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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Berlin, d. 28. 8br. 99.
Ich habe gestern Deine N. 17 erhalten, gutes liebes Weib.
Du dauerst mich, daß mein Brief, worauf dieser die Antwort ist, Dich so übel afficirt hat, um so mehr, da ich einen unter Weges weiß, der, wenn Du nicht Dich fastest, in dem Gefühl Deiner Schuldlosigkeit, die ich schon eingesehen und in meinem leztern Dir bezeugt habe, abermals nicht anders auf Dich wirken kann. Aber bedenke, daß auch ich unschuldig bin, in dem 1.) ich das alles, was Du mir zu der Entschuldigung Deines bisherigen grämlichen, und liebelosen Tons schreibst, nicht wußte. 2.) daß Du Dich auch dadurch nicht verleiten lassen solltest, mir zu schreiben, wie Du mir geschrieben hast.
Jezt ist schon alles vergeben, und vergessen denn ich sehe aus Deinen leztern Briefen Dein Herz voll Liebe: und dies will ich ja nur, und nur, daß ich daran zweifeln muste, konnte mich zu dieser Härte, wie Du es nennst, verleiten; denn kleine Launen, und Schwachheiten Dir zu verzeihen, bin ich schon längst gewohnt, und werde aus Liebe zu Dir fortfahren, Dir alles zu verzeihen. Sey Du nur glüklich, und ruhig, bestes Weib.
Unter allem, was Du anführst, ist mir am unangenehmsten aufgefallen, daß Du selbst unsern Hartmann einen ungezognen Jungen nennst. Es giebt für mich kein größeres Unglük auf der Erde, als wenn dieses Kind misrathen sollte; u. nur darum würde ich meine Entfernung von Jena bedauren, wenn sie davon eine Ursache seyn sollte. Ich beschwöre Dich bei Deiner MutterPflicht, bei der Liebe zu mir, bei Allem was Dir heilig seyn kann, laß doch dieses Kind Deine erste, u. einzige Sorge seyn, und laß für ihn alles andere fahren. Es fehlt Dir an Festigkeit, und Kälte, dadurch allein machst Du alle Fehler in der Erziehung des Kleinen. Gewöhne ihn doch nun daran, daß, wenn Du [/] ihm einmal etwas abgeschlagen hast, es dabei unwiderruflich bleibe; u. dann schlechthin weder Troz noch die rührendsten Bitten etwas helfen. Wird darin nur einige Mahle gefehlt, so ist der verzogne eigensinnige Knabe, besonders bei der Anlage zur Characterstärke, die unser Kleiner hat, fertig; und es kostet dann hundertfache Mühe, ihn wieder zurecht zu bringen. Kannst Du es nicht länger bei ihm aushalten, so stelle ihn in die Kammer; und da laß ihn ja nicht eher heraus, bis er besänftigt ist, was Dir auch daraus zu erfolgen scheine. Denn dies ist ja die erste Sorge, seinen Charakter nicht verderben zu lassen; u. glaube mir – es ist in ihm die Anlage zu einem sehr wilden Buben; ebenso wie, zu einem rechtlichen treuen biedern Menschen. Besonders laß Dir nicht einfallen, daß er durch Vernunft, u. Räsonnement zu lenken sey, darin versehen es die verständigsten Menschen, und Du bist ganz auf diesem Wege. Selbst überlegen kann er noch nicht, und wird es noch lange nicht lernen; jezt ist das erste, daß er Gehorsam, und Unterwürfigkeit unter eine fremde Vernunft lerne. Du wirst zwar zuweilen durch Zureden Deinen nächsten Zwek erreichen; aber nicht, weil er Deine Gründe einsieht, und dadurch bewegt wird; sondern weil Du Dich dadurch gewissermaassen ihm unterwirfst, ihn selbst zum Richter machst. Dadurch wird sein Stolz geschmeichelt, und durch Dein Reden seine Langeweile beschäftigt, und sein Eigenwille zerstreut. Das aber ist alles: aber für die Zukunft erschwerst Du Dir seine Behandlung; und Du selbst – bestärkst Dich in einem schädlichen Vorurtheile.
Wäschest Du den Knaben auch noch alle Tage mit frischem Wasser? In die freie Luft laß ihn ja täglich, was für Witterung auch sey! [/]
Siehe zu, Mutter, daß Du diese Vorschriften befolgest, damit, wenn ich ankomme, ich nicht Schmerz über ihn empfinden müsse…
Das zweite, was mich unangenehm traf, waren Deine Klagen über die Oberstin. Wie, in aller Welt, lebst Du denn mit dieser Frau, daß ihr habt zusammenkommen können? So laß sie doch ganz für sich; ihr seyd ja gesondert genug: und weise sie drob in ihre Grenzen zurük. Was kann denn diese Frau wollen? Daß ich nicht, wenn ich nach Jena komme, garstige Auskehr mit ihr halte, wo sie sich ungebührlich gegen Dich benommen hat!
