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Theodor Schwarz to Johann Gottlieb Fichte

Wie<k> d 8ten August. 801.
Verehrungswürdiger Freund!
Sie möchten glauben ich schlafe, ja was das Schlimmste wäre, ich schlafe ohne Hoffnung zu erwachen. Sie haben mich vieleicht schon begraben unter die geistig Todten, und ich muß gestehn, daß ich zu dieser falschen Bestattung nicht wenig Anlaß gegeben.
Schon lange lag es mir am Herzen Ihnen zu schreiben. Ich wollte grade heraus sagen, was seither mit mir vorgegangen sei, und da lag Alles so zerrißen, da wuste ich immer nicht, wo ich anfangen, wo ich aufhören sollte. Glauben Sie nicht, es stehe nun beßer um mich. Lediglich damit doch Einmal etwas gesagt werde, will ich es sagen; es mag auch heraus kommen wie es wolle. Fragmente werden es sein, doch wie ich hoffe nicht fragmentarischer Sinn – . Man muß sich organisiren, bevor man systematisiren kann, und diese zweite Organisation ist es, welche mir nun im Werden erscheint. Was ich mit dieser Organisation meine, das sollte billig erst bestimmt werden, wenn ich davon sprechen will, und doch ist es eine Frage, ob ich es vermag, ob ich mittheilen kann, was mir bis dahin als tiefste Wahrheit vorgeschwebt hat. [/]
Erlauben Sie einen Umweg, vieleicht wird er in der Folge ein Richtweg, und erspart manche Erläuterung. Sie gaben mir Mahl in Jena einen Rath, da ich noch bei Ihnen die Wißenschaftslehre hörte. Er war mir merkwürdig, und ich habe ihn aufbewahrt. ,,Legen Sie das Buch bei Seite (sagten Sie) und versuchen durch eignes Nachdenken die Sinthesis fortzubilden“. Manche Umstände verhinderten bis dahin die Ausführung deßelben, doch nun glaube ich, wenn gleich von einer ganz entgegen gesezten Seite, diesen Rath befolgen zu können.
Ihr System ist entstanden auf dem Gesichtspunkt der Spekulation durch transcendentale Anschauung. Der reine Geist hat sich erhoben über die Sinnenwelt, und hat die Bedingungen der Sinnenwelt bestimmt. Nun meine ich aber gibt es auch eine sinnliche Anschauung, welche der transcendentalen entspreche, welche gleichsam mit dieser gleichen Schritt halte. Durch Jene nur geht meine Bildung hinauf; durch Jene wird mir alle Philosophie nur verständlich. Das Transcendentale ist mir ein Zweites, was auf jenem Ersten gebaut werden muß, wenn ich es begreifen soll. Auch sezt es würklich Jenes Voraus, es sezt es voraus im reinen Akt des Selbstbewustseins. Verstehn Sie mich recht, ich will vorgreifen, um bestimmter zu werden. Diese Sinnliche Anschauung [/] von der ich rede, ist keine andere als die Ästhätische, oder die religiöse Anschauung. Ihr Produkt ist das Göttliche.
Was Sie am Ende Ihrer SittenLehre so treffend sagen, das ist auch meine innigste Überzeugung. Auf der gemeinen Ansicht ist Grenze, was auf der Ästhätischen als Freiheit erscheint. Man kann den Baum betrachten als hemmende Maße, man kann ihn auch betrachten als erfüllende Kraft. Im Ersten Fall ist er todte Negation, im Zweiten göttliches Leben.
Warum ist bis dahin Religion u Kunst immer getrennt worden,? Eben weil der Ursprung beider nie aufgewiesen wurde, und sie doch nur im Ursprunge Eins sind. Schelling schließt die Synthese seiner Transcendental Philosophie mit der Kunstproduktion. Doch damit ist es wahrlich nicht am Ende. Die Kunst löst sich wi[e]der auf in ein Höheres, in der individuellen Religion; in der Religion des Gegensatzes und der Wechselwürkung, Wohl zu merken, nicht in der Allgemeinen.
