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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Berlin, d. 28. 7br. 99
Nein, guter, lieber, theurer Reinhold, ich werde Ihnen unverrükt seyn, was ich Ihnen geworden. Mein Glaube an Ihre Biederkeit, und unerschütterliche Wahrheitsliebe steht fest, und die Hochachtung dafür macht einen Theil meines Selbst aus. Wie hätte Ihre verschiedene Ansicht einer – ich wiederhole es – an sich geringfügigen Begebenheit meine Gesinnungen über Sie, und gegen Sie ändern können?
Fern sey es von mir, Ihnen anzumuthen, daß Sie seyen, was Sie nun einmal nicht sind, noch seyn können. Halten Sie es mit mir auf die gleiche Weise, und dulden Sie, daß ich ich selbst sey. Mäßigen Sie mein Feuer; ich von meiner Seite will mir nicht einmal anmaaßen, das Ihrige anzufachen.
„Meine Ansicht der bewußten Sache, hofften Sie, sollte billiger, heiterer, milder werden.“ – Wie wißen Sie denn, daß, nachdem sie sich meinem vorigen Briefe nach verändert, sie nicht gerade dies geworden ist. Ich befürchtete nur, Sie, und Jacobi würden[sie] leichtsinnig schelten; darum allein vermied ich’s, sie darzulegen.
Völlig ausgemacht ist, und bleibt mir, daß es nur die Sache des gelehrten, und insbesondre, des gelehrt-philosophischen Publicum seyn konnte – wo giebt es denn ein solches Publicum? – zu entscheiden, [/] ob wir durch die Bekanntmachung jener Aufsätze eine Unbehutsamkeit begangen hätten. Wie können diejenigen, welche von der Sache nichts verstehen, beurtheilen, in welche Ausdrücke sie eingekleidet werden könne? (Die Rescripte nemlich tadeln unsre Unbehutsamkeite in Ausdrücken) Ich hätte Forbergs Aufsatz nur als Censor zurüksenden können? Würden Sie, oder Jacobi dazu mir gerathen haben? – Der meinige ist, wie sie selbst richtig bemerkt haben, eine Widerlegung des F-gischen. Konnte, durfte ich mehr thun. Ich bin sonach noch immer der Meinung, daß ich so weit tadellos, und in Vergleich mit der gewöhnlichen Handelsweise, preiswürdig gehandelt.
Nun hätte ich allerdings späterhin mich fügen, es meinen Regierungen, wie sie wünschten, erleichtern, von meinem strengen Rechte nachlaßen, einen meinem eignen Bewußtseyn nach unverdienten Verweiß mir gefallen laßen können, wenn ich gewollt hätte. Es möchte dies klug, vielleicht gar weise gewesen seyn. Ich habe nichts dagegen, daß mein Freund mir sage, was ich selbst wohl auch recht gut weiß, und einsehe. Aber dem Fremden, dem Publikum geht diese Sache nicht an, denn wer darf mich denn zwingen, von meinem Rechte nachzulaßen.
Ich habe, nach dem Ausdrucke eines Ihrer Correspondenten, der [/] so sehr mein Freund ist, „gepoltert, gepocht, gedroht“. Es sey. Ich habe es damals nicht zum ersten male gethan, und bin nicht der erste Profeßor zu Jena, der es gethan. Diese Regierung hat sich oft genug durch einige Studenten in Furcht jagen laßen. Wäre mir’s gelungen, so war es der Mühe schon werth; und ich weiß, daß ich die dadurch gewonnene Gewalt zu guten Zwecken angewendet hätte[.]
Es gelang nicht. Sie thaten, was – ich sage es freimüthig – ich an ihrer Stelle – sicherlich auch gethan hätte (aber in ihrer Stelle schwerlich veranlaßt hätte) Nun gut; wir sind gegenwärtig quitt. Ich habe gepoltert; und sie haben mir den Abschied gegeben. Ich beklage mich nicht über sie; und sie können mir weiter auch nichts anhaben. Worüber soll ich mich nun noch vor den Richterstuhl des Publicum stellen? Kläger will ich ja nicht seyn; wer sagt, daß ich klage. Oder soll ich der Beklagte seyn? Wer hat denn das Recht, mich zur Verantwortung zu ziehen? In weßen Rechte habe ich denn einen Eingriff gethan?