Eure Stadtgeschwäze, und die Schriften, die Du mir nennst, rühren mich sowenig, daß ich nicht einmal neugierig bin, die erstern zu wissen, und die leztern zu lesen. Hättest Du es auch so gemacht. Wer mir etwas schlechtes unter die Augen sagt, den will ich schon heimschiken: halte Du es ebenso: was hinter dem Rüken von mir geredet wird, das höre ich nicht. Dies ist die einzige Weise, um durch eine solche Lumpen Welt zu kommen. Endlich verstummen doch alle Lügen; u. dann steht die Wahrheit allein da.
Sage mir; ist es denn das erstemal, daß man uns verläumdet? Sind nicht diese Verläumdungen verstummt? Jezt giebt es andere. – Gut, diese werden verstummen, wie jene. – Es wird dann vielleicht wieder andere geben? – Es kann seyn: aber endlich, nachdem man uns allgemeiner kennen lernen wird, werden sie es doch müde werden. Ich wette mit Dir, soviel Du willst: nach 10. Jahren bin ich ein im ganzen deutschen Publicum durchgängig geschäzter und verehrter Mann. Dies sind jezt nur die ersten kräftigen Gegenstöße, gegen die gewaltsame Einwirkung meines Geistes, die sich nun nicht mehr verläugnen läßt. Das muß nun alles durchgefochten werden. Ich werde es an mir nicht fehlen lassen, und werde endlich siegen.
Welchem Manne, der nur kräftig wirkte, ist es anders ergangen? Leben nicht jezt ihre Namen geehrt unter uns? – Du, arme Seele, wirst schon mit tragen! Warum hast Du Dich unterstanden, einen ungewöhnlichen Menschen zu heirathen! [/]
Die Feßlerin könnte vielleicht für Dich passen: aber Erdies ganz unter uns – paßt nicht für mich. Er schmeichelt mir, weil er mich zu gebrauchen gedenkt; aber er hat ein anmaassendes Wesen, das ich von Zeit zu Zeit niederhalten muß. Ich thue, als ob ich mich zu seinem Werkzeuge wolle brauchen lassen, bis ich ihn völlig werde ausgeholt haben; großentheils habe ich das schon jezt; wenigstens weiß ich schon, was er gethan hat, und nun habe ich nur noch zu horchen, was er weiter thun will: und alles wird sich damit endigen, daß ich meine Plane befördert, und ihn gebraucht habe. Der Grundzug seines Charakters ist, daß er nie gerade zum Ziele geht*, und lieber 100 Schritt auf dem krummen Wege nach demselben Ziele macht, das er auf dem geraden mit Einem Schritte erreicht hätte: dies thut er aber mit einer solchen Treuherzigkeit, daß er dadurch beinahe wieder zum ehrlichen Manne wird.
Schlegel ist hier freilich sehr verhaßt, aber Feßler ist es nicht viel weniger, und dazu noch obenein, was der erstere nicht ist, verachtet. Recht sichern Trittes kann man bei dem hiesigen schwankenden Boden nirgends gehen. Ich erwarte mit Sehnsucht Fischern, diese ehrliche Haut. Er ist zwar sehr in Feßlern vernarrt: aber er hat ihn wohl nie ganz durchschaut (denn unter die feinsten gehört Fischer nicht, gerade um seiner Gutmüthigkeit, und Zutraulichkeit willen) er hat Achtung für meinen superiören Verstand, und ich will ihm schon allmählich ein Licht aufgehen lassen, ohne ihn zu blenden.
Die Freimäurer sind hier unverdächtig: Feßler, der gewissermaassen an ihrer Spitze steht, ist bei’m König, und beim Minister Schulenburg (dem wichtigsten, und zugleich gefährlichsten Manne in der Preussischen Monarchie) sehr wohl angeschrieben. – Aber daß man im auswärtigen Publicum, [/] wo man die Freimaurerei verachtet, weil man sie nicht kennt, mich hinter ihnen vermuthete, sähe ich sehr ungern: u. es ist mir darum nicht lieb, daß Hufeland bei seiner Durchreise mich in einer F. M. Versammlung getroffen, und eine Rede halten gehört.
Daß ich mir etwas aufbinden lasse, oder daß ich bloß ein Spiel treiben will, traut man mir schon nicht zu: man würde sonach bald weit aus sehende, und gefährliche Pläne wittern. Doch ist diese Verbindung gegenwärtig die einzige, durch welche ich wenigstens Erkundigungen einziehen, u. auf einen festen Boden kommen könnte. – Du siehst sonach, wieviel mir an dem tiefsten Geheimnisse über das, was ich Dir hier anvertraut, gelegen ist.
* *
d. 2. 9br.
