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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Marburg d. 11. Juli [17]91.
Wenn Ihr Weg sich einmal durch meinen Wohnplaz kreuzt – wenn der Pilger, der es so fremd findet, daß ich Theil an ihm nehme, an die Thür klopft, die zwar nicht mein ist – denn ich habe ja so wenig ein Eigenthum wie er – die ich ihm aber doch öffnen kan, und ihn neben mir ausruhen heißen darf – dann werd ich ihn über vieles gern hören wollen, und ihm manches zu sagen haben. Ich wünsche das innig, weil ich Sie ganz kennen und nicht eine falsche Vorstellung mit der andern verwechseln möchte. Kan man so getrennt, so entfernt je die richtige faßen? Lieber Meyer, Abwesenheit ist der Tod der engsten Verbindung – man hört auf sich zu verstehn – sollte man sich in ihr verstehn lernen können? Es ist möglich, daß der Grund dazu gelegt wird – zumal in unserm Fall, da uns außerdem nie ein ununterbrochner, ungestörter Umgang vergönnt war – ich meine auch davon hier überzeugt zu seyn – eine Ursache, um desto inniger zu wünschen. Sie würden mir nüzlich seyn, denn Sie kennen die Welt, ohne daß Ihre Erfahrungen Sie über die Begriffe, nach denen man sich selbst in ihr zu regieren hat, gleichgültig machten, und ich bedürfte den Rath eines solchen Mannes. – Ich wäre Ihnen wohlthätig – denn Sie würden das Gute überwiegend finden, und in den Abweichungen eine milde Gleichheit wieder erkennen – in der Geschichte Ihres Lebens darf keine Stunde, die Sie so zubrächten, übersehn werden. – Allein darum haben Sie sich schon betrogen, daß Sie meinen Rath einer fremden Eingebung zuschrieben – und wirklich – warum sollte er sich nicht mit mir vereinigen laßen? So lange das Leben Ihnen lästig ist – warum es endigen? Das wär ein Muthwillen, der sich nur nach Erschütterung und Veränderung sehnt. Sie werden dann morgen wie heut Menschen finden, mit denen Sie das Vergnügen Ihres Daseyns theilen. Vergnügen ist Nutzen – wer möchte unternehmen die Gränzen zwischen beyden zu bestimmen? Ich halte also nicht das anscheinend unbestimmte Ihrer Lage für das Unglück, welches nur in den Flammen zu ersticken wäre. Aber ich glaubte die Möglichkeit eines Zeitpunkts voraus zu sehn, wo die Fülle der Vergangenheit einen zu schneidenden Contrast mit der Aussicht ins Künftige machen könte – wo eine lange Arbeitlosigkeit Ihren Geschmack an Anstrengung zu sehr geschwächt haben möchte, um neue Welten zu erschaffen, und alsdann war das Ihre Zuflucht, was ich mir unter manchen Umständen, auch für mich, als den lezten glücklichen Augenblick – als das lezte Auflodern jugendlicher Kraft denke. Wenn diese Idee in der Anwendung auf Sie unrichtig war – wohl! so wird mir leichter – denn der Gedanke an Sie lag zu Zeiten schwer auf mir. Ihre Sorglosigkeit war mit zu vielen Rückblicken vermischt, als daß ich sie hätte für so rein halten können, wie meine heitre Ergebung. Und der Ton Ihres lezten Briefs war auch noch nicht der, welcher Ihre Freunde beruhigen durfte. – Ich tadle Sie nicht – Sie fühlen mit männlichen Wiederstand, wo sich der weibliche Geist hingiebt, und im Hingeben neuen Genuß entdeckt, und oft Beschäftigung statt herber Kränkung findet. – Mancher scheint bestimmt vom Zufall nichts zu hoffen und alles zu fürchten zu haben – und ich habe Ihnen längst gesagt, da geb ich Ihnen als Bruder die Hand. Muß aber nicht die Folge unsers eignen Wesens vom Zufall unterschieden werden? Wer da fordert, daß die Menschen von ihrem eigenthümlichen Weg