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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Jena, d. 8. Februar. 1800
Und dennoch, geliebter Freund, muß ich, ehe noch von Bardilis Buch die Rede seyn kann (ich habe es in den hiesigen Buchläden nicht gefunden, u. nun von Leipzig verschreiben laßen) in einer andern Sache Ihren Rath, und Beistand erbitten.
Schelling hatte mir schon längst die Idee von einer Vereinigung der beßer (d. i. gründlich) gesinnten Gelehrten, zu einem gemeinschaftlichen Wirken angegeben; und diese Idee war dann näher zu einem kritischen Institute bestimmt worden. Ich habe bei meiner gegenwärtigen Anwesenheit zu Jena den Plan eines solchen Werks – einer pragmatischen Zeitgeschichte der Litteratur u. Kunst – ausgearbeitet, und mit meinen Freunden mündlich debattirt. Es fehlt nur an der Ausführbarkeit: indem wir eines Personale von etlichen u. dreißig Gelehrten dazu bedürften, die mit seltnem Fleiße, [/] und mit Verläugnung ihrer persönlichen Eitelkeit, vielleicht auch ihres pecuniär Intereße sich der Sache widmeten. Die Ausführung ist jedoch nicht auf gegeben; nur auf geschoben.
Ich aber bin indeßen, auch durch äußere Veranlaßungen mit, auf einen Plan gekommen, der jenem Hauptplane zur Vorbereitung dienen könnte; den, ein Revisionsblatt der vorhandenen kritischen Blätter zu sammeln, u. herauszugeben. – Ich denke mir dies so: Wenn man nun einmal in diesem Felde nicht nach einem festen Plane (wie es in jenem ersten Entwurfe der Fall seyn würde) sondern gleichsam nur auf gut Glück wirken kann; so ist jezt nicht mehr der Zeitpunkt, da durch Recensionen der Bücher jener hohe Einfluß, den z. B. die Litteratur-Briefe, die A. D. B., die A. L. Z. gehabt, behauptet werden könnte. Das große Volk lies’t die Bücher gar nicht; die Recensio[/]nen sind sein Buch. Hier also muß man die Sache angreifen; das Zeitalter steht nicht mehr bei der ersten, sondern bei der zweiten Potenz. – Dazu kömmt die Menge der recensirenden Blätter, und ihre daher, u. aus andern Gründen, entstehende, immer zunehmende Erbärmlichkeit. Kein Meister in Wißenschaft oder Kunst mag mehr recensiren, sondern nur Schüler, oder zurükgebliebene Stümper. Eine seltene Ausnahme von der Regel ist’s, daß ein Meister sich entschließe ein merkwürdiges, in der Gefahr nicht bemerkt zu werden sich befindendes, Produkt anzuzeigen; wie Sie meine W. L oder Müller-Woltmanns Schriften.
Ueber die Popularität eines solchen Unternehmens, über seine merkantilische Leichtigkeit, sowie über den sich von selbst ergebenden Zufluß an Beiträgen, sage ich nichts; indem diese Seite sich von selbst darbietet.
Ebenso versteht sich von selbst, daß die Debatten nicht in ein bloßes Gezänk mit schlechten Recensenten, und in ein Corrigiren ihrer Exercitien ausarten, sondern von allgemeinem Sätzen ausgehen, zu allgemeinern hingehen, das Uebel [/] in der Wurzel angreifen, und so wahrhaft instructiv, und intereßant werden müßen.
Daß Sie, wenn Sie Theil daran nehmen sollten, daß Schelling, auf den ich nächst Ihnen rechne, nicht anders arbeiten können, ist mir bekannt; daßelbe darf ich mir vielleicht auch von mir selbst versprechen; den andern Mitarbeitern sagt man es, macht man es vor; und schikt Arbeiten, die nicht in diesem Geiste verfertigt sind, zurük.
Die nächste Wirkung hievon wird seyn, daß das Publikum von seinem abergläubischen Respekte vor Recensionen zurükkommt, die recensirenden Blätter sich entweder beßern, oder zu Grunde gehen müßen, und wir indeßen Männer kennen lernen, und zuarbeiten, welche nach Verlauf einiger Jahre jenen Hauptplan, den ich Ihnen bei Gelegenheit gleichfals zuschiken werde, mit uns ausführen könnten.
Hiebei ist nun folgendes zu bedenken.
Nach diesem Plane entsteht keine vollständige Uebersicht des erschienenen Neuen in der Litteratur; u. ein Hauptzwek, um deßen willen die Meisten kritische Blätter halten – zu wißen, was erschienen ist – bleibt unbefriedigt, und sonach unsere Blätter wenig, u. auf die Länge gar nicht mehr gekauft. Es müste sonach doch ein directes Anzeige Institut mit dem Revisions-Institute verknüpft werden. Da schiene mir nun das beste die Selbstrecension, d. h. der Verfaßer tritt auf, giebt den bestimmtesten Begrif von seinem Werke (der ihm in der Arbeit vorschwebte) legt Rechenschaft ab, wie er die Foderungen der Kritik an sich, sich gedacht habe: kurz, seine Anzeige ist, was jede gute, gründliche Vorrede seyn soll. (Auch bleibt ihm in der That unbenommen, diese Anzeige noch überdies als wirkliche Vorrede seines Buchs abdrucken zu laßen.)
