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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Jena d: 21: Octob: 99:
N: 17:
Du hast nicht vermuthet Lieber Fichte, daß mich Dein lezter Brief, wirklich während einem ganzen Tag krank gemacht hat; das war gewis nicht Deine Absicht, das weiß ich gewis, aber Dein Brief ist so hart, daß er diesen Erfolg haben mußte; denn ich bin theils durch alles vorhergegangne geschwächt; theils ist meine izige Lage, auch nicht von der Art, daß ich so viel aushalten könnte; ich lebe höchst einsam, weil mich die Gesellschaft ennuirt, zweyten’s war meine häußliche Lage, sehr drükend; denn solche drey wilde, ungezogene, unbeschäftigte Knaben, eine hizige Mutter, unser ungezogner Junge, 2: Mägdchen die fast Teufels waren, und uns noch alle hintereinander bringen wollten, dieses alles, von welchem ich Dir, aus Schonung, nichts gesagt habe, hat mich freylich geschwächt, dazu Stadtgeschwäze über Dich, teuflische, Schriften, wovon der Engel Gabriel, eine ist, u: die zweyte von Grunern; das Schiksahl meiner armen Schwester, das Unglük der Franzosen, das izt freylich abnimt, das hat mich alles mitgenommen; vieles wird sich izt ändern; ersten’s haben wir izt 2: gute Mägdchen, zweyten’s wird ja Baier kommen, und die Jungen’s, welche im Grunde nicht böse sind, in Orndnung halten, auch fehlt ihnen nichts als Beschäftigung; dritten’s hab ich das Feuer, welches bey der Oberstin, und mir unter der Asche glimmte, nie zum Ausbruch kommen laßen, und welches durch diese Mägdchen’s immer angefacht wurde; auch habe ich mich mit aller Höfflichkeit, sehr zurük gezogen; bin ihnen allen, auch im Grunde, nicht böse; nur braucht es bey diesem Zusammenleben Klugheit; von der Du aber keine nöthig haben wirst, denn es hat sich nun alles geändert. [/] Auch ist, unser Hartmann, izt bräfer; und die Oberstin billiger, alles, alles geht beßer.
Meiner armen Schwester, thust Du höchst Unrecht, Theure Seele; denn es hat mir nicht das geringste gefodert, sondern, in der Angst, über unser Schiksahl, die theilnehmensten Erkundigungen einziehn laßen, ich sage einziehn laßen, weil es nicht wußte, daß ich noch hier bin; so ließ es durch die dritte Hand, nach unsern Aufenthalt, und nach unserm Befinden, mit erstaunlicher Angelegenheit fragen. Du frägst Lieber, worin wir denn unglüklich seyen; diese Empfindung, während einem halben Jahre zu haben, wo Du denn eigentlich auf der Welt leben könnest, das war eine Empfindung, die ich meinem ärgsten Feinde nicht wünsche, ohne aller Verläumdungen, die man sich gegen Dir erlaubt hat, nicht zu gedenken, hätten wir freylich noch Mangel dazu leiden müßen, so wär es noch ärger gewesen; die<ser> hätte aus der Lage, wenn sie noch länger gedaurt hätte, auch entstehn können.
Mein Sinn steht gar nicht nach Heidelberg, aber ich wünsche Dir nur einen Ruff dort hin, aus vielen Gründen, die Du alle weißt: was Jena anbetrieft, so denke ich mir die Sache so; Sie müßten in Weimar, auf den Gedanken gebracht werden, den Prozes noch einmahl zu reviedieren, wie dieses ja in Deutschland manchsmahl der Fall ist, und denn würde sich die Sache von selbst finden; und dazu glaub ich, würden sie sich sehr geneigt finden, wenn Du irgend wohin, einen Ruff bekömmst. Denn daß Niedhammer, und Forberg so ruhig, bey ihren Poosten, bleiben, diese Männer, die gar nicht mit Dir in Vergleichung kommen können, darüber hab ich mich schon etwas rechts geärgert, [/] ungeachtet, daß ich’s ihnen herzlich gönne.