Damit ist eben Alles versehn, daraus entsteht alle Schwärmerei, alle erschlaffende Hingebung, daraus, daß immer nur, wenn von Religion die Rede war, die allgemeine verstanden wurde. Selbst einige der neuesten Reformatoren, welche von Anschauung des Universums sprechen, doch diese nicht weiter Charakterisiren, scheinen irre zu sein, und verstehn [/] wie ich glaube sich selbst nicht. Was auch von Indvidualität gesagt ist, so hat noch keiner von Ihnen gezeigt, wie denn Individualität mit dem Unendlichen zusammen hänge, und doch kann nur Individualität durch den Gegensatz des Unendlichen, und bis ins Unendliche vollkommen bestimmt werden.
Schleiermacher gesteht offenherzig in seinen Reden, daß er bis dahin noch nicht die Verbindung der Religion mit Moralität gefunden habe. Ich glaube es wohl, in der Allgemeinen, in der, welche gleichsam nach allen Richtung[en] zerfließt, ist sie auch wahrlich nicht zu finden; wohl aber in Jener, welche auf dem strengsten Gegensatz <ruht>, welche das Individuum durch Gegensatz bis in den Mittelpunkt bestimmt.
Laßen Sie uns vorläufig die Grichische Mythologie mit dem Christenthum vergleichen. Es mag den Weg zur näheren Erleuterung bahnen. Das Centrum der Christlichen Religion ist der μονος ϑεος. Auch die Gottheit des Sohnes löst sich in der des Vaters. Die drei Personen, als schwebende Ideen, sind Eins, und finden in dem Einen nur ihre Bedeutung. Dieser Eine verbiethet die Anbetung mehrerer Götter. Er herrscht unumschränkt, und duldet Keinen zu seiner Seite. Wie erscheint hingegen der griechische Mythos ? πᾶν ϑεος ist sein herrschender Geist. Alle Elemente sind mit Göttern gefüllt, alle Organisation ahtmet göttliches [/] Leben, und aus jedem Naturprodukt spricht ein Gott: Daher die hohe Blüthe der Kunst, daher jene herrlichen Gestalten, welche bis dahin unerreichbar geblieben – –. Aber nun auf der andren Seite; Was ist Ζευς gegen den Jehofah ? Was ist er, gegen den allmächtigen Unsichtbaren – gegen den Gott der Liebe, der alles trägt und hält, der die Haare auf unserm Haupte gezehlt hat?
So steht Kraft und Schwäche immer gegen einander. Der Grieche erhebt sich nie über Gestalt, der Christ kommt nie auf Gestalt zurük. Das Konsequente Christenthum führt zur Schwärmerei, die Konsequente Griechheit bleibt zurük in der Kunstreligion – Beides, ich behaupte es kühn, beides ist Barbarei und Götzendienst. Nur indem μονο[ς] ϑεος; und πᾶν ϑεος Eins wird, indem beide Extreme vollkommen sich durchdringen, wird ein Drittes hervor gehn, welches das Höchste ist.
„Du sollst keine Götter haben neben mir“, ist wahr, ist aber auch falsch –. Die Götzen sind Diener des Unendlichen, und nur durch Götzendinst erheben wir uns zum Einigen Gott. Dem höheren Menschen ist Götze, was noch dem Niederen ein Gott ist, und so geht es hinauf – wie weit, wer mag es bestimmen? [/]
Man pflegt wohl die Griechischen Götter [zu] erklären als personificirte Würkungen. Weil (heist es) weil der ungebildete Mensch das wachsen und gedeihen des Baumes bemerkte, so sezte er auch eine Würkende Ursache voraus. Diese Kausalität betrachtete er nach der Analogie seiner WillensCausalität, Anthropomorphisch, und so entstand ihm ein Gott in menschlicher Gestalt.
