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Johann Gottlob Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Lieber Br.
Es scheint mir als hättest Du meinen zweyten Brief nicht verstanden, wie ich ihn verstanden habe[n] wollte, es schien mir aber auch nicht rathsam mich deutlicher auszudrücken, und Dich mit der Nachricht von gantz unbekannten Dingen gantz zur Unzeit zu überhäufen. Nun ist es aber meine gröste Pflicht die ich <wa[h]re>, Dich [zu unterrichten], mit Überzeugung meines Gewißens, und [zwar] 1) da ich aufoderung genug von Dir habe, [Dich ganz] genau von dem was geschehen ist zu unterrichten 2) da, uns[r]er Familie Ehre, vielleicht auch, meine eigene Ehre bey Dir in starcken Verdacht gerathen, und in dem Briefe an mich, unschuldig angegriffen ist, Wahrheit muß Wahrheit, und Recht, Recht bleiben, es mag nun früh oder später erkannt werden. Du hast unserm Bruder nie entlarvt gesehen, von seinem wahren Karakter hast Du wohl nie den entferntesten Gedancken gehabt? Vor der Zeit ehe Du ihn nach Meisen schicktest, war er ein Saulus, er tobte gegen seine Eltern, Mißhandelte seine Geschwister, alle auser mich, sind verschidetene male ohne Ursach von ihm derbt durch prügelt worden, mich [schüzte] nichts vor Mißhandlungen als meine Sokratische Gedult, der Mutter schelten, deß Vaters Warnungen wurdest nichts geacht, ihrer eigenen Ruhe wegen durfte er am Ende machen was er wollte, [/] Kam er in die Schencke gab es Zänkereyen, b<erausc>hte sich[,] war gegen jedermann, und jedermann, gegen ihn, verschidene male haben ihn die Brüder, nemlich Christian und Gottfried, waren sie es allein nicht im Stande, mit Beyhülfe ihrer Freunde, mit Gewalt nach Hause geschleppt, und wenn er da wieder entspringen wolte, d<em> Vater zu Hülfe [gerufen], damals war noch nicht alle Ehrfurcht <bei> ihm vor dem Vater verloschen. Hatte er Absichten welche zu erreichen [ihm] seine Ausschweifungen im Wege standen, So gab es keinen beßerern Bruder, keinen beßerern und gehorsamern Sohn, als Ihn, und nur gantz schlechte denkende Leute, können [ihrem] Sohn oder Bruder nicht verzeihen, wenn wirkl Beßerung da ist. So war er auch da er nach Meisen zu gehen, in Wercke hatte, von Jena zurück, da er nehml. den Entschluß zu Studiren bey Dir fest gemachte hatte kam gantz ein h<im>l. Engel, und so gieng er auch nach Meisen. Da [er] von Osmannsstedt zurückkam, wußte er sich durch seine scheinbare gute Anführung einzuschmeicheln, und die Mutter zu gewinnen daß sie den Vater täglich in Ohren lag [ihm das] Hauß abzutreten, damals noch zu einer gantz unschickl Zeit darzu, keines von uns übrigen Geschwistern war verheyrathet, Christl, der als jüngster Sohn nach hiesieger Landssitte den ersten Anspruch auf dieses [/] Vorrecht hatte, tröstete ich so gut als ich konte. In einem Punckt aber, [den] ich gewißer Ursachen wegen vor gut, in Rücksicht aber des guten Zutrauens gegen Gotthelfen nicht einmal vor nöthig achtete unterstüzte ich Christl. und der Punkt lautete also: Wenn aber Käufer dieses Haus wieder verkaufen wolte, solches <dem> Bruder um dies<en> wie er es erhalten wieder abtreten sollte, in [der] damaligen [Verfassung] unsers Bruders, solte der Fall angenommen werden ob er gantz redl. dachte oder nicht, <war> dieser Punckt gantz nothwendig, ich machte an Christl stelle diesen Antrag den Vater[;] er wolte <kein> Gehör geben, doch als einen gantz überflüßigen Punct wolte er sich es gefallen laßen. Dieser Antrag ward Gotthelfen gemacht, wer hätte sich es laßen einfallen, seine Einwill<ung> nicht zu erf[ü]l<len> gegen so einen Punkt der ihn nichts schadete, und nur die Eltern <bey> gantz fremden Leuten zu wohnen sicherte. Dieser aber sperr[te] aus allen Leibeskräften [sich] darwieder, nun fiel mir der Gedancke ein, Gotthelf ist wieder da, und der Vater, der seinen Wiederspruch bedenckl. fand ließ diesen Punckt einrücken. Wie konte aber Got[t]helf<e> dieses Kaufpunktes wegen einen unversöhnl. Haß auf Christl werfen, welches ich gewiß zu beweisen in Stande bin, dieser Punkt, <also> konte ihn, ohne ein Betrüger und gegen seine Eltern und Geschwister zu seyn ja nichts schaden, und doch mußte Christl unaufhörl Vorwurf darüber leiden. Ve[r]deitigte Christl. seine Sache als gerecht, mußte er Mißhandlungen von ihm erdulden [/] von welchen ich selbst einmal Augenzeuge gewesen bin. Die Mißhandl. bestand in Maulschellen, wozu keine Ursache da war, wenn er nicht eine in seinem Gemüthe hatte, die er nicht angeben konte.