abweichen sollen, begehrt nicht die Gunst des Geschicks, sondern Wunder vom Himmel. Ihnen ists Prinzip, das zwar nicht von der Gerechtigkeit eingegeben ist, allein dennoch auf eine weise Vertheilung abzweckt, für den unbedeutenden immer mehr wie für den bedeutenden zu thun. Mit dem besten Willen wißen Sies nicht beßer einzurichten – Sie sezen sich leichter an die Stelle des ersten, und der lezte scheucht Sie zurück – ja Sie vergeßen nicht selten über den Antheil an ihm, daß etwas für ihn zu thun ist, und über die Unabhängigkeit, die Sie in ihm entdecken, daß er etwas bedürfe. – Ich will nicht predigen – nicht trösten – Ihnen nur sagen, wie ichs ansehe. Es giebt viel andre Seiten, die ich nicht falsch zu nennen wagte – wenn sie nicht das Uebel vermehrten; der Veranlaßungen manche, wo es mir auch kostet diese zu behaupten. Doch bleibt der feste Wille Sieger – er hat ja das Begehren nach Freude mit in sein Intereße gezogen. Göttern und Menschen zum Troz will ich glücklich seyn – also keiner Bitterkeit Raum geben, die mich quält – ich will nur meine Gewalt in ihr fühlen. Wenn es gelingt, dann ergreift sich das kindische Herz wohl noch auf einer süßen Regung des Danks gegen die Mächte, denen es Troz bot. Das ist eine täglich wiederkehrende Geschichte. Ich habe Gelegenheit mich zu üben – die Zeit der Ruhe ist die der höchsten Unruhe für mich, weil sie statt des Ungemachs mir die Furcht desselben giebt. Das Detail davon ist nicht zu geben, auch wenn ich wollte und möchte, nur das glauben Sie: unter den tausenderley Mischungen von Menschenschicksaal kan nicht leicht eine peinlicher seyn – es ist so, daß ich mir kein Verdienst daraus mache sie zu ertragen – das wahre liegt darinn, sich ihr zu entreißen – und binnen eines Jahres muß das auch geschehn. Bis dahin nehm ich, wie bisher, die nächsten Verhältniße für die fremdesten, da ich nicht mit Liebe in sie eingehn kan – und was ich in Rücksicht auf sie thun muß, ist der Gegenstand meines Spottes – freylich eine ermüdende Zeitkürzung. Sie umzuändern ist nicht möglich, ich entziehe mich ihnen also, so oft ich kan – indeßen halten mich meine kleinen Beschäftigungen, die Frohheit meines Kindes und meine Errinnerungen hin – die beständig gegenwärtige Uebersicht des Ganzen hütet mich vor Ermattung — und dann und wann begeistert mich ein Projekt für die Zukunft, das mich mit schönen Erwartungen für den Augenblick täuscht, ohne den Mismuth fehlgeschlagener Erwartungen in seinem Gefolge zu haben – mit lächelndem Sinn entdeck ich den Betrug, eh er sich festsezen konnte. Das Unmögliche bleibt Vorstellung – das Mögliche wird Entschluß. So bin ich mit beklemmter Brust, und mit freyeren Athemzügen – War ich immer so? nein, ich habe manchen Pfad des Schauens und Glaubens und Unglaubens betreten, eh ich zu diesem reineren Gottesdienst zurückkehrte – zurück – denn gegründet lag er immer in dem sanften Muth meines Herzens – meine Handlungen folgten diesem Zuge, wenn auch meine Denkart wechselte – und wenn gleich nicht stark genug, stets die Feßeln eines wiedersprechenden Einflußes zu brechen, fand ich doch mir selbst überlaßen den Weg bald, den ich nach einmal erlangter Freyheit unverrückt gehn werde. – Entsagungen waren und bleiben nothwendig, um so zu genießen – also werd ich nicht weichlich werden. Aber Genügsamkeit allein kan mich nicht befriedigen – sie wäre nir Begränztheit, wenn nicht die Quellen nur vertauscht würden aus welchen der Beßre am unersättlichsten zu schöpfen trachtet.
