Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Berlin, d. 18. 7br. 800.
Lieber Reinhold,
Ich schrieb Ihnen zulezt, von Arbeiten überhäuft, verdrießlich, daß ich Ihnen noch nicht geschrieben hatte, durch mancherlei anderes verstimmt, ohne Ihre Briefe, von denen ich nur noch eine dunkle Vorstellung hatte, und allein mit dem beleidigenden, anmaassenden, unangenehmen derselben angefüllt.
Sie haben nicht geantwortet, wie ich nicht hoffte, noch, in meiner damaligen Laune, wünschte. Ich lese jezt in einer heiterem Stimmung diese Ihre Briefe wieder; meine Barschheit thut mir leid. Dies wenigstens muß ich Ihnen noch sagen und beweisen.
Ueber Bardili, der gar nicht seyn sollte, wird wohl irgend einmal ein überflüßiges Urtheil erscheinen, d. i. gedrukt erscheinen. Ueber ihn also lassen Sie mich schweigen – daß er in der Logik einiges gedachte, doch – da Sie wirklich die Wissenschaftslehre gelesen haben (§. 1. 2. 3.) seit derselben nicht neues. Aber Sie, und Er geben das für Metaphysik aus!
Das, was Sie auf Veranlassung meines lezten Aufsatzes in dem phil. Journale über meinen Ton sagen, zu beantworten, erfodert meine Achtung für Sie; und ich antworte, als Freund dem Freunde; gesezt auch, wir könnten als Philosophen u. Selbstdenker nicht länger in Wechselwirkung bleiben, mit der Offentheit, die mir natürlich ist.
Ich habe leider seit Ihren brieflichen und öffentlichen Aeusserungen über diesen meinen Ton mich einschläfern lassen, und bloß dem Freunde Reinhold zu gefallen gar oft, ohne, und gegen meine innere Ueberzeugung, mich geberdet, wie ein armer Teufel, [/] der erst von dem Windzuge erwarten will, was wahr, oder falsch, gut oder böse ist, und – wenn er lieben, oder zürnen könnte – was der Liebe oder des Zornes würdig sey. Gerade durch diese Ihre wiederholte Ermahnung haben Sie es nun dahin gebracht, daß ich mich mit mir selbst auf das Reine gesezt habe.
„Mein Individuum bemächtige sich, mir selbst unvermerkt des Standpunktes, den ich selbst nur dem reinen Ich angewiesen habe“ sagen Sie.
Hier – von einem Punkte dieser Stelle abgesehen, den ich tiefer unten berühren werde – Sie schieben mir’s in’s Gewissen. Also vom Gewissen herunter! –
Wo meines Bedünkens allein das Individuum eintritt, d. h. im persönlichen Gespräch, kennen Sie mich nicht, lieber Reinhold. Einige die mich da kennen, z. B. Forberg, der ohne Zweifel nicht in der Gewohnheit ist, zu schmeicheln, hat mir öffentlich das Zeugniß gegeben, und jeder, der je mit mir conversirt hat, wird mir es geben, daß ich mit der geduldigsten Geduld auf die albernsten Propositionen mich einlasse, sie durchgehe, zergliedere, nie versichere, abspreche, oder dergl. u. daß da nirgends ein Gefühl der „persönlichen Ueberlegenheit“ sich je gezeigt hat. So habe ich mich auch gefunden; und so bin ich von Natur, ohne alle Kunst, Vorsaz, Freiheit oder dergl. Menschenangesicht, gegenwärtig, und MenschenSprache flös’t mir die gehörige Achtung ein. Was aber die Schriftstellerei anbelangt – so liegt es nun eben in meiner, darin wie ich denke nicht verdrehten Individualität, daß ich da nichts von Individualität spüre, weder von der meinigen, noch von der Andrer. Meine Entdekung scheint mir allerdings wahr, u. wichtig, aber es fällt mir gar nicht ein, mir, diesem Fichte, einen Werth zuzuschreiben, oder in höherer Rüksicht zu sagen, daß er, dieser Fichte, sie gemacht habe. Die Zeit, Natur, Gott, hat sie gemacht. Ich habe gearbeitet; aber [/] nicht mehr als Andre, und es giebt Andre, die noch mehr gearbeitet haben. Die eigentliche Entdekung ist – ein glüklicher Einfall, ein Blik des Talents. Aber auf Besiz von Talent mir, d. h. diesem Fichte, etwas einzubilden, ist eine Narrheit, deren ich sogar in meinen KnabenJahren nicht fähig gewesen bin. – Sie, der Sie meine Schriften lesen, werden bemerkt haben, welche Plagiate immerfort, von denen, die auf mich schimpfen, an mir ausgeübt werden; was über meine nur mündlich geäusserte Gedanken, was etwas mehreres noch beträgt, als meine gedrukten, geschieht, wissen Sie nicht: aber Sie können es sich nach der Analogie denken. Sie selbst haben sich im Streite mit mir befunden, daß ich Kanten die Erfindung des Transscendentalen Idealismus zuschreibe (welches ich auch noch thue, und immer thun werde; nur nicht dem „Dreiviertel Kopf“, individuellen Kant, sondern dem Zeit= und heiligen Geist in Kant –) die [Sie] mir zuschreiben. Ueber das Verhältniß Schellings und Andrer zu mir habe ich nie eine Sylbe verlohren. – Kurz: ich bin mir innigst bewußt, daß ich von jener rein närrischen Meinung, von einem GedankenEigenthume, einem ErfinderRuhme, u. dergl. meiner ganzen Individualität nach, kein Spürchen im Kopfe habe, welches bei mir noch durch die Eigenheit, daß ich alles nun abgemachte auf der Stelle rein vergesse, ein weggelegtes Buch von mir selbst nach 14. Tagen lese, wie eins des Mannes im Monde, und an durchaus neuen Ideen, die die alten verdrängen, nie Mangel habe, noch sehr befördert wird. – Ob also, und daß das von mir zu vertheidigende mein sey, fällt mir nie im Traume ein.
