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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

d. 23. 8br. 1799
Ich erhalte so eben Deine N. 15. u, es reut mich mein gestern abgegangner Brief. Du hast Lindnern nicht getraut, u. darum diesen leeren Brief geschrieben. Dein heutiger ist ganz anders. – Ich hoffe daß Du diesen ein paar Tage nach meinem gestrigen erhalten sollst. Vergib mir die paar unangenehmen Tage, die ich Dir mache; gute liebe Seele. Ich sehe nun aus Deinem leztern, daß Du mich noch lieb hast. Jene N. 14. die mich auch sehr verdrossen hat, war wohl nur die Frucht einer vorübergehenden bösen Laune. Richtig, u. unerbrochen erhalten habe ich ihn.
„Was ich noch weiter in Berlin nütze? Mein Buch sey ja geschrieben“ – Ja, gute Seele wenn das geschrieben wäre. Aber daran fehlt noch viel. Du hast keinen Begriff, wie arg ich einen Theil des vorigen, u. dieses Monats zerstreut, und meine Zeit versplittert worden; wie sehr die HerbstWitterung, und einige häusliche Unordnungen, die ich nicht gut abschaffen kann, mich zurükgebracht; wie schwer diese Arbeit mir fällt. . u. s. w.
„Den Druk besorgten Freunde“ Ja, wenn wir erst bis zum Druke wären. Jezt ist nur noch von einem Verleger die Rede. Denn der Leipziger schreibt nicht: überdies hatte er das Mscpt. zu wohlfeil. Mit ihm denke ich zu brechen. Es geht mich eine andere hiesige Handlung sehr darum an; aber noch weiß ich nicht, ob sie Lust hat, zu bezahlen, was ich Lust habe, zu fodern 100 Louisdor.
Aus meinen lezten Briefen wirst Du meine Pläne näher ersehen haben. Ich brauche sonach jezt nicht darauf zurük zu kommen. Ich denke, wir werden uns in Berlin établiren, und Du wirst mit mir gehen, oder zu Ostern nachkommen. Daß das Haus ver[/]kauft werden könnte, wäre sehr zu wünschen. An meine Wiederherstellung in Jena ist nun gar nicht zu denken; wäre es auch nur darum, daß, wie ich immer mehr höre, das Publicum allgemein (selbst am Dresdner Hofe, am hiesigen, und so in aller Welt) glaubt, die Weimarische Regierung habe mich höchst unwürdig behandelt; über Voigt ist Ein übereinstimmendes Geschrei gegen ihn, ich selbst muß ihn oft vertheidigen. In dieser Stimmung wird das ganze Publicum glauben, daß es mir die Ehre verbiete, mich mit einer solchen Regierung wieder einzulassen; eben so wie ihr, der Regierung, an die doch dergl. Urtheile auch kommen werden, die Ehre es verbieten muß, Schritte zu thun, die einer Abbitte, und Ehrenerklärung ähnlich sehen würden. Diese Sache ist wohl, weniger durch beide Partheyen, als durch das Gerede, und Geschwäz darüber, bis in den Grund verdorben.
Fischer wird erwartet; und ich freue mich sehr auf diesen einzigen Menschen allhier, dem ich meines Herzens Meinung frei werde entdeken können, und auf dessen Mitarbeit für meine Pläne ich rechne.
* * *
Beiliegenden Brief, der die persönlichen Angelegenheiten der Veit betrift, übergieb ihr allein, ohne das es Fr. Schlegel sieht. Er enthält Dinge, die ihm nur vorbereitet mitgetheilt werden können.
Die 16. r. wird sie Dir nun wohl gegeben haben. Wo nicht, so siehe, wie Du dazu kommst: oder kannst Du es nicht auf eine feine Art, so gedulde Dich, bis ich selbst nach Jena komme. Dann wollen wir sie schon bekommen. Es ist sonst so etwas garnicht in der Art der Veitin. [/]
Denke Dir: ich erhalte heute einen Brief aus Warschau, nach welchem ich allhier zu Berlin an einem hitzigen Gallenfieber vor kurzem verstorben bin. Das habe ich denn doch noch nicht gehört, daß man mich tod sagt: aber es freut mich; denn dergleichen Sagen bedeuten langes Leben, und gute Gesundheit, wozu ich mich jezt auch sehr fertig mache. So gesund hast Du mich noch nie gesehen, als ich es jezt bin. Nicht eine Spur von Husten, oder Schnupfen; selbst bei den jetzigen Herbstnebeln. So wirkt das Berliner Clima auf mich; ein neuer Grund, warum ich nicht daran denken kann, in das mir so schädliche Clima von Jena zurükzukehren.