Die Schilderung die ich <von> seinen Jünglingsjahren gemacht hab<e> gehört gar [nicht] hieher, wenn sie nicht mit der als Mann zusammenhieng und wenn nicht sein ganzes Leben, Ursache seines frühen Todes geworden wäre, und wenn ich nicht [den] Schmertz erdulden müßte, daß <von> Dir die Ursache seines Todes auf unschuldige geschoben wird. Daß er Veneri[s]ch war ist ausgemachte Sache, ich habe Dir es schon in meinem zweyten Briefe nach seinem Tode, zu vermuthen gegeben, aber nicht gantz bestimmt, Wenn und wo er sich verdorben hat, ist mir Geheimniß. Genug, ohne [das] andere Geschlecht zu leben war ihn nicht möglich. Dieses Bedürfniß zu befriedigen, hielt er sich zu schlechten Weibsbildern. (Du wirst sagen, dieses ist bald gesagt aber nicht bewiesen) Ich habe Beweiß genug daß vertrauten Umgang mit einer gewißen Weibsperson gehabt hat die auf 10 Jahre und wohl noch länger eine ausgemachte Hure gewesen ist. Dieser wegen als [er] einmal des Nachts um 2 Uhr zu Hause kommt giebt ihn der Vater einen Verweiß, er antwortet, was scheeren Ihn meine Hure<n>, es wird noch <keins> gekommen seyn, der Vater spricht, ja das glaub ich Du hast Geld [/] so giebt er zur Antwort: Meine Huren kosten mich nicht über 5 x. daß er betrunken war, versteht sich, sonst würde er sich nicht selbst verrathen haben. Der Vater hat [das] seine redlich gethan, ihn seine Ausschweifungen zu verweisen, ob er es ihn gleich untersagt hat sich darum nichts zu bekümmern[;] weil er sich nun als unabhängig von den <Eltern> betrachtete so hat sich der Vater auf die Erinnerung die er von Dir erhalten, ein aufmercksames Auge auf seine Handlungen zu haben beruffen. Die Mutter aber hat ihn kein sch<äl>es Wort gesagt; die war schon von ihm zu einer Sclavin darnieder tyrannisirt, und war froh, wenn sie an ihren Sohne nur einen gnädigen Herrn haben konte. Dieses zu beweisen gehörte hieher eine Geschichte, welche ich nieder zu schreiben nicht in Stande bin (und welche wenn sie nicht zu weiter[m] Beweiß gesagt werden muß Du sie von mir nie erfahren solst.[)] Dieses war seine Geschichte vor der Heyrath, heyrathen wolte er, auf Anrathen des Vaters[; dies] stellte er auf[,] der vermuthete durch Heyrath einen vernünftigern Sohn zu erhalten. […] Er […] wählen zu können.
Es war nun sein gantzer Ernst ein Mädchen aus Rammenau zu heyrathen, welche die Geschicklichkeit verstand, Wollüstlinge an sich zu ziehen, ihre Auführung daugte aber nichts, und über dieses war sie gantz ungesund, der Vater war also stracks darwieder[.] Daß er recht hatte könten Briefe von seinem Freund Kadnern erweisen, welche ich nach seinem Tode aufgesucht hätte [/] wenn er sie nicht schon vertilgt hätte. Nun warb er um Schurichstochterz sehr braver Leuten Kind. Dieses hätte können eine vortheilhafte Gelegenheit, in Ansehung der Bandmacherei vor ihn werden, es wurde ihn aber stracks abgeschlagn; seine Freunde wolten sie bleiben, aber dieses war nicht möglich, ich habe mit Zuverläßigkeit erfahren, daß seine Ausschweifungen zu ihren Ohren gekommen, und sie sich daran gestoßen haben.