Sie nennen unter den Orten, die Sie auf Ihrer Reise nach Hamburg berühren werden, einige, die meinem verwünschten Schloß so nah liegen, daß Sie es kaum vermeiden können – und sagen mir nicht, daß ich Sie sehn soll? Ich soll also bitten, denn warum Sie mir aus dem Weg gehn wollten, das wüßt ich nicht. Wenn dies Blatt, mit welchem ich mich wieder verspätet habe, nicht der rechten Zeit verfehlt, so rechne ich auf Ihre Erscheinung. Finden Sie die Verspätung nicht wunderbar – es kostet mir Ueberwindung zu schreiben, wo es nicht so ganz in den täglichen Faden meines Lebens verflochten ist – es macht mich ungeduldig, deutliche, lange gefaßte, stündlich ausgeübte Ueberzeugungen hinzuwerfen, oder von einem herzlich innigen Gefühl zu erzählen. Allein laßen Sie sich darum nicht abschrecken – das Geschäft wird mir, Ihnen gegenüber, immer leichter werden. – Jezt arbeiten manche Ideen in meinem Kopfe, die ich Ihnen mittheilen würde, um die Ihrigen dafür zu hören – ich denke ernstlich an eine Veränderung meines Aufenthalts – aber das wie und wo liegt noch in Dämmerung. Eingeschränkt wie ichs bin, muß irgend eine Spekulation der Ausführung vorhergehn, nur abendtheuerlich darf sie nicht seyn. Der Muthwillen meines Geschmaks würde mich leicht dazu hinneigen – die späteren Folgen und Rücksichten für andre, für mein Kind, halten mich zurück. – Meine Weltkentniß reicht nur hin, mich über nichts erstaunen zu laßen, und in alles mich zu finden – nicht um vorherzusehn. – Meine Menschenkentniß betrügt mich noch oft – und leider um so öfter, je näher mir der Gegenstand meines Urtheils steht – ich bin allein – ohne schüzende forthelfende Verbindungen – meine Freunde fordern Rath von mir – es fällt ihnen nicht ein, mir welchen zu geben – dem sich selbst überlaßnen Weibe. Sie haben in so fern recht, daß ich mich von jeher gewöhnt habe, nicht auf Hülfsmittel zu bauen, die ich nicht in mir selbst fand. – An einen völlig unbekanten Ort kan ich mich nicht wagen – ich habe etwa zwischen Gotha, Weimar und Mainz zu wählen – und dann da meiner Existenz, die ich eignen Bemühungen verdanke, den möglichst anständigen und anziehendsten Anstrich zu geben – das erste für andre – das lezte für meine eigne Fantasie. – Mainz hätte zwey große Anlockungen – die Gegend – und Forsters, aber es ist auch weniger geschickt, weil es der Veranlaßungen zu Depensen und Prätensionen zu viel hat – und weil ich – nicht aus Ehrgeiz, sondern weil ich fühle, daß es so am besten für mich ist – meinen eignen Weg gehn muß. Kan man das – und Therese lieben – kan mans, und sie sich erhalten wollen? – Damit verdamme ich sie nicht – was von ihrer Gewalt zeugt, zeugt nicht gegen sie – auch Ihre Aussage nicht, mein lieber Meyer! Sie können recht in manchem haben und sie ist nicht verdammenswerth – Sie sind aber in vielem ungerecht – und wer ists dann? – Sie sind ungerecht wie – ein Mann! ich höre nicht auf Sie. Therese kan dem Bild gleichen – das Bild ist doch nicht sie – warum zeichnen Sie aus dem Hohlspiegel, der den erlauchten Fremden auf der Göttinger Bibliothek vorgewiesen wird? Einige Beschuldigungen können gegründet seyn – als wüßten Sie nicht, daß bey vielem Licht starker Schatten ist! Ich möchte sie einzeln durchnehmen – wenns nicht zu weitläuftig wäre. Beurtheilten Sie sie immer so, oder kennen Sie sie nicht mehr? Vielleicht ist sie verändert – genug, sie ist so wenig, was Sie aus ihr machen, daß sie vielmehr Ihren Umgang genuzt zu haben scheint. Ihre Unglückssucht – in der Sie die convulsivischen Bewegungen einer großen Seele nicht verkennen werden – hat sich in Liebe zu häuslichem Frieden verwandelt – sucht sie sich durch den sanfteren Hang nur über die innere Unruhe ihres Herzens zu täuschen – was kan sie dafür? aber liebenswürdig, wohlthätig ist sie in dieser Erhohlungsstunde. Wo sie das lezte nicht ist, da steht ihr ein Grad von Energie im Weg, der ihr verbietet tolerant zu seyn. Wo sie drückt [?], da ist sie mehr wie andre. Es ist keine Vereinigung mit ihr möglich, außer wo Wahn