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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Göttingen d. 6 Dec. [17]91.
Es war eine Unbesonnenheit von mir, lieber Meyer, Hrn. von Launay diesen Brief zu geben, und ihm überall einen für Sie zu geben; aber – ich hoffe in meinem 80sten Jahr noch welche zu begehn, wenn ich nicht so glücklich bin vor dem 40sten zu sterben. – Das kan ich nun gar nicht leugnen, daß der Ton Ihres Briefs ein wenig verdroßen ist – allein Sie zu bekehren, ist meine Absicht nicht. Ich weiß wohl, daß man dies nicht in Briefen thut – ich werde mir nur eine warnende Lehre aus Ihrem Beyspiel nehmen. Könt ich Sie sehn – wohl – meine Heiterkeit würde Sie nicht berauschen – es wär also etwas davon zu hoffen. Sagen Sie mir, ist es denn gar nicht möglich, ehe ich dahin gehe, wohin Sie nicht kommen? – Das ist für diesmal weder der Himmel noch die Hölle, sondern Mainz, ein Ort, wo Menschen wohnen, also ein Mittelding zwischen beyden. Ich wage mich mit getrostem Muth dahin, denn eine kleine Neigung hab ich doch zu Unternehmungen, die wie eine Aufgabe aussehn, und wenn ich nicht viel ausrichtete, wenn ich nichts besonders zum Fortgang brachte, so bewirkte ich doch wohl einen kleinen Stillstand, und blieb selbst ganz unverändert. Vielleicht werd ich Theresen nüzlich, und das wird mir viel Freude machen, denn ich weiß sehr gewiß, daß ich ihr nur edle Dienste leisten werde, und die Unabhängigkeit, welche ein Bedürfniß für mich geworden ist – nicht als Meubel des Luxus, sondern des Gebrauchs – nicht dabey leiden kan. Ihre Gesundheit leidet, das ist nur zu wahr – Forster ist unerträglich – das ists nicht minder. Sie haben ihr jüngstes Kind an den inokulirten Blattern verlohren. – F. sorgt indeß für Ersatz, und das ist zehnfach ärger – und wenn Sie das nicht für ein Leiden halten, wenn Sie F. billigen können, der doch wißen muß, daß er seines Weibes Herz nicht besizt, – nun so sind Sie ungerecht – wie die Männer alle. Aber was streite ich noch mit Ihnen darüber – ist es nicht einerley, was Sie glauben, wenn Ihr Herz sich wohl dabey befindet? Ich will Ihnen nicht einmal verhehlen, daß ich von Ihrem Glauben genommen, was mir dienen konte, und der lezte Götze, den ich mir nicht freywillig dazu erkohr, gestürzt ist. Auf ihre Freundschaft hab ich nie gerechnet – es giebt keine unter Weibern – ich zweifle selbst daran, daß sie mir recht aufrichtig gut ist – doch muß sie mich achten, und das thut das nehmliche – ich bin eine Art von Nebenbuhlerin, ohne meine Rechte geltend zu machen – das ist heilsam – und ich liebe sie, weil sie mir merkwürdig ist, und es bleiben wird, wenn sie mir auch nicht mehr neu ist. Außerdem ist Mainz eine Stadt, wo ich unbekant leben, und neben einer gewißen Einsamkeit Vergnügungen des Geistes und der Sinne genießen kan. In Gotha hab ich unausstehlich viel Verbindungen, die mir viel Zeit rauben würden, und haben die Lieben nicht gezeigt, daß sie sich schlecht genug auf mein Glück verstehn, um mich in der mir nothwendigen Lebensweise allenfalls zu hindern? – Da geb ich Ihnen Rechenschaft wie über den Mann Gottes! Ich thu es gern, weil ich wünsche Ihnen nicht frend zu werden. Es kan seyn, daß wir immer getrennt bleiben, und die Blüthe eines wohlthätigen Zutrauens nie Früchte bringt, aber sie ist mir doch lieb – jeder angenehme Augenblick hat Werth für mich – Glückseeligkeit besteht mir in Augenblicken – ich wurde glücklich, da ich das lernte. Darum, wenn ich Sie auch nur auf kurze Zeit sehn sollte – wie gern würd ich es! Ist denn kein Mittel? Sie kommen nicht an diesen verhaßten Ort – Sie gehn nach keinem, der auf meinem Wege liegt? Wenn nun die Anschläge glückten, welche man für Sie gemacht hat – wär es denn nicht thunlich? Ich weiß ohngefähr, wohin es dann geht, und wünsche herzlicher wie Sie, daß es gelinge. Es ist Ihnen gleichgültig weil Sie es entbehren können – es würd es weniger seyn, wenn Sie es besizen. Auch darüber hilft das Reden nichts – aber glauben Sie mir, mein lieber Meyer – die Zeit wird mir bis zur Entscheidung so lange dauern, wie sie Ihnen verdrießlich ist. Ich würde Theil daran genommen haben, wenn wir uns auch nicht näher gekommen wären, wie wirs vor 8 Jahren waren – und werde fortfahren es zu thun, wenn ich in langer Zeit nichts von Ihnen vernehme. Wenn das Sie wundert, so möcht ich wohl fragen, wo die Geseze geschrieben stehn, die Sie dazu berechtigen. – Ich verlaße Göttingen in diesem Jahr noch nicht, vermuthlich erst im Februar des künftigen, so ungern ich hier – das heißt doch noch mehr, so ungern ich in diesem Haus bin – aber die Mutter glaubt, ich könne meinen Schwestern nüzlich seyn – und so lange ich ohne Nachtheil für meine Kleine und mich kan, will ich ihren Glauben ehren. Lottens Schicksaal ist in einer Krisis, wo