Ich machte gestern Abends, nach langer Zeit zum ersten male wieder (spazieren gehe ich zwar fast alle Tage, aber nur in der Stadt) einen Spaziergang in der freien Natur. Es war ein herbstlicher Tag; ich dachte doch an Dich, und herzlich an Dich, ohnerachtet ich Deine N. 15. noch nicht erhalten hatte, und noch böse auf Dich war. Du must wissen, daß es hier herum doch herrliche Spaziergänge hat.
Denke Dir nur: diese Canaillen zu Jena, die das Lügen noch nicht lassen können, sprengen jezt aus, u. schreiben es auch nach Berlin, und finden selbst – in Berlin Glauben, daß ich bei der Regierung um Erlaubniß angesucht hätte, hier Collegia zu lesen, und daß es mir abgeschlagen worden wäre. Habe doch die Güte, meinen Freunden, Schelling, Niethammer, Paulus (dem ich einen an mich erlaßnen Brief beantworte, über diesen Punkt ihm aber nicht geschrieben) aufzutragen, diesem lügenhaften Gerüchte – das zugleich ihre grosse Dummheit verräth, denn in Berlin bedarf es darüber gar keines Anhaltens – allenthalben zu widersprechen. Wenn sie den Urheber desselben entdeken könnten, würden sie mich sehr verbinden.
Diese DrekSeelen; nachdem sie nun wissen, wo ich lebe, und daß ich noch nicht ganz zu Grunde gegangen bin, müssen sie ihr kindisches Neken wieder anfangen! [/]
Ich muß Dir gestehen, daß mir diese Elenden immer verächtlicher werden. Wo ist es denn besser; haben wir uns oft gefragt, und in unsrer Einfalt geantwortet: nirgends. Aber ich kann Dir jezt aus Erfahrung sagen, daß es allenthalben besser ist, wo es keine von ihrer Industrie bestehenden Gelehrten giebt.
Wegen Schellings, u. der Schlegelin nimm Dich doch ja in Acht! Ich bitte Dich um unsrer Liebe willen. Ich bin schon von anderer Seite darüber avertirt, u. so, daß ich Dich gar sehr um Discretion bitten muß. Schelling macht sich einen üblen Namen, und das thut mir sehr leid. Wäre ich persönlich in Jena gegenwärtig, so würde ich ihn warnen. Das Uebel ist, daß bei dergleichen Gelegenheiten die Acteurs denken, kein Mensch merke etwas, weil ihnen kein Mensch etwas sagt, so lange, bis ein recht öffentliches Skandal entsteht. Macht denn doch der Mann der Sache nicht ein Ende?
Nun sage mir, wie kannst Du glauben, daß ich unter solchem LumpenPak, wofür ich nun die Jenenser erkenne, die sich von jeher so niederträchtig gegen uns betragen, wie ich nu<n> weiß, wieder könne leben wollen; und daß ich die Reise dahin, die ich Dir zu Liebe unternehmen werde, nicht so sehr, als möglich, abzukürzen gedenken sollte? Hufelands waren hier. Sie sagte mir, Du hättest sie durch ihre Schwester grüßen lassen. Du bist viel zu gut. Dies ist das wahre Zigeuner Volk von Jena. Er hat sich hier allgemein lächerlich gemacht, durch [sein] geheimnisvolles, zurükhaltendes und doch läppisches Betragen.
d. 26. 8br.
Vermuthe nicht etwa aus dem Ernste, mit dem ich diese wenigen Worte über die Jenenser hingeworfen habe, daß ich mich über sie ärgere. Man ärgert sich nicht über das, was man verachtet.
Viel Küsse unserm guten lieben Jungen. Die Dose mit seinem Bilde ist mir recht lieb geworden. Ich sehe sie oft an; und trage sie zuweilen.
Nun, Liebe, sey gut, und frölich, und heiter; denn ich habe Dich herzlich lieb.
Metadata Concerning Header
  • Date: 23. bis 26. Oktober 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 119‒123.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 190
Language
  • German

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