Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Caroline von Schelling to Luise Gotter

Göttingen d. 31 Oct. [17]91.
Wohl mir, daß ich in Eure Hände gefallen bin, wo der freundschaftliche Eifer sich auch keinen Schritt über die Gränzen des holden Anständigen hinaus verirrte – wenn Grandison und Miss Byron diese Sache zu behandlen gehabt hätten – sie würden nicht feiner die zarteste Empfindung beyder Theile geschont haben – ich erkenne Gottern – aber die Erkennung war mit neuen Entdeckungen verbunden – und müßt ich ihm nicht wiederum dafür danken, daß er mir die Freude macht ihn auch von dieser Seite zu bewundern, so würd ich sagen – sie kostet mir das Gefühl einer schweren Verpflichtung. Sein Benehmen ist so selten – selbst unter Leuten von Verstand – und doch ist Delikateße das Wort des Verstandes! Hier ist es mir doppelt werth, weil es beynah unverzeihlicher ist, Hofnungen zu geben, die man nicht erfüllt, als voreilig die Erfüllung derselben ahnden zu laßen – verstehst Du dies Wort? Meine gute Louise – Du sahst es mit Deiner schlichten Weisheit schon voraus – und im Ton Deines Briefchens liegt auch keine gespannte Erwartung mehr – Du wirst nicht sehr befremdet seyn, wenn ich Dir bekenne, daß ich nicht kan. Mir ist, als müßt ich mich darum bey Dir als um einer Thorheit willen entschuldigen, so fest ich in meinem Sinn überzeugt bin, daß es für mich die kühlste Vernunft ist. Hat nicht ein jeder die seinige, und nur das darf Schwärmerey genannt werden: unternehmen, ohne die Folgen zu übersehn, und dann muthlos und erschlafft unter ihrem Gewicht erliegen. Jene hab ich mir lebhaft vorgestellt, und dieses darf ich nie fürchten, selbst wenn sich Dinge ereignen sollten, die ich nicht voraussah. Kan ich sie nicht noch weniger berechnen, wenn ich Euren liebreichen Plan nachginge, als wenn ich den einfachen Weg verfolge, den ich mir vorgezeichnet habe? Ich habe sehr den Ehrgeiz nüzlich zu seyn – aber das Nüzlichere ist auch immer das Glückliche – und ich bin gewiß um so glücklicher, je freyer ich mich weiß – um so gebundner an die Pflichten, für welche ich Kräfte habe, je willkührlicher ich handle. Verdammt mich also nicht, daß ich die Winke der Vorsehung zu Schanden mache – ich bin dennoch so fromm zu glauben, daß sie nichts umsonst thut. Laß uns auch den kurzen Traum nicht bereuen – es ist nicht wahrscheinlich, daß Schmerz für ihn die Wirkung davon seyn werde – und uns hat er den der Trennung so gänzlich erspaart – hat mir mein Schicksaal von allen Seiten gezeigt. Nachdem ich entschloßen bin, seh ich der Bedenklichkeiten für einen entgegengesezten Entschluß, gegen welche ich mich im Anfang verblendete, weil ich gewünscht hätte, einwilligen zu können, noch so manche – meine Berathschlagung hat mehrere Tage gedauert – ich bin wirklich so unpartheyisch verfahren, wie es sterblichen Menschen möglich ist – entschied der geheime Hang des Herzens – so hab ich nicht Unrecht, denn dann mache ich mir doch nie Vorwürfe. Du wirst nicht unterlaßen die Bemerkung zu machen, daß Tatter Einfluß auf meine Wahl gehabt habe – sagt ich nein, so glaubtest Du doch das Deinige, und warum soll ich für die Kälte meiner Ueberlegungen einen heftigen Streit beginnen? nur muß ich dem wunderbaren Menschen die Gerechtigkeit wiederfahren laßen, daß ich seine volle Zustimmung gehabt haben würde, wenn ich anders gewählt hätte.
Jezt wird Gotter das Werk vollenden, und ihm auf die Art, die es ihn am gleichgültigsten aufnehmen läßt, zu verstehn geben, daß ich nicht kan – mag er ihm immer sagen, daß er an mir nichts verlohren hat – oder ich einen andern liebe, und mir also Pflicht und Gewißen verbieten – woran jedoch kein Wort wahr ist – einen rechtschaffnen Mann zu heirathen. An die liebe Mutter Schläger schreib ich noch in dieser Woche – heut hab ich nur Zeit für dieses Blatt.
Die Schwäger in Mühlhausen brauchen keine Frau; denn sie küßen alle ihre schöne Schwägerinn – ist Wilhelmine schon wieder da? Vertröste auch sie auf die nächsten Tage. Louisens High Spirits sind gesunken, seit Gotter keine impromptus mehr auf sie macht, und mit ihnen die schönen Versprechungen – ich habe noch nichts wieder davon gehört. Adieu, meine Gute, was ich auf der Seele für Dich habe, weißt Du ohne mein Schreiben und Sagen – grüß die Kinder und ihre liebe Tante, und schreib mir bald – recht bald.
C. B.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 31. Oktober 1791
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 232‒234.
Language
  • German

Weitere Infos ·