Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Marburg d. 14. Jan. [-1. März] 1791.
Was mich aus dieser weiten Ferne zu Ihnen zieht, und mich dort Ihnen nachgehn macht, und Sie mir hier gegenwärtig seyn läßt – ich weiß es nicht zu nennen – aber Sie würden sich keine Fehde zwischen uns denken, wenn Sie es kennten. Ich konte vermuthen, daß mein Brief Sie verfehlt hatte, und nachdem Sie T[atter] im vorigen Frühling schrieben, wußt ich es gewiß – ohn es sehr zu bedauern, da mein Vorschlag mir nie ganz annehmungswerth für Sie schien. Jezt ist mirs lieb, daß er Sie noch erreichte, denn Ihre Antwort hat mir viel Freude gemacht. – Das Wort ist einfach – der Sinn ists auch, aber er geht so tief wie der irgend eines Gefühls, das mir theuer ist. Schon seit einigen Monaten fordert sie Erwiederung – allein man ließ mir nicht Zeit, nicht Ruhe zu schreiben, außer das was der Augenblick unumgänglich nothwendig machte – wiederwärtige Anforderungen nahmen alles hin – ich konte nur still denken. Jene Stelle ist noch besezt wie sie war – das heißt so unbesezt wie jemals. Daß man sie so laßen kan, zeigt deutlich, wie wenig man zu schäzen wißen würde, was Sie thun könten. Die hartnäckige Eingeschränktheit des Fürsten hält gleichen Schritt mit seinen Geiz. Alle Vorstellungen konten einen Menschen noch nicht vertreiben, der auch dem stumpfesten Sinn auffält. Der Gouverneur, den ich seit dem kennen lernte, ist nicht, wofür er mir gegeben wurde – da ist nicht eine Idee, die sich über das gewöhnliche erhöbe, und gar keine Lebhaftigkeit. Der Knabe, der an und vor sich Null ist, hat zum einschlummern alle Gemächlichkeit – und schlummern wird er, so Gott will – nicht einmal der in der Familie erbliche Reiz des militärischen Getöses vermag ihn zu wecken. Unter allen ähnlichen Anstalten ist dies die insipideste. Sie könten sie haben, eben auf den Weg, den Sie nehmen möchten – denn wenn der Mann, mit dem Sie zunächst in Verbindung ständen, Sie einmal von der Seite der Ehrlichkeit gefaßt hätte, die seine glänzende ist, so würden Sie wenig Wiederstand finden, weil zu wenig bestimmte Begriffe da sind. Allein wie wird der Fürst begreifen, wozu das gut sey? Die entetirten Selbstregierer hindern wahrlich mehr Gutes als Minister und Creaturen Unheil stiften. – Bey Mannichfaltigkeit der Unternehmungen hält sich Gutes und Böses ziemlich das Gleichgewicht, und der gescheute Mann findet wohl auch seinen Plaz.
Wenn Sie hier seyn könten – mehr wie eine freundschaftliche Unterhaltung, mit einem freundlichen Wesen, hätte ich Ihnen nicht anzubieten – diese würde mich glücklicher machen – das wär Ihnen nicht gleichgültig – und Sie würden vielleicht in milderer Errinrung Genuß und Mühe Ihres Lebens dabey zurückrufen. Wie viel entbehrt man nicht, das zu besizen so leicht scheint. Entbehren können lehrte mich mein Schicksal, seit die fröliche Jugend in Bewußtseyn überging – es wird mich nie dahin bringen das wünschenswerthe zu verkennen oder eine Freude von mir zu weisen, weil ich sie nicht für immer festhalten kan. Ihre Lage überhaupt versteh ich nicht. Ihre Stimmung begreif ich sehr gut. Man nenne sie wie man wolle – ein jeder muß wißen, um welchen Preis er sein Leben giebt. Sie sind von der ruhigen Bahn abgewichen, und können schwerlich darauf zurückkehren. Doch scheinen Sie sich noch die Möglichkeit davon zu denken – und das deutet eine Mäßigung an, die Sie im Taumel vor dem Fall hüten, und Ihnen nicht zulaßen wird, alle Rücksichten wegzuwerfen, und alle Bande zu zerreißen, die Sie in wechselseitiger Achtung an Menschen knüpfen.
Am 1. März.