Das nenne ich aber in blauen Dunst hinein erklären. Wer nur eine Ahnung vom griechischen Mythos hat, wird sich dergleichen nicht beikommen laßen. Das Bild eines Menschen könnte zur Noth auf diese Weise entstehn, aber nie eines Gottes. Meine Meinung ist diese. Der sinnlich veredelte Mensch siht nach dem Grade dieser Veredlung die ganze Natur. Nach Maß die eigne Organisation sich verklärt, verklärt sich auch alle Organisation um ihn her. Das heilige Leben erscheint ihm im Baum in der Pflanze, und indem er überschwebend faßt, was bewustlos lebt, wird es ihm unmittelbar zum Göttlichen. Dieß Göttliche drängt sich zur Gestalt, und zwar zur Menschlichen, als der edelsten der nächsten dem Unendlichen. Der Geist gißt sich unmittelbar in den Körper, und stellt sich versinnlicht vor den Begeisterten hin. [/] Wollte man nun noch fragen, woher denn dieser Körper? So würde ich antworten; Eben woher der Geist ist. Körper und Geist steht in voller Wechselwürkung, beides löst sich nur in ein Drittes, Beides ist durch dieß Dritte nur bestimmt. So entstanden die Dryaden so die Oceaniden, so die Götter des Äthers. Alle diese Götter tragen den Charakter jener Urelemente und deßhalb auch ist Ζευς, der Herscher des Äthers, der Höchste. Das ist nicht Fabel, nicht leeres poetisches Bild, das ist die tiefste Wahrheit; nur kommt es darauf an, die eine und einige Kraft in Allem zu sehn – –. Dieß ist es, was den Griechen fehlte, und dieß ist es, wohin jene zweite Organisation führt, von der ich im Anfange sprach.
So wie im praktischen, so auch im religiösen. So wie der praktische Mensch Pflichten von Andern verlangt, die er noch in sich selbst nicht erkennet, so siht auch der religiöse Mensch noch früher den Gott in der umgebenden Natur, als er ihn in sich selbst gefunden. Das παν geht dem μονος voraus, und ohne das παν, ist das μονος immer und ewig Schwärmerei. Wo ist nun der Mittelpunkt in dem Alles zusammen läuft? Ich denke in der Individualität. Der Mensch muß werden, wenn es recht ist, wie der Baum, wie die [/] Pflanze, wie das ungebändigte Thier. Das Leben der Wegetation, muß klarer hinauf wallen, muß ungehemmt ihn erfüllen. Man könnte drei Epochen in der Entwiklung annehmen. 1) Nothwendigkeit, 2) Freiheit, 3) freie Nothwendigkeit als die Sinthesis beider; oder mit anderen Worten; bewustlose Natur, Wille, Religion. Der Mensch reißt sich loß von der Naturkette, und <stellt> sich hin als überschwebend. Da ist Willensfreiheit, aber noch nicht die höhere Freiheit, da ist Alles noch Sprung, da gibt es Tugenden aber noch keine Tugend. Nur in der lezten Epoche, wo der Willensakt sich wi[e]der verwandelt in ein Schauen; wo der Mensch gleichsam mit eben der Nothwendigkeit sich aufrollt, als die Blume ihre Blüthen, da ist die echte Moralitet, da ist die echte Religion.
Die Schwärmer sind von je her von den vernünftigen Männern bitter verfolgt worden, und die Schwärmer haben sich auch von je her mit unbesigbarem Stolz über Jene erhoben. Woher dieser Stolz? Eben weil sie im Unendlichen lebten – Aber sie kamen nicht zurük aufs Individuum; und daher hatte der echte Schwärmer auch eigentlich keine Moralität. Ihre Anbetung war (um mich eines Gleichnißes zu bedienen) wie der Lauf einer Kugel, die im Rechten Winkel aus der Kanone geworfen, nach unermeßlicher Höhe in eben die Mündung wieder zurük sinkt. [/]
Kömmt nun der beschränkende Verstand, und sagt zu einem Solchen. „Halte fein die Mittelstraße; Diene deinem Gott, aber versäume auch nicht das Praktische Leben“, so wird jener ihn auslachen, und das mit Recht. Mit der Limitation ist es Nichts.
