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Caroline von Schelling to Franz Oberthür

Marburg 22. März [17]91.
Es ist beschämend für mich, verehrungswürdiger Mann, daß ich noch eine Aufforderung abwarten konnte, um Ihnen zu bezeugen, daß es mir zu viel Freude gemacht hatte, auch nur so wenig dazu beygetragen zu haben, Ihren Augen einen angenehmen Ruhepunkt mehr in Ihrem Zimmer zu verschaffen – als daß nicht jeder Dank höchst überflüssig gewesen wäre. Sie werden errathen, wo ich die Aufforderung fand. – Mlle. Robert theilte mir einen Brief von Ihnen mit, der mir von mehr wie einer Seite Ihre Güte fühlbar machte, und manigfaltige Errinnerungen erregte. Der Zeitpunkt der frölichen bewußtlosen Jugend, in welchem ich zuerst Ihre Bekanntschaft machte, knüpfte sich schnell an die Gegenwart, die mir das Schicksal bereitete, reich an so manchen in diesem Zwischenraum gemachten bitteren Erfahrungen, von denen viele der Welt sichtbar waren, aber noch mehrere ihr entgehen mußten. Wenn ich die Ueberlegung, deren mein Geist jetzt fähig ist, mit jener unbekümmerten Heiterkeit vergleiche – sie könnte Schwermuth werden – allein sie wird es nicht! Ich bin an Hofnungen verarmt, da sie mir kaum aufgedämmert waren – an Heiterkeit werd ich nie verarmen, weil die Quelle unerschöpflich ist, aus welcher mir Thätigkeit und Theilnehmung fließt, und ich den Eigensinn aufgegeben habe, welcher sein Glück nur auf einem Wege finden zu können meint.
Man wird Sie nicht ohne Nachricht von Göttingen aus gelassen haben, und die, welche Leß betraf, hat Ihnen gewiß nicht weniger Zufriedenheit gegeben wie seinen übrigen Freunden. Er ist durch seine Versetzung aus einer zweydeutigen Lage gerissen, und kann einem ruhigen Alter entgegensehn. Es ist sehr hart für den Stand des Professors, daß er bei unbezweifelt gestiftetem Nutzen, und oft ohne es [im] mindesten durch Nachläßigkeit verschuldet zu haben, in Gefahr ist, seinen Ruhm zu überleben – hart für den einzelnen, den es trift, ohngeachtet ich wohl einsehe, daß es im Allgemeinen nicht wohl anders seyn kann und darf. Ein jeder liefert für die Fortschreitung des Ganzen, so viel er vermag – aber was eines Menschen Fähigkeit erschöpft, ist darum nicht Gränze für die Forderungen des Ganzen, weder für die gerechten, noch für die, welche blos die Begierde nach Neuheit und Wechsel eingiebt. – Spittler’s Haus war kürzlich in einer traurigen Verfassung – ich höre aber, daß seine Frau nun außer Gefahr ist. – Meiners verwickelt sich immer tiefer in Hypothesen, und bringt immer schlechtere Beweise dafür bey.
Unter den neuesten Büchern werden Ihnen Forsters Ansichten sicher viel Vergnügen gemacht haben.
Ihnen von Marburg zu erzählen – das will ich Ihrer Correspondentin Mlle. Marie überlassen, die doch da einheimischer ist, wie ich, und unmittelbarer an dem Leben und Weben theil nimmt, welches wirklich seit Einführung des Privattheaters mehr Seele bekommen zu haben scheint. Ich überlaß es ihr auch deßwegen gern, weil ich ihr recht gut bin und ihr es gönne, Sie zu unterhalten. …
Mein Bruder empfiehlt sich Ihnen angelegentlich, und ich bitte um die Fortsetzung eines Andenkens, dessen Werth zu erkennen ich keine ganz ungerechten Ansprüche mache.
Caroline Böhmer.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 22. März 1791
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Franz Oberthür
  • Place of Dispatch: Marburg · ·
  • Place of Destination: Würzburg ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 212‒213.
Language
  • German

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