Wenn Deine Hofnung[en] in Absicht Jena’s sich nur auf Revision des Processes gründen, gute Seele, so sind sie ganz nichtig. Es ist da kein Proceß, wie kann denn einer revidirt werden. Es ist eine geforderte Dienstentlassung. Sie müßten mich wieder berufen. Dies geht an sich sehr leicht an: nur unter den obwaltenden Umständen ist es nicht zu erwarten.
Ueber meine Bestimmung des Menschen habe ich hier, durch Feßlern, einen sehr vortheilhaften Contract geschlossen. Bis Ostern sind wir wieder gedekt. Nur ist die Schrift noch zu endigen, und dies, denke ich, soll doch wenigstens in 14. Tagen geschehen seyn.
Gablern sage sogleich: eine zweite Auflage meiner Wissenschaftslehre, mit einigen Verbesserungen, neuer Vorrede, u. s. f. wolle ich ihm geben, und gegen ein höchst geringes Honorar (300 r.) geben, um sein Fortkommen zu befördern, setze ich den Preis so niedrig an; auf die Bedingung aber, daß er mir im künftigen Monate, vor dessen Ablauf er das Mscpt. haben solle, jene Summe baar auszahle.
(Dir sage ich nur, daß dieser Preis eben nicht zu gering ist, indem ich wenig daran arbeiten [/] werde, auch der Absaz dieser zweiten Ausgabe langsam genug gehen wird[,] daß man aber suchen muß, von Gablern nur etwas heraus zu kriegen.)
Ich habe noch ein schönes Manuscript liegen, die neue Bearbeitung der Wissenschaftslehre, welche mit weniger Mühe sich auch verkaufbar machen läßt, und die ich gleichfals gut anzubringen hoffe. Sey also nur gar nicht besorgt über unsern Unterhalt. –
Aber das muß ich Dir sagen; theure Seele. Wenn ich künftigen Monat zu Dir komme, so komme ich bloß, um mit Anfange des neuen Jahrs wieder in Berlin zu seyn: Du hast sonach meine Reise nur zu betrachten, als einen Besuch. Es sind eine Menge Gründe, die mich dazu nöthigen. Meine Zweke in Berlin kann ich nur durch Anwesenheit am besten befördern. Könntest Du dann sogleich mit mir hieher gehen, so wäre das am besten. Ich überzeuge mich immermehr, daß die Haushaltung mit euch zusammen eben nicht viel mehr kosten würde, als wenn ich hier allein lebe. Jezt wird freilich manches verschwendet; und ich kann es nicht ändern, weil die Aufsicht einer Frau fehlt.
Beyern lasse ich herzlich bitten, mich aus der Verlegenheit zu reissen. Es folgt dabei das Blatt, das ich mir gleich anfangs aufsetzen ließ. Ich will sehen, ob ich einen Abguß von dem Modell erhalten, und mitschiken kann. – Auch muß nie vergessen werden, daß Profil nicht Façe, und Gravüre nicht Gemählde ist. Schadow, ohnstreitig einer der grösten plastischen Künstler, hat das Bild mit Fleiß, und Liebe gemacht, und ich zweifle, daß aus meinem Gesichte sich je etwas besseres [wird] machen lassen.
Lebe wohl, Du gute Theure. Mein ganzes Herz flammt zu Dir hin. Glaube nur, daß ich Dich unendlich lieb habe, und vergieb mir die Kränkungen, die ich Dir zuweilen verursacht: Du armes geplagtes Kind. Dir wird nicht eher recht wohl werden, bis Du diesen Jenaischen Staub abschüttelst, und mit mir in dem grossen weiten Berlin lebst. Suche dies zu beschleunigen.
* Z. B: wir sind schon eine lange Zeit sehr vertraut gewesen, ich habe mir von ihm geheime Plane schmieden lassen, und die verborgensten Verabredungen getroffen: während wir öffentlich thaten, also ob wir uns nicht recht leiden könnten; Er sich von einem andern Obern Vorwürfe machen ließ, daß er mich vernachlässige, und sich den Auftrag, und Befehl geben ließ, meine Bekanntschaft zu suchen. Das hat er nun neuerlich gethan. – Du ehrliche Seele wirst fragen: a quoi bon tout cela? Ich antworte; von seiner Seite hat er dazu gute Gründe. Ich von der meinigen habe für dieses Spiel, nicht etwa thätig mit gewirkt, aber leidend mich hingegeben, weil ich hinter all seine Schliche kommen, u. einem Manne, der nicht im mindesten ahnt, wer ich bin, und was ich will, und den ich zulezt werde brauchen müssen, meine Discretion nothwendig machen wollte. – Über seine Treuherzigkeit muß man sich bei alle dem wundern. Auch verliert meine Furchtbarkeit bei’m hiesigen Publicum, wenn sie – dazu sind sie dumm genug – glauben, daß F. mich bei der Nase herumführt.
Metadata Concerning Header
  • Date: 28. Oktober bis 2. November 1799
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 128‒133.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 192
Language
  • German

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