiden als Parthei eben so kommen müssen, und ich nehme ihnen nichts übel: ich sey sehr froh, [/] daß ich auf einige Jahre Ruhe, Unabhängigkeit, und Musse für meine anderweitigen literarischen Pläne gewonnen habe, u. dergl.“ So muß man sagen. –
Das erste, wenn ich nach Jena zurükkomme, wird seyn, daß ich Voigt besuche, und Göthe, und Schiller – und ihnen dies u. ähnliches sage.
4.) In Absicht der Generosität ist es garnicht so, wie Du befürchtest. Die Madam Veit, schreibt recht ordentlich auf, und rechnet an dem Tischgelde ab. Ich vielmehr schmause hier und da, ohne es eben der grösten Strenge nach wiederzugeben. – Das viele Geld, das aufgeht, geht ganz natürlich auf. Es mag nicht theurer in Berlin seyn, als in Jena, wenn man eine schon eingerichtete Wirthschaft hat; aber so leben, wie ich lebe, ist sehr theuer.
Und im Ganzen – verzehre ich denn doch nicht soviel, als ich verdiene. Meine Bestimmung des Menschen ersezt mir ja recht wohl die Kosten des hiesigen Aufenthalts.
5.) Schlegel, der Dir diesen Brief überbringt, wird Dir sagen, wie gesund und munter, und frisch ich sey.
6.) Wegen des Cacao vergissest Du wieder, daß ich ja keine weibliche Bedienung habe. Auch wird derselbe ohne Zweifel hier eben so theuer seyn, als der Kaffee; und endlich – die Hauptsache – ich kenne es schon lange, als ein höchst fades Getränk. Ich bleibe bei meiner Bouillon, die ich nicht als Suppe esse, sondern trinke, die ich aus einem Speise Hause geschikt bekomme, und wo die Portion mir 2 g kostet.
Ich muß Dir sagen, daß ich durch die Einrichtung mit meinem Mittagstische wohlfeiler lebe, als wohl irgend ein Fremder. Ausserdem müste ich in der Stadt an den tables d’hote herumlaufen, und da hat man Gelegenheit zu mancherlei Geldausgaben. [/]
7.) Daß des armen Jungen beissender Ausschlag wieder da ist, ist mir sehr unlieb. Es plagt das arme Kind, macht daß er üble Gebehrden, Ungeduld, Ungezogenheiten u.s.f. sich angewöhnt. Freilich möchte ich auch nicht, daß direkt etwas dagegen gebraucht würde. Sage mir, wäschest Du ihn denn noch mit kaltem Wasser? Unterlaß dies doch um Gottes willen nicht. Dies ist das einzige Mittel, seine Haut, an der er eigentlich leidet, zu stärken.
8). Dadurch, daß ich gar keine Briefe aus Mainz, und von Brechtel erhalte, bin ich auf einen Verdacht gerathen. Du weist doch, daß ich bei meiner Abreise Briefe dorthin zurükließ. Hast Du diese auch wirklich abgehen lassen; oder hast Du sie etwa – aus übergrosser Klugheit, und um mich abzuhalten, ins Französische zu gehen, – unterschlagen? Dieser Verdacht wäre beleidigend, wenn ich nicht aus ehemaligen Proben, Deine – oft übermässige Klugheit kennte. Sey geschehen, was da wolle: ich bitte Dich um unsrer Liebe willen, sage mir es aufrichtig, damit ich nur wisse, woran ich bin.
9). Die Bestimmung des Menschen ist über die Hälfte schon fertig, und kommt zu Weihnachten gewiß. – Auf die Sensation im Publico bist Du neugierig? Es macht nichts mehr Sensation; besonders ist dieses Buch durch seinen mässigen Ton dazu nicht geeignet. Will man Sensation erregen, so muß man sie tüchtig ausschimpfen. – Ich werde es zu seiner Zeit auch daran nicht fehlen lassen.
Ich wollte, Du schriebst an Hennings zwei Zeilen, daß jene Schrift schon ihren Verleger hätte; und daß ich mir die Ehre auf ein andermal vorbehielte.
Lebe wohl: und laß Dir von Schlegel recht viel erzählen: und grüß mir den Jungen.
Gablern sage, daß ich mit der nächsten Post ihm einen kleinen Aufsaz für das Journal senden würde. – Sage es ihm: er wird Freude darüber haben.
Pour Madame Fichte
à
Jena.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 30. August 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 56‒58.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 170
Language
  • German

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