Dieser Sinn verlangt ein ganz anderes Gleichgewicht. Man könnte sich die Schwärmerreligion als einen Strom denken, der aus dem Mittelpunkt bis ins Unendliche sich ausgießt. Ein verlieren in Gott, ein erheben über Natur und Individualität; das ist dieser Geist. Nun will die individuelle Religion diesen Strom nicht hemmen, sie sezt nur einen andern hinzu, der in eben dem Maße zurük strömt, als, jener hinaus treibt; oder mit andern Worten; sie repräsentirt eine doppelte Bewegung ins Unendliche aus dem Unendlichen. Dieß würde in der Transcendental Philosophie die lezte Anschauung sein, welche mit der Ersten; „Ich bin Ich“ zusammen fällt, und den Kreis der Sinthesis schließt. Jene Erste ist nur für den Philosophen, und rein Formell, sie ist das in der Philosophie, was der Mathematische Punkt in der Geometrie ist. Jene Zweite ist für den ganzen Menschen, formell und materiell in einem Guß, ist die Anschauung des Universums im Individuo. [/]
Daß ich Alles zusammen faße. Nehmen Sie ein menschliches Individuum, frei von den Gebrechen der Erbsünde; gebohren in schöner Zeit. Setzen Sie, daß dieses Individuum durch die beste Temperatur der Luft, durch die gesündeste Nahrung, durch die angemeßenste Bewegung zur vollen freien Entwiklung individueller Organisation gelangt wäre. So, von allen allen Seiten ungehemmt, wird ein schöner Körper entstehn. Nun gehe der Geist in eben der Entwiklung harmonisch mit fort. Die Kindheit verkläre sich im Jüngling, der Jüngling im Man; Der Held erhebe sich mit kindlichem Sinne. Das tiefste Leben eigner Wegetation komme in steter Steigerung, ohne Sprung, hinauf in den Geist. Der Mensch stelle als Duplicität dar, was die übrige Natur als Unität oder bewustloß darstellt. Der Mensch schaue sich an als Natur, die Thierheit werde Bewustsein – – dann schaut er den wahren Gott, und schaut ihn nicht allein, er ist von ihm durchdrungen.
Der Schwärmer sagt „Dein“. Die höchste Religion sagt „Mein, Dein“. Oder wie Göthe es nennt. „Umfangend umfangen“. Hier, und nur hier, ist die Unsterblichkeit; den dieses Bewustsein mit Fülle durchdrungen, der weiß er kann nicht vergehn. [/]
Das Bewustsein muß bleiben, wo die Gottheit im Menschen gesprochen; Jenes könnte verlöschen, wo der Mensch zur Gottheit gesprochen.
Ich bin fest überzeugt, daß man an einen Gott glauben könne, und glaubt noch an keine Unsterblichkeit. (d. h. an Kontinuität des Bewustseins). Dieser Glaube geht nur aus der Heiligkeit des Individuums hervor. Das Mein ist es, was ihn mir gibt, und so lange ich dieses Mein nicht sagen kann, bleibt es Hoffnung nicht Gewißheit.
Die beiden Pole der Transcendentalen Sinthesis würden demnach seyn. 1) Der Akt des Selbstbewustseins, „Ich bin Ich; gleichsam der eine, im Spiegel verdoppelte, Mathematische Punkt. 2) Die Duplicität des Individuums, Schauendes Leben, Lebendes Schauen: Wechselwürkung des Real-Idealen, Bestimmtheit im Unendlichen.
Aus dieser Ansicht würde nun unmittelbar das Praktische flißen. Das moralische Handlen wäre nichts, als die fixirte Religion oder der unendliche Moment. Daher spricht das Gewißen auch immer nur für den Augenblik, nur für den bestimmtesten Fall. Erst hier ist es, wo wir das Gewißen verstehn, wir gehorchen nicht blind, denn wir leben in Gott. [/]
Auf diesem Standpunkt würde ferner die Einheit des Praktischen hervor gehn; würde nur eine Tugend erscheinen, und diese Eine würde sein: Konsequenz im Individuo. Nicht wie Schleiermacher meint, würde Religion das Leben des Berufs mit hohen Harmonieen nur begleiten; nein, in jeder Bewegung der Hand, in jedem Ton der Rede, würde versinnlicht sie abgebildet sein, und wie ein weißes Sonnenlicht prismatisch gebrochen, für Moment und Verhältniß in unendlichen Farben sich modificiren. Das ist eben die Krankheit, daß immer Idealität von Realität getrennt worden, daß der Körper im Staube ligt, wenn der Geist in den Wolken schwebt. Jene Schwärmerparthei, welche glaubte, man könne sich der schlaffsten Wollust ergeben, denn der Geist habe nichts mit dem Körper gemein, und bleibe unschuldig – diese Schwärmerparthei representirt die Tendenz der gegenwärtigen Zeit. Wenn wird es dahin kommen, daß man von der Einheit beider durchdrungen ist, daß Genuß nicht mehr gemein wird, daß Grundsatz nicht mehr dem Sinne widerstrebt.