Ja wohl traust du den Menschen nur zu viel, Bester, Theurster Fichte! und giebst Dich ihnen hin; und denn wenn Du fühlst, wie wenig sie’s verdienen, so wirst Du ein Stolzer Löwe, und giebst ihnen den zu fühlen; das können sie denn nicht begreifen, miskennen Dich, und thun Dir im höchsten Grade Unrecht; und dieses Unrecht, welches sie Dir thun, thut mir in der Seele weh.
Ich freue mich innig, daß sie doch in Berlin anfangen, zu fühlen, wer Du bist; ich hatte dazu wenig Hoffnung, weil mir Schlegel gesagt, daß die B: nicht einmahl so weit seyen, um auf Kant eitel zu sein; man hat mir gesagt daß Schlegel, in Berlin, weder geachtet, noch geliebt sey, und daß Dir, seine Bekanntschaft, dort nur geschadet habe. Dieses hat Feßler hier gesagt.
Was denkt denn der König, von den Freymäurern? sind ihm die nicht verdächtig?
Die Antwort an Kant, hat mich sehr gefreut, es herscht, eine solche Ruhe, und Würde drin; auch gefällt sie hier Jedermann.
Daß Du noch länger in Berlin aufgehalten wirst, theurste Seele, thut mir innig weh; ich hatte mich schon so gefreut, Dich gewis anfangs des künftigen Monaths hier zu haben, und nun daurts noch einen Monath länger, das ist sehr traurig – –
Hier sagt man, daß der Kai von Rußland tod sey, man weiß nicht, auf welche Art; auch sucht man diese Nachricht zu verheimlichen: zweyten’s, soll der hiesige Herzog, seine Stelle in [Preußen], haben niederlegen müßen, wegen der Verheurathung seines Sohns, mit der rußischen Prinzeßin; auch sagt man, diese Heurath werde nicht zu Stande kommen: dritten’s soll es in Baiern sehr gähren; die Priester sollen das Volk aufwiegeln, weil der Fürst, den [/] dort sehr gedrükten Reformierten, auch Ämter ertheilt; und weil er das Volk an Rußland verkaufe, wie sie sagen; auch haben sie eine erstaunliche Anhänglichkeit, zum Erzherzog Karl; Dieses alles, bringe den höchsten Grad, der Unzufriedenheit, und des lauten Murren’s hervor.
Lavater soll, beym Einzuge der Franzosen in Zürich, durch Soldaten, welche ihm mehr Geld abforderten, als er bey sich hatte, tödlich geschoßen worden sein; diese Nachricht kränkt mich sehr. Auch sollen die Rußen beym Rükzuge, die Leuthe mishandelt, und geplündert haben; die Erbitterung, der Schweizer, gegen die Rußen ist allgemein; doch haben die Rußen leider, in den kleinen Cantonen einen Sieg erfochten, und 5000: Franzosen genommen. Kozebu soll ein Drama über die Schlegels gemacht haben, welches schon in Leipzig aufgeführt worden ist, und diese sehr soll zu lachen gemacht haben; auch soll der Herzog, die Schlegelschen Satieren nicht gerne sehn. Bei Schüzen’s wird alle 14 Tage Comedie gespielt, und da hat Schüz, einen kleinen Aufsaz gemacht, welcher auch gegen die Schlegels gerichtet ist, und welcher vor dem Spiel mitgetheilt wurde; dieses haben nun Schlegels erfahren, und an Schüz geschrieben, ihnen doch diesen Aufsaz mitzutheilen, damit sie ihn druken ließen. Nun kannst Du Dir die Weiber, aus beyden Häusern vorstellen, wie sehr die das Feuer anfachen, und unterhalten. Ist Dir Huffeland in Berlin, noch nicht zu Gesichte gekommen? und hat Lindner, Dir meinen Brief, überbracht?