Die mancherlei möglichen Misbräuche, die bei diesem [/] Gedanken jedem sogleich beifallen, sind eben darum weil sie jedem beifallen, durch die Redaction leichtlich zu verhindern.
Ich trage Ihnen, lieber Reinhold, dies alles flüchtig, und vielleicht nicht aufs glüklichste, vor: aber ich ersuche Sie, der Sache ja reiflich nachzudenken, und zu glauben, daß auch ich ihr reiflicher nachgedacht, und sie von allen Seiten, u. unter allen Bedingungen schärfer angesehen habe, als es meinem gegenwärtigen Schreiben zu Folge scheinen möchte; damit wir nicht in Gefahr kommen, durch briefliche Erwägung von Bedenklichkeiten, die ich vielleicht selbst schon erwogen, u. gelös’t habe, die Zeit zu verlieren.
Nun bedürfen wir unter andern eines im guten Geruche der Humanität, der Sanftheit, Friedensliebe, Vorsichtigkeit stehenden Mannes von litterarischer Bedeutung, der dem gelehrten Publikum [/] die paradoxen Theile unsers Plans, z. B. den Artikel von den Selbstrecensionen (sogar dieses Wort dürfte nicht verlauten) plausibel mache, und sich öffentlich an die Spitze stelle.
Wollen Sie dieser Mann seyn?
Ich kann Ihnen nicht bergen, daß die Brüder Schlegel, wegen einer unseeligen Verwickelung mit Schelling, (ohne welchen leztern ich nichts thun kann, noch, da die erste Idee von ihm herkommt, dürfte) Antheil an dem Plane haben; kann aber versprechen, daß dieser Antheil sehr subaltern werden, und daß Sie nie unmittelbar mit ihnen zu thun haben sollen, außer inwiefern Sie selbst es wollen. Nur mit mir sollen sie zu communiciren haben. Der ältere Schlegel ist mir selbst wegen seiner arroganten Seichtigkeit, so wie jedem, den ich kenne, verhaßt, und ich werde mir ihn wohl vom Leibe zu halten wißen: der jüngere aber – so paradox Ihnen dieses lauten möge – ist ein im innern Grunde braver, unermüdet dem Besten nachstrebender Mensch, der auch Zucht annimmt, und aus welchem sich, wenn nur seine [/] hartnäkige Unreife schwinden, und er ein beßeres Ideal wählen wollte, als seinen Bruder, den er an innerm Stoffe zehnfach überwiegt – wohl noch was machen ließe.
Diese Namen dürfte man nun gar nicht wittern. Ebenso würde dem Publikum, wenn es die Namen Fichte u. Schelling zusammen aussprechen hörte, unser kriegerisches Verdienst einfallen, und die ganze Zunft der Stümper sich nicht viel Freude von unserm Unternehmen versprechen. Heißt es aber Reinhold; allenfals Reinhold u. Fichte, so geht alles schon eher an, und man hoft vielleicht, daß der leztere in guter Gesellschaft sich beßern werde.
Ueber dieses alles bedinge ich mir nun vor der Hand das strengste Stillschweigen; insbesondre auch gegen die Buchhändler, deren eine Menge, wie auf den Trost Israelis, auf ein ähnliches Unternehmen hoffen, mir und andern davon gesprochen haben, und begierig [/] seyn würden, einer dem andern diesen Bißen vor dem Munde wegzuhaschen. – Diesen Theil der Sache werde ich am besten besorgen können; indem auch dies mir wieder nur Theil eines größeren Plans werden würde.
Ich habe für Sie, und für die Sache der Litteratur überhaupt, mich über die Aufschlüße Ihres lezten Briefs sehr gefreut.
In meinem künftigen, wenn ich zugleich Rechenschaft über Bardilis Lectüre ablegen werde, nehme ich Rüksicht auf den philosophischen Theil deßelben (Ihres Briefs nemlich.)
Ich bin noch für diesen Monat in Jena zurükgehalten: doch kann Ihre Antwort mich nicht mehr hier, sondern nur zu Berlin treffen. Mein Commißionär vergißt mir die Lage meines dort gemietheten Quartiers zu melden: ich ersuche Sie daher Ihre Antwort zu addressiren: „zu erfragen bei’m Prof. Feßler
Leben Sie wohl. Mit inniger Hochachtung und Liebe
ganz der Ihrige
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 8. Februar 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 211‒216.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 207
Language
  • German

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