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Johann Gottlieb Fichte an Gottlieb Ernst August Mehmel

Ich ersehe aus N. 37. Ihrer LitteraturZeitung von diesem Jahre, daß Hrr. D. Heynig in einer seiner Schriften sich beklagt, auf ein Schreiben, worin er mich um warnende und leitende Winke in Beziehung auf eine gegen Kant zu verfertigende polemische Schrift gebeten, keine Antwort von mir erhalten zu haben.
Es thut mir leid von dieser Beschwerde gegen mich, welche vielleicht auch mit zu dem Gemüthszustande beigetragen, in welchem jener Recension zufolge Hrr. H. sich gegenwärtig befindet, erst jezt Nachricht zu erhalten, indem ich ausserdem mich früher gegen Hrrn. H. gerechtfertigt haben würde. Möchten Sie doch Gelegenheit finden, Hrrn. H. dessen Aufenthalt ich nicht weiß, durch das IntelligenzBlatt Ihrer L. Z. zu wissen zu thun, daß ich ein Schreiben, wie das gemeldete, nicht beantworten können, indem ich keins dergleichen erhalten. Zwar erhielt ich im Jahre 1797. von ihm, mit einem in vieler Rüksicht ihm Ehre machenden Briefe, eine Handschrift zur Durchsicht, die ich ihm mit Anführung der Gründe, warum ich zur Publication derselben nicht rathe, sogleich zurüksendete. Auch empfing ich im Sommer 98. einen Brief von ihm, der da an[/]-hob: „Warum antworten Sie mir nicht, Herr Professor? Sind Sie böse auf mich, weil ich wider Kant schreibe? Aber wie kann ich anders? Soll ich die Wahrheit verläugnen? u.s.w.“ – aus welchem Briefe ich zulezt doch soviel ersahe, daß er durch einen reisenden Landsmann ein Paket an mich abgeschikt habe. Ich antwortete ihm sogleich durch die Post unter seiner ehemaligen Addresse nach Göttingen, daß ich weder seinen reisenden Landsmann, noch sein Paket gesehen habe, und weit entfernt sey, irgend einem Menschen darüber böse zu werden, daß er gegen Kant, oder auch gegen mich schriebe. Er mag auch diesen meinen Brief nicht erhalten haben, weil er indessen seinen Aufenthalt verändert.
Uebrigens ist es auf keinen Fall die Schuld meiner Menschenunfreundlichkeit, wenn Hrrn H. „die Skrupel, und Probleme bald zu Tode ängstigen, und quälen.“ Er hat nicht nur meine Vorlesungen gehört, sondern ich habe ihm auch privatim zu wiederholten malen bedeutet, wo es ihm eigentlich fehle; daß er nemlich aus der Sphäre des blos objektiven und historischen Räsonnements sich nicht in den transscendentalen und wissenschaftlichen Gesichtspunkt erheben wolle; worauf er [/] mir immer geantwortet: er wisse dies alles sehr gut, auch zum Beweise davon mir wirklich eine Reihe transscendentaler Sätze hergesagt; aber, sezte er hinzu: das ist eben nichts, und das will ich eben nicht wissen. – Ich beklage ihn aufrichtig, daß er bei dieser Stimmung von der Spekulation schlechthin nicht abstehen, und sich nicht auf die Historie beschränken will. Man wird mir aber ohne Zweifel zugeben, daß es gegen seine Weigerung, sich in den transscendentalen Gesichtspunkt zuversetzen, wenn er auf derselben ernstlich besteht, kein Zwangsmittel giebt. Wenn Hrr. H. durchaus an Orakel glauben will, so kann es ihm niemand verwehren.
Briefkopfdaten
  • Datum: Ende Februar oder März 1801
  • Absender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Empfänger: Gottlieb Ernst August Mehmel ·
  • Absendeort: Berlin · ·
  • Empfangsort: Erlangen · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 5: Briefe 1801–1806. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Erich Fuchs, Kurt Hiller, Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1982, S. 19‒21.
Handschrift
  • Datengeber: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Signatur: B 341
Sprache
  • Deutsch

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