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Karl Leonhard Reinhold to Johann Gottlieb Fichte

Mit der letzten Hamburg. Post erhielt ich zwey Blätter der Erlang. Litt. Zeitung, enthaltend eine, in dieser Zeitung, zweyte Recension des Bardilischen Grundrisses u. s. w., und mir zugesendet durch die Redaktion „auf Verlangen des Herrn Recensenten.“ Da jenes Buch durch die erste Recension auf eine gar zu auffallende Weise gemißhandelt wurde: so war nichts natürlicher, als daß ich in der Veranstaltung dieser Zweyten eine gerechte Maaßregel der Herausgeber vermuthete. Dieses, dachte ich, würde in der unter der ersten Columne stehenden Note der Redaktion bedeutet, und ich ließ sie ungelesen. Nun war ich aber kaum in der Recension selbst bis zu den Worten: [/] „Nicht anders würde es auch u. s. w.“ gekommen, als mir schon in jeder Zeile die Individualität der Fichtischen Vorstellungs= und Darstellungsweise in die Augen sprang. Jetzt bedurfte ich der Auskunft in der Note. Die Versicherung derselben: „Wir hielten es für Pflicht der Unpartheylichkeit, eine neue Recension dieses Grundrisses zu besorgen, machte mich in meiner Ueberzeugung: Fichte, und kein anderer, könnte der neue Recensent seyn, – auf einige Augenblicke irre. Ein Buch, so sagte ich mir selber, das durchaus wider den transcendentalen Idealismus, in allen seinen Gestalten, geschrieben ist, – welches alles, was derselbe als unmittelbar gewiß annimmt, und seinen Beweisen zum Grunde legt, anfechtet, – und welches, noch dazu, die Urheber und Anhänger desselben mit einer tadelnswürdigen Heftigkeit angreift – dieses Buch sollte durch die Unpartheylichkeit der Vorsitzer des Erlang. Büchergerichtes – dem zweyten Urheber, und ersten Vollender, des transcendentalen Idealismus, dem bekanntlich rüstigsten und heftigsten Kämpfer in der ganzen angegriffenen Parthey übertragen seyn, – um darüber ein unverdächtigeres Gericht zu halten, und durch sein Urtheil zu erproben, daß die Wahl auch des Ersten Richters unpartheyisch war!!
Allein beym Weiterlesen in der Recension selbst wurden meine Zweifel schon durch die folgende Stelle völlig niedergeschlagen: „Es verlautete, daß die vorliegende Schrift für bedeutend, für reich an neuen Aufschlüssen, für eine auf einem durchaus neuen We[/]ge gemachte Entdeckung des tr. Idealismus, ja! für eine Erweiterung und Vervollkommnung dieses Systems ausgegeben würde; und das von Männern, die seit einiger Zeit im gelehrten Publikum die Meynung von sich erregten, daß sie jenes System besitzen, und demselben zugethan seyn.“ Meines Wissens bin Ich bisher der Einzige Mann, der sich öffentlich für Bardilis Grundriß, als für ein höchstwichtiges, und der Philosophie eine völlig neue Gestalt versprechendes Werk, öffentlich erklärt hat. Auch dieses ist, bis itzt, nur in meiner Recension desselben (N. 127, 128, 129 der Jenaischen A. L. Z.) geschehen. In dieser Recension (die ich [nach] sechsmal, mit der Feder in der Hand, wiederholter, prüfender Durchlesung dieses Buchs verfertigte, und nun nach eben so oft, neuerdings, wiederholtem Studium desselben in keiner Zeile zurücknehmen kann) – wird aber mit keiner Sylbe behauptet: daß der Grundriß eine neue Entdeckung des tr. Idealismus aufstelle, oder, wie Sie Sich in der Folge ausdrücken, denselben weiterführe; wohl aber ausdrücklich versichert: Es würde in dem Grundrisse dargethan: „daß die Logik, und mit ihr, die spekulative Philosophie überhaupt“ (also doch wohl auch der tr. Idealismus) „einen sehr wesentlichen Schritt zurückzuthun habe“ – daß Bardili „das Denken, wie dasselbe in der spekulativen Philosophie überhaupt angewendet wurde, vor Gericht ziehe“ – und daß Er, nicht nur die Kantische Philosophie, sondern „den ganzen Cri[/]ticismus auf die Seite schaffe.“ Kein aufmerksamerer Leser meiner Recension, sowohl als der Ihrigen, kann sich also auch nur im Traume einfallen lassen, daß der Jenaische Recensent, und diejenigen transcendentalen Idealisten, welche die Bardilische Philosophie für eine neue transcendentalidealistische Entdeckung ausgeben, nur Eine und ebendieselbe Person sind. Ihre Recension bleibt dem Publikum in einem wesentlichen Punkte ganz unverständlich; und muß den Zweck, den möglichen Folgen der Jenaischen mit Nachdruck zuvorzukommen, großentheils verfehlen, wenn ich nicht selbst ins Mittel trete, und dem Publikum sage, wie der zweyte Erlangische Recensent dazu gekommen sey, den Jenaischen als einen tr. Idealisten anzusehen, und als den unreifen Zögling dieser Schule zu behandeln, der in Bardilis Logik weitergeführten Idealismus gesucht hat, und eben darum „auch nicht einmal die ersten Blätter der Wissenschaftslehre mit transcendentalem Sinne gefaßt haben,“ und bey dem „dieser Sinn“ auch nicht im geringsten „habituel geworden“ seyn kann. Das Publikum muß es also erfahren, daß und in wieferne ich selbst jenes wunderliche Quid pro quo durch meine Privatkorrespondenz mit Ihnen im vorigen Winter veranlaßt habe. Mir allein, und zwar nicht mir, dem Jenaischen Recensenten, der dazu nicht die leiseste Veranlassung gab, sondern mir, Ihrem Privatkorrespondenten, gilt alles, was Sie zur Zurechtweisung jener unmündigen transcendentalidealistischen Beurtheiler und Lobredner Bardilis geschrieben haben. [/] Nur durch meine Privatkorrespondenz, und noch als (wie ich nun einsehe, unwürdiges und unächtes) Mitglied Ihrer Schule, habe ich Sie in die Nothwendigkeit gesetzt, insbesondere S. 1714 und 1715 „zur Belehrung jener Transcendentalphilosophen“ das ABC des tr. Idealismus zu wiederholen. Sie haben mir auf Privatbriefe durch eine öffentliche Recension geantwortet, die mehr zu meiner als des Publikums Verständigung geschrieben ist. Das gegenwärtige Sendschreiben macht kein Geheimniß daraus, daß es mehr für das Publikum, als für Sie, geschrieben ist. Es beantwortet aber gleichwohl nur dasjenige, was in Ihrer Recension meine Ansicht Ihrer und der Bardilischen Philosophie betrift, welche durch Sie an einem Orte, wo doch nur von Ihrer Ansicht des zu recensirenden Buches die Rede seyn sollte, auf eine Weise zur Sprache gebracht wird – die mir die folgenden Erläuterungen abnöthigt.
