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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Jena 28: Oct 99:
N: 18:
Du schikst mir Theurster Bester Fichte, den Brief, durch Lindner geschikt zurük; ich solle mich darnach prüfen: So höre nun Lieber, in welcher Lage er geschrieben wurde: Ich komme am Sontag um 5: Uhr, mit unserm guten Jungen vom Spazieren gehn nach Hause, das Mägdchen sagt mir es sey ein fremder Herr dagewesen, welcher um 6: Uhr wiederkommen wolle um einen Brief für Dich abzuholen; ich seze mich in aller Eyle hin, und schreibe Dir diese politische Neuigkeiten, weil ich glaube, Du wißest sie noch nicht; denn Schlegel hatte mir gesagt, daß er in Berlin manche Zeitungsnachricht, durch meine Briefe früher erfahren: drum wollte ich Dir diese frohe Nachricht eiligst mittheilen: Nun bleibt Lindner aber sehr lange Unterwegs, (mir hatte er gesagt, daß er in 3: Tagen in Berlin sein werde) drum mußte Dir diese Neuigkeit sehr fade vorkommen.
Lindner fand mich in einer gedrükten Stimmung, in der war ich, weil ich, als er kamm, über das Unrecht welches man Dir gethan hatte, im Nachdenken begrieffen war, und welches mich noch immer erstaunlich schmerzt: als er Abschied nahm, so wurde ich wehmüthig; weil ich dachte; der kann nun zu meinem Fichte reisen, und du mußt zurük bleiben. Wenn ich nun den ganzen Zusammenhang überdenke, und den Brief lese, so kann ich nicht begreifen, daß Du Bester Fichte, den Schluß machen kannst, eine Frau die ihren Mann liebe, werde nie so an ihn schreiben: ich wußte auch, daß ich Dir am Freitage vorher, einen sehr wehmüthigen Brief (ich glaube N. 16:[)] geschrieben hatte; worin [/] ich Dir gesagt, wie drükend mir diese Lange Trennung von Dir sey, und daß ich es kaum länger so aushalten könnte; nun fürchtete ich Dir lästig zu werden, wenn ich wieder davon spräche, weil es doch einmahl izt nicht zu ändern sey: Aber sage mir nun Bester, Theurster Fichte, muß ich nun nicht natürlicher Weise, betrübt, und im höchsten Grade niedergeschlagen sein, da diese für mich unendlich lange Trennung, zu solchen Misverständnißen Anlas giebt; ich weiß nicht was ich sagen soll, das weiß ich, und das ist heilige Wahrheit; (ich wollte Du könntest mir izt ins Herz sehn) daß ich mein Herz rein, und unschuldig weiß, und daß ich Dich gewis herzlich liebe: Sage mir nur Bester, wenn wird die glükliche Stunde kommen, daß ich Dich nur erst wieder einmahl sehe? und Dich an mein Herz [drüken] kann; wenn ich nur erst wieder einmahl mit Dir sprechen kann, und Du Dich so ganz in meine Lage hinein denken kannst; O wie wirst Du mich denn anderst beurtheilen; Du schreibst selber in einem Deiner ersten Briefe; „so wie ich aus Jena heraus fuhr, so wurde mir auch anderst zu muthe, und ich konnte alles anderst beurtheilen“ [;] nun bin ich nicht aus dem Loche heraus gekommen; wenn ich zufälliger Weise gewiße Menschen antreffe, so fährt mir eine Hize durch den ganzen Leib, und ich muß mich zusammen nehmen. Du weißt es selber, wie sehr mich jedes Unrecht, [/] [das] man gegen andre begieng, aufbrachte; wie viel aufgebrachter muß ich natürlicher Weise gegen das Unrecht, welches man meinem Fichte thut sein; ja dieses kann ich nicht vergeßen; und das eben darum, weil ich Dich herzlich, und innig liebe. Nein Theurste Seele, thue mir nicht Unrecht, quäle nicht ein Herz, [das] Dich einzig, und aufrichtig liebt; habe Freude, an unserm brafen, unschuldigen Jungen; der Dich lieben wird, und Deine Freude sein kann, wenn ich wahrscheinlicherweise, nicht mehr hier unten wandle, und Du meiner gedenken wirst. Auch denn besonders, kann ich diese unselige Trennung nicht aushalten, wenn ich denke, wer weiß wie lange ich noch lebe, und nun soll ich noch von dem getrennt leben, den meine Seele liebt; mach doch um gotteswillen, daß Du bald kommest; ich bitte Dich inständig; und eben so inständig bitte ich Dich Bester, sch[r]eibe mir mit erster Poost; laß mir die freudige Nachricht erhalten, daß Du mich nicht mehr misverstehest, und richte Dein armes, betrübtes Weib wieder auf. Ich finde keine Worte, um Dir sagen zu können, wie sehr mich dieses Misverständniß kränkt; wie ist’s denn nur möglich gewesen? Du versprachst mir Beste Seele, als mein guter Vater starb, der Dich mir gleichsam, als das einzige, was ihm noch am Herzen lag, auf die Seele band; Du wollest mir Vater, und alles sein, Du bist es mir bis izt gewesen, und meine Seele hieng so ganz an Dir: und nun entstehn, solche misverständniße, ich werde furchtsam, und schüchtern, und weiß so wahr Gott lebt, nicht wie ich mit Dir reden soll: Du versprachst mir, meine [/] Schwächen zu tragen, und mich zu jedem Guten, und Edlen, zu erheben, durch gütige, und weise Vorstellungen; und nun steh ich da, und weiß eigentlich nicht, was Dich erzürnt hat; Du weißt mit welch reinem, offenen Herzen ich Dich <immer> anhörte, und wünschte überzeugt zu werden, und wie ich meiner Überzeugung treu, handlete, so wie ich’s auch izt, bis am lezten Augenblik meines Leben’s thun werde; laß uns doch wieder ein Herz, und eine Seele sein, so wie wir’s waren; was haben wir denn auf dieser armen Welt, wo alles miteinander hadert, als diesen reinen, herzerhebenden Genuß; einmahl ich, ich habe nichts als das, aber dieses hielt mich auch schadlos vor alles übrige; die Freude, Dir einen guten, gesunden Knaben gebohren zu haben ist groß; sie kann mir aber unsre Misverständniße, nicht entschädigen; auch freue ich mich in ihm, nur durch den Blik, auf die Zukunft, weil ich hoffe, und glauben darf, daß er Deiner würdig werden wird; seine Theilnahme, an meinen Thränen, und sein fragen, warum ich weine, und sein Rath, ich solle die Thränen nur abdröknen, und nun nicht mehr weinen, thut meinem Herzen wohl; aber es ist doch gar nichts, in Vergleichung deßen, was meine Seele izt leidet, über Deine lezten 2: Briefe.
Wolle Gott daß wir künftigen 22: Oct: mit Freude, und innigem, herzlichen, Frohsein, mit einander feyern, mein Herz sehnt sich, mit Wehmuth, nach Deinen herzlichen Umarmungen. Lebewohl, Bester, Theurster, Einziger Fichte, und liebe mich so, wie ich Dich gewis Liebe.
Deine Fichtin.
Gabler hat die 100: th: noch nicht geben können.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 28. Oktober 1799
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 125‒127.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 191
Language
  • German

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