Fridrich Schlegel hat in seiner Lucinde versucht, die Bahn zu brechen, aber freilich nur mit matten Schwingen – und warum matt? Weil ihm die heilige Kannibalin fehlt, welche Göthen ewig durchdringt. [/]
Schon viele haben sich an dieser Klippe die Köpfe zerstoßen, und auch er ist nicht ohne Beulen zurük gekehrt. Nicht daß ich ihm rauben wollte das Verdienst um die Zeit. Lucinde bleibt immer, wenn gleich nur geistig, ein jeniales Produkt, doch es wird teuflisch aus Schwäche, weil es nicht göttlich werden konnte.
Ich denke in der Kunst gibt es ein Schweigen, wie im Leben, bedeutender oft als alle Sprache. Dieses Schweigen scheint F. Schlegel gar nicht zu ahnden; und doch ist es nothwendig, bis die Sprache frei aus der Fülle des Göttlichen hinaus gehn darf.
Die Schüler des Pytagoras musten lange schweigen und hören; sie gewannen durch die Gegenwart des Lehrers –. Oder ein Beispiel aus der Kunst. Wie erfreut uns Natalie im Wilhelm Meister? Nicht so sehr durch das, was sie sagt, als viel mehr durch das, was sie nicht sagt. Ihre stille Gegenwart genügt, und sie steht da, wie ein Wesen aus dem Äther geschnitten. Ich weiß wohl, das ist nicht genug, und Göthe hat bei aller Vollendung doch die höchste Vollendung noch nicht; und dennoch, er ist der Heros der Zeit, er hat die durchdringenden Kräfte wieder in schöne Gestalten gebracht; er hat den Homerischen Sinn von neuen belebt, er hat die Zeit gezogen aus dunkler Barbarei, und hat zerfließende Sentimentalität verwandelt in helle donnernde Kraft. [/]
Das ist unsterbliches Verdienst, und wenn alle neuere Poesie auch zu Grunde geht, Göthe wird bleiben – –.
Aber dieser Mächtige erkennt auch seine Grenze, und eben das macht ihn so mächtig. Ich möchte sagen, er überschreite nie die Höhe seines geistigen Organismus. Nicht unmäßig bewegt er die Glieder deßeiben, die Gelenke bleiben schön gerundet, er wirft behende, und spielend fliegen ungeheure Lasten aus seiner Hand. Fr. Shlgel hingegen verrenkt sich in jedem Ansatz die Glieder, überspringt sich in jedem Augenblik, und ziht mit aller Theorie der schönen Grichheit kramfig die Sehnen zusammen. Seine Lucinde ist groß in der Idee, doch klein in der sinnlichen Darstellung, daher auch fällt er oft ins Gemeine, und der unbefangne Sinn wird empörend zurük gestoßen. Die volle Stärke ist heilig, und keinen wird ein Ekel überfallen, wo diese spricht. S. faßt die Stärke im Geist, nicht im Sinn – daher die ewigen Dißonanzen, daher die schneidenden Einseitigkeiten, welche als Gegengift gut sein mögen, doch nie nach dem innern Gehalt sich behaupten können. Die Schlegels haben Recht, wenn sie ein Höheres angeben, als das Sentimentale, aber sie haben Unrecht, wenn sie alles Sentimentale verdammen. Was ist denn Sentimentalität? ist es etwas Anderes, als Übergang zur gehaltenen Gestalt – und hat es nicht als Übergang seinen Werth? [/]