Bevor ich meine völlige Erklärung des allerdings sonderbaren Phänomens, welches den Hauptgegenstand Ihrer Recension und meines Sendschreibens ausmacht, aufstelle, erlauben Sie mir die vorläufigen Erinnerungen, womit Sie Ihre völlige Erklärung einleiten, durch einige Gegenerinnerungen zu erörtern.
Ihre Erinnerungen heißen: „Daß der tr. Idealismus ganz neuerlich bey furchtsamen, und die Sache nicht genug durchschauenden Gemüthern keine geringen Besorgnisse erregt, daß, seitdem, nach öffentlichen Druckschriften, ein Standpunkt zwischen der Fichti[/]schen und Jacobischen Philosophie (welche letztere bekanntlich ein hartnäckiger Dogmatismus ist) gesucht worden, zu bemerken, daß das Jacobische reine objektive Seyn, und zwar Gottes Seyn, das vermuthlich in jenen Zwischenstandpunkt kommen sollte, bey Bardili angetroffen werde; endlich, daß das vorliegende Buch, seiner auffallendsten Seite nach, eine Umarbeitung der Reinholdischen, weiland Elementar=Philosophie ist. Man findet hier dieselbe Formular=Methode (worüber tiefer unten) dieselbe Form und Stoff, dieselbe Vorstellung und bloße Vorstellung, dieselbe Vorstellung und Vorgestelltes (dem Vorstellenden ging Hr. B. freylich aus dem Wege, denn dann hätte er in das leidige Ich versinken mögen), dieselben Beweise aus der Entgegengesetztheit beyder, dieselbe Beweisart, die bey der Analyse aus jedem Satze glücklich wieder herausfindet, was sie bey der willkührlichen These hineinlegte, dasselbe trockne Spiel mit Begriffen: abgerechnet mehrere genialische Gedanken, welche B. aus neuern Büchern, welche dafür auch gebührend gelästert werden, entlehnt hat, und welche Gedanken die Urheber derselben zurückfodern mögen, wenn sie es der Mühe werth halten.[“]
Ich habe mich zu Ihrer Wissenschaftslehre bekannt, nachdem ich, durch ein langwieriges Studium Ihrer Schriften, mich überzeugt fand: daß durch meine, in ihrem eigenen Fundamente, lediglich empirische Elementarphilosophie der transcendentalen Grundlosigkeit des Kantischen Criticismus durchaus nicht abgeholfen würde, und daß der Criti[/]cismus nur dadurch und insoferne zur Wissenschaft werden könne, daß und inwieferne die materialen Bedingungen der Erfahrung, zugleich mit den Formalen aus der Subjektivität abgeleitet würden. Ich habe mich so lange zu Ihrer Wissenschaftslehre bekannt, als ich das Denken, als Denken, mit Ihrer, und mit der Kantischen Schule – und selbst mit dem größten Theile der Gegner beyder Schulen, – für bloße subjektive Thätigkeit hielt. Ich erkläre auch noch, daß unter dieser Voraussetzung Ihr System die einzig mögliche konsequente Philosophie ist, und seyn kann, und daß mich die Furcht, von den Recensenten in der Jenaischen und Erlangischen L. Z. für ein vom Winde hin und her getriebenes Rohr in der Wüste erklärt zu werden, nicht abhalten soll, wieder zur Wissenschaftslehre zurückzukehren, so bald Sie mich überzeugen können, daß das Denken, als Denken, subjektive Thätigkeit sey. Zu der „Meynung“ sowohl bey mir selbst als im gelehrten Publikum, „daß ich Ihr System besitze und demselben zugethan sey,“ hat, – daß ich mich hier öffentlich nur auf Oeffentliches berufe – wohl nichts so sehr beygetragen, als Ihre eigene Erklärung (in Ihrer zweyten Einleitung in die Wissenschaftslehre im Philosophischen Journal 1797, 4. Heft. S. 360): „Reinhold habe gezeigt, daß Er auch die Wissenschaftslehre gefaßt habe.“ Wie ich aber dieselbe gefaßt habe, habe ich in der Folge bestimmter in meiner Recension derselben in der Jenaischen A. L. Z. 1798. N. 5 u. s. w., [/] und noch bestimmter, in der kleinen Schrift über die Paradoxieen der neuesten Philosophie gezeigt, ohne daß Sie für die gute Sache des transcendentalen Idealismus eine Zurechtweisung nöthig fanden. Nun soll aus meiner und Ihrer Recension des Bardilischen Grundrisses auf einmal hervorgehen, daß ich Ihr System nie verstanden habe, und daher auch noch nicht verstehe, indem ich das Bardilische empfohlen habe. Um dieses begreiflicher, oder vielmehr recht handgreiflich, zu machen, führen [Sie] durch eine geschickte Wendung den leidigen Proceß über Ihren angeblichen Atheismus ins Gedächtniß Ihrer Leser zurück. Aus Angst, ich weiß nicht, ob für einen Atheisten zu gelten, oder gar ein Atheist werden zu müssen – soll ich auf Ihrem Standpunkte, auf welchem ich ohnehin nie recht festgestanden habe, Fassung und Gleichgewicht verlohren, und mir einen neuen Standpunkt zwischen der Fichtischen Philosophie und der Jacobischen, „welche bekanntlich ein hartnäckiger Dogmatismus sey,“ aufgesucht haben. Giebt es etwa noch andere „öffentliche Druckschriften“ ausser meinem Sendschreiben an Lavater und Fichte, in denen etwa Andere von andern Zwischenstandpunkten abhandeln? so kenne ich zum wenigsten jene Zwischenstandpunkte nicht, und kann über dieselben keine Rechenschaft ablegen. In meiner Druckschrift giebt die Vorrede (S. 6.) über meinen Zwischenstandpunkt folgende Auskunft: „Man würde den Verfasser völlig mißverstehen, wenn man seinen Standpunkt zwischen Fichte und Jacobi, von dem er [/] in den Briefen an Fichte redet, für einen besondern und neuen philosophischen Standpunkt hielte, den Er anstatt des Jacobischen oder Fichtischen wählen zu müssen, und aus welchem Er ein Coalitionssystem, ein Mittelding zwischen beyden Denkarten, aufstellen zu können glaubte. Er hält vielmehr den Fichtischen Standpunkt für den einzig möglichen zum Behuf des ächten und durchaus consequenten spekulativen Wissens; so wie Er denjenigen, den Jacobi demselben entgegen stellt, für den ursprünglichen Standpunkt der lebendigen Ueberzeugung des Gewissens erkennt. Jener dritte Standpunkt (der des Verfassers) ist nun kein Anderer als der eines Menschen, welcher, nachdem er die Unabhängigkeit des spekulativen Wissens und des lebendigen Glaubens von einander anerkannt hat, beyde miteinander vergleicht, zum Behuf dieser Vergleichung sich über beyden schwebend erhält, und insoferne manches behaupten muß, was diejenigen, welche entweder nur das Eine, oder nur das Andere allein im Auge haben, weder verstehen noch wahr finden können.