Bedenken Sie, lieber Reinhold, daß gerade diese psychologische Eigenheit (denn es ist bei mir in der That nichts anderes, ohnerachtet ich dafür halte, daß es die mit Freiheit hervorgebrachte Denkart jedes rechtlichen und consequenten Menschen seyn sollte) die es bei mir durchaus unschuldig macht, zu sagen: Das, was da ein gewisser Fichte (der nun gar nicht mehr derselbe ist, der nun tod ist, und begraben) gesagt hat, ist höchstwichtig, durchaus wahr, u. s. f. bei andern, die da Begriffe von litterarischem Eigenthume und [/] ebendeswegen auch von litterarischer Bescheidenheit (!!!) haben, sehr anstößig seyn muß. Was kann ich machen? Nichts als sagen, wie ich so oft sage, und was man auch nicht leiden will.
Sie sagen ferner „der Philosoph (dem das begegne, was mir nie begegnen kann) solle denken, daß er als Individuum irren könne, daß er als solches von andern lernen könne, und müsse.“ pp – Wissen Sie, lieber Reinhold, welche Stimmung Sie da beschreiben? Die eines Menschen, der in seinem Leben noch nie von irgend etwas wahrhaft überzeugt gewesen. – Sagen Sie mir, soll der Geometer glauben, daß er darüber, daß von Einem Punkte zum andern nur Eine gerade Linie sey, noch Belehrung bedürfe: daß er von Menschen, die darüber disputiren, und daran zweifeln, etwas lernen könne? – daß eine solche Ueberzeugung denn noch nur individuell sein könne . . – Nun ist das, worüber ich bis jezt streite (und wenn Sie selbst dies noch nicht eingesehen haben, so liebe ich Sie darum nicht weniger, aber ich bedaure Sie) und worüber Ihre Bouterwekʼs und Bardiliʼs disputiren, durchaus von dieser Art. Dieser Dinge, d. h. der Prinzipien meines Systems bin ich so sicher, daß ich nie, wenn ich nicht wahnsinnig werde, daran wieder zweifeln kann. Und da sollte ich noch lernen wollen? In den ferner liegenden Sätzen meines Systems, in den Ableitungen, kann ich mich geirrt haben; und werde es ohne Zweifel häufig. Ich selbst entdeke schon hie und da Irrthümer; habe Sie vor meinem Auditorio öffentlich zurükgenommen; und thue es vor dem großen Publikum [/] dadurch, daß ich in andern Schriften anders lehre. (So habe ich in meiner Bestimmung des Menschen das überfliegende Räsonnement /. meine Sittenlehre S. 300 ff. h./ zurükgenommen, sowie schon vor 1½. Jahre auf dem Katheder.) – So sage ich, in den abgeleiteten Sätzen. Aber hierüber wird man mir wohl noch einige Jahre Ruhe lassen. Denken Sie nicht?
Sind Sie wohl über folgende Sätze mit mir einverstanden?
1.) Jeder Mensch kann wissen, ob er etwas wirklich verstehe; davon überzeugt sey; wo nicht, welche Gründe des Zweifels er habe. Ich postulire, daß kein Mensch, der nur je irgend etwas gewußt, von irgend etwas überzeugt gewesen, irgend etwas aus Gründen bezweifelt – mir diesen Saz ableugnen werde. – Die übrigen, auf welche keine dieser Bedingungen paßt, sind nicht einmal Menschen, sondern Spukgestalten. Mit ihnen philosophirt man sowenig, als mit einem Klotze; und sie haben an Toleranz so wenig Anspruch, als ein Klotz.
2.) Nichts bricht den Leuten, die dieses ihres Verstehens, Ihrer Ueberzeugung, der Gründe ihres Zweifels sich nicht bewußt sind, den Mund auf. Sie können schweigen. Ich, und wie ich denke, kein rechtlicher Mensch, wird es der Dummheit übel nehmen, daß sie eben dumm ist; dagegen kann sie nicht. Aber daß sie schwazt, ist Akt ihrer Freiheit.
Ist dieses Schwatzen vor der
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 18. September 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 311‒314.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 217
Language
  • German

Weitere Infos ·