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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

d. 8. 8br. 99.
Deine N. 14, die ich soeben erhalte, ist mir in vielem Betracht unendlich unangenehm. 1185. fl. sind wir Deiner Schwester schuldig? Wo ist denn nun dieses Geld? daß ich 500 fl. davon an den Bruder geschikt habe, weiß ich: übrigens weiß ich von Deiner Schwester Geld nichts. Es müste also verzehrt seyn. Von schon verzehrtem Gelde Interessen geben, in meiner jetzigen Lage Interessen geben, ist abscheulich hart. Dann hätte ich doch gewünscht, daß Du mir es gesagt hättest, daß es so kommen würde. – Kurz, u. gut. – Meinen Bruder (von welchem ich ganz u. gar keine Nachrichten habe, und der warscheinlich, so wie meine Eltern, nicht wissen, wo ich bin,) kann ich durch Zurükfoderung des Geldes, oder durch Abfoderung von Interessen nicht mit einemmale stürzen. Zu seiner Zeit soll jenes Geld uns gut zu Statten kommen, u. reichliche Zinsen tragen.
Ich wundere mich, daß Dir der natürlichste Gedanke nicht einfällt. Assignire Deine Schwester an die Steiner zu Neuchatel: schike ihr für 1185. fl. Papiere, u. halte die Steiner an, daß sie endlich bezahlen. Ueberdies kannst Du bei unsrer gegenwärtigen Lage nicht die Cassenverwalterin, und Vormünderin Deiner Schwester seyn. Wir haben nicht selbst so wenig zu sorgen, daß wir noch für andere sorgen könnten. Also – setze Dich auf jenem Wege mit ihr auseinander. Anders will ich es nicht, als Dein Vormund, u. Mann, u. laß mich von dieser Sache nichts mehr hören. Ich thue so gänzlich Verzicht auf alles das Deinige, äusser was schon verbraucht ist, und in Haus, u. Meublen stekt, daß ich Dir hiemit die Vollmacht gebe, alles, was bei den Steinern steht, an Deine Schwester, oder Brüder zu schenken. Nur laß mich von Foderungen derselben an Dich u. uns nichts mehr hören. Unser kleiner VermögensRest muß rein seyn von Schulden; ausserdem steht uns das traurigste Schiksal bevor. – Diese unglaubliche Sucht, alle Welt zu bevormunden! Habe jezt mehr Mitleid mit Dir, u. Deinem Kinde, [/] als mit Deiner untheilnehmenden, u. ungeschikten Schwester. Gerecht freilich sollst Du gegen sie seyn: was Du nach Deines Vaters Willen ihr auszuzahlen hast, sollst Du ihr auszahlen; und dazu hast Du zum Glük die Steiner.
Wie weißt Du auch, ob alles so wahr ist, wie sie Dir es schreibt; und ob sie sich nicht in einer weit bessern Lage befindet, als Du selbst. Daß die unbeholfene immer in Vorrath schreit, weist Du ja.
Dann habe ich auf meinen guthmüthigen Scherz über meinen Stolz nicht eine so ernsthafte Mercuriale erwartet, als Du Dir die Freiheit nimmst, mir zu geben. Das Unglük ist, daß überall kein Menschenverstand darin ist, u. daß Du Dir anmaassest, über Dinge zu urtheilen, davon Du nichts verstehst. Ich hätte ein allgewaltiger Mann in Jena werden können, ohne Zweifel – wenn die Lage nicht leider so gekommen wäre, daß ich ein niederträchtiger Höfling, u. Speichelleker, etwa wie Hufeland, hätte werden müssen, um es zu bleiben. Willst Du einen solchen Mann haben, so bist Du sehr zu bedauren, daß Du mich gewählt hast: das ist nun einmal nicht in meiner Natur, u. wird nie hineinkommen.
Ich befürchte, liebe, daß Du Dir durch Deine gegenwärtigen Plane, und durch die Anstalten, die Du getroffen zu haben scheinst, das Ruder unsrer Schiksaale zu übernehmen, viel Herzeleid vorbereitest. So hast Du z. B. Deinen Sinn auf meine Wiederherstellung in Jena gesezt: u. daraus wird, wenn ich halbwegs die Lage der Dinge kenne, nichts werden; denn auf die Bedingungen, auf welche allein ich wieder der ihrige werden könnte, werden sie nie eingehen. Ich würde nemlich nie bitten; sondern sie müsten mich wieder ungebeten rufen, u. ehrenvoll rufen, wie sie es das erstemal gethan haben. Abgerechnet, daß dies schon der Weimarische Stolz nicht zuläßt, und daß Vogt, und mehrere Professoren in Jena nothwendig, weil sie mich für ihresgleichen halten, meine Ra[/] […]
Es ist leicht zu sagen: Fichte, Du bist stolz, und dies allein ist die Quelle unsers Unglücks. Aber Du sollst mir, wenn ich zu Dir komme, eine einzige Handlung dieses Stolzes anführen. Ich bin nur zu gutmüthig und hingebend, vertraue mich den Leuten zu leicht an, halte sie mir nicht stets genug vom Leibe; dann nehmen sie sich Ungebührlichkeiten heraus, und ich muß sie wol in die Grenzen, die sie nicht hätten verlassen sollen, zurückweisen. So war es der Fall mit Reinhold, und würde es hier in Berlin sehr bald mit vielen der Fall geworden sein, wenn ich mich nicht [/] in Acht genommen hätte. Fragte mich nicht schon der plumpe G.: „Nun, was ist denn so eigentlich Ihr Plan?“ – Es ist unerträglich, sich von jedem Narren bedauern und rathen zu lassen! Dann möchte ich wissen, wo denn nun das große Unglück steckt, das uns betroffen haben soll? Die alberne Denkart, die da glaubt nur auf der Scholle, auf der sie sitzt, glücklich sein zu können. Theilst Du auch diese? Du solltest doch bedenken, daß es nichts Zufälligeres, und Unwesentlicheres gibt als den Wechsel äußerer Verhältnisse. […]
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 8. Oktober 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 102‒104.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 184
Language
  • German

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