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Caroline von Schelling to Gottfried Philipp Michaelis

[Marburg Ende 1790].
Lieber Philipp, ich hätte gern gehabt, wenn Du mir zuweilen geschrieben hättest, damit ich Dir antworten konte, denn ich habe doch immer eins oder das andre für Dich auf meinen Herzen, womit ich nicht grade zu fahren mag. Du fertigst mich aber so kurz ab, oder läßest mich auch wohl ohne Antwort stehn, daß ich beynah auf die Idee gerathen möchte, meine Worte wären Dir gleichgültig. Ich frage Dich also, ob dem so ist. Doch muß ich Dir heut noch – unbekümmert ob etwas mehr als meine Offenheit mir Nachdruck giebt, einiges sagen, worauf ich mich schon selbst längst geführt hatte, aber auch eine nähere Veranlaßung habe. Du hast so viel Gutes und bist mir so innig lieb, daß ich mich nicht bereden kan zu schweigen, wenn ich Deinen Gang einmal zu übersehen glaube – was wahr in meinem Urtheil ist, wird Deine Eigenliebe nicht ganz verwerfen können – und über das unrichtige kanst Du mich dann wenigstens belehren. Zuerst also, mein Lieber – man klagt über Dich im väterlichen Haus – Du bist so sehr trocken und einsilbig mit dem Vater, und das sezt die gute Mutter, die Dich immer zu vertheidigen hat, in eine peinliche verlegenheitsvolle Lage. Was hier im Wege steht – Zwang, der nicht ganz überwunden werden kan und sehr drückend ist, ohne in die Augen fallend zu seyn – eigentlich ein namenloser Zwang – ich kenne das ja sehr genau, bringe es sehr mit in Anschlag – doch köntest Du wohl ein etwas milderes Betragen annehmen, da Du wirklich die Menschen weniger glücklich machst. Unser Vater ist es ohnedas so wenig – er ist so reizbar, sein Alter wird ihm so schwer, daß der bloße Gedanke etwas zum Ungemach deßelben beyzutragen mich schrecken würde. Denke Dir diesen sich so gänzlich überlebenden Mann, und da, wo er noch genießen könte – in seinen Kindern – was gewähren sie ihm? Es steht nicht in unsrer Gewalt seinem Herzen und Geist den Umfang und die Theilnehmung zu geben, durch welche wir ihn in unsre Art zu denken und zu fühlen hereinzögen, und uns ihm werth machen könten – allein kindliche Aufmerksamkeit und Achtung sind wir, deucht mich, uns selbst für ihn schuldig. Es ist das einzige, womit wir ihm für seine Sorgen lohnen, die gewiß höchst mühsam sind, wenn auch nicht zärtlich, und unsern Begriffen entsprechend – und ihm gar nicht lohnen, uns in Unrecht gegen ihn sezen, können wir um so weniger wollen, je mehr wir übersehn, daß sein Gesichtskreis nun einmal so eigensinnig oder so enge gezogen ist, wir ihn also nicht erweitern, wohl aber ihm Schmerz und eine nachtheilige Meinung von uns geben können. Er fordert auch nicht viel – Du, mein Guter, giebst nur gar nichts – Deine Lippen öffnen sich nicht – ich weiß es noch aus ehemaliger Erfahrung, und damals war es, weil unsrer mehr waren, nicht so auffallend. Dein unbiegsames Wesen will sich auch nicht zu der mindesten Freundlichkeit für ihn entschließen – ich kan mir lebhaft alle die Triebfedern denken, die von lange her wirken, die Dirs zur Arbeit machen Dich darinn zu überwinden – aber [sie] entschuldigen nicht ganz Deine Unterlaßungen. Bedenk nur, daß Du ihn verwundest – die Mutter kränkest – und wenn Du nichts über Dich vermagst, so gieb ihnen wenigstens mittelbaren Anlaß zur Freude an Dir durch anhaltenden Fleis. Nicht als beschwerte man sich in diesem Stück über Dich – allein ob Du nicht noch mehr leisten köntest – ob Dich ein gerechter Ehrgeiz und Stolz nicht höher treiben könte! Im Ganzen, fürcht ich, waren Deine Studien zu unterbrochen – Du machtest Dir zuweilen selbst Vorwürfe darüber – Du bist vielleicht noch eben in dem Alter, wo man die Lücken durch strenge Application ausfüllen, und dem Unzusammenhängenden Ordnung geben kan – wenn diese Zeit vorübergeht, so geräthst Du in die Gefahr, in welcher Dein Bruder hier umkomt, Kenntniße fragmentweiß zu besizen, und das Talent des Kopfes in einer ewigen Beurtheilung und Verwerfung andrer aufzuzehren, ohne selbst etwas zu schaffen. Ich würde mir ein Fach