“ – Jener dritte Standpunkt sollte, mit Einem Worte, kein anderer, als genau ebenderselbe seyn, auf welchen Sie sich selbst in der Folge, und zwar im Dritten Buche Ihrer Schrift: Die Bestimmung des Menschen, gestellt haben, nachdem Sie sich „durch die Stimme des Gewissens aus dem bloßen Wissen heraus auf Etwas ausser demselben liegendes, und ihm völlig ent[/]gegengesetztes führen ließen; auf Etwas, das da mehr und höher ist, denn alles Wissen.“ Ich meynte eben denselben Standpunkt, auf welchem Sie allein überzeugt seyn und behaupten konnten: „Jener unendliche Wille ist der Vermittler zwischen der geistigen Welt, und mir; denn Er selbst ist der Urquell von Ihr und Mir .“ – „ Du wirkst in mir die Erkenntniß von meiner Pflicht, und von meiner Bestimmung in der Reihe vernünftiger Wesen. Wie? Das weiß ich nicht, noch bedarf ich es zu wissen.“ Daß diese, und so viele andere ähnliche Stellen jenes dritten Buches bloße Herablassungen zur populären Denkart seyn sollen, kann und will ich der Notiz, welche ein gewisser S–r in den Notizen des 2. St. 3. B. des Athenäums von Ihrer Bestimmung des Menschen giebt, so lange nicht glauben, als Sie nicht selber ausdrücklich erklärt haben: Es sey so. Ich meynte also auch allerdings „Gottes Seyn“, aber genau in dem Sinne, wie es in jenen Stellen auch von Ihnen gemeynt ist, als kein bloßes Phänomen des menschlichen Bewußtseyns, als kein bloßes Produkt des sich selbst producirenden Ichs, sondern als die schlechthin reale Urquelle.
Jacobis Philosophie ist kein bekanntlich hartnäckiger Dogmatismus, und ist überhaupt kein Dogmatismus, sondern ein entschiedener, und laut und bestimmt sich selbst aussprechender Skepticismus. Bekanntlich ist Jacobis Philosophie mehr als irgend eine Andere nicht verstanden [/] worden. Aber daß dieselbe auch von Ihnen, und zwar als Dogmatismus mißverstanden seyn könne, sollte man, wenigstens nachdem Sie sein gedrucktes Sendschreiben an Sie gelesen haben, nicht für möglich halten. Wollten Sie Ihm nicht auf Sein Wort glauben (gleich im Eingang jenes Sendschreibens): „seine Unphilosophie habe ihr Wesen im Nichtwissen, wie Ihre Philosophie allein im Wissen : “so hat er es doch wahrlich nicht an Stellen ermangeln lassen, welche unverkennbar beurkunden, daß seine Philosophie die wissenschaftliche Ergründung der wahren Realität der Erkenntniß für unmöglich halte. S. 24 schreibt Er: „Unsre Wissenschaften, blos als solche, sind Spiele, welche der menschliche Geist, zeitvertreibend, sich ersinnt. Diese Spiele ersinnend, organisirt er nur seine Unwissenheit, ohne einer Erkenntniß des Wahren, auch nur um eine Haar breit näher zu kommen. In einem gewissen Sinne entfernt er sich dadurch vielmehr von ihm, indem er bey diesem Geschäft über seine Unwissenheit sich blos zerstreut, ihren Druck nicht mehr fühlt, sogar sie lieb gewinnt, weil sie unendlich ist.“ – „Das Spiel ist uns dadurch verdorben, daß wir es ganz verstehen, daß wir es wissen.“ Jacobi glaubt und bekennt laut, daß Sie dem wissenschaftlichen Wissen auf den Grund gekommen seyen – er glaubt und bekennt, daß ein rein spekulatives System des Wissens nur auf die Fichtische Weise möglich sey. Aber er glaubt und bekennt es in dem gerade entgegenge[/]setzten Sinne, in welchem Sie, und ich ehemals mit Ihnen, dasselbe glauben und bekennen. Er hält das Spekulative Wissen überhaupt, folglich auch das von Ihm als das einzig mögliche konsequente anerkannte System desselben, das Sie aufstellen, für organisirtes Nichtwissen. Er ist also der Skeptiker, und Sie sind, Ihm gegen über, der hartnäckige Dogmatiker. Was Er aber von dem Wahren, von Gott, und der Vernunft, als der wahren Vernunft – folglich nicht als von reiner Subjektivität und absoluter Ichheit, – glaubt und weiß, das glaubt und behauptet er auf einem ganz andern Wege zu wissen, als auf demjenigen, den Sie, und Er dießfalls mit Ihnen, ein philosophisches Wissen nennen. Ich glaube jenen andern Weg nun auch zu kennen, und werde mich in diesen Blättern umständlicher darüber erklären. Hier bemerke ich nur folgendes: „Er versteht (S. 27) unter dem Wahren etwas, was vor und ausser dem Wissen ist, was dem Wissen und dem Vermögen des Wissens, der Vernunft, erst einen Werth giebt. Vernehmen setzt ein Vernehmbares; Vernunft das Wahre zum Voraus; sie ist das Vermögen der Voraussetzung des Wahren. Eine das Wahre nicht voraussetzende Vernunft ist ein Unding.“ Da Er glaubt, (und Sie konnten Ihn wahrlich nicht von diesem Glauben zurückbringen,) daß in dem philosophischen Wissen das Wahre nicht vorausgesetzt würde, sondern erst gesetzt werden müßte: so erklärt Er das philosophische Wissen, [/] als Erkenntniß des Wahren, und insoferne wahre Erkenntniß, für unmöglich. Ihn aber in Rücksicht auf diejenige Erkenntniß, an welche Er sich an der Stelle des von Ihm aufgegebenen Philosophischen Wissens hält, einen Dogmatiker zu nennen, ist unverzeihliche Versündigung an dem Sprachgebrauch; aber freylich keine größere, als welche Sie sich, und Ihre Schule mit Ihnen, dadurch erlauben, daß Sie Ihren Idealismus dem Dogmatismus entgegensetzen, da doch der Idealismus überhaupt nur dem Realismus überhaupt, und der Dogmatismus überhaupt nur dem Skepticismus überhaupt entgegensteht.