Es ist wahr die reine Kunstanschauung giebt nichts sentimental, eben weil der Künstler frei überschwebend ist: Aber dieser Anschauung geht eine andere voraus, wo der Ton dominirt, auf der die zweite sich stützt. Sentimentalität ohne Mittelpunkt und Tendenz das muß herunter, das ist unverzeihliche Schwäche. Doch es gibt eine Andere, die beides besizt, und die, wenn sie zur Gestalt sich runden könnte, vieleicht die ersten Kunsterscheinungen hervor bringen würde. So ist Klopstok, so Jakobi, so ist Oßian der Herrliche – Die neuste Weißheit will freilich den Sohn Fingals, den König der Männer zum schwachen Süßling machen – und warum? Weil er mehr gefochten hat a[l]s gedichtet, weil er unkundig der modernen Ästhätik, das Geschlecht der kleinen Leute verachtet, und trauernd zu den großen Schatten der Väter sich wendet. Möchten doch Alle bedenken, die jenen Mächtigen tadeln, möchten sie bedenken, daß es noch Etwas über die Kunst gibt, und daß Oßian, wenn er von den Todten erstünde, sie mit diesem Etwas spielend erdrükken könnte –.
Der Schmerz führt zur Freude, ja er faßt den Keim der Freude schon in sich; Wenn gleich nur in Freude das Höchste erscheint, so ist doch heilig auch der frühere Moment. [/]
Nur die Uranionen wohnen in ewiger Klarheit, doch das Menschengeschlecht, es kämpft mit dem Schiksal, und Freude wechselt mit Leid. – – – Achill schämt sich nicht der Thrähnen um den Freund, aber es sind fruchtbare Thrähnen, er ruht nicht, bis der Gegner im Staube ligt. So trauerte auch Oßian, tiefe Religion hält ihn zusammen, bestimmt ihn in jedem Moment. Seine Dichtung ist freilich nur eine Welle, aber seine Kraft ist Stahl, und wer sich badet in dieser Welle, wird gestählt heraus gehn.
Ich nehme den verlohrnen Faden wieder auf. So wie es eine allgemeine und eine individuelle Religion gibt, so gibt es auch eine allgemeine, und eine individuelle Sprache. Die allgemeine Sprache läst sich nicht sprechen, weil die Gottheit nicht als Gottheit spricht. Die individuelle Sprache wäre in ihrer Vollendung der sinnliche Ausdruk des vergötterten Menschen, oder des vermenschlichten Gottes – sie wäre Offenbarung, und jener Mensch, wäre der wahre Meßias. Auch Offenbarung für ihn ? könnte man fragen. Auch für ihn, denn wäre sie es nicht für ihn so könnte sie es auch für keinen Anderen sein. Diese Sprache entstünde nicht künstlerisch überschwebend, sie entstünde religiös, und liefe aller Kunst voraus. [/]
In unmittelbarer Wechselwirkung mit Natur (erlauben [Sie] dieses Wort, ich weiß kein anderes) und im unmittelbaren Gegensaz mit dieser, im weitesten Sinn, würde sie sich organisiren. Im vollsten Gegensaz, oder im Gegensaz der Totalität würde sie selbst ein Totum werden, und als ein gerundetes Ganze, aller redenden Kunst die Norm bestimmen. Ist sie organisirt, und wird sie organisch gesehn, so hört sie auf Offenbarung zu sein, und wird Poesie. Aller Anschauung geht ein Gefühl voraus, ein geistiger Instinkt; dieser Instinkt stellt sich dar in Sprache, und erst, wenn wir schauend das Wort umfangen, erkennen wir die Tiefe des Wortes.
Diese blinde Sprache besaßen die Schwärmer, wenn gleich unrein und nur nach einer Richtung, verklingend im Universo. Daher, wenn man echte Schwärmerei künstlerisch faßen, wenn man überschwebend sie halten könnte, findet man in ihr die ausströhmende Kraft der tiefsten Weisheit.
