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Friedrich Wilhelm Gotter to Caroline von Schelling

Gotha den 27. October [17]91.
Nicht mein Pflegma, sondern diätetische Nothwendigkeit hat mich um das Vergnügen gebracht, die letzten Augenblicke Ihres Aufenthaltes, theuerste Freundinn, mitgenießen zu können. Von Ihrer Güte war ich in voraus überzeugt, daß sie mir diesen Mangel an Aufmerksamkeit leicht verzeihen, und ein kleiner Spott meine ganze Strafe seyn würde.
Wenn ich aber auch jener Nachtfeyer der Freundschaft beygewohnt hätte, so würde es doch in Ansehung der bewußten Sache schwerlich unter uns zu einer so zusammenhängenden und bestimmten Erklärung gekommen seyn, als Sie mir zurückzulaßen beliebt haben.
So wenig mich der Inhalt dieses Herzensarguments, in Rücksicht auf die Wünsche meines eignen Herzens, erbaut hat, so sehr weiß ich Ihre edle Freymüthigkeit und tadellose Delikateße zu schätzen, und so stolz bin ich auf die Ehre, Ihres vollen Vertrauens bey dieser Gelegenheit gewürdigt zu werden.
Ich habe Ihre Vorschrift buchstäblich befolgt. Ich habe meinen Freund in der Meinung bestärkt, daß sowohl die Mutter Schläger als ich die Grenzen eines halben Scherzes gegen Sie nicht überschritten und uns begnügt hätten, unsern hingeworfenen Wincken durchaus mehr den Anstrich eines vorschnellen gutmüthigen Einfalles, als eines heimlichen Auftrages zu leihen. Zwar hätte ich Ursache zu vermuthen, daß die Ahndung von der Möglichkeit eines ernsthafteren Sinnes in Ihnen erwacht sey; zugleich aber glaubte ich auch aus gewißen Aeußerungen auf eine Menge Bedenklichkeiten schließen zu müßen, die wir auf unserm Wege finden würden, und die ich, bey der ersten Ansicht des Plans, theils gar nicht erwartet, theils aus zu lebhafter Theilnahme an einem glücklichen Ausgange übersehen hätte.
Ich habe ihm zu seiner Beruhigung versichert, daß diese Bedenklichkeiten (wie ich nach meiner geringen Menschen-Kenntniß mich getrauete zu behaupten) zuverläßig nicht sowohl den Gegenstand der Wahl, als die Natur derselben beträfen; daß man mit keiner Frau von alltäglichem Schlage zu thun habe; daß alles, was bey der Sache nur Convenienz sey, auf Ihre Entschließung nicht den geringsten Einfluß haben würde; daß mir Ihre Anhänglichkeit an den einmahl entworfenen Plan eines unabhängigen Lebens um so schwerer zu überwinden scheine, je entfernter Sie überhaupt von dem Leichtsinne wären, sich von jedem Winde hin und her treiben zu laßen; daß endlich in dieser Festigkeit Ihres Charakters und in Ihren Erfahrungen (ob Sie gleich größtentheils nur die schöne Seite der Ehe kennen gelernt hätten) vielleicht der Hauptgrund läge, warum der Gedanke, sich diesen Verhältnißen und Pflichten zum zweytenmahle zu unterwerfen, Ihnen mehr als Einen Kampf kosten würde.
Ich habe diesen Vorstellungen die Bitte hinzugefügt, sich selbst und alle von einem solchen Schritte unzertrennlichen Umstände und Nebenumstände nochmahls mit der kühlesten Ueberlegung zu prüfen, um sich nicht, ohne den äußersten Drang seines Herzens, der Gefahr eines mißlichen Versuches auszusetzen. –
So steht die Sache, und ich hoffe, Sie werden mit meinem Benehmen zufrieden seyn.
Was die Liebe angefangen hat, mag sie vollenden; und sie wird es thun – wenn es Liebe ist. Ich werde mich wohl hüten, ihren Wirkungen vorzugreifen, oder ihr die Wünsche der Freundschaft unterzuschieben.
Die Nachricht Ihrer glücklichen Ankunft hat unsre Herzen mit Freude überströmt. Aber Ihren Dank geben wir Ihnen mit Protest zurück. Wir sind es, die Ihnen für die seeligen Tage, die Sie uns durch Ihren leider allzukurzen Besuch verschafft haben, unendliche Verbindlichkeiten schuldig sind.
Mamsell Luisen sagen Sie tausend Schönes von mir, wenn ich auch von den tausend schönen Büchern, deren Mittheilung sie mir versprach, nicht eines erhalten sollte.
Madam Luise kann für sich selbst reden.
Mein Freund ist beßer, obgleich noch nicht ausgegangen, und hat mir seine warme Empfehlung aufgetragen.
Die Thränenbäche der Kinder um Sie sind getrocknet. Aber die Strahlen froher Dankbarkeit brechen bey jedem Anschauen der Schärpen neu hervor.
Meine Schwester stimmt in alles Freundschaftliche herzlich ein.
Ich küße Ihnen ehrfurchtsvoll die Hände.
Gotter.
  • Gotter, Friedrich Wilhelm   Nicht-Begegnung  beklagen  Schelling, Caroline von
  • Gotter, Friedrich Wilhelm   charakterisieren  Schelling, Caroline von
  • Löffler, Josias Friedrich Christian  grüßen  Schelling, Caroline von
  • Löffler, Josias Friedrich Christian  grüßen lassen  Gotter, Friedrich Wilhelm
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 27. Oktober 1791
  • Sender: Friedrich Wilhelm Gotter ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Gotha · ·
  • Place of Destination: Göttingen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 226‒229.
Language
  • German

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