Zu bereuen habe ich nur meinen zweiten Brief; und ich bereue innig, daß ich mir ihn – habe abquälen laßen. So verfalle ich – der, wie Sie mir melden, für so stolz, für so unbeugsam beschrieben wird – gerade durch meine Gutmüthigkeit, und kindliche Unbefangenheit, welche abzulegen ich mir so oft verspreche, und immer wieder in sie gerathe, in die Hände von Rathgebern, die mir nie rathen sollten. – – Der Mann übrigens, den weder Sie, noch Jensen errathen können, heißt Paulus. Daß ich dies nur Ihnen sage, versteht sich. Sie werden wißen, wie höchst bedeutend dieser College [/] seit Ihrem Abgange von Jena geworden ist. Außer ihm waren aber allerdings noch Männer, im Plurali, mit uns einverstanden – Ich gebe Ihnen diese, und die obenstehende Erklärung besonders deswegen, weil in Ihren vorigen Briefen einige Ausdrücke vorkommen, welche dunkel die Voraussetzung anzudeuten scheinen, daß ich das Ding gesagt, das nicht ist, dunkel sage ich, denn hätten Sie sich dem deutlichen Gedanken dieser Voraussetzung überlaßen, so ist klar, daß ich mit Ihnen auf immer hätte brechen müßen.
Jacobi – nicht eigentlich Ihnen: Ihr Rath war, daß ich reden sollte, und er ist es noch – ihm werde ich es lebenslänglich danken, daß er mich abgehalten, jenes meiner ganz unwürdige, und nur in jenem wunderbaren Gedränge von mir zu erhaltende Sendschreiben bekannt zu machen. Uebrigens scheint mir J-s Ansicht zu beweisen, daß der herrliche Mann doch nicht ganz ungestraft vornehm, und reich, und Geheimer Rath ist. Was in aller Welt gehen mich denn die Sächsischen Herzoge, und Ihre Universität an, sobald ich mich betrachte, als nicht mehr in ihren Diensten? (denn das geschenkte Vertrauen misbrauchen, und mit den von ihm selbst verliehenen Kräften jemanden schaden, ist niederträchtig, ob es gegen den Einzelnen, oder gegen eine Regierung geschehe.) Es thut mir leid genug, daß [/] ich nicht Wort halten kann; daß die seitdem eingetretenen politischen Eräugniße die Ausführung meines Plans unmöglich machen; es mir unmöglich machen, dieses Jena, diese Mischung von Barbarei, und Cultur, von Thorheit und Weisheit, zu Grunde zu richten, und die studierende Jugend, der die Wahl ihres StudierOrtes noch frei steht, auf einem beßern Institute zu versammeln! Und sagen Sie mir, lieber, warum sollte ich dies nicht thun, wenn ich könnte? Etwa, weil dem Herzoge von Weimar seine Steuer aus Jena dann weniger ordentlich eingehen würde? Der studierenden Jugend, gegen welche allein hierin Pflichten statt finden könnten, den Eltern, dem ganzen Publicum, würde dadurch gerathen; gegen die todten Mauren von Jena aber, und gegen die eben so todten unbedeutenden Collegen habe ich keine Pflichten.