Daß nun der Skeptiker Jacobi von keinem Objektiven Seyn, im Sinne irgend eines Dogmatikers, wisse und wissen wolle, versteht sich von selbst. Dasjenige Seyn hingegen, was Er zu der (seiner Meynung nach durchs Philosophiren unergründlichen) Realität der Erkenntniß voraussetzt, ist Ihm eben so wenig ein rein Objektives, im Sinne der angeblichen Wisser, im dogmatischen Realismus – als ein rein Subjektives, – im Sinne Ihres, wahrhaft dogmatischen, Idealismus – sondern es ist Ihm das über alles Subjektive und Objektive – schlechthin erhabene Absolute, das sich weder als Subjektivität noch als Objektivität denken läßt, ohne durch ein solches Denken vernichtet zu werden – das weder ein Seyn ist, dem ein Thun gegenüber steht, noch ein Thun, dem ein Seyn gegenüber steht, sondern die Reale Urquelle alles [/] realen Thuns und realen Seyns. Es ist dieses allerdings dasselbe Seyn, das bey Bardili angetroffen wird; dasselbe, das ich, als Verfasser des Sendschreibens an Lavater und Sie, noch in dem praktischen Vernunftglauben des tr. Idealismus, inwieferne derselbe nichts anderes, als den von bloßer Spekulation unabhängigen, lebendigen, Glauben des Gewissens bedeuten sollte, anzutreffen glaubte; aber auch dasselbe, was ich, seitdem ich es bey Bardili antraf, zwar immer noch bey Jacobi, aber keineswegs in jenem sogenannten Vernunftglauben weiter antraf, und in demselben nimmermehr antreffen werde. Bardilis Standpunkt ist durchaus nicht jener Zwischenstandpunkt zwischen der Fichtischen und Jacobischen Philosophie; und ich habe diesen Letztern auf immer verlassen müssen, indem ich aus dem Bardilischen jenes reine Seyn, das weder ein Subjektives noch ein Objektives ist, denken lernte.
Durch Ihre Bemerkung: daß Bardilis Buch „seiner auffallendsten Seite nach eine Umarbeitung der Reinholdschen Elementarphilosophie sey,“ würde, wenn dieselbe Grund hätte, aus dem, was Sie ein sonderbares Phänomen genannt haben, nur das sehr alltägliche werden, daß Reinhold den Bardilischen Grundriß darum empfohlen habe, weil er seine eigene Lehre darin zu finden glaubte, wie ungefähr Fichte einst die Hülsensche Prüfung der Berl. Preisfrage empfahl. Glaubte der zweyte Erlan[/]ger Recensent, die Aufmerksamkeit, die etwa der Jenaische dem Grundrisse verschaff haben könnte, am gewissesten dadurch zu vernichten, daß er denselben mit der weiland Elementarphilosophie vergleicht: so weiß Er nicht, was der Verfasser der Wissenschaftslehre von jener Elementarphilosophie hält. Er hat nicht die Vorrede zur Abhandlung über den Begrif der Wissenschaftslehre gelesen, die auch bey der zweyten Ausgabe wieder abgedruckt ist, und wo es (S. VI.) heißt: Jener Verfasser sey „innig überzeugt, daß, nach dem genialischen Geiste Kants, der Philosophie kein höheres Geschenk gemacht werden konnte, als durch den systematischen Geist Reinholds, und er glaube den ehrenvollen Platz zu kennen, welchen dessen Elementarphilosophie, bey den weitern Fortschritten, die die Philosophie, an wessen Hand es auch sey, nothwendig machen müsse, dennoch immer behaupten werde.“ – Jene innige Ueberzeugung Fichtes war nie die Meinige; und um jenen ehrenvollen Platz bekümmere ich mich schon lange nicht weiter mehr. Aber das weiß ich, daß ich mich jenes Versuches nie zu schämen haben werde.
Es war ganz mein eigener Versuch, und sein Gehalt hatte eben darum auch für mich mehr Evidenz als für jeden Andern. Noch habe ich nicht ganz die viele und saure Mühe vergessen, die es mich kostete, aus jener selbst errungenen und angewöhnten Vorstellungsart mich wieder herauszufinden, als ich mich in Ihre Wissenschaftslehre hineinstudirte. Ich schließe daraus auf die ungleich größere Schwierigkeit, [/] die ein ähnliches Sichherausfinden aus Ihrer Wissenschaftslehre, die ohne Vergleich konsequenter als die weiland Elementarphilosophie ist, für Sie haben müßte – und ich würde vor mir selbst erröthen, wenn es mir einfiele, darüber zu spotten, daß Sie die Evidenz des tr. Idealismus sattsam dargelegt zu haben meynen – oder wenn es mir einfiele, da ich jenen Idealismus durch Bardilis Logik wirklich widerlegt glaube, Ihnen jenes Weiland zurückzugeben.