In welchem Verhältniß steht denn die allgemeine Sprache zur individuellen? In eben dem Verhältniß, als der Unendliche Raum zur unendlichen Linie steht. Der Unendliche Raum ist Eins, ohne Gestalt, ohne Dimension – die Linie ist nach ihrer Richtung in jedem Punkt bestimmt, und doch ist unbegrenzte Kontinuität. Die Linie wäre nicht ohne Raum, wohl aber der Raum [/] ohne Linie. (Verstehn Sie mich recht, nicht in der Anschauung, denn alles Räumliche ist ein Linieziehn; doch als bedingend, als bestimmbares das dem bestimmten voraus geht). Um das Ideal für den Moment zu bestimmen, denn Jenes, welches ins Unendliche fällt, ist unbestimbar, und immer nur von dem Moment habe ich gesprochen. Alle Sprache müßte so nothwendig und gleichsam so transparent werden, daß man sie nicht erlernen dürfte. Sie müste sich unmittelbar geben, wie eine schöne Musik dem gebildeten Menschen sich gibt. Aber was würde dazu erfordert? Ein jeder müßte seine eigne Sprache haben, und es würden so viel Sprachen entstehn, als es Individuen gibt. Keine von diesen würde in ihrer endlichen Vollendung mit der andern zusammen fließen können, eben weil sie auf dem nothwendigen Gegensatz der Individualitäten sich gründen müste. Ferner zu jedem Verstehn wird ein Gemeinsames, wie zu jedem Gegensaz ein Gleiches erfordert. Dieses Gleiche Gemeinsame wäre die allgemeine Sprache oder die Sprache der Gottheit – diese wäre gleichsam das Meer, auf deßen Wellen die Individualitäten sich bewegten. Sie wäre das versinnlichte Reine Ich, welches aber eben weil es rein ist, nie als unrein oder versinnlicht angeschaut werden kann.
Von hier aus ergibt sich denn auch der Werth und Unwerth der lebenden [/] Sprachen; Diejenige, welche mit gleichem Umfange, die mehrste Transparenz hat, deren Ausdruk der nothwendigste und unmittelbarste ist, wäre die vollkommenste. Das willkührliche Zeichen ist nur die Krükke der Sprache, bildliche Umschreibung ist nur ein Nothbehelf. Daher findet man auch bei den besten Dichtern, daß sie die Bilder sparen; und in der Unmittelbarkeit das Bild geben.
Wie ferner Sprache entstanden sei, würde sich nothwendig aus dieser Ansicht ergeben, es würde gezeigt werden können, wie alle Sprachen aus der Gottheit hervor gehn, und wie die Gottheit, den Menschen unterrichtet habe – – – doch genug davon, der Brief möchte ein Buch werden, und was das schlimmste, ein schlechtes Buch, was Sie im Lesen ermüden könnte. Sie sehn hoffe ich, wo ich hinaus will, das sei vors erste genug.
Die WißenschaftsLehre habe ich bis dahin nicht vor nehmen wollen. Ich finde, so weit ich sie kenne, daß ich für die tiefe umfaßende Ansicht derselben noch nicht reif bin. Doch hoffe ich auf eine Zeit, wo ich mit ganzer Fülle es aufnehmen kann. Wenn ich dieses erreiche, so möchte sich für Ihr Sistem eine neue Ansicht ergeben, die zur populären Darstellung deßelben von nicht geringen Nutzen wäre; ja nach meiner jetzigen Überzeugung, kann [Ihr] Sistem einzig auf diese Weise populär werden.
Wenn gleich diese Zeit noch ferne ist, so muß ich indeßen mich [/] freuen, so oft von tran[s]cendentalen Sätzen, die nicht mehr tran[s]cendental erscheinen, überrascht zu werden. Ich muß mich freuen, so Manches, und zwar das Beste, in die Totalität des Sinnes aufgenommen zu haben, was sonst nur als Reflektion im Geiste stand. Wohl weiß ich, damit ist es nicht aus, es will organisirt seyn, wie Ihre Wißenschaftslehre organisirt wurde, mit männlicher Kraft; und gerade das ist auf diesem Punkt der Unmittelbarkeit so schwer, und verlangt eine Klarheit in der Kontinuität, welche mir bis dahin nur in Momenten geworden. Jedoch, ich bin gutes Muths und hoffe, es wird schon kommen. Nachlaßen werde ich nicht, das verspreche ich Ihnen – –.
