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Johann Gottlieb Fichte an Johann Gottlob Fichte

Jena, d. 2. Februar. 1800
Dies ist der zweite Brief, den ich für Dich schreibe, nachdem ich den ersten, einige Stunden nach Deiner Nachricht geschrieben, die mich rasend machte, und meiner eignen Gesundheit einen derben Stoß beibrachte, vernichtet. Ich habe es nun endlich dahin gebracht den theuren als tod denken zu können, und suche mich zu fassen so gut es gehen will.
1.). Das wichtigste: Du schreibst mir wenig über den Zustand des Vaters bei diesem schreklichen TodesFalle. Nimm Dich seiner an, tröste ihn.
2.). Du, 1. Bruder, bist vielleicht mit der wahren Lage unsers Geschäfts weniger bekannt, als ich, daß Du mir rathest, es fortsetzen zu lassen. Ich habe sehr schlechte Erwartungen von dem Zustande der Angelegenheiten. Nach der ersten Rechnung hatten wir verlohren. Der Seelige hat mir zu Berlin Nachrichten gegeben, aus denen folgte, daß wir seitdem [wiede]rum ungeheuer verlohren haben müssen. Er sollte jezt Rechnung ablegen. Vielleicht ist der Kummer über das, was er bei dieser Arbeit [/] erblikt hat, mit ein Nagel zu seinem Sarge gewesen. Und dann noch so manches andere mir sehr wohl bekannte! Nun solltet wieder ihr, u. der Vater, sich abarbeiten, um – mich, der ich jezt nicht gut Verlust ertragen kann, nur noch tiefer hinein zu steken?
Ich war ohne dies entschlossen, selbst wenn der Seelige gelebt hätte, ihm zu schreiben, daß er nach und nach sich zurükziehe. Wie viel mehr jetzo.
Wiederum ist wahr, daß ohne gar großen Verlust ein solches Werk nicht plözlich aufgehoben werden kann. Mein Entschluß ist daher folgender:
Der Vater ist so gut, und führt vor der Hand die Aufsicht über das Innere der Sache. Du beziehest die Frankfurter Messe, für die nun doch einmal vorgearbeitet, und ohne Zweifel beträchtliche Garne eingekauft sind; wieder angelegt wird kein Groschen der mir gehört. Und so muß nach und nach in der kürzesten Zeit alles zu Gelde gemacht werden. Verliere ich, nun so sey es verlohren. Ich möchte nur nicht <ja> [/] noch mehr verlieren.
Du, 1. Br., machst, mit des Vaters Beistande, Dich mit der Lage der Sachen so genau bekannt, als Du kannst (ein Inventarium solltest Du freilich machen) nimmst alle hinterlaßene Papiere, Briefschaften, Rechnungen des Seeligen an Dich; und bringst dasselbe mit zur Frankfurter Messe, wo ich entweder zu Frankfurt, oder zu Berlin mit Dir eine Zusammenkunft haben werde. Melde mir zu diesem Behuf so bald als möglich ganz bestimmt, welche Tage Du in Frankfurt bist: worauf ich Dir Zeit, u. Ort der Zusammenkunft angeben werde. Ist sodann noch meine persönliche Anwesenheit zu Rammenau nothwendig, so reise ich von dort aus mit Dir hin.
Daß ihr die Dazwischenkunft der Gerichte verhindert, ist sehr gut. Daß ich die bedauernswürdige Wittwe, meines theuren unvergeßlichen Bruders, und sein noch ungebornes Kind, wenn ein solches vorhanden seyn sollte (hierüber habe ich ohnedies eine Idee, wovon zu seiner Zeit!) nicht drüken werde, versteht sich von selbst. [/]
Sollte der Vater der Wittwe ja einen Beweiß für mein Verhältniß mit dem Seeligen fodern, so bin ich damit zur Gnüge versehen.
3.) Melde mir doch über die nähren Umstände dieses schreklich=unerwarteten Todesfalles, so viel Du Briefen anvertrauen kannst, oder willst. Es ist mir unbegreiflich, wie ein junger gesunder, starker Mann so hingerafft werden konnte? Ich will doch bei Gott nicht hoffen, daß man ihn etwa zu Tode geärgert! *
Lebe recht wohl, u. grüße Eltern, u. Geschwister. Die meinigen grüssen euch alle.
Ich rechne noch bis zu Ende dieses Monats hier zu bleiben[.] Man addressire meine Briefe noch an den Professor F. Dies ist das gewöhnliche.
Dein treuer Bruder
J. Gottlieb Fichte
«N.Sch.*. Höre, lieber Bruder, ich <habe> die gegründetste Ursache, nachdem ich soeben den lezten Brief des Seeligen an mich <oder Dich> gelesen, zu vermuthen, <daß es so ist> und das hat natürlicher Weise auch Einfluß auf <meine> Entschliessungen. […]»
N. II. d. 3. Februar.
Ich erhalte so eben auch den zweiten Brief von Dir. v. 22. Jan. sage Dir dafür den herzlichsten Dank, und erkenne Deine Sorgfalt. Ueber den HauptInhalt desselben, die freundschaftliche Unterredung die Du mit Wissen unsers lieben Vaters (?) darin mit mir pflegst, hatte ich einiges geschrieben, das ich bis zur persönlichen Zusammenkunft zurükhalte. – Indessen nur – denkt nicht, mich über diesen beklagenswerthen Verlust zu täuschen. Ich weiß mehr, und besseres, als ihr denkt; und euch lieb seyn möchte.
Ich schreibe Dir noch einmal von Jena aus ganz bestimmt über die Zusammenkunft. Habe indessen Dank für Deine Fürsorge, die ich sehr schätze. Daß ich alle Kosten, unter andern auch das unvermeidliche BriefPorto, das Dir zur Last fällt, ersetzen werde, versteht sich.
F.
Briefkopfdaten
  • Datum: 2./3. Februar 1800
  • Absender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Empfänger: Johann Gottlob Fichte
  • Absendeort: Jena · ·
  • Empfangsort: Rammenau · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 206‒208.
Handschrift
  • Datengeber: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • Signatur: Mscr. Dresd. App. 1499, Nr. 24
Sprache
  • Deutsch

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