Lieber Meyer – ich schäme mich der Inconsequenz, mit welcher ich dies Blatt liegen ließ. Tatter theilt mir einen Brief aus Neapel vom 1sten Febr. mit. Kont ich eine Aufforderung abwarten? Das ist sicher, ich habe nie an jemand so wenig geschrieben, an den ich so viel dachte – da muß wirklich ein Unstern walten. Der Wunsch, Sie wiederzusehn, Sie in Frieden zu wißen, kan in der Brust weniger Ihrer Freunde so lebhaft seyn. Wär unser Plan ausführbar gewesen! aber ich muß sagen, ich lieh mich ihm ohne alles Zutraun. Bis jezt war die Stelle so eng zugeschnitten, so subordinirt, daß sie nur für Anfänger paßte, und es war nur zu wahrscheinlich, daß man nicht fähig seyn würde in Ihren ungleich nüzlichern Entwurf einzugehn. Nichts mehr darüber – allein wenn Sie mögen, und Ihre Zukunft kein Staatsgeheimniß ist, so sagen Sie mir etwas davon, denn sie erscheint mir in meinen Berechnungen in einiger Entfernung so abgeschnitten, daß ich ans Ende der Linie sezen würde – hier hat er sich in den Aetna gestürzt – und ob die Linie wieder aufgenommen wird, weiß kein sterblicher Seher! Sie müßen doch einen Hauptgedanken festgesezt haben – gleichviel ob er erfüllt wird – ob es auch nur glaublich ist – ich will ein Ziel für meine Imagination, was den Freund betrift – wie ein jeder ein eignes haben muß für seine Vernunft. Sey das Ziel der Aetna – gut – in den Flammen umkommen ist beßer als rastloses Umherirren – denn eine ewige Jugend ist uns nicht gegeben, die in schöner Kraft die Ausschweifung von heute und die Gleichgültigkeit für den kommenden Morgen adelt. Das Alter ist immer schrecklich – aber doppelt so, wenn kein Interreße den Uebergang erleichtert.
Soll ich Ihnen von mir erzählen? Meine Zukunft ist auch dunkel, in so fern ich Wechsel zum Beßern davon erwarten möchte – keine Aussicht als die – nie weniger besitzen zu können als jezt, von dem, womit der Zufall Menschen beglückt – doch auch nie weniger in mir, wodurch Mangel ersezt wird. Ich habe eine so mühseelige Zeit durchlebt, so viel unerwarteten Verdruß gehabt, daß ich die Ketten, welche ich fruchtlos trug, nicht mehr vor mir verantworten konte, und Marburg zu verlaßen dachte. Dieser Entschluß von meiner Seite bewirkte eine Aenderung von der andern, und es ward eine Uebereinkunft getroffen, von welcher ich die Wirkung noch als lezten Versuch abwarten zu müßen glaubte, und die mir auch seit einigen Monaten Ruhe verschafft hat. Immer ist es nur eine künstliche Existenz, der ich mich indeßen in vielen Stunden des Tags entziehn kan. Es ist ein trauriges Schauspiel, solche Anlagen in Stumpfheit ausarten zu sehn. Außerdem bin ich meistens allein in einem hübschen Zimmer mit einer romantischen Aussicht in ein kleines Thal. Jede Mittheilung, welche mir Freude machte und meinen Kopf beschäftigen könte, hab ich nur durch Briefe. Das läßt Lücken, allein ich bin daran gewöhnt. Ich habe mich nicht der Gesellschaft entzogen – man liebt mich, ohne daß ich darum werbe – man würde mich anbeten, wenn ich die Liebe unterhalten wollte – dabey wäre mehr Zeitverlust für mich, als ächter Gewinn für einen beyder Theile – und ich weiß auch, daß ich auf die Länge die Ansprüche derer nicht tragen kan, die keine an mich haben. Seit Clausthal kenn ich keine Langeweile – oder vielmehr mein Herz kennt keine Leere, und beseelt eine mannichfaltige Geschäftigkeit. Im December 89 starb meine Therese – ein sehr liebenswürdiges Geschöpf, das liebste meiner Kinder – ich habe nur noch eins, und es ist mir unschäzbar, weil doch meine einzige feste Bestimmung in ihm liegt. Im Frühjahr 90 bracht ich einen Monat in Mainz zu, während Forsters Abwesenheit. Therese ist glücklicher – ist verändert – und immer dieselbe – intoleranter wie je – einseitig – aber unanssprechlich wohlthätig für wenige, mit gemäßigtem Geist ihrer Schöpfungen genießend. Nie hat sie viel wahres Gutes gethan. Ihre Gesundheit ist freylich zweydentig, aber sie ist doch bey einer dritten Schwangerschaft ziemlich wohl. Die Kinder sind Engel – Clary sprüht von feurigem Leben – Therese hat etwas vom Vater. Forster ist, wie Sie ihn kennen, der schwächste aller Menschen, und schwächer wie er seyn könte, weil er neben ihr steht; verdammt, mitten inne zu stehn zwischen solchen, die ihm nichts seyn können und denen er nichts ist. Sie sagen von