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Karl Leonhard Reinhold to Johann Gottlieb Fichte

Ihr Schreiben vom 29. August hat mich ungleich mehr überrascht, als mich Ihr langes Schweigen befremdet hatte. [/]
Ich weiß, daß sich meine Ansicht Ihrer Sache, von dem Tage, wo ich Ihr Schreiben an Voigt in den Rintel’schen Annalen gelesen hatte, bis auf diesen Augenblick in keinem wesentlichen Punkte geändert hat. Aber ich hoffte, daß die Ihrige mit der Zeit, und durch dieselbe anders – warum soll ich’s nicht gerade heraussagen? – daß sie milder, heiterer, billiger werden würde.
Es kann seyn, daß mich mein Temperament in der Beurtheilung Ihrer Ansicht täuscht. Aber sollte Ihrerseits nicht auch etwas Aehnliches möglich seyn?
Sie bemitleiden meine schwache Gutmüthigkeit – und ich fürchte für Sie eben das, was Sie zu diesem Mitleiden so aufgelegt macht.
Auch hat Ihnen die Natur glänzende Talente gegeben, die sie mir versagt hat. Sie haben Bewunderer und Feinde; ich nicht. Ich kann Sie nicht über alle Gefahr, Ihre Freunde, nur in ihren Anbetern, und in ihren Gegnern lauter Feinde zu finden, erhaben glauben. Aber Sie nennen mich ja noch immer Freund! In Kraft dieses Namens erkläre ich Ihnen – daß ich – und gewiß jeder gegen Sie Gutgesinnte – Schlegel, Niethammer, Hülsen denken vielleicht anders; aber man kann gegen Sie gut gesinnt seyn, ohne mit diesen übrigens, jeder nach seiner Weise, achtbaren Männern – hierin gleich zu denken – nicht für unvergleichbar geringfügig halten können, wie das Publikum Ihre Dimissionsgeschichte ansieht – und daß es hier nichts weniger als um Befriedigung einer zwecklosen Neugierde des Publikums zu thun sey.
Das Kantische Inserat im Intelligenzblatt der A.L.Z. hat mich erschüttert, – so wie mich Wieland’s Schmähschrift im Merkur gegen die Kant’sche Philosophie, und Herder’s Scharteke gegen Kant und Sie indignirt hat!
So arbeiten denn die Lenker der öffentlichen Meinung mit einander in die Wette, sich um alles Ansehen zu bringen – sich geringschätzig und verhaßt zu machen! Fichte – [/] so soll unser Streben nach Wissenschaft ein bellum omnium werden oder bleiben?
Hier ist ein Blatt von Jacobi mit dem Resultate seiner Verwendung in München: Ihren neuen Wunsch habe ich Ihm mit Ihrem Briefe mitgetheilt.
Ich gehe den 26sten nach Hamm bei Hamburg, wo meine Tochter in Pension bei der Rudolphi ist, und wo ich 8 Tage zubringen werde, – dann über Lübeck wieder nach Hause. Meine ökonomische Lage, die sich durch die ungeheuere Vertheurung aller Lebensmittel bei uns sehr verschlimmert hat, – erlaubt mir nicht, meine Reise über Lübeck auszudehnen: – wie gerne fände ich mich sonst zu dem vorgeschlagenen Rendezvous ein! – Lieber Fichte – sehen Sie zu, was Sie können – insbesondere – ob es Ihnen nicht möglich ist, mir zu seyn, was Sie vor meinen letzten Briefen mir waren.
Ich bin ewig der Ihrige.
Reinhold.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mitte September 1799
  • Sender: Karl Leonhard Reinhold
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Kiel · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 82‒84.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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