Nicht viel geringer, obgleich weniger langwierig, war die Arbeit, mit der ich mich von der endlich auch errungenen und angewöhnten Vorstellungsart des tr. Idealismus loszureißen hatte, bis ichs zum Verstehen der Hauptidee von Bardilis Grundriß, nämlich der Idee des Denkens, als Denkens, gebracht hatte, welche freylich durchaus verstanden seyn muß, wenn man in jenem Grundrisse nicht etwa mit Ihnen und Ihrer Schule einen überaus ungeschickten und abentheuerlichen Versuch, längst abgelegte Vorurtheile wieder geltend zu machen, finden soll. Bevor es indessen zum völligen Verstehen des Denkens, als Denkens, bey mir gekommen war, glaubte ich durch den Grundriß nur den Kantischen Criticismus, und meine Elementarphilosophie, nicht aber Ihre Wissenschaftslehre widerlegt; und es war eben auch die vermeynte Verwandtschaft mit dem reinen Idealismus, was mich für das Buch einnahm, welches durch den bittern Spott, womit es meiner Philosophie bey jeder Gelegenheit erwähnt, [/] mich eher jede andere Philosophie, als die Meinige ahnden lassen mußte. Die Worte Vorstellung, Vorgestelltes, und bloße Vorstellung u.s.w. kommen in demselben durchaus in einem Sinne vor, der demjenigen, in welchem sie von dem Verf. der Elementarphilosophie gebraucht wurden, (wie ich wohl am besten wissen muß,) durchaus entgegengesetzt ist. Wahrlich hätte der zweyte Erlanger Recensent durch nichts jedem Leser von Bardilis Grundriß, der nicht etwa Fichte selbst oder sein Nachbether ist, augenscheinlicher darthun können, daß er nicht verstanden habe, was er beurtheilt, als durch die Behauptung: daß jener Grundriß, auch nur in irgend einem denkbaren Sinne, Umarbeitung der Reinh. Elementarphilosophie sey.
Ja! ich habe nicht meine Elementarphilosophie, sondern Ihren tr. Idealismus in Bardilis Buche gesucht! und eben dieses führt mich nun zu meiner völligen Erklärung jenes sonderbaren Phänomens in der [zweyten] Erlang. Recension, welches in der That ein bloßes Phänomen, und noch dazu ein solches ist, das durch die Erklärung aufgehoben wird.
Allerdings habe ich im Anfange meiner Bekanntschaft mit dem Grundrisse geglaubt, gewünscht, und gehofft, daß sich das Wesentliche der Bardilischen Philosophie auf das Wesentliche der Ihrigen, und umgekehrt, zurückführen ließe. Während ichs in meinen Privatbriefen versuchte, ob ich nicht Sie selber aus Ihrem Standpunkte mit jener Philosophie befreunden könnte, [/] legte ich es alles Ernstes bey Bardili darauf an, Ihn aus dem Seinigen zu überzeugen, daß Er selber im Grunde Idealist wäre, und daß die spekulative Philosophie überhaupt nichts anders als Idealismus seyn könne. Bardili hat sich mit mir näher hierüber eingelassen; und mein Briefwechsel mit Ihm, den wir beyde schon aus anderen Rücksichten dem Publikum vorzulegen beschlossen haben, wird zeigen, wie nahe ich Ihm die Anerkennung des Idealismus durch seinen eigenen Grundriß gelegt habe. Aber aus seinen Antworten wird auch erhellen, wie ich endlich gezwungen ward, den Idealismus überhaupt aufzugeben.
Auch dieses Irrthums habe ich mich nicht zu schämen. Haben Sie doch selbst, bevor Ihr transcendentaler Idealismus völlig zur Reife kam, in meiner Theorie des Vorstellungsvermögens kein anderes System als das Kantische gefunden, von dem Sie in Ihrer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre behaupteten, es wäre kein anderes als das Ihrige. In Ihrer Recension des Aenesidemus N. 49 des Jahrgangs 1794 der Jenaischen A. L. Z. heißt es S. 386: „Nach Kant machte Reinhold sich das unsterbliche Verdienst, die philosophirende Vernunft (die ohne ihn vielleicht noch lange Kanten commentirt, und wieder commentirt, und nie das Eigenthümliche seines Systems gefunden hätte, weil das keiner findet, der sich nicht seinen eigenen Weg zur Aufsuchung desselben bahnt,) darauf aufmerksam zu machen, daß die gesammte Philosophie auf einen einzigen Grundsatz zurückgeführt werden müsse, und daß [/] man das System der daurenden Handlungsweise des menschlichen Geistes nicht eher auffinden werde, bis man den Schlußstein desselben aufgefunden habe. Sollte durch weiteres Zurückschreiten auf dem von ihm so ruhmvoll gebahnten Wege sich etwa in Zukunft finden, daß das unmittelbar gewisseste: Ich bin, auch nur für das Ich gelte u. s. w.“ Wie Sie damals Ihr eigenes System durch weiteres Zurückschreiten auf dem von mir gebahnten Wege mich entdecken zu lassen hofften: so hoffte ich, daß sowohl Bardili als Sie, jeder durch weiteres Zurückschreiten auf dem von Ihm gebahnten Wege mit dem Andern Zusammentreffen würde. Also! Hane Veniam petimusque damusque vicissim.
Bardilis Philosophie kennt keine temporäre Herablassung zu dem vorhergegangenen System, dergleichen der tr. Idealismus, wie uns der zweyte Erlang. Recensent mit naiver Gravität versichert, sich zu seiner Introduktion bedient, um dieselbe, wenn es Zeit ist, wieder zurückzunehmen. Sie schließt sich an kein anderes System an, indem sie in dem Fundamente jedes andern, das nicht vom Denken, als Denken, ausgeht, den Widerspruch mit sich selbst aufweiset. Blos der, in mir wirklich bis zu einem gewissen Grad, habituell gewordene transcendentale Sinn war es, der mich einige Zeit hindurch nicht gewahr werden ließ, daß im transcendentalen Idealismus durchaus kein Denken, als Denken, statt finden könne, daß Er dasjenige, was Ihm Denken heißt, wirklich zu einem bloßen subjektiven Thun, und insoferne [/] zu einem eigentlichen Nichtdenken, mache, und daß Er durchaus demjenigen widerspreche, was, wenn das Wort Idee nicht schon längst um seinen alten Platonischen Sinn gekommen wäre, der rationale, objektive Idealismus (Platons, Leibnitzens und Bardilis) heißen möchte.