Da haben Sie Alles verehrungswürdiger Fichte, was ich Ihnen für dieß Mahl sagen wollte. Ich hätte freilich noch Manches auf dem Herzen, doch davon Mehr, wenn ich erst weiß, ob Sie sich für mich und mein inneres Leben noch ferner intereßiren. Schon über ein Jahr ist es, daß ich Ihnen schrieb; ich weiß nicht, ob Sie den Brief erhalten; eine Antwort ist nicht zu mir gekommen. Meine eußern Verhältniße waren der Inhalt deßelben. Sie sind noch die nemlichen; Ich führe unter den Meinen, ein heiteres, ein frohes Leben. Was mir fehlt ist volle Wechselwürkung – –. Muhrbek, den ich zu Zeiten spreche, ist der Einzige, dem ich mich [/] vollkommen mittheilen, und der mir etwas Ganzes wider geben kann. Indeßen finde ich auch öfters mit meinem Vater, der mit der Zeit fortgegangen ist, manche Berührungspunkte, welche mich auf neue Ansichten bringen, und auch im täglichen Umgang zu meiner weiteren Entwiklung mit beitragen mögen. Übrigens fehlt es mir nicht an einer guten Bibliothek, da der Doktor Kosegarten mir die seinige, welche in Wahrheit ausgesucht ist, und mit den besten Schriften neuster Zeit immer vermehrt wird, zum Gebrauch preiß gegeben hat.
Der Unterricht meiner Geschwister und hin und wider Predigten für meinen Vater, sind die einzigen Geschäfte, welche ich mehr für Andere als für mich thue; jedoch sind diese so mäßig vertheilt, daß mir noch hinlänglich Zeit zur eignen Bildung übrig bleibt. Der Mathematische Unterricht für meinen Bruder, ist überdem mir selbst von wesentlichen Nutzen, und da wir schon zimlich weit fortgerükt sind, muß ich mich öfters zusammen nehmen, um die Demonstrationen mit umfaßender Klarheit geben zu können.
Noch eine Bitte, bevor ich schließe; sie liegt mir am Herzen, und gewiß Sie werden sie gewähren – –. Ich habe meinem würdigen Lehrer geschrieben; ich habe nicht scheinbare Einseitigkeiten gescheut, um mich Ihnen ganz und voll zu geben, [/] Ich habe auf die Spitze gestellt, und Blößen gezeigt, die ich keinem Andern als Ihnen zeigen dürfte – –. Sie mögen alles ausgleichen, mögen es aufs Beste wenden, und nicht als Widerspruch annehmen, was doch im Kern zusammenklang.
Ich weiß in der Hauptsache bin ich mit Ihnen Eins, und sollte auch mein Weg ein anderer sein, laßen Sie immerhin mich gehn. Auf einen Punkt hoffe ich werden wir zusammen treffen, bis dahin ersuche ich Sie um Ihren Rath, um das Urtheil Ihres überwigenden Geistes. Ja verehrungswürdiger Freund, ich rühme mich, zu faßen Ihren einzigen Werth, Ihr ewiges Verdienst um die Menschheit. Ich verehre Sie unter den Ersten der Zeit, und eine hohe Freude würde es sein, <wenn> ich einst so nahmhaft geworden, daß ich frei Ihr Lob der Welt verkünden, daß ich sprechen dürfte, wie mein Herz mir gebithet. Bis dahin sei Schweigen meine Tugend; das Schweigen sei mir heilig, bis die heilige Sprache gebithet – –.
Leben Sie wohl, und vergeßen Sie nicht
Ihren
ergebnen
T. Schwarz
Meine Adreße ist. Stralsund
Wiek auf Wittow
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  • Date: Samstag, 8. August 1801
  • Sender: Theodor Schwarz ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Wiek ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 5: Briefe 1801–1806. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Erich Fuchs, Kurt Hiller, Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1982, S. 60‒72.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 238
Language
  • German

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