Sehen Sie hier einen neuen Grund, warum über diesen Umstand sich nicht öffentlich reden läßt. Was jezt nicht ausführbar ist, kann es wohl mit der Zeit werden. Zu frühes Sprechen aber macht den Plan auf immer rükgängig. Uebrigens ist der Ort für Ausführung dieses Plans völlig gleichgültig; deutsches Gebiet wäre sogar vor jedem andern noch vorzuziehen. Ist die neue PfalzBayrische Regierung, was man in der Ferne von ihr glaubt, so wäre sie vielleicht einer solchen Idee empfänglich. [/]
Jacobi danke ich herzlich für seine Verwendung, und die Uebersendung des Resultats davon. Für diesen Winter denke ich davon keinen Gebrauch zu machen; was künftigen Sommer geschehen könne, muß von der Zukunft erwartet werden. Ich bitte, mir zu erhalten, was mir dargeboten ist. – Es freut mich, daß man auch in München auf dieselbe Stadt gefallen, die mir vorschwebt, sobald ich das PfalzBairische denke, auf Heidelberg. Ich kenne diese Stadt sehr wohl; indem ich mehreremahl dort gewesen; und liebe sie vor allen andern. Vielleicht findet mein zweiter Vorschlag, wenn Jacobi (es wäre merkwürdig, wenn der treflichste Dollmetscher Spinozas mir, den er für einen Atheisten hält, wie jenen, dasselbe verschaffe, was Spanheim jenem antrug) wenn, sage ich, Jacobi ihn auffaßen sollte, desto leichter Eingang.
Sollte der Hof geneigt seyn, von einer durchgreifenden Verbeßerung des UniversitätsWesens das Beispiel zu geben, so würde es späterhin Zeit genug seyn, sich zu eröfnen: außerdem bin ich stets erbötig, meine Ideen darüber darzulegen. Wo nicht, so arbeite ich in H. eben so gern, und gewiß eben so eifrig in dem hergebrachten Gange, als ich es in Jena gethan habe. Verleihe uns der Himmel nur Friede!
* * *
Nur im Streite kann die Wahrheit gedeihen. Es stehen [/] noch ganz andere Kriege bevor über dieselbe, als wir bis jezt erlebt haben. Ich zwar für meine eigne Person werde von nun an einige Zeit Frieden halten; wenn man mich nemlich nicht bei den Haaren in den Streit zieht. Ich lese, seitdem ich in Berlin bin, fast keine gelehrten Zeitungen.
Es ist ein gerechtes, und weises Gericht, daß Männer, die durch Halbheit ein gewißes Ansehen bei den Zeitgenoßen erworben, und durch dieses Ansehen die bleierne Mittelmäßigkeit verewigen, und den raschen Fortschritt des Zeitalters aufhalten könnten – sich zulezt noch kräftig prostituiren müßen. So ist es Nicolai ergangen; so ergeht es jezt Wielanden, und Kanten. Daß der erstere gegen die Griechen, die großen Italiäner, einen Cervantes der Spanier, Shakespear der Engländer, Göthe der Deutschen nur ein mittelmäßiger Dichter ist, darüber sind Sie vielleicht mit mir nicht einig, und ich würde Ihnen diese meine Meinung nur bei dieser Gelegenheit bekannt haben; daß der leztere denn doch nur ein DreiViertelsKopf ist, und daß es mit seiner Philosophie in der That die Bewandniß hat, die Sie wider mich behauptet, und die ich einst sehr auseinandergesezt, indem ich sie von Kant läugnete, geht aus seiner neuesten Erklärung sonnenklar hervor. Nun, so mögen sie sich in Gottes Namen prostitui[/]ren, damit der blinde Glaube an sie sinke, und das Beßere Platz gewinne. – Mit Herdern ist es nicht derselbe Fall; es bedurfte seiner Prostitution nicht zum Wohle des gemeinen Wesens; er hat sich ganz auf seine eigne Hand prostituirt.
Sie haben doch einen Sohn, oder mehrere? Der Himmel erhalte mir den meinigen! Ich will ihm eine solche Erziehung zu geben suchen, daß ich, wenn er mündig da steht, unter seine litterarische Vormundschaft mich begeben könne, damit ich nicht meine Laufbahn unwürdig beschließe, und mein Alter, wenn ich alt werden soll, entehre.
Leben Sie wohl, Theurer, und seyn Sie der hochachtungsvollsten Liebe versichert
von
Ihrem
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 28. September 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 90‒94.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 181
Language
  • German

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