Die Veitin hat mir die 16: th: zurük gegeben.
Heute war Gabler bey mir, und entschuldigte sich, mit der Versicherung, daß er mir, die 100. th: nächsten’s geben würde; ich sprach aufrichtig, wegen Zustand, seiner Finanzen mit ihm; er versicherte mich, daß er gewis keine Schulden hätte, als die bey Schmidt, und daß er gewis gut stehe; auch läßt er Dich inständig [/] bitten, wenn es immer möglich sey, in Deiner Bestimmung des Menschen, in der Vorede, oder wo es sich sonst thun laße, Deine vorigen Schriften, zu nennen, oder zu empfehlen; auch hoffe er, daß Du nicht von ihm abgehn würdest.
Baier ist gestern abend hier angekommen, und läßt sich bey Dir entschuldigen; er ist in der Nacht, durch Berlin gereist: ich habe schon drüber geschmehlt, auch muß er mir noch bestimmt, wegen der Medaille bescheid sagen.
Ich erzehle hier wo ich kann, daß man sich bemuth, Dich in Berlin Lesen zu machen; Gottlob daß sich der Himmel über unser Schiksahl, erheitert, auch hör ich von der Veitin, daß Feßler sehrviel vermag in Berlin; und daß er Dich liebt, und schäzt, das hab ich hier erfahren; die Veitin sagt, daß wenn Du Dich, den Berlinern mittheilen wollest, sie gewis bezaubert würden, denn es sey ein gutes Völkchen; und sie hätten, eine bisare Meinung von Dir gehabt, welche sie izt ganz verliehren würden.
Hat Feßler eine brafe Frau, für die ich paße?
Du weißt ja theure Liebe Seele, daß ich weder an das Haus in Jena, noch an irgend etwas, außert Dir hänge; ich war ja bis izt noch genöthigt, drin zu bleiben, und ich weiß sehr gut, was mir diese Trennung von Dir kostet.
Unser Hartmännchen, ist Gottlob gesund, ich gehe täglich mit ihm Spazieren, troz der rauhen Luft, die wir dann, und wann haben; ich soll den Vater ganz gewis grüßen, sagt er.
Der gute Doct: Brayer lebt hier sehr einsahm, seit dem Schelling immer bey Schlegels ist; er grüßt Dich herzlich, wie auch Griesbach, und die Übrigen: Niedhammers sind, von ihrer Reise zurük, und haben eine Schwester mitgebracht.
Nun hab ich mit Baiern gesprochen; er sagt er hätte darum ein Portrait gewünscht, damit ers den Studenten hätte zeigen können; freylich hatten sich 200: unterschrieben, Du weißt aber, wie es mit den Stundenten geht; nun muß er erst wieder mit ihnen reden, eh er was bestimmtes sagen kann; aber deswegen wird die Sache nicht unterbleiben; möchtest Du nicht so gut sein, und Dich erkundigen, wie hoch das Ganze als Medaille zu stehn kommt.
Ich ärgere mich, das ist alles sehr unangenehm für Dich Lieber, werde aber nicht böse. Das Model ließe sich wohl nicht erst herschiken? damit die närischen Leuthe es sähen. Lebe wohl, Lieber theurster Fichte! ich [ha]be nun so viel geschrieben, daß mir der Kopf recht weh thut. Deine Fichtin. Beier [bittet] Dich noch einmahl, nicht böse auf ihn zu sein, und Sträuber, der heute da, läßt Dich herzlich grüßen. Adieu Bester.
es sollen wieder 10000 Rußen, in der Schweiz geblieben sein.
Herrn Professor Fichte.
In der Friedrichsstraße, zwischen den Linden,
und der Behrenstraße, in Violets Hause.
zu:
Berlin.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 21. Oktober 1799
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 111‒115.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 187#B 199
Language
  • German

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