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Johann Gottlieb Fichte to Victor Ludwig Christian Klopstock

Es fiel mir allerdings sonderbar auf, daß von einem <vermögenden> Manne <eine Niece>, die im Hause eines andern Bruders ihre Jugend verlohren, mir nichts dir nichts an einen <Schwager> geschikt wurde, den der <vermögende> Mann in solchen Umständen glaubte, daß er sich allenf<als> erbot, der Fm selbst ein kleines <Jahrgeld> zu geben. Ich hörte überdies von einem sehr harten Briefe, den Sie bei dieser Gelegenheit über Ihre <Niece> Julchen geschrieben hätten, den man jedoch für klüger hielt, vor mir zu verbergen.
Jezt habe ich Julchen 2. Monat lang beobachtet. Ihr Brief, nebst meiner Frauen Antwort darauf liegt vor mir, u ich <finde nothwendig> folgendes drüber zu sagen. Sie haben in der Schilderung von Julchens Charakter [<eigner>] Art des Daseyns <vollkommen> Recht[,] ja man könnte sagen, daß Ihre Schilderung noch zu <milde> sey. Solche Begriffe, eine solche Ansicht der menschl. Bestimmung, <eine> so durchaus schlechte u <gemeine> Ergebung, eine solche <gänzl. Auflösung> des intellectuellen u. physischen, ist auch mir nicht vorgekommen.
<Soweit wären> wir einig. Sehr uneinig aber sind wir über folgendes.
<1.).> Zuförderst habe ich wenigstens die Frage aufgeworfen; wie ist sie doch geworden, was sie nun freilich leider ist. Meine <Frau> sagt darüber nichts in [ihrer] Antwort an Sie; aber ich selbst bezweifle manches, was Julchen erzehlt, theils behandelt sie die Sache darin doch zu <öde>. Auch kann ich, ohnerachtet aller <angewandten> Mühe, nicht dahinter kommen, was Julchen die <ganzen> 16-18. Jahre in Lyngbye <getrieben> haben mag[,] ob Sie denn die <ganze> Zeit über nur geschlafen, und <außerdem> geträumt hat. Aber ich bin der Meinung, daß Ihr seel. Bruder Phillipp das nicht so hätte zu <laßen> sollen, oder <daß man> ihm das <unfähige> Mädchen nicht hätte überlassen sollen, wenn sich so etwas ohngefähr von ihm voraus sehen ließ. Sie gedenken <bei> [Ihrem] Briefe [<ihres>] Erbes: Fichte werde für die <S[ch]wägrin> schon sorgen – u. darin haben Sie so Recht, daß ich sogar zu dieser Sorge noch mehr rechne, als daß man [ihr] nur den Bauch fülle: u. auch den rechtl. u. <verständigen fremden Vätern> mehr anmuthe. Dann soll man verschrobne, u. verzogne Menschen nicht nur so weg werfen, man soll suchen, sie zu bessern.Dadurch aber, daß man ihnen nur <immer> auf das Haupt los donnert: Du <begreifst> nichts, u. bist <verdorben>, wird kein Mensch gebessert. An Wem garnichts gutes mehr wäre, der würde nicht einmal leben. Dieses in <einem Menschen befindl[iche] gute Flekgen> muß man sorgfältig aufsuchen, u. <dabei den Menschen heben:>
Dieses gute Flekgen habe ich denn auch an Ihrer <Niece> aufgesucht, u zu meiner Freude gefunden. Sie hat denn doch noch Wahrheitsliebe, u troz so mancher Risse, Pfiffe, u. Sch<ründe> auf <dem Antlize> im tiefsten Grunde Ehrlichkeit. Eigentl. ist bloß ihr Verstand verkrüppelt, noch nicht ihr Herz.* Eine andere Ansicht der Welt, frisches Blut in die Adern, Gelegenheit zur Arbeit, u. Lust – sollte ihr, denke ich, wohl helfen. Ich will es wenigstens [ernstlich] versuchen.
Und in dieser Rüksicht danke ich Ihnen denn, recht sehr aus ganzer <voller> Seele, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, Ihrer Niece, den wesentlichen Dienst zu leisten, dessen [sie] bedarf – [/] u. den selbst zu übernehmen Ihre Lage Sie warscheinl. verhinderte.
Dies alles sage ich dem Bruder von Julchens Mutter, in der festen Ueberzeugung, daß er keinen dem Mädgen <nachtheiligen> Gebrauch davon machen werde. Was die äussere Lage betrift, hat man <immer> es viel zu leicht gefunden, sie zu verheirathen. Dies möchte an sich schwer halten – u. aufrichtig – so wie sie jezt ist, würde ich ungern sehen, daß ein <rechtl>. Mann mir ihr angeführt würde; mit einem <Lügner aber> sie nicht anführen. Ich wünsche nicht so sehr, daß Sie ihr <Zulage> geben (u. den Gedanken, nun wieder nach <Triest> zu gehen, kann ich nicht ertragen.) als daß Sie ihr <nur> zu dem Besiz des Ihren verhelfen. Vielleicht <kann> sie damit diesen <wieder> zu kleinen Entre<p>ri<s>en <nehmen>, so sich <vorzügl beschäftigen,> u. etwas verdienen.
Und sonach haben Sie, mein lieber Herr Klopstok, mir einen höchst <werthen> Dienst geleistet indem Sie mir ein Geschäft abtreten, <welches> selbst zu besorgen Sie <vermuthlich> Ihre Lage verhinderte. Erhalten Sie dafür meinen <aufrichtigen> Dank. – Uebrigens seyen Sie versichert, daß, wie wahr auch seyn möge, (u. wie es mit Julchens Sache auch ausfallen möge, ob Sie dies oder nichts erhielte,[)] dieselbe nachdem sie nun einmal in meinem Hause ist <Behagen genießen>, u. mit einem <freundlichen Sinne> be<hütet>, Bissen finden soll, solange ich selbst noch einen habe.
* Denn, dieses tolle u. verabscheuungswürd[ig]e System, nach welchem der Mensch nie dafür kann, wenn einer nichts taugt, <immer nur Anfoderungen> an Gott u. Menschen, nie aber Pflichten gegen [sie] hat, hat <dies arme> Mädgen denn doch auch wohl nicht aus ihren <Fingern> gesogen; es muß ihr irgendwo gelehrt worden seyn, u. von der zertretenden Selbstsucht, die immer nur fragt, was ihr, nie was den andern schmeke, von jenem stökischen Wesen, das sich nie auf Explicationen einläßt, sondern lieber mit Still<seyn> übergeht, <worauf es nicht anworten will, muß sie doch Beispiele gesehen haben.>
Metadata Concerning Header
  • Date: Februar 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Victor Ludwig Christian Klopstock
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Hamburg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 217‒219.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 356
Language
  • German

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