Da mir die vermeyntliche Zurückführbarkeit der Bardilischen Philosophie und der Ihrigen aufeinander gleich bey meiner ersten sehr frühzeitigen Aeusserung derselben von Bardili nachdrücklich abgestritten wurde: so würde ich schon darum allein von derselben keine Erwähnung in meiner Recension gethan haben, bey der mir es lediglich darum zu thun war, Bardilis eigene Ansicht von seiner eigenen Philosophie vorläufig, so getreu als möglich, zu beschreiben. Ich erlaubte mir bey dieser Beschreibung keinen Satz, von dem ich nicht glaubte, daß Bardili selbst ihn unterschreiben würde. Und wirklich hat Er sich über jene Recension, meine Rügen in derselben ausdrücklich mit eingeschlossen, mit mir für völlig einverstanden erklärt. Hätten Sie es also, wenn doch einmal mehr meine Recension als Bardilis Buch recensirt werden sollte, lediglich mit dem Jenaischen Recensenten zu thun gehabt, und die Jenaische Recension und Bardilis Buch nicht wie Machwerke gelesen, deren Gehaltlosigkeit für Sie schon a priori entschieden war: so würde durchaus nichts von einem Bardilischen Weiterführen des tr. Idealismus im Publikum verlautet haben, und ich würde nicht nöthig gehabt haben, Ihnen zu Gemüth zu führen, daß „jene Philosophischen [/] Beurtheiler“ – „durch welche, wenn sie Glauben fänden, der Begrif des tr. Idealismus ganz verlohren gehen könnte,“ gar nicht im Publikum aufgetreten sind.
Ob, und inwieferne, ich Ihren Idealismus verstanden habe, als ich denselben annahm und vertheidigte, mag ganz Ihrem Urtheile überlassen bleiben. Aber wie ich denselben, die Elementarphilosophie und die Kantische Critik nun verstehe, wissen Sie nicht, und können es durchaus nicht wissen. Liegt Ihnen daran, so können Sie es in der Fortsetzung dieser Blätter erfahren. Ob ich aber nicht vielleicht den tr. Idealismus dann erst recht verstehen gelernt habe, als ich denselben aufgab, darüber entscheide zwischen uns die Zeit.
Was beyde Erlanger Recensenten über Bardili selbst sagen, bedarf durchaus keiner Widerlegung. Es widerlegt sich selbst, und hinlänglich, durch die Art und Weise, wie sie es sagen. Schwerlich dürfte die ganze an Recensionen dieser Art so reichhaltige Periode der transcendentalen Revolution ein paar andere würdige Gegenstände jener Erlanger Recensionen aufzuweisen haben, ausser der Recension von Ihrer Schrift: Ueber den Begrif der Wissenschaftslehre, und der von Schellings Schrift: Ueber die Möglichkeit der Form der Philosophie überhaupt, beyde in des Herrn Professor Jacobs in Halle philosophischen Annalen, und beyde von Ihnen selbst wieder herausgegeben als Beylagen [/] zur zweyten Auflage jener Schrift, und in der Vorrede von keiner andern als der sehr richtigen Bemerkung begleitet: „Für die Urheber jener Recensionen sey es Unglück genug, gesagt zu haben, was sie in denselben sagen.“ – Kiel den 23.Nov. 1800.
Reinhold.
Beylage zum Sendschreiben an Fichte.
(Aus einem Briefe Bardilis vom 3. Febr. 1800.)
Die Wahrheit wurde entweder im Allgemeinen, oder im Einzelnen, oder in Beyden zugleich gesucht. Ein Viertes giebt es nicht. Im Allgemeinen suchten Sie Pythagoras, Platon, die Stoiker, Leibnitz. Hat einer unter diesen, wie ich von dem Stoiker Chrysipp noch am ehesten glauben möchte, es vollends bis zu einer eigentlichen Logik („zur Erkenntniß des Denkens, als Denkens,“) gebracht, so hat es auch wenigstens Einer von Ihnen schon vollkommen zu einer Philosophie gebracht, (welche Vernunftwissenschaft ist). Parallelisiren läßt sich demnach der rationale Idealismus mit manchem Ausdruck, oder Lehrsatz, dieser Männer, insoweit sich dieser Ausdruck, oder Lehrsatz beym [/] Vorübergehen des Allgemeinen vor ihrem Bewußtseyn in lichten Augenblicken des Denkens als Denkens bildete. Ihre Tendenz war mehr als bloße Tendenz – Es kam zu Manifestationen, die der Eine von Ihnen passender, der Andere weniger passend sinnlich antitypirte (ausdrückte), je nachdem es um den Stoff stand, aus dem Er gemacht war.