ich etwas thun konte – gebe der Himmel einen guten Ausgang, jenseits reichen meine Augen nicht, wie es auch seyn möge. Die Folgen einer unrichtigen Erziehung liegen traurig am Tag – alle Anlagen, die da waren, zeigen sich nur in verkehrten Wirkungen – das bischen Verstand mehr ist Eigenliebe und Thorheit, und die Vorurtheilslosigkeit – Schlaffheit geworden. – Ein genauer Umgang mit einer gewißen Madam Bürger ist den beyden Mädchen jezt wieder sehr unvortheilhaft gewesen! Frau Menschenschreck! Du kenst die Menschen, Du hast wahr prophezeiht! Es ist ein kleines niedliches Figürchen, mit einem artigen Gesicht und Gabe zu schwazen – empfindsam wo es noth thut, intriguensüchtig im höchsten Grad – und die gehaltloseste Coquetterie – der es nicht um einen Liebhaber so wohl – ohngeachtet sie auch da so weit geht, wie man gehn kan – sondern um den Schwarm unbedeutender Anbeter zu thun ist, die ihre ganze Zeit damit verdirbt, und den Kopf dabey verliert. Mir thuts sehr weh für Bürger – eine vernünftige Frau, seinen Jahren angemeßen, hätte ihn noch zum ordentlichen Mann gemacht – aber jezt droht seiner Haushaltung ein völliger Untergang, weil sie sich um nichts bekümmert – nicht einmal um ihr Kind – den kleinen Agathon, der, seit die Leute sich nicht mehr über den Nahmen wundern, von aller Welt und von der Mutter vergeßen ist. Nicht ein Funken mütterlich Gefühl in ihr! Sehn Sie, Meyer – darum müßen Weiber keine Liebhaber haben, weil sie so leicht Kind und Wirthschaft darüber vernachläßigen. Ich könte Ihnen hiervon Anekdoten erzählen, die mir die Thränen in die Augen gebracht haben – mein innerster Unwille wird reg, wenn ein Weib so wenig Weib ist, das Kind vergeßen zu können, und wär ich Mann, ich möchte sie nicht in meine Arme schließen. Bürger fühlt alles und weiß sich nicht zu helfen – ist es denn so schwer Mann neben euch zu seyn? sagte mir Tatter. – Er wird eigentlich stüpide neben ihr – ist still – und starrt mit abgestorbnen Augen in das Wesen hinein. Neulich klagte ers mir bitterlich, daß er so gar keinen Geist mehr habe – kommen Sie doch ihn wieder aufzuwecken – vor ihrem Nez sind Sie sicher – ein gescheuter Mann war bis jezt noch nicht darinn. Ach dann wärs ja zu verzeihn – denn daß ich nicht aus Intoleranz so urtheile, versteht sich wohl. Mein Liebesmantel ist so weit, als Herz und Sinn des Schönen gehn.
Nun sagen Sie mir noch, was ich für einen Brief geschrieben habe, der nicht an Sie war, und den Sie lasen, und der Bezug auf Sie und wiederum Bezug auf „die Liebliche“ hatte (meine Grüße nach Gotha lauten immer an die Stattliche, die Liebliche und die Gute). Ich errinre mich nichts dergleichen, aber wißen muß ich es, denn ich möchte gern „falschen Scharfsinn“ verlernen. Amalie ist sehr liebenswürdig – wir sind was wir einem Manne scheinen – ich sah sie mit Wohlgefallen, weiß aber sonst wenig von ihr – mit solchen Menschen muß man eine Weile leben, um ihrer froh zu werden. Ich sagte Wilhelminen eine Stelle aus dem Schauspiel Juliane in Schillers Thalia – über welches ich Ihr Urtheil wißen möchte. – „Gieb dieser Blume Liebe, und so wie sie heute sich meiner Freude an ihrer Pracht erfreut, so wird sie morgen sich ihrer blühenden Nachbarin freuen“. Liebe! es braucht nicht eben die zu diesem und jenem Mann zu seyn. Zwar, lieber Meyer, denken Sie nicht, daß ich diese verleugne – ich habe die Furcht nicht – denn wär mein Gefühl schon weniger frey – die Eifersucht es zu verbergen könt ich wohl haben, wenn ich fürchten müste es zu entweihn – aber Ihnen hab ich nichts verhelen wollen – ich habe nur nicht erzählt – und damit leben Sie wohl.
Launay hat mir einen Brief über das Theater geschrieben, wollen Sie das nicht auch thun?
8. Dec.
Dies blieb wieder meinen guten Willen noch einen Postag liegen, und so hab ich noch Gelegenheit Sie erstlich zu bitten, daß Sie Launay nicht etwa gesprächsweis etwas von meinem Urtheil über die Bürger sagen sollen – car il est un des amateurs – und zweytens – Sie möchten mir oder einem Ihrer Freunde, die ich auch kenne, als Gotter oder Bürger, eine Erläuterung des lezten Seufzers des Opfers ihrer Kunst geben – denn ob ich gleich fest behaupte, daß in den lezten Zeilen von der Dreyfaltigkeit die Rede ist – so verdünkt es mich doch, als wäre der Commentar nicht so grade zu einem sittsamen Frauenzimmer vor Augen zu legen – und jene sind auch im Dunkeln darüber. Ein andres Ihrer Gedichte – wer nicht kan was er will – verstehe ich sehr gut, und habe es sehr lieb. Was halten Sie aber überhaupt vom 92ger Allmanach?
Metadata Concerning Header
  • Date: 6. Dezember 1791
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Unbekannt ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 241‒246.
Language
  • German

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