und aller Trug der Liebe hinzukommt – was ihre Zusammensezung darinn den Menschen entzieht, giebt sie in sonst nie gekanntem Maaß dem einzelnen wieder, der die individuelle Stimmung hat, sich ihr hinzugeben. Sie ist wenigen alles – soll sie lieber vielen etwas seyn? Mir ist sie das interreßanteste Schauspiel, und es wiedersteht mir zu denken, daß ich ihre freyen Wirkungen hemmen wollte – nur das wäre bey der Cur gewonnen, die Sie vorschlagen – ein Mann, wie Sie ihn beschreiben – aber freylich unrichtig bezeichnen – denn die Vereinigung zwischen diesen beyden müßte fürchterliche Folgen haben, oder in drey Tagen aufgehoben werden. Wie werden Sie einst über seine Stumpfheit erstaunen! – Könt es Ihnen Freude machen ein außerordentliches Geschöpf von kleinen Leidenschaften geneckt zu sehn? Das hätte ein solcher Mann in seiner Gewalt – mehr nicht. Therese ist ihrer fähig, wie der erhabenste Mensch, weil er Mensch ist, dem Loos der Unvollkommenheit nicht entgeht – ein mittelmäßig gutes und solides Weib wird vielleicht die Klippe der Eitelkeit vermeiden, wo sie es nicht thut. Ihre Kühnheit dabey löscht die Schwäche darinn aus. – Mit wenigen Gaben kan der verdienstloseste unter euch die vorzügliche unter uns feßeln, durch Ungewißheit, durch Beweggründe, die man um ihrer Geringfügigkeit willen zu überwinden nicht der Mühe werth achtet, deren Aufopferung in der Seele kein Gleichgewicht, im Bewußtseyn der dabey angewendeten Stärke, findet. Der denkende Mann wird ohne Anstrengung erobert – der Thor durch Reize, denen wir, weil sie uns fremd sind, weil sie einer gewißen Verdorbenheit der Einbildungskraft, die in unserer Kühnheit gegründet ist, schmeicheln, nachstreben. Das alles liegt im Umfang unserer Einpfänglichkeit – diese in unserer weichen Organisation – o was wolt Ihr doch? – Gestehn Sie mir – Sie haben aus dépit so gesprochen – ich würde es an Ihnen lieben – wer des dépits noch fähig ist, deßen Gefühle sind nicht abgeschliffen und können noch reich an Freude für ihn werden. – Sie schreibt nicht mehr – darum hat sie Unrecht gegen Sie. – Uebrigens ist sie wohl und ihr Wochenbett glücklich vorüber – wahrlich jedes derselben ist auf alte weise eine Selbstverläugnung, die ihr nicht vorgeworfen werden müßte. Sie hat ein Mädchen, das Luise heißt. – Wenn ich gleich Bedenken trage, neben ihr zu leben, so wird sie doch ihre Vertheidigerin an mir nicht verlieren – und wenn ich auch wüßte, daß sie die meinige nicht in gleichem Fall wäre, so muß ich sie doch lieben. Eben weil ich so an sie gezaubert bin, komt es mir in den Sinn, sie zu fliehn. – In Gotha herschen noch alle gute Vorurtheile für mich, und ich kan mir einen Ruf geben, wie ich ihn zu meinen Absichten brauche. Weimar ist in der Nähe, wo es allerley industrieuse Leute giebt, die meine Hand- und Kopfarbeiten brauchen können. Schreiben Sie mir etwas darüber. – Ich wollte, Sie wären in Paris und könten mir sagen, wie es dort seit der verunglückten Flucht des Königs aussieht, welche Häupter das Volk leiten, das sich von Freyheit begeistert dünkt, und ob sich die wüthenden Wellen verhaßter Uebertreibungen bald legen werden. – Hätt ich noch Plaz, so schrieb ich Ihnen litterarische Dinge – von Schiller, der Bürgern um alle menschliche Ehre recennsirt hat, und Bürgern, der sich nur durch Ironie zu helfen weiß – eine Waffe, die in den Händen der meisten Schriftsteller, weil sie meistens Männer sind, verunglückt, und à plus forte raison in der seinigen – auch von Bürger dem Ehemann, an dem sich die Schatten seiner seeligen Frauen in der lebendigen rächen – von Schlegel, der in Amsterdam gut ißt und trinkt und Hofmeister ist – aber Sie sehn, ich muß enden. Leben Sie wohl.
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  • Date: Montag, 11. Juli 1791
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Marburg · ·
  • Place of Destination: Unbekannt ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 217‒225.
Language
  • German

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