Im Einzelnen, oder Besondern, suchten die WahrheitLeucipp, Demokrit, Epikur, Franzosen und Britten, kurz! die Sensualisten, die dieses so ganz waren, als man es nur immer seyn kann, ohne alles Verknüpfen in einem Allgemeinen aufzugeben. Individualitäten bis zu Atomen zermalmt leisten dem reinen Epikureismus alles. Es giebt für Ihn keine Logik. Ein Hic und Hic, und Hic, bis auf Myriaden hinaus in Aggregate gebracht, und endlich als ein Plenum das Inane erfüllend, ist sein Bauzeug für das System der Dinge, das eben dadurch aufhört ein System zu seyn, und vielmehr ein κυκεων και αντεμπλοκη, και σκεδασμος, wie es der Stoiker nannte, kurz! ein Mischmasch wird. Dagegen both das Ergreifen des Allgemeinen in seinen Manifestationen am Besondern – dem Pythagoras, Platon, den Stoikern und Leibnitzen, in so weit sie es ergriffeneine und ebendieselbe Logik für Mensch und Welt, mithin eine ἑνωσις ταξις, προνοια, wenigstens unter der Weltbeschauung jener Männer dar. [/]
Intellektualisten und Sensualisten hatte Griechenland gehabt; hatte in Jenen dem einzigen und eigentlichen (rationalen) Realismus – sich genähert – in Diesen der spätern – erschöpfend seyn wollenden – Physik präludirt – als ein Völkchen auftrat, das es Allen recht machen wollte, und wirklich den rechten Weg dazu einschlug – den Weg des so genannten gesunden Menschenverstandes nämlich. Dieß waren die Sophisten. Dieser gesunde Verstand, wie Er selbstgefällig sich selber nennt, hat das Eigene, daß Er reif, mithin für Alle beschlagen seyn will, und doch, weil Er für Alle, nämlich in ihrer (eines Jeden) Individualität beschlagen ist, eigentlich in nichts beschlagen, mithin unreif ist. Er mischt das Allgemeine mit dem Besondern künstlich, d. i. nach Maaßgabe der Umstände und eines glücklichen Instinktes, Genie genannt. Er ist allein der skeptischen Narrheit fähig zu glauben: einem jedem Grunde (als Grunde) lasse sich wieder ein Anderer, gleich starker, entgegensetzen, und der Erstere dadurch, als Grund, zernichten, mithin lasse sich das Denken durchs Denken aufheben. Wie ist diese Verkehrtheit in der Menschenwelt, als Menschenwelt, möglich? Nur dadurch, daß man bald die bloße Bedingung zum Grunde, bald den Grund zur Bedingung macht, sich abwechselnd bald der Empirie zum Nachtheil der Spekulation, bald der Spekulation zum Nachtheil der Empirie bedient, kurz! durch eine mehr oder weniger sinnreich angebrach[/]te μεταβασις εις αλλο γενος, vermöge einer heteronomischen Concrescens der Phantasie und des Denkens ist sie allein möglich.* Durch diese Disposition des Kopfes kann man alles beweisen und alles widerlegen, mithin im Grunde nichts beweisen. Man kann den Sack zuschnüren, wo man will, hat aber allemahl nichts als Luft darin. Die Sophistik des so [genannten] gesunden Menschenverstandes ist daher allein etwas Künstliches – in wieferne künstlich ist, was seinen Grund verbirgt. Was aber blos instinktartig** geschieht, verbirgt seinen Grund. Die wahre Philosophie hingegen ist nichts künstliches. Sie enthüllt den Grund und Boden, und ist menschlich, natürlich, göttlich.
Der Fichtesche Idealismus kontrastirt bloß deswegen so sehr mit dem gemeinen, sogenannten gesunden Menschenverstand, mit dem Er gleichwohl in der Hauptsache einerley Kunstgeschäf[/]te treibt, weil Er 1) das Allgemeine (gegen Kant) wieder als Wahrheit geltend machen, dabey aber doch dasselbe an die palpabelste Individualität, an die Ichheit, absolut anknüpfen will; 2) Weil Er etwas thut, was keinem Griechen je möglich gewesen ist zu thun, indem Er die Philosophie mit einem Faktum und zwar mit einem Faktum ohne ein Thätiges (mit seiner Thathandlung – dem Thun des Thuns -) mit einem Faktum ohne ein Seyn anfängt, mithin gerade die Wissenschaft des Grundes zum Grundlosesten macht. Der Grieche hingegen forderte selbst zur gleichgültigsten und willkührlichsten aller Handlungen zum wenigsten eine rationem probabilem, ευλος αναλογια. Ich ersuche Sie daher dringendst, meinen Grundriß mit keiner Art von bisherigem Idealismus, und am wenigsten mit dem Fichteschen zu parallelisiren . Ich bin und bleibe Realist im strengsten Sinne des Wortes, ungeachtet ich Fichtes Tendenz unter die genialischen Produkte meines Zeitalters zu zählen und in so ferne zu schätzen nicht aufhören werde. Doch ich bin es gewiß, daß Sie selber den im Menschen bis zum Bewußtseyn durchgebrochenen, mithin in Ihm manifestirten, aber keineswegs von Ihm producirten Rhythmus der ganzen Natur eben so wenig geneigt seyn werden, eine (von der Bedeutung des bloß Subjektiven – und also Willkürlichen nun nicht mehr zu befreyende) Idee zu nennen, als das Kepplersche Gesetz der Himmelskörper, nach welchem sich die Quadrate ihrer Umlaufszeiten, wie [/] die Cubi ihrer Entfernungen von dem Centralkörper verhalten, eine bloße Idee genannt werden kann.
Aus der Antwort.
So viel weiß ich nun, daß alles Parallelisiren zwischen Ihrer Philosophie und den bisherigen Philosophieen aus meiner Recension Ihres Grundrisses (für die Jenaische A. L. Z.) wegbleiben muß. Ich war lange mit mir selbst uneinig: ob ich jene Recension mit einem Rückblick auf den Skepticismus, Dogmatismus, Empirismus, Rationalismus Transcendentalismus, und zwar Letztern sowohl nach der Critik als nach der Wissenschaftslehre – oder aber, ob ich dieselbe mit einem Rückblick auf die bisherige Logik, und ihre bisher ganz unbemerkten Mängel und Fehler – anfangen sollte. Nun sehe ich ein, daß der Eine Weg Abweg seyn würde, – daß meine Bekannschaft mit dem Grundrisse, oder vielmehr mit dem darin aufgestellten rationalen Realismus, noch lange nicht reif genug ist, um aus seinem Standpunkt ihn und die bisherigen Philosophieen durcheinander – und zwar in der Kürze zu erörtern, die in einer Recension nothwendig ist. Auch sehe ich ein, daß die Ankündigung Ihrer Entdeckung von demselben Punkte ausgehen müsse, von dem diese Entdeckung selbst ausgieng, nämlich von dem Grundfehler der bisherigen Logik. Dieser ist einerseits (als vermeyntliche Wahrheit) das Bekannteste, und andererseits (als wahrer Irrthum) [/] das Unbekannteste – in unsrem dermaligen, sogenannten, Philosophiren. Er enthält alles, worüber die untereinander streitenden Partheyen übereinstimmen, oder vielmehr, nicht streiten, und ausser dem auch das, was keine derselben noch ahnet, und was eben der eigentliche Punkt alles Mißverständnisses ist. Was die Einen unter dem Namen des Transcendentalen, und die Andern theils unter dem Namen des Empirischen, theils des Rationalen, gegen einander zur Sprache gebracht haben, und für das Streitige unter Ihnen anerkennen, verschwindet von selbst, wenn sie auf das Logische – was sie für das unter Ihnen Ausgemachte angenommen haben, als etwas von Ihnen nur auf Einerley Weise Verkanntes – und in der Hauptsache bis itzt Unbekanntes, aufmerksam gemacht werden könnten. Frappirt müssen sie werden, wenn Sie von demjenigen Kampfplatze, auf welchem sie sich herumtummeln, und auf dem kein Friede und kein Heil zu erwarten ist – weggelocket, oder weggeschreckt werden sollen, da sie doch, so lange sie sich auf demselben befinden, nicht wegraisonnirt werden können. Und was könnte sie mehr frappiren, als die Behauptung, daß die Logik, „die seit dem Aristoteles keinen Schritt vorwärts, aber auch keinen zurück zu thun nöthig hatte“ – als Logik noch gar nicht vorhanden war, und daß dasjenige, was sie bisher reine Logik nannten, ein höchstunreines Gewebe der Phantasie aus Widersprüchen gewesen sey; und daß die ganze wahre und ächte Philosophie nicht mehr und nicht we[/]niger als eigentliche, reine, Logik sey und seyn könne.
