Dem Herrn Studiosus der Theologie Friedr. Johannsen zu Kiel.
Berlin den 31. Januar 1801.
[...] Es giebt durchaus nichts, das leichter zu verstehen wäre, als der transcendentale Idealismus; und nur das Zweifeln, ob man ihn auch wohl recht verstehen möge, das Suchen eines sonderbaren und geheimnißvollen hinter ihm, und besonders ungebetene Erklärer machen ihn schwer[.] Man erwirbt sein Verständniß nicht durch Nachdenken und Grübeln; sondern man erhält es in Einem Momente durch einen Blick in sich selbst, den man von nun an fest halten muß. Er besteht in der Selbstbesinnung, daß man eben rede, denke, sehe, höre, wenn man redet, denkt, sieht, hört; und diese sollte doch wohl nicht so schwer an die Menschen zu bringen seyn. Philosophisches Geschick besteht in dieser habituell gewordenen Selbstbesinnung.
Daß dieses System fast durchaus mißverstanden wird, kömmt daher, daß man nicht über sich gewinnen kann, es so einfach zu lassen und zu fassen, wie es ist. [...]
Daß man durch intellectuelle Anschauung (eben jenes sich auf sich selbst besinnen!) keine Sätze in sich findet; daß der Satz erst die in Begriff und Wort gebrachte Aussage des Selbstbeschauens ist, versteht sich eigentlich von selbst. Nur Erklärer, welche überall mit nichts anderem zu recht kommen können, als mit auch würklich (in der Druckerey) gesetzten Sätzen, können dies anders nehmen. [...]
Des allergefährlichsten Anhängers meines Systems, der, außer seiner dürren Formalistik, auch noch seine unendliche Langweiligkeit darüber auszuschüttten begann, bin ich ja durch einen – bekannten sehr glücklichen Vorfall entledigt.
Meine gedruckte Wißenschaftslehre trägt zu viele Spuren des Zeitraums, in dem sie geschrieben, und der Manier zu philosophiren, der sie der Zeit nach folgte. Sie wird dadurch undeutlicher, als eine Darstellung des transcendentalen Idealismus zu seyn bedarf. Weit mehr sind zu empfehlen die ersten Hauptstücke meines Naturrechts und meiner Sittenlehre (besonders die letztere), meine Aufsätze im philosophischen Journal, sowie die Schellingischen, und überhaupt alle Schriften Schellings, – ferner die Bestimmung des Menschen. (Ich bin der Meinung, daß, wer das zweite Buch derselben nicht ganz leicht faßt, übrigens ein verständiger und talentvoller Mensch seyn mag, aber von der Transcendental=Philosophie laße er nur hinführo die Hand.) Ueberdies werde ich nächstens meine seit vier Jahren im Manuscript liegende neue Darstellung der Wißenschaftslehre, nach der ich in Jena zu lesen pflegte, erscheinen laßen.
[. . .]
Fichte
Berlin den 31. Januar 1801.
[...] Es giebt durchaus nichts, das leichter zu verstehen wäre, als der transcendentale Idealismus; und nur das Zweifeln, ob man ihn auch wohl recht verstehen möge, das Suchen eines sonderbaren und geheimnißvollen hinter ihm, und besonders ungebetene Erklärer machen ihn schwer[.] Man erwirbt sein Verständniß nicht durch Nachdenken und Grübeln; sondern man erhält es in Einem Momente durch einen Blick in sich selbst, den man von nun an fest halten muß. Er besteht in der Selbstbesinnung, daß man eben rede, denke, sehe, höre, wenn man redet, denkt, sieht, hört; und diese sollte doch wohl nicht so schwer an die Menschen zu bringen seyn. Philosophisches Geschick besteht in dieser habituell gewordenen Selbstbesinnung.
Daß dieses System fast durchaus mißverstanden wird, kömmt daher, daß man nicht über sich gewinnen kann, es so einfach zu lassen und zu fassen, wie es ist. [...]
Daß man durch intellectuelle Anschauung (eben jenes sich auf sich selbst besinnen!) keine Sätze in sich findet; daß der Satz erst die in Begriff und Wort gebrachte Aussage des Selbstbeschauens ist, versteht sich eigentlich von selbst. Nur Erklärer, welche überall mit nichts anderem zu recht kommen können, als mit auch würklich (in der Druckerey) gesetzten Sätzen, können dies anders nehmen. [...]
Des allergefährlichsten Anhängers meines Systems, der, außer seiner dürren Formalistik, auch noch seine unendliche Langweiligkeit darüber auszuschüttten begann, bin ich ja durch einen – bekannten sehr glücklichen Vorfall entledigt.
Meine gedruckte Wißenschaftslehre trägt zu viele Spuren des Zeitraums, in dem sie geschrieben, und der Manier zu philosophiren, der sie der Zeit nach folgte. Sie wird dadurch undeutlicher, als eine Darstellung des transcendentalen Idealismus zu seyn bedarf. Weit mehr sind zu empfehlen die ersten Hauptstücke meines Naturrechts und meiner Sittenlehre (besonders die letztere), meine Aufsätze im philosophischen Journal, sowie die Schellingischen, und überhaupt alle Schriften Schellings, – ferner die Bestimmung des Menschen. (Ich bin der Meinung, daß, wer das zweite Buch derselben nicht ganz leicht faßt, übrigens ein verständiger und talentvoller Mensch seyn mag, aber von der Transcendental=Philosophie laße er nur hinführo die Hand.) Ueberdies werde ich nächstens meine seit vier Jahren im Manuscript liegende neue Darstellung der Wißenschaftslehre, nach der ich in Jena zu lesen pflegte, erscheinen laßen.
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Fichte