wählen, um es sehr gründlich zu faßen – es ist ein bischen Familienfehler, der uns doch nicht vom Vater komt, vieles aufzufaßen, und es mit ein paar Ideen darüber wieder hin zu werfen. Du müßtest Dich zwingen ihn abzulegen – alle Zerstreuungen fliehn – denn Du kenst Dich genug, um zu wißen, wie wenig Du denen, die nach Deinem Geschmack sind, wiederstehst. Jezt ist jede Stunde kostbar – für das Leben entscheidend, in dem Du doch keine zweydeutige Rolle kanst spielen, und mit unvollendeten Anlagen am Anfang der Laufbahn kanst stehn bleiben wollen. Es giebt doch wahrlich nichts unseligers als das Abgerißne in der Gedankenreihe – im Wißen – im ganzen Seyn – und wer nur critisirt, wozu Du denn einen sehr starken Hang hast, dünkt sich früh schon weit, und kan es in dieser Kunst auch seyn – aber wozu hilft es ihm – was gewinnt er für sich damit? – es ist ein negatives Verdienst, wodurch er nur zu leicht über das positive wegschlüpft – nein – der Jüngling sollte nicht eher richten, ehe er nicht geschaffen hat, und weis was schaffen heißt – der Kopf nimt diese Wendung sich zum Nachtheil von allen Seiten, auch von der gesellschaftlichen, wo er zum Referenten der Fehler oder Vorzüge andrer wird, ohne etwas aus eigner Macht hinzuzufügen; die Unterhaltung wird reizlos, ohne Folge, und man verzeiht dem mit vollen Recht seine Mängel nicht, der sich so superieur stellt – man ist immer geneigt zu fragen: mein Freund, öffne denn Deine Schätze, laß sehn, wie Du uns bezaubern und belehren kanst! Nur ein sehr hoher Grad von Verdienst, oder sehr liebenswürdige Talente machen den wegwerfenden Eigendünkel vergeßen – das sind gemeine Wahrheiten – aber kenst Du sie auch in der Anwendung auf Dich? Weißt Du, daß Du doppelte Ursache hast Deine Augen auf die Klippen zu richten, weil Du Dir ein Schicksaal in der Welt bereiten mußt und also die Meinung der Klugen nicht verscherzen darfst – die hier eben so sicher darauf geht, wie die der Dummen. Dein Werth, mein lieber Junge, ist nicht für diesen Schimmer – Du verfehlst im Stolz die Bestimmung, die er Dir giebt – die Liebe, die er Dir immer erwirbt, wo jener nicht sichtbar wird. Deine stille Bescheidenheit, die Güte, die Treue und Unerschütterlichkeit, welche sich wohlthätig bey Deiner nähern Bekantschaft fühlen, gewinnen Dir Herzen – der Gewinn wird Dir Verlust bringen, wenn Du von dem Weg abgehst.
Im Grunde ists nicht zu läugnen, Du bist durch einigen Succeß verdorben – wir Schwestern selbst trugen früh dazu bey, unterstüzten Deine kleine Liebschaften, Du erfuhrst vortheilhafte Urtheile durch uns – wir empfalen Dich unsern Freundinnen und so fort. Für Dein Alter hast Du Dich schon zu viel mit Weibern abgegeben – Deine anscheinende Redlichkeit zieht sie an – sie gewöhnen sich durch Deine Häuslichkeit, und dadurch, daß Du ihnen kein[en] Zwang auflegst, an Dich, nehmen Dich auf und an – Deine Eitelkeit kan bey dieser Art von Triumph eben keine große Rechnung finden – doch beschäftigt Dichs mehr wie es sollte. Du kenst das Vergnügen, und beym Phlegma Deines Körperbaus scheust Du um so leichter die Anstreugung der Arbeit, läßest Dich zu leicht abhalten, und nimst es zu wenig als Hauptsache. Jezt mußt Du nun, glaub ich, eine Disputation schreiben, und da bitt ich Dich inständig, arbeite wie auf den Tod – es gelingt ungleich beßer, was wie in fliegender Eile hingeworfen und dann nur bedächtig nachgesehn wird. Laß Dich nicht antreiben und wende alle Kräfte auf, bald und gut damit zu stande zu kommen. Wenn Dir auch jezt meine Bitte ein wenig überlästig ist, so weiß ich doch sicher, Du wirst Dich ihrer zuweilen errinren, und sie wird Dir ein Sporn seyn. Du kanst so manches wieder ausgleichen.
[Bogenende.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Ende 1790
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Gottfried Philipp Michaelis ·
  • Place of Dispatch: Marburg · ·
  • Place of Destination: Harburg, Elbe ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 201‒205.
Language
  • German

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