Leipzig den 18. September 1802.
Hiermit sende ich Ihnen, verehrter Lehrer und Freund, Ihre kritischen Bemerkungen über den Realismus ohne Gegenbemerkungen zurück, weil ich mich beim Studium derselben überzeugte, daß sie blos die Darstellung des Realismus treffen, die ich jetzt selbst für äußerst mangelhaft erkenne.
Folgende Wahrheiten sind inzwischen bei mir zur höchsten Evidenz gestiegen:
1) Alle Realität kann nur erfahren, nicht a priori demonstrirt werden.
2) Eine ursprüngliche absolute Synthesis zwischen dem Ich und einem Unbekannten = X kann nur auf praktischem Standpunkte angenommen werden. Für das Theoretische ist eine Uebereinstimmung zwischen Subjekt und Objekt (in sofern das Letztere ein Absolutes seyn soll) ganz zufällig.
3) Ein Objekt, ein wahres Objekt nämlich, hat das empirische Bewußtseyn, so auch der Philosoph nur auf prak[/]tischem Standpunkte. Im Theoretischen fließt alles Objektive in lauter Ichheit über. Nur in einer Richtung auf das gegebene (also auch kritisch gefundene) Nothwendige, nur in der Anerkennung dieses Nothwendigen für mich bildet sich ein fester Unterschied zwischen Subjekt und Objekt, jenem als freiem, diesem als nothwendigem u. s. w.
Im kommenden Winter will ich den Realismus von Grund aus, und, wie ich hoffe, fest aufbauen und lichtvoll. Denn Niemand kennt seine dermaligen Unvollkommenheiten in dieser Hinsicht besser, als ich selbst.
Auch über das Charakteristische Ihrer neuen Darstellung habe ich weiter nachgedacht, mein edler Freund. Eine solche Synthesis, wie Sie wollen, kann aber nur, wie mich dünkt, nach vorhergegangener Kritik des ganzen Ichs philosophisch und gesetzlich an die Spitze gestellt werden. Denn Ihr = X muß im Fortgange ein für das Ich selbst nothwendig Bestimmtes werden, d. h. ein Bekanntes. Alles Nothwendige muß in’s Ich herein, in’s Bewußtseyn desselben, damit jenes Nothwendige aber unter dem Charakter objektiver Nothwendigkeit hereinkommt, muß es praktisch herein, d. h. nach einer vorhergegangenen Kritik, als Nothwendiges für das Ich ursprünglich von diesem anerkannt werden. Sonst verwandelt sich alles Objektive bei dem ersten Eintritt gleich in Subjektives.
Daß das Bardilische Wesen nichts Anderes ist als blinder unvollkommener Idealismus, wissen Sie selbst am besten; und daß das übrige edle Chor der Philosophen dermalen nicht weiß, wo ihm der Kopf steht, und damit [er] ihm nicht da oder dort anstoße, lieber auf einem Fleck stehen bleibt, ebenfalls ohne zu wissen wo, gleich dem verirrten Nachtwandler, wissen Sie gleichfalls! Aber können Sie wohl auch das Ende aller dieser Bewegungen errathen? Wenn nicht ein neuer gewaltiger Umschwung geschieht, so ist dies Ende wahrscheinlich ein bescheidener skeptischer Rückzug mit geschloss’nen Augen zu einem gewissen Katholicis[/]mus nach dem Beispiele des Herrn Grafen von Stollberg und aus demselben Grunde. Ich fürchte, Reinhold, um seinen Kreislauf würdig zu beschließen, werde den Zug anführen.
Gottlob! Ich finde noch Muth genug in mir, auf diesem Glatteise des freien Denkens so lange zu fallen und zu wackeln, bis ich endlich auch hier gerade zu gehen gelernt habe; und ich weiß gewiß, mein theurer Freund, daß Sie mir Ihren ganzen Segen dazu ertheilen.
