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Luise Gotter, Friedrich Wilhelm Gotter to Caroline von Schelling

[Gotha] den 3. Nov. [17]91.
An den Thoren meiner Vaterstadt hängt an einem schwarzen Pfahl eine schwarze Tafel mit der gastfreyen Aufschrift: Allhier werden alle Bettler in das Zuchthaus gebracht. – Das ist ein Bißchen arg, ich räum’ es ein. Aber daß eine hübsche Frau einem wohlgekleideten Manne, der Miene macht, sich ihrem Hause zu nähern, die Thür vor der Nase zuwirft und zum Fenster herausruft: Gebt euch keine Mühe! Ich bin nicht zu Hause, ich mache nicht auf – das ist noch ärger, als der Willkommen der Gothaischen Policey. – Die Bettler schleichen bey der hartherzigen Stadt vorüber, wenn sie nicht der Heißhunger, auf Gefahr ihrer Freyheit, hineintreibt. Oft sind sie in letzterem Falle so glücklich, Herberge und Erquickung zu finden, und den Argusaugen der Bettelvoigte zu entrinnen. – Wie sich ein wohlgekleideter Mann unter solchen Umständen benimmt, oder benehmen soll, das ist schwer zu entscheiden. Ist er bibelfest, so läßt er sich nicht abschrecken, sondern denkt, wie dort geschrieben steht: Klopfet an, so wird euch aufgethan. Ist er empfindlich, so nimmt er eine Prise Contenance, dreht sich langsam um, und geht brummend weiter. Hat er Romane und andere Werke des Witzes gelesen, so sagt er zu seinem Begleiter oder Nachtreter: Thue mir den Gefallen und sieh zu, ob Du durch eine zerbrochene Scheibe, oder durch ein Loch in der Mauer dieß Billet – oder diese Visiten-Karte in das Haus praktiziren kannst; aber nimm Dich in Acht, daß es Dir nicht gehe, wie dem Jeanot in der Komödie! Ich weiß nicht, ob Sie diesen parfümirten Helden aus einem Lieblingsstücke der weiland kultivirtesten Nation von Europa kennen. Ihre Lektüre scheint sich nicht viel über den Grandison hinaus zu erstrecken. Um so lebhafter aber wird es Ihnen noch im Andenken ruhen, daß dieser Vernunftkoloß endlich doch das Mittel fand, die Sophistereyen der entkörperten Dame Biron in Seifenblasen zu verwandeln.
… Ich küße Ihre kalte Hand, und wünschte lieber von Ihnen wegen Zudringlichkeit und Indiscretion ausgescholten, als – so gelobt zu werden. Und doch ist es mir nicht möglich, meine Verehrung für Sie auch nur einen Augenblick herabzustimmen.
G.
So sehr Du es auch darauf angelegt hast böse, grausame Caroline, unsern Lieblingswünschen mit aller Macht entgegen zu streben, so kann ich es doch nicht übers Herz bringen mit Dir zu schmollen, eben so wenig ist es mir möglich einen Brief an Dich abgehn zu lassen, ohne Dir wenigstens mit einem Wort zu sagen, wie sehr ich Dich troz aller Deiner Harthärzigkeit ewig lieben werde.
Luise.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 3. November 1791
  • Sender: Luise Gotter, Friedrich Wilhelm Gotter
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Gotha · ·
  • Place of Destination: Göttingen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 235‒236.
Language
  • German

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