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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Schiller

Berlin, d. 2. Xbr. 1800.
Ich danke Ihnen, mein verehrter Freund, für die Aussichten, die Sie mir, und der Litteratur eröfnen.
Ohne jezt einen bestimmten Plan vorlegen zu können, waren meine Gedanken für ein kritisches Institut folgende.
Die Wissenschaft muß schlechthin, scheint es mir, sobald als möglich eine Zeit lang unter eine strenge Aufsicht genommen werden, wenn die wenigen guten Saatkörner, die da gestreut worden, nicht in kurzem unter dem reichlich aufschießenden Unkraute zu Grunde gehen sollen. Auf dem Gebiete der ersten Wissenschaft, der Philosophie, die allen andern aus der Verwirrung helfen sollte, schwazt man den alten Sermon fort, als ob nie etwas gegen ihn erinnert worden wäre, und verdreht das neue, daß es sich selbst durchaus nicht mehr ähnlich ist. Zum Glük ist man dabei so feig, daß man erschrikt, und sich zusammen nimmt, sobald einer das Unwesen ernstlich rügt, es aber wieder forttreibt, sobald die Aufsicht einzuschlummern scheint. Ich halte es für sehr möglich, durch eine 2 bis 3. Jahr fortgesezte strenge Kritik die Schwätzer auf dem Gebiete der Philosophie zum Stillschweigen zu bringen, und den bessern Plaz zu machen. Da es nun möglich ist, so muß es geschehen.
Um einen festen Punkt zu haben, arbeite ich gegenwärtig an einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, die meiner Hofnung nach so klar seyn soll, daß man einem jeden von wissenschaftlichem Geiste anmuthen kann, sie zu verstehen. Was diese in der wissenschaftlichen Litteratur wirkt, werde ich fortdauernd beobachten, und referiren. Ich werde über das ganze Gebiet der Wissenschaft soweit mich verbreiten, als eignes Ver[/]mögen, und Mitarbeiter, die eine ähnliche Gesinnung uns allmählich zuführen wird, es erlauben, ohne eben auf Universalität Anspruch zu machen. Was nicht durchaus gründlich geschehen kann, muß lieber unterbleiben.
Ich denke mit einem Berichte über den gegenwärtigen Zustand der deutschen Litteratur anzufangen, in [welchem] ich die faulen Fleke derselben, – die Fabrikenmäßige Betreibung der Schriftstellerei durch Buchhändler, und Autoren, die Lächerlichkeit der Recensir Institute, die elenden Beweggründe zur Schriftstellerei, u. s. w. unverholen aufdeken, und Vorschläge zur Verbesserung thun werde. In diesem Berichte werde ich die kritischen Maasregeln unsers Instituts in wissenschaftlicher Rüksicht angeben. Ich werde es im Manuscripte Ihrer, u. Göthe’s Beurtheilung vorlegen.
Ich maasse mir kein Urtheil an, was in der Kunst, in der wir denn doch durch Göthe’s und Ihr Muster, und durch einige recht gute Philosopheme der neuern Philosophie wissen worauf es ankommt – von Seiten der Kritik geschehen könne.
Ihnen beiden kommt es zu, zu entscheiden, welches die nothwendigsten Lehren für die Kunstjünger unsrer Zeit sind, und wie diese an den Erscheinungen der Zeit anschaulich gemacht werden müssen. Göthe hat ja in seinen Propyläen, und andern seiner neusten Schriften auch hierin Muster aufgestellt. Universalität, glaube ich, müste man auch hier nicht beabsichtigen, sondern nur immer das jezt eben nöthigste sagen.
Schelling besteht darauf, daß eine wissenschaftliche Zeitschrift von uns beiden künftige Ostern ihren Anfang nehmen solle, und hat sich, da [/] ich bis dahin nichts liefern kann, erboten, den ersten Theil selbst zu besorgen. Da ich allerdings der Meinung auch bin, daß gleich nach Erscheinung einer ElementarPhilosophie, die auf allgemeine Verständlichkeit Anspruch macht, die Aufsicht anheben, und man die ersten Aeußerungen beobachten müße, so werde ich unmittelbar nachher dazu treten. Ist es Ihnen, und Göthe nicht möglich, so bald beizutreten, so lassen Sie uns wenigstens auf spätere Vereinigung hoffen. Man läßt dann das erstere nur wissenschaftliche Institut eingehen, macht einen andern Titel, u. s. w.
Daß Cotta den Vorschlag nicht begierig annehmen solle, daran habe ich keinen Zweifel. Möchten Sie nicht die Güte haben, mir Vorschläge zu thun, welche Bedingungen ich für Sie, und Göthe fodern soll: wenn Sie nicht zu seiner Zeit lieber unmittelbar mit ihm unterhandeln wollen.
Ich lege, eben sowohl in Cotta’s als in meinem Namen zwei Exemplare meiner neusten Schrift für Sie, und Göthe bei. Diese Schrift macht durchaus keine Ansprüche, und entstand auf die gelegentliche Veranlassung alberner Gespräche, die ich rund um mich herum über den abgehandelten Gegenstand hören muste.
Ich bitte um Verzeihung, daß ich auch die Bestimmung d. M. die gar keine Novität mehr ist, beilege.
Leben Sie recht wohl mit den Ihrigen, geniessen Sie der besten Gesundheit und behalten Sie mich lieb.
Ganz der Ihrige
Fichte
Herrn Hofrath Schiller
zu
Weimar
d. Einschl.
Nebst 2. Exemplaren Handelsstaat pp. u. 2. Ex. Bestimmung des M. auf Velin.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 2. Dezember 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Schiller ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 398‒401.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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