Möchte ich doch bald durch einige Zeilen von Ihnen erfreut werden! Mit meinen besten Wünschen für Sie und für das Wohlergehen [der] Ihrigen verharre ich als
Ihr dankbarer Freund
J. Rückert.
Hiermit sende ich Ihnen, verehrter Lehrer und Freund, Ihre kritischen Bemerkungen über den Realismus ohne Gegenbemerkungen zurück, weil ich mich beim Studium derselben überzeugte, daß sie blos die Darstellung des Realismus treffen, die ich jetzt selbst für äußerst mangelhaft erkenne.
Folgende Wahrheiten sind inzwischen bei mir zur höchsten Evidenz gestiegen:
1) Alle Realität kann nur erfahren, nicht a priori demonstrirt werden.
2) Eine ursprüngliche absolute Synthesis zwischen dem Ich und einem Unbekannten = X kann nur auf praktischem Standpunkte angenommen werden. Für das Theoretische ist eine Uebereinstimmung zwischen Subjekt und Objekt (in sofern das Letztere ein Absolutes seyn soll) ganz zufällig.
3) Ein Objekt, ein wahres Objekt nämlich, hat das empirische Bewußtseyn, so auch der Philosoph nur auf prak[/]tischem Standpunkte. Im Theoretischen fließt alles Objektive in lauter Ichheit über. Nur in einer Richtung auf das gegebene (also auch kritisch gefundene) Nothwendige, nur in der Anerkennung dieses Nothwendigen für mich bildet sich ein fester Unterschied zwischen Subjekt und Objekt, jenem als freiem, diesem als nothwendigem u. s. w.
Im kommenden Winter will ich den Realismus von Grund aus, und, wie ich hoffe, fest aufbauen und lichtvoll. Denn Niemand kennt seine dermaligen Unvollkommenheiten in dieser Hinsicht besser, als ich selbst.
Auch über das Charakteristische Ihrer neuen Darstellung habe ich weiter nachgedacht, mein edler Freund. Eine solche Synthesis, wie Sie wollen, kann aber nur, wie mich dünkt, nach vorhergegangener Kritik des ganzen Ichs philosophisch und gesetzlich an die Spitze gestellt werden. Denn Ihr = X muß im Fortgange ein für das Ich selbst nothwendig Bestimmtes werden, d. h. ein Bekanntes. Alles Nothwendige muß in’s Ich herein, in’s Bewußtseyn desselben, damit jenes Nothwendige aber unter dem Charakter objektiver Nothwendigkeit hereinkommt, muß es praktisch herein, d. h. nach einer vorhergegangenen Kritik, als Nothwendiges für das Ich ursprünglich von diesem anerkannt werden. Sonst verwandelt sich alles Objektive bei dem ersten Eintritt gleich in Subjektives.
Daß das Bardilische Wesen nichts Anderes ist als blinder unvollkommener Idealismus, wissen Sie selbst am besten; und daß das übrige edle Chor der Philosophen dermalen nicht weiß, wo ihm der Kopf steht, und damit [er] ihm nicht da oder dort anstoße, lieber auf einem Fleck stehen bleibt, ebenfalls ohne zu wissen wo, gleich dem verirrten Nachtwandler, wissen Sie gleichfalls! Aber können Sie wohl auch das Ende aller dieser Bewegungen errathen? Wenn nicht ein neuer gewaltiger Umschwung geschieht, so ist dies Ende wahrscheinlich ein bescheidener skeptischer Rückzug mit geschloss’nen Augen zu einem gewissen Katholicis[/]mus nach dem Beispiele des Herrn Grafen von Stollberg und aus demselben Grunde. Ich fürchte, Reinhold, um seinen Kreislauf würdig zu beschließen, werde den Zug anführen.
Gottlob! Ich finde noch Muth genug in mir, auf diesem Glatteise des freien Denkens so lange zu fallen und zu wackeln, bis ich endlich auch hier gerade zu gehen gelernt habe; und ich weiß gewiß, mein theurer Freund, daß Sie mir Ihren ganzen Segen dazu ertheilen.
Möchte ich doch bald durch einige Zeilen von Ihnen erfreut werden! Mit meinen besten Wünschen für Sie und für das Wohlergehen [der] Ihrigen verharre ich als
Ihr dankbarer Freund
J. Rückert.