Wem u wenn er nunmehro geheyrathet davon bist Du gründlich von mir unterrichtet. Du verlangst von mir die Ursache seines Todes gründlich zu wißen, ob die venerische Kranckheit die eintzige Ursache davon war, oder ob andere Körperliche, Ursachen, [welche] sich mit dieser Maladie vereineten, seinen Tod verförderten, verstehe ich zu wenig, deß Chi[r]urgus Meinung darüber welcher ihn in der Kur hatte wird man erfahren, er [hat] Christl, welcher der Bothe war zu sich bestellt, um mit ihn aus der Sache zu reden[.] [Das] hab ich Dir noch nicht geschrieben, er hatte unter den rechten Armen ein[e] sehr groß Beule welche ein Geschwür werden solte, bekam näher vor seinen Ende an verschiedenen Orte[n] des Leibes Beulen und schadhaftige Flecken, noch ehe er starb zeugte es sich, das[s] die Beule unter den Armen kein Materie fraßendes Geschwür war, sondern ein bösartiger faulender Schade werden wollte. [/]
Nach deß Chi[r]urgus Aussage, hat ein Schlagfluß seinen Tod befördert, welcher Zufall vielleicht ein groses Glück vor ihn war. er <wäre>, in erwegung seiner faulenden Schäden so bald nicht genesen und starb vielleicht, an einer langwierigen Kranckheit unter den schrecklichsten Schmertzen. Nun will ich Dir damit nichts nothwendiges vergeßen werden möge Deinen Brief <von> Wort zu Wort beantworten: Du weist ich habe Dir gerathen die Hanthierung fortzusetzen. Meine Meynung war nicht auf immer, ich hatte mich nur nicht deutlich genug ausgedrückt, es sollt so viel heisen[:] nur vor der Hand, daß die jätzige Meße bezogen werden müsse; Die Rechnungen hat Gotthelf noch nicht vorgenommen, um die selbige abzulegen. Daß jetzige in Deiner Sache nichts verwahrloset oder versäumet wird, kan ich doch auf Ehre versichern, nicht nur der Vater, welches des jezingen Fabrick Wesen zu wenig kennt sondern vielmehr durch Christl. der dazu Talent und guten Willen genug besitzt nichts in Ruin gehen zu laßen, und welchen Du gewiß nicht von der wahren Gestalt kennest. Doch davon zu einer andern Zeit. Den zweyten Mertz reise ich hier ab zur Franckfurter Meße, d. 4 Abends treffe ich in Franckfurt ein den 5. kommt die Waare an, und wird Nachmittags spät in der Bude ausgebackt, d. 6. 7. sollen die besten Meßtage seyn den 8. haben die Juden Sabbath, d. 9. ist Sonntag, diese zwey Tage heißt es sehr wenig [/] mit dem Handel, und da könten ohne Verlust der Meße diesen zwey Tage einige Stunden zur Unterredung mit uns abgemißet werden. Soltest Du es nicht möglich machen können, daß wir in Franckfurth eine Zusammenkunft halten könten, mein Wunsch geschieht aus folgenden Ursachen 1) Muß ich nach Berlin kommen, so verhält sich mein außen bleiben <bald auf> acht Tage länger, ich habe zwey Stühle im Gänge, meine Leuten arbeiten fleißig, und zu ihrer Befö[r]derung, ist weiter niemand da als meine Frau, welche noch darzu hoch schwanger ist. Ich ist der Fall nicht wie Gotthelfe, welcher sich auf 4 Personen verlaßen konte welche seine Sache zu Hause fortsetzten. 2) Kommen mit zu etwas Hauskunden zu mir Waare zu kaufen [das] kan meine Frau nicht an meiner Stelle versehen, [das] Geld bleibt für dieses mal ungelöst, und die Kunden gehn auch ein andermal weiter. 3) So hat diese Reise sehr viel Beschwerlichkeit vor mich. Reise ich mit meinen Reisegefährten von Franckfurth zurück, so darf ich nicht alles zu Fuße laufen, die <Rolle> kommt wenn <eine> Gesellschafft beysammen ist nicht so theuer, und ist auch vor Gefahr wegen Dieben weit sicherer als allein zu reisen. Eins fehlt mir noch, ich weiß Dir [den] Ort meines Logies nicht anzugeben, allein, meine Bude steht in der SchmaltzGaßen, und ist sehr leicht zu erfragen, soltest Du mich ja Persönlich nicht sehen, so fragt Du erstl. die Krämer welches BandBuden sind, hast Du eine Band Bude so fragst Du nach Fichten.
Metadata Concerning Header
  • Date: 1. Hälfte des Februar 1800
  • Sender: Johann Gottlob Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Elstra ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 222‒226.
Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • Classification Number: Mscr. Dresd. App. 1499, Nr. 64
Language
  • German

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