ihm, er misbraucht sein Talent? nein, er nutzt es, wofür es gut ist, denn es würde nie etwas Großes hervorbringen – er erwirbt sich ein gemächliches Auskommen und damit häusliches Wohlseyn – und durch Arbeitsamkeit Frieden, den sie unterhält, weil er heilsam für das Ganze ist, und weil die Umstände sich so fügen, daß sie nicht gezwungen ist ihn zu unterbrechen. Er schreibt jezt Reisen, in welchen zu viel Gutes für die Menge und zu viel Studium und Haschen nach gefühlvollem Raisonnement für einzelne ist. Wenn Sie kürzlich keine Nachricht unmittelbar von dorther hatten, so werden Sie mir diese danken. Wir haben viel von Ihnen gesprochen. Es waren schöne Abende, wenn wir uns spät noch in einen Nachen sezten und den Rhein hinunter wiegen ließen. Therese wünscht, ich möchte dort leben können – allein noch seh ich keine Möglichkeit. Nach Göttingen kehr ich nie zurück – ich würde Gotha gewählt haben, wenn ich Marburg verlaßen hätte, um dort irgend ein Projekt auszuführen, das einem Weibe Unterhalt verschaffen kan. Lotte ist wieder in Göttingen, ich wünschte Ihnen Gutes von ihr sagen zu können, aber die Folgen einer frühen Verwarlosung werden auf eine sehr niedrige Art in ihr sichtbar. Eine Reihe getäuschter Hoffnungen hat ihr Herz erschöpft, das nun nicht mehr die Kraft hat, eine schwärmende Selbsttäuschung zu unterhalten, mit welcher sie mich lange düpirt hat. Sie überläßt sich nun mit Bewußtseyn der elenden Wahrheit – ist schadenfroh – ist ausgemachte Coquette, und dieser Charakter hat in ihr nichts weiblich anziehendes, noch weniger etwas mädchenhaftes – sie ist ihrer Familie eine unbeschreibliche Last und bereitet ihrer jüngeren Schwester Kränkungen, wo sie kan. Marianne war ihr einziger Umgang – zwey an ein Ruder geschmiedete Sclaven – jezt haben sie auch gebrochen. Lügen und Indelikateßen entfernen Freunde und Liebhaber. Kurz ihr Gemählde gehörte vor Hermes oder Rétifs Pinsel. Sie dauert mich, weil sie die Schuld nicht allein auf sich hat. Ich habe mich aber ganz von ihr entfernt, nachdem ich länger, wie ich vor meinem Kopf rechtfertigen kan, kindisch blind über sie war. Es ist eine Eigenthümlichkeit deßelben, welche oft Ursache wurde, daß man mich falsch beurtheilte, treffenden Scharfsinn mit der unschuldigsten Begränztheit zu vereinigen. So lange Lotte bey mir war, mußte sie gut seyn; die Gelegenheit fehlte, wo sie sich entwickeln konte – ich hielt sie durch mein Betragen sanft und fest im Gleise. Sie ging mit mir nach Mainz, und da wurden alle Schranken gebrochen. Eine Aventure mit Sömmering zeigte deutlich, daß ihr Vorsaz, nicht zu heirathen, ein Mährchen war. Louise ist ein Gänschen, die meiner Mutter auch Kummer macht. Unsre Familie ist zerrüttet durch Verdorbenheit, Unverstand, Schwäche und Heftigkeit der einzelnen Mitglieder. Der eine betet, der andre klagt das Schicksal an, der Grund des Uebels liegt aber nicht jenseits der Wolken. – Meine Auguste hat keine großen Anlagen, sie ist leichtsinnig, aber gut wird sie werden – ächt gut – ich darf sagen, wie die Mutter, und vielleicht weniger Hinderniße äußern Glücks in sich finden. – Ich seh im Gang meines Lebens Ursache und Folge genau mit einander verflochten, und will mich nicht gegen die Nothwendigkeit auflehnen. Es giebt gesammelte Stunden, wo der tief – allem zum Grunde liegende – Schmerz über ein Daseyn voll Wiederspruch herschend wird – er lößt sich sanft auf, in jedes Geschäft, an welches die Gegenwart mich heftet, in den geringsten Genuß, den sie mir darbietet. – Dies ist auch der Wiederspruch – aber wir müßen den Göttern danken nicht consequent zu seyn.
Dürfen Ihre Freunde in Deutschland nicht darauf rechnen, Sie im Lauf dieses Jahres wieder zu sehn? – Antworten Sie mir bald – ich hoffe, dies Packet erreicht Sie noch, ehe Sie Rom verlaßen – Sie brauchen den Seegen nicht, den Sie verlangen, aber er ist doch das einzige, was wir Ihnen geben können. Uebrigens – was Tatter als Geheimniß bewahren soll, werd ich nicht verrathen. Nehmen Sie meine ganze wunderbare Theilnehmung an Ihnen freundlich hin. Adieu.
Metadata Concerning Header
  • Date: 14. Januar 1791
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Marburg · ·
  • Place of Destination: Rom ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 205‒212.
Language
  • German

Weitere Infos ·