Was mir das Verstehen Ihrer Philosophie am meisten erschwert hat, und noch immer zum Theil erschwert, ist der mir mit den Philosophen und Nichtphilosophen unsrer Zeit bisher gemeinschaftliche Begrif vom Denken unter dem Charakter der bloßen Reflexion und Abstraktion, und die durch den transcendentalen Idealismus, und sein wissendes Handeln und handelndes Wissen, erst recht in Gang gekommene Ansicht der Reflexion selbst als eines bloßen Zurücksehens , und der Abstraktion als eines bloßen Wegsehens. Da ist mir nun das angebliche Philosophische Selbstdenken, unter dem Charakter eines durch meine bloße Selbstthätigkeit bestimmten Zurück= und Wegsehens so geläufig geworden; ich habe mir dasselbe so sehr angewöhnt – daß ich durch das eigentliche Denken, das ich zwar aus [Ihrem] Grundrisse gelernt zu haben glaube, nur erst vermittelst eines allmählichen Abgewöhnens der alten Unform, und Angewöhnens der neuen Form – vor den Rückfällen in das eigentliche Nichtdenken bey meinen Spekulationen werde verwahrt werden können. Es ist mir die letzten Jahre her, seitdem ich mich zur Wissenschaftslehre bekannt habe, zur Fertigkeit geworden, das spekulative Denken als ein reines in sich zurückgehendes Thun anzusehen, und zu treiben; und, damit ich Ihnen, liebster Bardili, alles beichte, ich glaubte sogar schon den Ver[/]einigungspunkt zwischen dem transcendentalen Idealismus und dem rationalen Realismus gefunden zu haben, und Fichten darauf aufmerksam machen zu müssen, daß sein reines Ich oder absolutes in sich zurückgehendes Thun, und Ihr Denken als Denken oder A als A in A und durch A – im Wesenlichen nur Eines und Ebendasselbe wären!!! Allein bevor ich in dem unglücklichen Coalitionsversuche weiter fortschritt, hat mich mein guter Genius wieder in die Schule Ihres Grundrisses zurückgeführt, und ich habe mich neuerdings auf das reine Lernen in derselben alles Ernstes beschränkt, durch welches ich endlich meine verwöhnte Einbildungskraft unterzukriegen, und die alten transcendentalen Typen endlich durch die neuen rationalistischen aus meinem Kopfe zu verdrängen hoffe. –
Ich habe alle Ursache, bey meinem Spekuliren über Ihre Philosophie zu besorgen, daß ich, anstatt meine bisherige Pseudosophie durch jene zu berichtigen, nicht etwa jene durch diese mißdeute. Ich habe aus Angst vor dieser Klippe mein eignes Bearbeiten Ihrer Philosophie fürs erste wieder eingestellt, und meine Beschäftigung mit derselben aufs Lernen, lautere Empfangen, und Nachdenken im eigentlichsten Verstande eingeschränkt. – – – Auch Fichte wird izt über dem Grundriß seyn, den ich Ihm dringend ans Herz gelegt habe, den er aber, da Er mir zuletzt schrieb, noch nicht erhalten hatte. Welch ein Triumph für die gute Sache, wenn Fichte durch das Boll[/]werk seines und Ihres Buchstabens hindurch, bis zur Einheit des Geistes mit Ihnen durchdränge!
Aus einem Schreiben im darauffolgenden Monat.
In der letzten Woche gieng meine Recension des Grundrisses nach Jena ab. Gerne hätte ich länger gewartet, um etwas Besseres liefern zu können. Aber ich fürchtete, es möchten in anderen gelehrten Zeitungen das Buch verschreyende und das Publikum dagegen verstimmende Recensionen der Meinigen zuvorkommen. Es lag mir daran, einstweilen nur zu veranlassen, daß Ihr Buch so bald und von so vielen als möglich gekannt würde: und dieser Zweck soll durch meine Anzeige in jenem Blatte schwerlich verfehlt werden, die übrigens doch das Verdienst der Behutsamkeit haben dürfte, und in welcher ich alles Individuelle meiner Ansicht Ihrer Philosophie – am meisten aber meine Meynungen von der Idealität aller Philosophie überhaupt, und alles, was zwischen uns nicht völlig im Reinen ist, sorgfällig vermieden habe. – – Fichte, dem ich schon ein paarmal über Ihren Grundriß geschrieben, und dem ich die Aphorismen über die Hauptmomente Ihrer Philosophie aus Ihrem Ersten Briefe an mich mitgetheilt habe, hat bis 8. Febr. Ihren Grundriß noch nicht auftreiben können. Ich sehe seinem Urtheile über den Grundriß mit großer Sehnsucht entgegen.
* Die vollkommenste Amalgamation der Bedingung und des Grundes, Coalition des Buchstabens mit dem Geiste, Conkrescens der Phantasie mit dem methodischen Schein des Denkens ist die reine Ichlehre.
Anmerk, des Herausg.
** Welcher Instinkt dem Sich selbst setzen zum Grunde liegt, wird eine Beleuchtung der Autonomie im nächsten Hefte sichtbar machen.
Anmerk, des Herausg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 23. November 1800
  • Sender: Karl Leonhard Reinhold
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Kiel · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 372‒393.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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